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Der Loyalitätskonflikt und wie man ihm begegnet

Der Loyalitätskonflikt stellt eine der gravierendsten psychischen Belastungen dar, denen Kinder im Kontext hochstrittiger Trennungen ausgesetzt sind. Das Kernkonzept beschreibt eine schmerzhafte innere Zerrissenheit des Kindes, die entsteht, wenn es faktisch gezwungen wird, sich emotional zwischen zwei primären Bindungspersonen – den getrennten Eltern – zu entscheiden. Diese Entscheidung wird von dem Kind als Verrat an dem jeweils anderen Elternteil erlebt.   

Aus systemischer Perspektive ist der Loyalitätskonflikt Ausdruck einer dysfunktionalen Elternbeziehung, in der die erwachsene Konfliktebene auf die Kindesebene übertragen wird. Das Kind befindet sich in einem ständigen „Hin- und Herkippen-Müssen“ zwischen den elterlichen Erwartungen und Bedürfnissen. Diese Dynamik erzeugt eine hohe innere Spannung und kann im Extremfall zu einer emotionalen „Erstarrung“ des Kindes führen, da jede Bewegung in Richtung eines Elternteils schuldbehaftet ist und die eigene innere Stabilität gefährdet. Psychologisch muss dieses Verhalten des Kindes nicht als bewusste Verweigerung, sondern als eine „subjektiv sinnvolle Anpassung“ an eine emotional unerträgliche Familiendynamik verstanden werden, die es dem Kind ermöglicht, die Beziehung zu beiden Elternteilen aufrechtzuerhalten, ohne sich offen zu positionieren.   

Wir versuchen uns dem Begriff, den Auswirkungen von Strategien, diesen Konflikt zu vermeiden oder Folgen zu mildern in diesem Artikel anzunähern.

Wie Manifestationen in familiengerichtlichen Verfahren zur Geltung kommen.

Loyalitätskonflikte entstehen primär in stark konfliktreichen Umgangs‑ und Sorgeverfahren, wenn Eltern nicht in der Lage sind, ihre Auseinandersetzungen auf die reine elterliche Ebene zu beschränken. In solchen hochstrittigen Situationen entwickelt sich der Streit häufig zu einer eigenen Dynamik, bei der die Schädigung des Ex‑Partners wichtiger zu sein scheint als der eigene Nutzen oder sogar das Wohl des Kindes. Die Bedürfnisse und das Erleben des Kindes geraten in dieser Eskalationsspirale in Vergessenheit; das Kind wird instrumentalisiert und zum „Spielball selbstbezogener Parteieninteressen“ degradiert.   

Die gerichtliche Relevanz dieser Konfliktdynamik ist von außerordentlicher Tragweite. Loyalitätskonflikte gelten als erhebliche Belastung des Kindeswohls und können in Kindschaftsverfahren als Hinweis auf notwendige richterliche Maßnahmen dienen. So kann ein durch das Verhalten eines Elternteils ausgelöster Loyalitätskonflikt die Notwendigkeit eines begleiteten Umgangs begründen und – in besonders schwerwiegenden Fällen – sogar einen vollständigen Umgangsausschluss zur Entlastung des Kindes erforderlich machen.

Ich selber erlebe allerdings oft, dass der Begriff verwendet wird, ohne dass man mit diesem wirklich etwas anfangen kann und diesen definieren kann. Gleichwohl wird oft, nicht nur bei diesem, sondern auch anderen Begriffen, dieser in eigener Unkenntnis verwendet, und das oft negativ für einen oder die Eltern.

Die Belastung des Kindes: der Verlust der Ambivalenzfähigkeit und ein innerlich zersplitterter Zustand

Die psychische Belastung des Kindes ist das Resultat eines Verlustes der Fähigkeit, Ambivalenzen auszuhalten. Gewöhnlich gelingt es Kindern, die Spannungen zwischen den Eltern zu verkraften, solange sie darauf vertrauen können, dass die übergeordneten elterlichen Ziele übereinstimmen und die Eltern letztlich wieder zueinander finden. Sobald jedoch eine manifeste, chronisch anhaltende Trennungsfehde eintritt, zerbricht diese Annahme; Kinder, die ihre Eltern bislang als ungeteilte Einheit erlebt haben, verlieren die notwendige innere Konsistenz und geraten in eine tiefe Zerrissenheit.   
In solchen Situationen spürt das Kind ein erdrückendes Schuldgefühl, weil es gleichzeitig beiden Elternteilen gegenüber liebevoll und positiv bleiben will, obwohl diese im Streit liegen. Dieses Schuldempfinden wird noch verstärkt, sobald die Eltern das Kind direkt um seine emotionale Zustimmung bitten oder erwarten. Kommt dann ein neuer Partner ins Spiel, kann die Lage weiter verschärft werden – Kinder entwickeln häufig die Angst, den leiblichen Elternteil zu verlieren oder für ihn an Bedeutung zu verblassen.

Das innere Unbehagen, das ein Loyalitätskonflikt erzeugt, macht sich häufig in psychosomatischen und psychischen Auffälligkeiten bemerkbar. Besonders auffällig ist dabei die Somatisierung – ein zunächst leicht missverstandenes Signal: Kinder melden etwa Bauch- oder Kopfschmerzen, meist kurz bevor sie vom einen zum anderen Elternteil wechseln (hierzu lesenswert auch Baumann und Bolz, Loyalitätskonflikte, Eltern-Kind-Entfremdung und Umgangsstreitigkeiten als juristische, gutachterliche und beraterische Krise – eine bindungs-dynamische Perspektive in ZKJ 6/2021, S. 212). Eltern deuten solche körperlichen Beschwerden häufig fälschlicherweise darauf, dass dem Kind beim jeweils anderen Elternteil nicht gut gehe, und übersehen dabei den eigentlichen, trennungsbedingten Loyalitätskonflikt. Für das Kind stellen die somatischen Symptome eine körperliche Übersetzung des kaum zu ertragenden psychischen Drucks dar, weil es seine Not nicht offen aussprechen darf oder vermag.   

Unabhängig davon, ob somatische Beschwerden im Vordergrund stehen, können chronische Loyalitätskonflikte gravierende psychische Auffälligkeiten hervorrufen – dazu gehören Verhaltensauffälligkeiten, Aggressivität, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen und Konzentrationsschwächen. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, diese Konflikte frühzeitig zu erkennen und gezielt zu intervenieren. Führen die Konflikte zu einer pathologischen „Erstarrung“ oder geraten die Eltern in eine Phase der „aktiven Destruktion“, bei der die Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse vollständig blockiert ist, reichen rein konsensbasierte Lösungsansätze nicht mehr aus. Unter solchen Umständen erweist sich ein unverzichtbares, direkteres Vorgehen der Fachseite als unabdingbar, um das starre System aufzubrechen und dem Kind den dringend benötigten Schutz zu gewährleisten.

Der Loyalitätskonflikt als Indikator der Kindeswohlgefährdung (§ 1666 BGB)

Im Zentrum aller gerichtlichen Entscheidungen in Sorge‑ und Umgangsverfahren steht das Wohl des Kindes. Der Terminus „Kindeswohlgefährdung“ bleibt ein vage, normativ gefärbtes Konstrukt, das Raum für unterschiedliche Deutungen lässt. Dennoch hat die Rechtsprechung bestimmte Fallgruppen herausgearbeitet, die eine präzisere Anwendung des § 1666 BGB – der Vorschrift zu gerichtlichen Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls – ermöglichen.   

Eine chronische, stark belastende psychische Anspannung, die ein Loyalitätskonflikt beim Kind auslöst – besonders dann, wenn das Kind von einem oder beiden Elternteilen instrumentalisiert wird – schränkt die Entwicklungschancen des Kindes erheblich ein. Solche Umstände können die Grenze zur Kindeswohlgefährdung überschreiten und damit gerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB erforderlich machen. Im Zentrum der gerichtlichen Prüfung steht die Frage, in welchem Ausmaß die Eltern ihrer Bindungsfürsorgepflicht nicht nachkommen.

Bindungsfürsorge

Ein zentrales Bewertungskriterium für die Erziehungsfähigkeit ist die Bereitschaft, die Bindungsfürsorge zu gewährleisten. Eltern haben die Pflicht, im Rahmen des Zumutbaren die Beziehung des Kindes zum jeweils anderen Elternteil zu stärken – ein Aspekt, der als Bindungstoleranz (zur Kritik an Bindungstoleranz und zur Nutzung des Begriffs des Gatekeepings hier mehr) bezeichnet wird. Die gerichtliche Analyse richtet sich dabei darauf, ob die Eltern trotz ihrer Trennung weiterhin gemeinsam die Erziehungsaufgabe im Sinne des Kindeswohls wahrnehmen können.   

Die Weigerung eines Elternteils, die kindliche Bindung zum anderen Elternteil zu akzeptieren – oder sie sogar aktiv zu untergraben – gilt als gravierendes Erziehungsdefizit. In stark konfliktbeladenen Fällen lässt sich beobachten, dass die Auseinandersetzungen nicht nur psychisch hochkochen, sondern durch das juristische Gefüge weiter angefacht werden können, insbesondere wenn Anwälte die Spannungen ausnutzen. Deshalb setzen Gerichte häufig auf Mediation oder auf die Aussetzung des Verfahrens, um die gefährliche Eskalationsspirale bereits im Keim zu ersticken.

Prävention von Loyalitätskonflikten: Kooperative Elternschaft im Fokus

Die wirksamste Methode zur Vermeidung von Loyalitätskonflikten liegt in der Etablierung einer kooperativen Elternschaft, dem sogenannten Co-Parenting, welches die Konfliktzone strikt von der Kindesebene fernhält.

Schutz des Kindes vor der Elternebene: Vermeidung instrumentalisierenden Verhaltens

Ein bewusster Umgang erfordert, dass Eltern kritische Situationen, die Loyalitätskonflikte auslösen könnten, frühzeitig identifizieren und gezielt aus dem Weg gehen. Besonders wichtig ist, in Gegenwart des Kindes negative Äußerungen über den anderen Elternteil zu unterlassen. Dies gilt auch, wenn diese gut begründet ist. Insoweit muss man bisweilen einfach besser sein als die Gegenseite.

Ebenso sollte darauf verzichtet werden, sich selbst oder dem Ex‑Partner die Schuld an der Trennung zuzuschieben und hierin die Kinder zu involvieren.  

Obwohl das Ende einer Paarbeziehung nicht voraussetzt, dass die ehemaligen Partner „auf Teufel komm raus“ miteinander auskommen – besonders nicht, wenn schwerwiegende Vorfälle wie häusliche Gewalt stattgefunden haben – sollten sie trotzdem in der Lage sein, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu fördern. Die zentrale Schutzstrategie besteht darin, das Kind nicht zum Zeugen elterlicher Auseinandersetzungen zu machen, weder bei Telefonaten noch bei den Übergaben.

Ausnahmen kann es dabei geben, wenn das Kind aktiv Informationen einfordert. Aber auch dann sollte man die Contenance wahren, ebenso wenn das Kind Geschehnisse mitbekommen hat. Bisweilen muss man hier abwiegeln oder das Kind strikt aus dem Konflikt heraushalten („Ich bespreche das mit Papa/Mama“ oder „wir werden das Problem für Dich als Eltern gemeinsam lösen“ usw.)

Altersgerechte und wahrhaftige Kommunikation der Trennung (Do’s and Don’ts)

Wenn Eltern das Thema Trennung ansprechen, sollte die Wahrheit in einer für das Kind passenden, altersgerechten Sprache vermittelt werden. Das zentrale Element, das dem Kind emotionale Sicherheit gibt, ist die klare Aussage, dass die romantische Beziehung der Erwachsenen zwar ein Ende finden kann, die elterliche Liebe zu ihren Kindern jedoch immer bestehen bleibt. Dabei braucht das Kind keine ausführlichen Erklärungen darüber, welche konkreten Gründe zur Auflösung der Partnerschaft geführt haben. 

Liebe Eltern zu ihren Kindern bleibt immer bestehen – gerade in der Trennung

Eine ehrliche, leicht verständliche Erklärung ist entscheidend, um dem Kind zu vermitteln, dass die Eltern nicht mehr auf dieselbe Weise lieben und deshalb getrennt leben wollen. Formulierungen wie: „Wir trennen uns, weil es uns nicht mehr gut geht. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass es besser ist, wenn wir getrennt wohnen“, schaffen klare Transparenz. Zusätzlich benötigt das Kind sofortige Klarheit über seinen Alltag: Wann bin ich bei Papa und wann bei Mama?

Etablierung konsistenter und respektvoller Co-Parenting-Strukturen

Eine effektive Kommunikation bildet das Fundament eines erfolgreichen Co-Parentings. Diese Kommunikation muss regelmäßig, offen, respektvoll und sachlich bleiben, auch wenn schwierige Themen zu besprechen sind. Klare, konsistente Absprachen über Erziehungsziele, Schulangelegenheiten und Alltagsroutinen sind notwendig, um dem Kind Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Die Konsequenz und Berechenbarkeit bei der Umgangsgestaltung ist eine elterliche Fähigkeit, die gefördert werden muss.   

Die Möglichkeit gemeinsamer Aktivitäten, wie Geburtstagsfeiern oder Schulveranstaltungen, fördert das Selbstwertgefühl des Kindes und vermittelt ein Gefühl der Normalität, da es sieht, dass die Eltern trotz Trennung als Einheit zusammenstehen, wenn es um seine Belange geht. 

Wenn all dies nicht geht, sollte man sich mit weiteren Modellen wie parallele Elternschaft auseinandersetzen und die Kommunikation reduzieren.

Die Bedeutung der frühzeitigen Hinzuziehung externer Beratung und Mediation

Frühe, präventive Interventionen sind entscheidend, um die Konflikteskalation zu stoppen, bevor der Loyalitätsdruck für das Kind chronisch wird. Coaching, Psychotherapie und gezielte Elternarbeit sollten so früh wie möglich beginnen. Auch Erziehungsberatungsstellen können dabei sehr hilfreich sein.  

herapeutische Interventionen zielen darauf ab, dem Kind eine sichere emotionale Basis zu verschaffen, die es für den Weg in die Ablösung und Autonomie benötigt.   

Bindungssicherheit und Orientierung: Die Therapie bietet dem Kind einen geschützten Raum. Da Kinder oft ein vages Bild von Therapie haben, benötigen sie eine konkrete Erklärung, wie diese ihnen nützen kann – sei es durch das Besprechen von Sorgen oder das Entwickeln von Ideen für Veränderungen. Ziel ist es, dem Kind eine Orientierung im Geschehen zu geben und seine Bewältigungsstrategien anzuerkennen. Die Berücksichtigung des Entwicklungsstandes des Kindes ist dabei fundamental.   

In Fällen extremer Hochstrittigkeit, in denen die primären Bindungspersonen versagen, können Pädagogen oder Psychotherapeuten temporär Ersatz-Bindungspersonen darstellen, um die emotionale Grundversorgung zu sichern.   

Schutz des Kindes vor Überforderung: Die Entscheidungsverantwortung der Erwachsenen

Der zentrale Entlastungsfaktor für ein Kind im Loyalitätskonflikt liegt darin, dass die Erwachsenen die Entscheidungsgewalt konsequent übernehmen. Dabei muss das Kind aktiv vor der Last einer eigenen Verantwortungsübernahme geschützt werden. Zeigt das erwachsene Umfeld beständige und vorhersehbare Handlungsweisen, entsteht die notwendige Struktur, die das Kind wirklich entlastet.

Gleichzeitig sollte dem Kind die Erlaubnis eingeräumt werden, frei und ehrlich über seine Gefühle zu sprechen – sei es Trauer, Zorn oder Angst – ohne die ständige Befürchtung, dabei einen Elternteil zu enttäuschen oder zu verletzen.

Förderung der Ambivalenzfähigkeit des Kindes und Bearbeitung von Schuldgefühlen

Der Loyalitätskonflikt entspringt einer inneren Dichotomie, die dem Kind das Gefühl vermittelt, nur einen Elternteil lieben zu können. Ein zentrales Ziel der therapeutischen Arbeit besteht deshalb darin, die Ambivalenzfähigkeit des Kindes wieder zu aktivieren – also die Möglichkeit, gleichzeitig widersprüchliche Gefühle zu tragen. Dabei muss dem Kind auf einfühlsame Weise klar gemacht werden, dass die anhaltende Liebe zu Mutter und Vater völlig in Ordnung ist, selbst wenn die Eltern ihre Beziehung beendet haben.   

Parallel dazu sollte man Eltern dabei unterstützen, ihre eigenen Schuldgefühle, die aus dem Leiden ihrer Kinder entstehen, auszuhalten, damit diese inneren Lasten nicht unbewusst auf das Kind abfärben. Die konsequente Förderung einer Bindung zu beiden Elternteilen bleibt die zuverlässigste Garantie, die Entwicklungschancen des Kindes nach einer Scheidung zu sichern.

Lösung und Fazit

Priorisierung der präventiven Konfliktlösung: 

Die Gerichte sollten frühzeitig und konsequent die Nutzung von Mediation und außergerichtlicher Konfliktbeilegung anordnen, um die Eskalation der Hochstrittigkeit zu verhindern.

Eltern sollten erkennen, dass jede Streitbeilegung dem Kind hilft. Das gilt insbesondere auch in finanziellen Aspekten wie Unterhalt und Zugewinn.

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Symbiotische Beziehung: Definition, Anzeichen, Risiko fürs Kind

Enge Beziehungen in der Familie geben Kindern Halt, Nähe und Sicherheit. Sie helfen, Vertrauen aufzubauen und die Welt zu verstehen. Doch zu viel Nähe kann kippen.

Symbiose kommt aus der Biologie und meint ein enges Zusammenleben. Hier geht es um Psychologie, also um eine Beziehung, in der Grenzen verschwimmen und starke Abhängigkeit entsteht. Man fühlt sich nur gut, wenn der andere nah ist.

Kurz gesagt: Eine symbiotische Beziehung ist für ein Kind schädlich, wenn es nicht genug Raum für eigene Gefühle, Bedürfnisse und Entscheidungen hat. Das zeigt sich oft in Überbehütung, Schuldgefühlen bei Abgrenzung oder wenn ein Kind die Rolle der Eltern übernimmt.

In diesem Beitrag klären wir, woran du solche Muster erkennst und wie gesunde Nähe aussieht. Du bekommst einfache Beispiele aus dem Alltag und klare Hinweise, wo Grenzen fehlen und wie ihr sie stärken könnt. Mein bisheriger Artikel soll hierdurch ergänzt werden.

Was ist eine symbiotische Beziehung?

Eine symbiotische Beziehung beschreibt eine sehr enge emotionale Abhängigkeit, in der die Grenzen zwischen zwei Personen verschwimmen. In der Biologie leben zwei Organismen eng zusammen und profitieren voneinander. Symbiose ist also nicht grundsätzlich etwas Negatives. In der (Familien)Psychologie geht es um Bindung, Nähe und Identität. Besonders in der Eltern-Kind-Bindung kann das sinnvoll beginnen, etwa im ersten Lebensjahr, wenn das Kind Schutz und ständige Zuwendung benötigt. Später sollte sich diese Nähe lockern, damit Autonomie entstehen kann.

Zusammengefasst: die Definition der symbiotischen Beziehung lautet: Nähe ohne klare Grenzen, starke Abhängigkeit, wenig Eigenständigkeit. Fachlich wird sie als entwicklungshemmend beschrieben, wenn sie über die frühe Phase hinaus anhält, siehe die Übersicht zu Symbiose in der Psychologie. In den ersten Monaten ist Symbiose normal, notwendig und schützend, wie auch Texte zur Mutter-Kind-Symbiose zeigen, etwa bei der Beschreibung der frühen Einheit von Mutter und Kind (Symbiose zwischen Mutter und Kind). Entscheidend ist der Übergang: Aus getragener Nähe wird schrittweise sichere Selbstständigkeit. Und das ist grundsätzlich positiv und wünschenswert. Schnell kann sich dies jedoch auch in die falsche Richtung entwickeln.

Unterschiede zur gesunden Eltern-Kind-Beziehung

In einer gesunden Bindung gibt es Nähe, aber auch Raum für Unabhängigkeit. Eltern trösten, begleiten und ermutigen. Kinder dürfen eigene Gefühle, Wünsche und Entscheidungen haben. Grenzen sind klar: Ich bin ich, du bist du. Wenn sich dieses gesunde Bild ändert, dann wird es aber problematisch.

Typische Anzeichen einer Symbiose sind:

  • Ständiges Klammern: Das Kind meidet Aktivitäten ohne Eltern.
  • Überfürsorge: Der Elternteil nimmt dem Kind Entscheidungen und Risiken ab.
  • Verschwommene Grenzen: Bedürfnisse der Eltern gelten als wichtiger als die des Kindes.
  • Schuldgefühle bei Distanz: Abgrenzung fühlt sich falsch oder gefährlich an.

Warum sind Grenzen so wichtig? Sie sind wie ein Geländer auf der Treppe des Lebens. Sie geben Halt, ohne einzusperren. Kinder lernen nur, wenn sie kleine Schritte allein gehen. Dazu gehören auch Frust, etwas nicht sofort zu schaffen, eigene Lösungen aus diesem Frust zu entwickeln und dann Stolz auf Selbstwirksamkeit und Erledigung zu haben.

Kurzes Beispiel: Ein 8-jähriges Kind sagt jedes Fußballtraining ab, weil die Mutter nicht am Rand stehen kann. Anfangs wirkt das schützend. Mit der Zeit wird es überschüssig und hemmt Mut, Freundschaften und Selbstvertrauen.

Gesunde Nähe sagt: Ich bin da, und du schaffst das.

Symbiose sagt: Ohne mich geht es nicht.

Diesen Unterschied zu verinnerlichen verdeutlicht, den Unterschied zwischen Gesund und Ungesund zu erkennen und damit Fehler zu vermeiden. Oftmals werden solche Aspekte auch nur fehlinterpretiert. Daher sollte man das alles auch richtig interpretieren können.

Beispiele für symbiotische Beziehungen in der Familie

Symbiotische Nähe fühlt sich oft warm und richtig an, vor allem am Anfang des Lebens. Kippen kann es, wenn emotionale Verschmelzung entsteht und Identitäten sich mischen. Dann trifft das Kind Entscheidungen nur noch mit Blick auf Mama oder Papa und verliert sich selbst. Hier findest du alltagsnahe Beispiele und klare Signale, worauf du achten kannst. Ergänzend liefern Beiträge zu Risiken einer symbiotischen Verschmelzung hilfreiche Einblicke, etwa bei BRIGITTE: Symbiotische Beziehung oder in dieser verständlichen Einordnung zu typischen Mustern bei FOCUS Familie.

Wann Symbiose natürlich und hilfreich ist

In den ersten Lebensmonaten braucht ein Baby maximale Nähe. Diese Form der Symbiose ist normal, schützt und gibt emotionale Sicherheit. Das Kind lernt: Ich weine, jemand kommt. So entsteht Urvertrauen, die Basis für spätere Autonomie, Schutz, Bindung und Entwicklung. Auch in Übergangsphasen wie Kita-Start, Krankheit oder nach Umzügen darf Nähe enger sein.

Alltagsbeispiele, in denen Symbiose positiv trägt, sind:

  • Still- und Kuschelphase: Enger Körperkontakt reguliert Atmung, Puls und Stress. Das Kind beruhigt sich schneller.
  • Einschlafbegleitung: Ein Elternteil bleibt, bis das Kind schläft. Sicherheit zuerst, dann Schritt für Schritt mehr Eigenständigkeit.
  • Kleinkind-Exploration: Das Kind spielt in der Nähe der Eltern und wagt sich von dort weg. Nähe als sichere Basis, nicht als Leine.

So nutzen Eltern die Nähe positiv, ohne Abhängigkeit ihres Kindes zu fördern:

  1. Co-Regulation vor Autonomie: Erst trösten, dann ermutigen. Beispiel: kurz halten, beruhigen, danach kleine Schritte allein gehen lassen.
  2. Sprache für Gefühle anbieten: Benenne Gefühle einfach. So entsteht innere Sicherheit, die nicht nur an deine Präsenz gebunden ist.
  3. Rituale mit Ausstieg: Gute-Nacht-Ritual, dann leise rausgehen. Wiederkommen, falls nötig. Das vermittelt: Du bist sicher, auch wenn ich kurz draußen bin.
  4. Erlaubnis zur Abgrenzung: Sage Sätze wie: „Du darfst nein sagen.“ So lernt das Kind, dass eigene Grenzen okay sind.
  5. Vorbild für Selbstfürsorge: Kurze Me-Time offen ankündigen. Das Kind sieht: Nähe ist wichtig, und eigene Zeit auch.

Kurz gesagt: In der symbiotischen Mutter-Kind-Beziehung Beispiele wie Einschlafbegleitung oder Tragen sind wertvoll. Hilfreich bleibt es, wenn Nähe ein Sprungbrett ist, kein Dauerzustand, wenn es erst Ausnahmen zur Regel gibt, und dann das Verhältnis Regel zu Ausnahme sich dreht.

Anzeichen, dass die Beziehung zu eng wird

Wenn Nähe zur Klammer wird, zeigt der Alltag deutliche Spuren. Achte auf klare Signale und Wirkung auf das Gefühlsleben.

Typische Anzeichen aus dem Familienalltag:

  • Das Kind meidet Freunde oder Hobbys ohne Eltern, häufige Absagen kurz vor Treffpunkten. Folge: weniger Soziales, Angst vor Neuem.
  • Entscheidungen fallen nur „mit Mama“ oder „mit Papa“. Selbst einfache Dinge wie Snack, Kleidung oder Spielpartner hängen an einem OK. Folge: geringes Selbstvertrauen.
  • Eltern opfern dauerhaft eigene Bedürfnisse, schlafen schlecht, sagen Treffen ab, stellen Hobbys ein, weil sie sich auf das Kind fokussieren. Folge: verdeckter Groll, Schuldgefühle beim Kind entstehen.
  • Ständige Eifersucht auf andere Bindungen, zum Beispiel auf Freunde, Großeltern oder Geschwister. Folge: Angst vor Verlust, Kontrolle statt Vertrauen.
  • Überwachung statt Begleitung, zum Beispiel ständige Nachrichten, Live-Standort, Lauschen bei Gesprächen. Folge: wenig Privatsphäre, innere Unruhe. Hier kann auch Umgang erheblich leiden.
  • Emotionale Verschmelzung: Das Kind fühlt sich für Elterngefühle verantwortlich. Sätze wie „Wenn du gehst, bin ich traurig“ setzen Druck. Folge: Trennungsangst.
  • Vater oder Mutter überfordert das Kind mit Sorgen oder Paarproblemen. Das Kind wird zum Vertrauten. Folge: Parentifizierung, zu viel Verantwortung.

Kurzfolgen im Blick:

  • Trennungsangst und starke Unsicherheit außerhalb der Familie.
  • Perfektionismus oder Vermeidung, um Fehler und Konflikte zu umgehen.
  • Schuldgefühle bei Abgrenzung, selbst bei kleinen Dingen.

Wenn du dich in mehreren Punkten wiederfindest, hilft es, die Nähe wieder zu balancieren. Kleine Schritte reichen oft: kurze Trennungsübungen, klare Sprache für Grenzen, eigene Routinen der Eltern. So wächst wieder Vertrauen auf beiden Seiten.

Wann ist eine symbiotische Beziehung schädlich für ein Kind?

Symbiotische Nähe kippt, wenn sie Unabhängigkeit blockiert, Identität behindert und soziale Fähigkeiten einschränkt. Kurz gesagt: Symbiotische Beziehung schädlich Kind trifft zu, wenn das Kind ohne den Elternteil kaum Entscheidungen trifft, starke Schuldgefühle bei Abgrenzung hat oder die Rolle der Erwachsenen übernimmt. Studien und Fachartikel beschreiben, dass solche Muster die Autonomie und Identitätsbildung bremsen und familiären Stress erhöhen. Eine verständliche Übersicht liefert der Beitrag zu Risiken und Anzeichen in Symbiotische Beziehung, warum sie gefährlich sein kann.

Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes

Wenn Nähe zur Verschmelzung wird, verliert das Kind Orientierung: Wer bin ich, was will ich, was kann ich? Psychologisch spricht man von Identitätsverlust oder einer gestörten Abgrenzung. Das Kind nimmt Gefühle der Eltern auf, fühlt sich mitverantwortlich und hat Mühe, seine eigene innere Stimme zu hören.

Konkrete Effekte im Alltag:

  • Verzögerte Selbstständigkeit: Entscheidungen werden aufgeschoben oder abgegeben. Selbst kleine Dinge wie Hausaufgabenstart, Taschengeldausgabe oder Verabredungen brauchen ständiges Okay.
  • Emotionale Instabilität: Gefühle schwanken stark, vor allem, wenn der Elternteil nicht da ist. Co-Regulation wurde nicht in Selbstregulation übersetzt.
  • Soziale Unsicherheit: Freundschaften bleiben oberflächlich, weil Konflikte gemieden werden. Das Kind sagt eher ab, statt zu üben und zu wachsen.
  • Entscheidungsschwäche in Schule und Freizeit: Warten auf Anleitung, Angst vor Fehlern, wenig Ausprobieren. Das hemmt Lernmut und Konzentration.
  • Risiko für spätere Beziehungsprobleme: Als Teen oder junger Erwachsener entsteht Klammern in Partnerschaften, Angst vor Nähe oder starke Eifersucht.
  • Familiärer Stress: Eltern fühlen sich aufopfernd, Kinder spüren Druck. Beide Seiten geraten schneller in Streit.

Beispiel aus der Pubertät: Ein 13-jähriges Kind rebelliert plötzlich, verweigert Regeln, lügt, zieht sich zurück. Häufiges Muster bei früher Symbiose: Die späte Abgrenzung wirkt laut und hart, weil sie lange nicht geübt wurde. Besser ist, Abstände früh klein zu dosieren, statt später einen großen Riss zu riskieren.

Woran erkennst du die Schädlichkeit?

  • Abgrenzung löst Schuldgefühl aus, nicht nur kurz, sondern dauerhaft.
  • Eigene Wünsche tauchen kaum auf, stattdessen „Wir wollen, wir denken“.
  • Das Kind tröstet häufig die Eltern, übernimmt Sorgen oder Entscheidungen.

Langfristige Konsequenzen und wie man sie vermeidet

Ohne Kurswechsel drohen Muster, die bis ins Erwachsenenalter wirken: Abhängigkeit, anhaltende Entscheidungsschwäche, Schwierigkeiten in Freundschaften und Partnerschaften. Manche entwickeln psychosomatische Beschwerden, wenn Trennungssituationen Angst auslösen. Gleichzeitig steigt der Stress in der Familie, weil Nähe als Pflicht erlebt wird, nicht als freiwillige Verbindung.

Was hilft, um langfristige Folgen zu vermeiden?

  1. Eigeninitiative fördern: Kleine Entscheidungen abgeben, täglich üben. Beispiel: „Du wählst heute Essen und Pullover.“ Dann Ergebnis akzeptieren.
  2. Gefühle benennen, nicht steuern: „Ich bin angespannt, kümmere mich darum.“ Das entlastet das Kind von Verantwortung für deine Stimmung.
  3. Klare, liebevolle Grenzen: Feste Zeiten für Hausaufgaben, Medien und Schlaf. Grenzen sind ein Geländer, keine Mauer.
  4. Schrittweise Distanz trainieren: Kurze Trennungen ankündigen, umsetzen, positiv rückmelden. Nähe bleibt, Kontrolle geht.
  5. Rollen entwirren: Erwachsene Probleme zu Erwachsenen. Kein Kind als Partnerersatz oder ständiger Vertrauter.
  6. Professionelle Hilfe nutzen: Familien- oder Kindertherapie bietet Struktur und Übungen für Autonomie, Abgrenzung und Emotionsregulation. Ein praxisnaher Einstieg in Beziehungsarbeit findet sich im Artikel zu Wegen aus der Verschmelzung in Symbiotische Beziehung retten, konkrete Schritte.

Praktische Sätze, die Halt geben:

  • „Du darfst anders fühlen als ich.“
  • „Ich traue dir diesen Schritt zu, ich bin in der Nähe.“
  • „Deine Entscheidung zählt.“

Die gute Nachricht: Mit kleinen, konsequenten Änderungen wächst Autonomie schnell nach. Kinder holen verpasste Entwicklungsschritte nach, wenn sie Sicherheit plus Freiheit bekommen. Eltern spüren mehr Leichtigkeit, weil Verantwortung wieder passend verteilt ist.

Die schlechte Nachricht: Eine Symbiose wird oft dann zum Problem, wenn sich Eltern nicht lösen können und Ratschläge Dritter ignorieren.

Symbiose und Jugendamt

Anders als die obigen Ausführungen wird Symbiose wie andere Begriffe auch (Parentifizierung, Vernachlässigung usw.) oft unbestimmt genutzt, um Eltern zu schaden. Dabei gilt es nicht die Nerven zu verlieren. Solchen Angriffen begegnet man am Besten, indem man sich interessiert zeigt und nähere Informationen fordert.

Hat das Jugendamt keine Anknüpfungstatsachen, die den Schluss auf eine schädliche Symbiose erlauben, wird sich dies schnell offenbaren. Dann kommt man recht schnell aus der Situation. Hat das Jugendamt hingegen Beispiele, kann man diese entweder widerlegen oder hiermit arbeiten.

Die Nachfrage verdeutlicht jedenfalls Kooperationswilligkeit und ist damit etwas positives.

Fazit zur symbiotischen Beziehung

Eine symbiotische Beziehung bedeutet eine enge emotionale Bindung, wenig Grenzen und starke Abhängigkeit. Zu Beginn des Lebens ist das hilfreich, später jedoch problematisch, wenn es an Abgrenzung fehlt. Schädlich wird es, wenn das Kind Entscheidungen meidet, Freundschaften vernachlässigt oder sich für die Gefühle der Eltern verantwortlich fühlt. Die Beispiele im Beitrag verdeutlichen: Nähe darf unterstützen, sie sollte nicht festhalten.

Die Lösung liegt in der Balance, Nähe und Freiheit. Sprecht offen über Bedürfnisse und Grenzen, lasst tägliche Mini-Entscheidungen zu, fördert Freundschaften und Hobbys, traut euch kurze Trennungen zu, sucht bei festgefahrenen Mustern Hilfe. So kann eine schädliche symbiotische Beziehung zum Kind vermieden und in eine sichere Bindung mit wachsender Autonomie umgewandelt werden.

Schaut ehrlich auf eure Muster und justiert Schritt für Schritt. Was ist der nächste kleine Schritt zur Eigenständigkeit, den ihr heute umsetzen könnt? Kleine Veränderungen, konsequent wiederholt, verändern die Dynamik nachhaltig. Nähe bleibt, Selbstständigkeit wächst.

Literatur

Ergänzend empfehle ich Plattner, Erziehungsfähigkeit psychisch kranker Eltern richtig einschätzen und fördern

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Parallele Elternschaft: Mehr Stabilität und weniger Streit für Familien

Vergleich mit Wechselmodell und Residenzmodell

Viele Eltern suchen nach Wegen, ihren Kindern auch nach einer Trennung ein gutes und verlässliches Zuhause zu bieten. Das klassische Residenzmodell und das Wechselmodell führen oft zu Streit oder Unsicherheiten für Kinder. Parallele Elternschaft bietet einen neuen Ansatz. Hierbei regeln beide Elternteile ihren Alltag getrennt und bringen so mehr Ruhe für sich und die Kinder.

Im Vergleich zum Wechsel- oder Residenzmodell gibt parallele Elternschaft oft mehr Stabilität. Die Kinder müssen sich nicht zwischen zwei Haushalten entscheiden und erleben weniger Konflikte zwischen den Eltern. Der Alltag wird berechenbarer, die Verantwortung bleibt klar geteilt. Familien berichten, dass angespannten Situationen so viel besser begegnet werden kann.

Wichtig dabei ist: Alle Lösungen, gleich welcher Art, die Eltern gemeinsam treffen, sind gerichtlichen Entscheidungen vorzuziehen als Signal an das Kind: Wir machen und wollen das gemeinsam.

Was ist Parallele Elternschaft?

Parallele Elternschaft beschreibt ein Modell, bei dem beide Elternteile nach einer Trennung die Verantwortung für ihr Kind übernehmen, aber ihren Alltag weitgehend unabhängig voneinander gestalten. Das Kind bleibt meist bei einem Elternteil, während klare Regeln festlegen, wann und wie der andere Elternteil beteiligt wird. Das bezieht sich nicht nur auf Zeiten, sondern auch auf Verantwortlichkeiten im Rahmen der Sorge. Hier kann man je nach Bedarf innerhalb der Zeiträume Zuständigkeiten regeln oder auch Grundsätzlich, d.h. ausserhalb der vereinbarten Zeiten.

Hier stehen klare Strukturen und das Wohl des Kindes im Mittelpunkt. Statt ständiger Abstimmung oder direktem Kontakt zwischen den Eltern entstehen feste Abläufe, die Sicherheit schaffen.

Die Kernprinzipien der Parallelen Elternschaft

Das Konzept ruht auf drei starken Säulen:

  • Klare Grenzen: Jeder Elternteil organisiert den Alltag mit dem Kind auf seine eigene Weise. Es finden keine gemeinsamen Entscheidungsrunden oder Absprachen statt, die Streit fördern könnten.
  • Geteilte Verantwortung: Beide Eltern übernehmen Aufgaben und Entscheidungsbereiche, tragen aber auch jeweils die Verantwortung für ihre Zeit und Rolle mit dem Kind.
  • Fokus auf das Wohl des Kindes: Die Bedürfnisse und die Stabilität des Kindes stehen immer an erster Stelle, auch wenn die Eltern wenig Kontakt miteinander haben.

Wie funktioniert Parallele Elternschaft im Alltag?

Im täglichen Leben bedeutet Parallele Elternschaft oft eine feste Aufgabenverteilung. Bestimmte Bereiche wie Schule, Arztbesuche oder Hobbys werden im Voraus zugeteilt. So weiß das Kind, wer wann zuständig ist, und lernt, wann es sich an Mama oder Papa wenden kann.

Ein häufiger Ablauf sieht so aus:

  1. Schulbegleitung: Einer bringt das Kind zur Schule, der andere holt es ab.
  2. Freizeitgestaltung: Mama übernimmt das Fußballtraining, Papa betreut Geburtstage oder coacht beim Musikinstrument.
  3. Alltägliche Organisation: Termine beim Zahnarzt, Einholen von Informationen aus der Schule oder die Hausaufgabenkontrolle sind klar aufgeteilt.

Das Modell baut auf Kooperation, verlangt aber keine enge Bindung oder ständigen Austausch zwischen den Eltern. Dafür sorgt die einmalige Regelung. Jeder hat seinen Bereich und schützt so die Privatsphäre und den eigenen Erziehungsstil. Selbst wenn starker Kontakt zwischen den Eltern schwierig wäre, bietet die parallele Elternschaft Ruhe und Planbarkeit für Kinder und Eltern.

Vergleich mit Wechsel- und Residenzmodell

Viele Familien fragen sich nach der Trennung, welches Betreuungsmodell am besten zum eigenen Alltag und zu den Kindern passt. Besonders häufig stehen das Wechselmodell und das klassische Residenzmodell zur Wahl. Beide Ansätze haben eigene Stärken und Schwächen. Vom Nestmodell, das die höchsten Anforderungen an die Eltern stellt, rate ich meistens ab.

Im Folgenden findest du die wichtigsten Unterschiede, damit du eine Orientierung bekommst.

Vorteile des Wechselmodells

Das Wechselmodell bedeutet: Das Kind lebt abwechselnd bei beiden Elternteilen, oft im Wochenrhythmus oder mit längeren Zeiträumen. Dieses Model setzt viel Abstimmung und Flexibilität der Eltern voraus, kann aber in bestimmten Situationen eine gute Lösung sein.

Einige Vorteile des Wechselmodells sind:

  • Gleichmäßiger Kontakt: Das Kind verbringt etwa gleich viel Zeit mit Mama und Papa.
  • Stärkung der Bindung: Beide Eltern bleiben aktiv im Alltag, was die Beziehung zwischen Kind und Elternteil stärkt.
  • Gerechte Verantwortung: Jeder Elternteil übernimmt ähnliche Alltagsaufgaben, etwa Hausaufgabenbetreuung oder Essensplanung.
  • Mehr Mitsprache für Kinder: Besonders ältere Kinder profitieren, weil sie beide Lebenswelten kennenlernen und selbst mitgestalten können.

Obwohl das Wechselmodell oft offener wirkt, ist es nicht für jede Familie sinnvoll. Es braucht zuverlässige Kommunikation, Nähe zwischen den Wohnorten und belastbare Routinen, damit Kinder nicht ins Schwimmen geraten.

Nachteile des Residenzmodells

Im Residenzmodell lebt das Kind hauptsächlich bei einem Elternteil, während der andere Elternteil das Kind etwa jedes zweite Wochenende oder in den Ferien sieht. Auch wenn es für viele Familien eine einfache Lösung scheint, bringt dieses Modell einige Stolpersteine mit sich.

Typische Nachteile des Residenzmodells sind:

  • Begrenzter Kontakt: Der Alltag mit dem anderen Elternteil beschränkt sich meist auf wenige Stunden pro Woche.
  • Ungleichgewicht in der Beziehung: Die Bindung zum weniger präsenten Elternteil kann schwächer werden, was das Kind belastet.
  • Emotionale Belastung: Das Gefühl, sich ständig entscheiden zu müssen oder zwischen zwei Welten zu stehen, wächst. Kinder vermissen oft die alltäglichen Kleinigkeiten mit dem anderen Elternteil.
  • Konflikte um Umgangszeiten: Streit über Besuchsregelungen, Feiertage oder Ferien kann zu dauerhaftem Streit führen. Beispielsweise berichten viele Eltern von wiederkehrenden Diskussionen kurz vor Weihnachten oder bei plötzlichen Änderungen im Alltag.
  • Wenig Flexibilität: Fällt ein Termin oder Besuch aus, fehlt dem Kind oft der Ausgleich.

Überblick im Vergleich

Um die Modelle besser vergleichen zu können, bietet die folgende Tabelle eine schnelle Übersicht:

ModellKontakt zu beiden ElternAlltag/VerantwortungKonfliktpotenzialGeeignet für
WechselmodellHochGleich verteiltMittel bis hochÄltere Kinder, Kooperationsbereitschaft, kurze Wege
ResidenzmodellNiedrig (für einen Elternteil)EinseitigHochKlare Wohnsituation, weniger Kooperation
Parallele ElternschaftMittel bis hochKlar getrenntGeringKonfliktreiche Trennungen, Fokus auf Stabilität

Studien zeigen, dass die parallele Elternschaft gerade in angespannten Situationen am ehesten Konflikte zwischen den Eltern reduziert. Klare Routinen und feste Absprachen sorgen dafür, dass Kinder nicht ständig zwischen zwei Stühlen stehen. Sie erleben emotionale Sicherheit, weil sie wissen, wer wann für sie zuständig ist.

So unterstützt die parallele Elternschaft besonders dann, wenn direkte Einigung zwischen den Eltern schwerfällt, ohne dass die Bedürfnisse der Kinder zu kurz kommen.

Vorteile der Parallelen Elternschaft

Parallele Elternschaft bringt deutliche Vorteile für Kinder und Eltern. Dieses Modell hilft, Chaos und Streit zu reduzieren, während es für mehr Struktur sorgt. Eltern können ihren Stil leben, Kinder finden Halt und Sicherheit im Alltag. Schauen wir gemeinsam auf die wichtigsten Stärken und echten Erfahrungen.

Auswirkungen auf das Kind: Stabile Routinen und mehr Sicherheit

Regelmäßige Abläufe und feste Zeiten sind wie ein roter Faden für Kinder. Sie wissen immer, was kommt, mit wem sie den Nachmittag verbringen, oder wann sie zum Fußballtraining gehen. Das gibt Kindern Sicherheit und hilft, den Fokus auf Schule und Freizeit zu behalten.

Studien zeigen, dass Kinder mit klaren Routinen und getrennten Rollen der Eltern oft weniger Stress erleben. Zum Beispiel ergab eine Langzeitstudie der Universität Leipzig, dass Kinder aus harmonisch organisierten Patchwork-Familien, zu denen auch parallele Elternschaftsmodelle gehören, seltener unter Ängsten und Verhaltensproblemen leiden. Die Kinder erreichen im Schnitt bessere Noten und wirken sozial ausgeglichener.

Typische Vorteile für das Kind:

  • Mehr emotionale Sicherheit: Feste Strukturen verringern Sorgen und geben Halt.
  • Reduzierter Stress durch weniger Streit: Kinder müssen nicht vermitteln oder sich für einen Elternteil entscheiden.
  • Bessere Schulleistung: Routinen helfen, Hausaufgaben regelmäßig zu machen und konzentriert zu bleiben.
  • Selbstvertrauen: Klare Zuständigkeiten fördern Eigenständigkeit.

Eltern berichten, dass ihre Kinder wieder ruhiger schlafen oder offener in die Schule gehen, wenn das tägliche Hin und Her entfällt. Sie sind nicht so häufig krank, wirken mutiger und können sich mehr auf Freunde freuen.

Vorteile für die Eltern: Weniger Streit und mehr Freiheit

Auch Eltern spüren sehr schnell, wie entlastend parallele Elternschaft sein kann. Jeder darf seinen Alltag und die Zeit mit dem Kind nach eigenen Vorstellungen gestalten. Niemand muss sich ständig rechtfertigen oder Kompromisse erzwingen. Gute Absprachen ersetzen anstrengende Dauerdiskussionen.

Vorteile für Eltern:

  • Reduzierter Konflikt: Weniger Reibungspunkte, da jeder für bestimmte Aufgaben allein zuständig ist.
  • Persönliche Freiheit: Eltern können Termine, Hobbys, und ihren Erziehungsstil unabhängig leben.
  • Mehr Energie: Frei von endlosen Abstimmungen bleibt mehr Kraft für die schöne Zeit mit dem Kind.
  • Langfristige Kooperation: Klare Kommunikationsregeln helfen, die Zusammenarbeit freundlicher zu halten.

Praktische Tipps helfen, das Modell erfolgreich zu starten:

  • Feste Kommunikationswege nutzen: Kurze Absprachen per E-Mail oder Chat organisieren alles Wichtige ohne Streitpotenzial.
  • Respekt wahren: Eltern sprechen möglichst nur über die Bedürfnisse des Kindes, nicht über persönliche Befindlichkeiten.
  • Aushängekalender oder geteilte Apps: So bleiben beide auf Stand, ohne dauernd zu diskutieren.

Viele Eltern berichten, dass sie durch diese Struktur endlich wieder zu sich selbst finden. Sie können ihren eigenen Lebensstil pflegen, während ihr Kind trotzdem beide Elternteile fest im Leben hat. Das stärkt auf Dauer sogar die Chance, fair und freundlich miteinander umzugehen, auch beim nächsten Elternabend oder Geburtstag.

Parallele Elternschaft entlastet beide Seiten, macht den Alltag klarer und führt zu mehr Harmonie im Familienleben.

Herausforderungen und Umsetzungstipps

Parallele Elternschaft klingt im ersten Moment nach Entlastung, bringt aber auch einige Schwierigkeiten mit sich. Viele Eltern stehen gerade zu Anfang vor neuen Fragen, Unsicherheiten und Stolpersteinen. Wer ehrlich für sich prüft, wie der Alltag funktionieren soll, kann typische Probleme vermeiden oder schneller klären. Offene Kommunikation und Praxis-Tipps helfen, dass das Modell wirklich allen Beteiligten langfristig nützt.

Anfängliche Hürden und typische Schwierigkeiten

Der Start in die parallele Elternschaft ist selten ganz leicht. Besonders dann, wenn Verletzungen aus der Trennung noch frisch sind oder ein Elternteil mehr Verantwortung trägt als der andere, entstehen schnell Spannungen.

Häufige Herausforderungen nach dem Start:

  • Ungleiche Beiträge: Einer der Elternteile übernimmt mehr Aufgaben oder engagiert sich stärker. Das kann zu Frust führen, wenn zum Beispiel Arztbesuche, Hausaufgabenbetreuung oder Freizeitaktivitäten oft nur an einer Person hängen bleiben.
  • Schwierige Umstellung für das Kind: Kinder müssen sich erst an neue Abläufe und Regeln gewöhnen. Unsicherheiten am Anfang gehören dazu.
  • Fehlende Absprachen: Ohne festgelegte Zuständigkeiten geht im Alltag schnell etwas unter, etwa wichtige Infos aus der Schule.
  • Emotionale Belastung: Gerade wenn Konflikte noch im Raum stehen, kostet der Umgang miteinander Nerven.

Wer diese Punkte im Blick hat, kann gezielt gegensteuern und die typischen Startprobleme abfedern.

Praktische Tipps für den Alltag

Mit einfachen, aber klaren Regeln lässt sich vieles entspannen. Dein Ziel sollte sein, dass jeder weiß, woran er ist und die Grundlage für einen harmonischen Ablauf steht.

Praktische Ansätze für mehr Stabilität:

  • Schriftliche Vereinbarungen treffen: Legt gemeinsam fest, wie die Aufgaben und Zeiten verteilt sind. Ein kurzer Vertrag oder ein Familienplan auf Papier hilft, Missverständnisse zu vermeiden.
  • Verbindliche Übergaben: Absprachen per E-Mail oder Chat, statt mündlicher Übergabe an der Haustür, sorgen für mehr Ruhe.
  • Geteilter Kalender oder Apps: Digitale Tools bringen Struktur in Arzttermine, Schulfeste oder Freizeitaktivitäten. So vergisst keiner wichtige Dinge, und das Kind fühlt sich sicher.
  • Konsequent bei Regeln bleiben: Jeder hält sich an das, was vereinbart wurde. Ausnahmen nur in Notfällen.

Wer merkt, dass Gespräche festfahren oder Konflikte hochkochen, sollte Unterstützung von außen holen.

Mediation und professionelle Unterstützung nutzen

Nicht jede Schwierigkeit lässt sich im Alleingang lösen. Professionelle Beratung, wie Mediation oder Familienberatungsstellen, nimmt den Druck raus und bringt Klarheit über festgefahrene Themen.

Vorteile einer Mediation:

  • Neutraler Blick von außen: Ein Mediator hilft, sachlich zu klären, ohne alte Vorwürfe zu wiederholen.
  • Strukturierte Gespräche: Alle dürfen sagen, was ihnen auf dem Herzen liegt. Lösungen werden direkt aufgeschrieben.
  • Schnellere Streitbeilegung: Viele Beratungsstellen bieten zeitnahe Termine, auch außerhalb der Arbeitszeiten.
  • Kind im Mittelpunkt: Der Blick bleibt immer auf das Wohl des Kindes gerichtet.

Mut zur Unterstützung zahlt sich aus. Wer Hilfe sucht, schafft oft schneller faire und tragfähige Regeln.

Erfolgsfaktoren: Darauf kommt es an

Ein stabiles Modell entsteht nur, wenn ein paar Grundzutaten stimmen. Am wichtigsten sind Offenheit und gegenseitiger Respekt. Damit die parallele Elternschaft gelingt, spielen auch Verlässlichkeit und Teamgeist eine große Rolle.

Erfolgsfaktoren auf einen Blick:

  • Ehrliche Kommunikation: Probleme früh ansprechen, nicht warten, bis sie größer werden.
  • Respektvolle Absprachen: Persönliche Angriffe oder Vorwürfe meiden, auch wenn es mal schwerfällt.
  • Bereitschaft zu Kompromissen: Flexibel reagieren, wenn unerwartete Situationen auftreten.
  • Verbindlichkeit bei Zusagen: Wer etwas zusagt, hält es ein. Das gilt für beide Seiten.
  • Kind an die Hand nehmen: Das Kind wird in einfache Erklärungen einbezogen, damit es versteht, worauf es sich verlassen kann.

Mit etwas Geduld und einer klaren Linie wächst die Sicherheit auf allen Seiten. Kleine Erfolge und feste Abläufe helfen, Vertrauen auf- und Unsicherheiten abzubauen.

Fazit

Parallele Elternschaft bietet vielen Familien nach einer Trennung echte Erleichterung. Mit klaren Strukturen, festen Regeln und weniger Streit schafft dieses Modell Sicherheit für Kinder und mehr Freiraum für Eltern. Die Vorteile gegenüber Wechselmodell oder Residenzmodell liegen auf der Hand: Weniger Konflikte, mehr Stabilität, und jedes Familienmitglied behält seinen Platz.

Wer sich fragt, welches Modell zu ihm passt, sollte seine Bedürfnisse ehrlich prüfen und sich beraten lassen. Ein Gespräch bei einer Beratungsstelle hilft oft schon, offene Fragen zu klären und Unsicherheiten zu nehmen.

Vielen Dank fürs Lesen. Geht den nächsten Schritt, sucht Austausch oder probiert eine erste Vereinbarung gemeinsam aus. Jede Familie kann ihren eigenen Weg zu mehr Harmonie finden.

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Recht allgemein Sorgerecht

Kindesentziehung: Was Sie wissen müssen – Voraussetzungen und wann keine vorliegt

Die plötzliche Entfernung eines Kindes durch einen Elternteil ist ein Albtraum für den anderen. Der Begriff der Kindesentziehung weckt starke Emotionen und birgt komplexe rechtliche Fragen. Auf familienrecht.activinews.tv möchten wir Ihnen als Experten im Familienrecht Klarheit verschaffen. Dieser Beitrag beleuchtet die Voraussetzungen der Kindesentziehung nach deutschem und europäischem Recht, geht darauf ein, wann keine Kindesentziehung vorliegt, und gibt Ihnen konkrete Handlungsempfehlungen.

Was genau versteht man unter Kindesentziehung?

Die Kindesentziehung ist im deutschen Strafgesetzbuch in § 235 StGB geregelt. Danach macht sich strafbar, wer einem Elternteil, der das Personensorgerecht hat, oder wer einem Vormund das Kind widerrechtlich entzieht oder vorenthält.

Die wichtigsten Voraussetzungen für eine Kindesentziehung nach § 235 StGB sind:

  1. Bestehendes Personensorgerecht des anderen Elternteils oder eines Vormunds: Dies ist die grundlegende Voraussetzung. Ohne ein bestehendes Sorgerecht des anderen Elternteils kann keine strafrechtliche Kindesentziehung vorliegen. Das Sorgerecht kann durch Gesetz (z.B. bei verheirateten Eltern), durch gerichtliche Entscheidung oder durch eine Sorgeerklärung begründet sein.
  2. Widerrechtliches Entziehen oder Vorenthalten des Kindes:
    • Entziehen bedeutet, dass das Kind gegen den Willen des sorgeberechtigten Elternteils oder des Vormunds aus dessen Obhut entfernt wird.
    • Vorenthalten liegt vor, wenn das Kind nach einer erlaubten Ortsveränderung (z.B. nach einem Umgangswochenende) nicht an den sorgeberechtigten Elternteil zurückgegeben wird. Die Widerrechtlichkeit ergibt sich dabei aus der Verletzung des Sorgerechts des anderen Elternteils.
  3. Eltern können in Deutschland nur mit List, Drohung oder Gewalt entziehen, nicht aber durch bloße Untätigkeit der Rückgabe. Anderes soll bei Entziehung ins Ausland gelten, nicht aber innerhalb der EU (Freizügigkeit).

Wann liegt keine Kindesentziehung vor? Insbesondere bei nicht zurückgekehrten Kindern nach Umgang?

Eine wichtige Unterscheidung ist, wann ein Verhalten nicht als Kindesentziehung im Sinne des § 235 StGB zu werten ist. Dies ist besonders relevant in Fällen, in denen Kinder nach einem Umgang nicht zum anderen Elternteil zurückgebracht werden.

Keine Kindesentziehung liegt in folgenden Fällen vor:

  • Kein gemeinsames Sorgerecht oder kein Sorgerecht des anderen Elternteils: Hat der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, das alleinige Sorgerecht, so kann die Nichtrückgabe des Kindes nach einem Umgang mit dem anderen Elternteil grundsätzlich keine Kindesentziehung im strafrechtlichen Sinne darstellen, da es an dem durch die Handlung beeinträchtigten Sorgerecht fehlt.
  • Kein Herausgabetitel: Fehlt eine gerichtliche Entscheidung (Herausgabebeschluss gemäß § 1632 BGB) oder eine vereinbarte Umgangsregelung, die die Rückgabe des Kindes nach einem Umgang explizit anordnet, so ist die Nichtrückgabe allein nicht automatisch als widerrechtliches Vorenthalten im Sinne des § 235 StGB zu qualifizieren (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.07.2013 – III-1 UF 103/13). Das bedeutet, solange keine klare rechtliche Grundlage für die Herausgabe des Kindes existiert, kann die Nichtrückgabe nach einem Umgang strafrechtlich nicht als Kindesentziehung verfolgt werden. Allerdings können zivilrechtliche Ansprüche auf Herausgabe bestehen.
  • Einverständnis des sorgeberechtigten Elternteils: Wenn der sorgeberechtigte Elternteil mit dem Aufenthalt des Kindes beim anderen Elternteil einverstanden ist, liegt keine Entziehung vor.
  • Gefahr für das Kindeswohl: In extremen Fällen, in denen eine unmittelbare Gefahr für das Wohl des Kindes bei einer Rückkehr zum anderen Elternteil bestehen würde, kann die Nichtrückgabe unter Umständen gerechtfertigt sein (Notstand gemäß § 34 StGB). Dies sind jedoch Ausnahmefälle, die einer sorgfältigen Prüfung bedürfen.
  • Es liegt eine Entziehung der Eltern vor, ohne dass List, Gewalt oder Drohung angewandt wurde.

Welche Rolle spielt das EU-Recht bei Kindesentziehung?

Neben dem deutschen Recht spielt das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) eine zentrale Rolle, wenn ein Kind über eine internationale Grenze verbracht wurde. Deutschland ist Vertragsstaat des HKÜ.

Die Hauptziele des HKÜ sind:

  • Die sofortige Rückführung widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort widerrechtlich zurückgehaltener Kinder sicherzustellen.
  • Die Ausübung des Sorge- und Umgangsrechts zu schützen.

Nach dem HKÜ ist die Verbringung oder das Zurückhalten eines Kindes widerrechtlich, wenn:

  • es unter Verletzung eines Sorge- oder Umgangsrechts erfolgt ist, das einer Person, einer Einrichtung oder einer anderen Stelle nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor der Verbringung oder dem Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
  • dieses Recht im Zeitpunkt der Verbringung oder des Zurückhaltens tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls die Verbringung oder das Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

Das HKÜ sieht ein Rückführungsverfahren vor, in dem das Gericht des Staates, in dem sich das Kind nunmehr befindet, grundsätzlich verpflichtet ist, die Rückführung des Kindes in den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts anzuordnen. Es gibt jedoch Ausnahmen von dieser Rückführungspflicht, beispielsweise wenn eine schwerwiegende Gefahr für das körperliche oder seelische Wohl des Kindes besteht (Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ).

Innerhalb der Europäischen Union gilt zusätzlich die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa-Verordnung), die das HKÜ ergänzt und in einigen Punkten modifiziert. Sie regelt die Zuständigkeit der Gerichte und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung.

Konkrete Beispiele zur Anwendung des Gesetzes:

Um die Anwendung der Gesetze zu verdeutlichen, betrachten wir drei Beispiele:

Beispiel 1: Gemeinsames Sorgerecht, gerichtlicher Herausgabebeschluss liegt vor

Anna und Ben haben das gemeinsame Sorgerecht für ihre Tochter Lisa (6 Jahre). Nach einem gerichtlich geregelten Umgangswochenende bei Ben bringt dieser Lisa nicht wie vereinbart zu Anna zurück. Hier liegt keine Kindesentziehung gemäß § 235 StGB vor, da Anna zwar auch das Sorgerecht besitzt und die Nichtrückgabe gegen den gerichtlichen Herausgabebeschluss verstößt, was die Widerrechtlichkeit begründen würde. Aber es liegt keine List, Gewalt oder Drohung vor. Zudem könnte dies auch ein Fall des widerrechtlichen Zurückhaltens im Sinne des HKÜ sein, wenn sich Ben mit Lisa ins Nicht-EU-Ausland begeben hätte. Anna kann daher ohne den Nachweis von List, Drohung oder Gewalt keine strafrechtlichen Schritte einleiten, aber die Herausgabe von Lisa zivilrechtlich beantragen (§ 1632 BGB) oder Ordnungsgeld.

Beispiel 2: Alleiniges Sorgerecht der Mutter, keine gerichtliche Umgangsregelung

Carla hat das alleinige Sorgerecht für ihren Sohn Max (8 Jahre). Vater David hat regelmäßig Umgang mit Max. Nach einem Umgangswochenende behält David Max bei sich und informiert Carla, dass er Max vorerst nicht zurückbringen wird. Da Carla das alleinige Sorgerecht hat und es keine gerichtliche Entscheidung zur Herausgabe gibt, die David zur Rückgabe verpflichtet, liegt keine strafrechtliche Kindesentziehung gemäß § 235 StGB vor. Carla kann jedoch zivilrechtlich die Herausgabe von Max gemäß § 1632 BGB beantragen und gegebenenfalls eine gerichtliche Umgangsregelung erwirken.

Beispiel 3: Internationale Verbringung bei gemeinsamem Sorgerecht

Die verheirateten Eltern Elena (deutsche Staatsangehörige, gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland) und Stefan (italienischer Staatsangehöriger, gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland) haben das gemeinsame Sorgerecht für ihre Tochter Sofia (4 Jahre). Ohne Elenas Zustimmung verlässt Stefan mit Sofia Deutschland und reist nach Italien. Hier liegt eine widerrechtliche Verbringung im Sinne des HKÜ vor, da Elena ein Mit-Sorgerecht besitzt und der gewöhnliche Aufenthalt von Sofia in Deutschland war. Elena kann in Deutschland einen Antrag auf Rückführung von Sofia nach dem HKÜ stellen, der dann von den italienischen Behörden bearbeitet wird. Gleichzeitig liegt aber keine Kindesentziehung vor, da die deutschen strafrechtlichen Regeln im Widerspruch zur Freizügigkeit innerhalb der EU stehen.

Welche konkreten Schritte sollten Sie bei einer (vermuteten) Kindesentziehung unternehmen?

Wenn Sie befürchten, dass Ihr Kind widerrechtlich entzogen wurde oder nicht zurückgegeben wird, sind schnelle und überlegte Schritte entscheidend:

  1. Ruhe bewahren: Auch wenn die Situation emotional sehr belastend ist, versuchen Sie, einen kühlen Kopf zu bewahren.
  2. Dokumentation: Sammeln Sie alle relevanten Informationen und Dokumente, wie z.B. Geburtsurkunde des Kindes, Heiratsurkunde (falls vorhanden), Sorgerechtsbeschlüsse, Umgangsvereinbarungen, Kontaktdaten des anderen Elternteils.
  3. Kontaktaufnahme: Versuchen Sie, mit dem anderen Elternteil in Kontakt zu treten, um die Situation zu klären. Dabei können Sie auch wichtige Aspekte zu List, Drohung oder Gewalt sammeln, die eine Entziehung begründen können. Bei der Kontaktaufnahme sollten sie auf Beweisbarkeit achten (Zeuge, der Telefonat mithört, E-Mail, aber keine illegalen Tonbandaufnahmen).
  4. Rechtliche Beratung: Suchen Sie umgehend einen auf Familienrecht spezialisierten Rechtsanwalt auf. Dieser kann die rechtliche Situation einschätzen und die notwendigen Schritte einleiten.
  5. Strafanzeige: Bei einer vermuteten strafrechtlichen Kindesentziehung (§ 235 StGB) kann eine Strafanzeige bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft sinnvoll sein.
  6. Antrag beim Familiengericht: Beantragen Sie beim zuständigen Familiengericht gegebenenfalls die Herausgabe des Kindes (§ 1632 BGB), wenn noch kein Titel vorliegt, oder die Regelung des Sorgerechts und des Umgangs. Die Polizei kann idR auch erst dann helfen, wenn es einen Herausgabetitel gibt.
  7. Bei internationaler Entführung: Wenn das Kind ins Ausland verbracht wurde, informieren Sie umgehend Ihren Rechtsanwalt über den möglichen Aufenthaltsort und prüfen Sie die Möglichkeit eines Rückführungsantrags nach dem HKÜ. In Deutschland ist das Bundesamt für Justiz (BfJ) die zentrale Behörde für internationale Kindesentführungen und unterstützt sie dabei.

Fazit: Schnelles Handeln und rechtlicher Beistand sind entscheidend

Die Kindesentziehung ist ein gravierender Eingriff in das Leben eines Kindes und des zurückgelassenen Elternteils. Das deutsche und europäische Recht bieten Instrumente, um dem entgegenzuwirken. Es ist entscheidend, die Voraussetzungen der Kindesentziehung genau zu kennen und zu wissen, wann keine strafrechtliche Kindesentziehung vorliegt, insbesondere im Kontext nicht zurückgekehrter Kinder nach Umgang ohne klaren Herausgabetitel oder bei Entziehungen ohne List, Drohung und Gewalt oder innerhalb der EU. Im Falle einer (vermuteten) Kindesentziehung ist schnelles Handeln und die Hinzuziehung eines erfahrenen Rechtsanwalts unerlässlich.

Benötigen Sie rechtliche Unterstützung in einem Fall von Kindesentziehung oder haben Sie Fragen zum Sorgerecht und Umgang? Kontaktieren Sie uns für eine erste Einschätzung oder buchen einen unverbindlichen Gesprächstermin.


Quellenliste:

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Sorgerecht

Bindung und Bindungstypen

Manchmal merkt man, dass man Richter:innen hoffnungslos überschätzt. Dies passierte unlängst am AG München, als sich in einem Beschluss ein(e) Richter:in zu Bindung äußerte wie folgt:

Der von (Name) geäußerte Wunsch keinen Kontakt mit der Mutter mehr zu wünschen entspricht auch den tatsächlichen Bindungsverhältnissen. Denn (Name) lebt nun seit ca. 7 Jahren mit Le­bensmittelpunkt beim Vater, der Umgang mit der Mutter war äußerst inkonstant.

AG München 561 F 16038/23

Offenbar gibt es in diesem Land Richter:innen, die den Begriff „Bindung“ mit „Kontakt“ gleichsetzen. „Auch zeigte sich, dass nicht die Quantität der Beziehung zu einer oder mehreren Bezugspersonen ausschlaggebend für die Entwicklung einer bestimmten Bindung ist, sondern die Qualität. Bowlby nahm an, dass die ständige Verfügbarkeit der Bindungsperson in den ersten Lebensjahren unabdingbar ist, damit das Kind eine sichere Bindung entwickeln kann. Die Entwicklung der Bindung hänge aber nicht von der ständigen Anwesenheit der Bezugsperson ab, sondern vor allem von der entwickelten Qualität der Bindung“ (Dornes: Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre,1997.)

Dieser Unwissenheit helfen wir doch gerne ab, weshalb dieser Artikel (quasi „gesponsort“ durch das AG München) entsteht. Dabei ist die „range“ des Wissens hier gar nicht so weit, der Artikel soll nur einen groben Einblick in das Thema bilden.

Bindung

Bindung (engl.: attachment) ist die Bezeichnung für eine enge emotionale Beziehung zwischen Menschen. Das Neugeborene entwickelt eine spezielle Beziehung zu seinen Eltern oder anderen relevanten Bezugspersonen. Die Bindung veranlasst das Kleinkind, im Falle objektiv vorhandener oder subjektiv erlebter Gefahr (Bedrohung, Angst, Schmerz) Schutz und Beruhigung bei seinen Bezugspersonen zu suchen und zu erhalten. Bezugspersonen bzw. Bindungspersonen sind die Erwachsenen oder älteren Personen, mit welchen das Kind den intensivsten Kontakt in seinen ersten Lebensmonaten hatte (zitiert nach Wikipedia). Bindung ist also etwas Emotionales, eine innere Tatsache, kein Faktum des aktuellen Kontaktes. Dass also Richter so etwas begrifflich gleichsetzen, was man nicht gleichsetzen kann, was aber absolutes Grund(allgemein)wissen wäre, ist selbst als intellektueller Offenbarungseid zu freundlich formuliert.

Für den, dem Fachbücher zu teuer oder zu schwer sind, empfehle ich z.B. „Big Ideas: Das Psychologie-Buch„.

Bindungstypen

In den 1970er Jahren entwickelte der englische Kinderpsychiater John Bowlby seine Bindungstheorie. Er bezeichnet als Bindungsverhalten das Verhalten des Kindes, mit dem es sich die Zuwendung einer Bezugsperson sichern möchte (z. B.: Das Kind weint, damit die Mutter bei ihm bleibt, wenn es in einer fremden Umgebung ist). (…) Fühlt sich ein Kind sicher gebunden, dann kann es die Umwelt erkunden. Fühlt es sich unsicher, so zeigt es das entsprechende Bindungsverhalten. Das bedeutet: Je besser die Qualität der Bindung ist, desto mehr ist ein Kind in der Lage, seine sichere Umwelt zu verlassen und eine ihm neue Welt zu entdecken. Dies ist auch Voraussetzung für Bildungs- und Lernprozesse. Bindung bietet Kindern Schutz und Hilfe und ist Voraussetzung für eine gelingende Entwicklung. Das Bindungsverhalten ist genetisch (endogen) angelegt, benötigt jedoch Anregung und Unterstützung von außen, d. h. durch Bezugspersonen. (…)

Herder

Vier Bindungstypen nach Bowlby und Main & Salomon

Bowlby muss man also kennen und an diesen anknüpfend Mary Ainsworth. Letztere hat mit „„Strange Situation Test“ 1970–1978“ Testungen für die Bindungsmuster entwickelt. Konkret gings darum wie ein Kind reagiert, wenn es mit seiner Mutter in einem Raum ist, dann eine fremde Person dazu kommt und dann die Mutter kurz den Raum verlässt. Je nach Reaktion des Kindes geht man dann von einer sicher gebundenen Bindung, einer ängstlich-vermeidenden oder ängstlich-ambivalenten Bindung aus; seit den 90er Jahren gibt es nach Main & Salomon noch den unsicher-desorganisierten Bindungstypen.

Mehr Infos dazu hier und hier.

Hauptkritikpunkt an Bowlby

Bowlby geht von der Mutter als Hauptbezugsperson aus. Zudem geht er von einer westlich geprägten Familienkultur aus. Zudem ist der Strange Situation Test künstlich und damit nicht natürlich und verursacht Stress. All das ist methodisch-ethisch nicht richtig.

Die vier Phasen der Bindungsentwicklung

Das Vierphasenmodell der Bindungsentwicklung nach Bowlby 1969 lautet:

  1. Vorphase: bis ca. 6 Wochen
  2. Personenunterscheidende Phase: 6. Woche bis ca. 6./7. Monat
  3. Eigentliche Bindung: 7./8. bis 24. Monat
  4. Zielkorrigierte Partnerschaft: ab 2 / 3 Jahren

Eingriffe in der 2. und 3. Phase sind daher am entscheidendsten. Nur bis zum 3. Lebensjahr ist der Bindungstyp recht einfach zu eruieren (Wikipedia aaO).

Diagnosen mit Bezug auf die Bindung

Bindungsstörungen werden im ICD 10 nicht direkt abgebildet (Wikipedia aaO), finden sich aber teilweise in Diagnosen mit Bindungsbezug (Reaktive Bindungsstörung im Kindesalter (F94.1), Bindungsstörung des Kindesalter mit Enthemmung (F94.2), die je auf Vernachlässigung zurückgeführt werden) und Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen (F91.1), Störungen mit Trennungsangst des Kindesalters (F93.0) und Störungen mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters (F91.2)(denen bindungstheoretische Konzepte zugrunde gelegt werden).

Das alles ist nur ein erster Einblick, um vorallem Richter:innen deutlich zu machen, dass man sich fachpsychologische Kenntnisse nicht anmaßen darf (und wenn, dass man dann zumindest halbwegs richtig argumentiert) – sagt zumindest der BGH im Beschluss vom 12.03.2024, VI ZR 283/21.

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Sorgerecht

Parentifizierung immer schädlich?

Wir erleben es in vielen Gutachten: Kinder werden als parentifiziert dargestellt. Doch was ist Parentifizierung, und ist diese immer schädlich?

Was ist Parentifizierung?

Parentifizierung bezieht sich auf die Situation, wenn Kinder die Rolle von Erziehungsberechtigten oder anderen Erwachsenen übernehmen und sich um Aufgaben und emotionale Bedürfnisse kümmern statt der Eltern, wie es üblicherweise der Fall sein sollte.

  • Rollenwechsel: Die Kinder übernehmen die Rolles des Betreuers oder Beraters, der auch emotionalen Halt für seine Eltern oder Geschwister darstellt und Verantwortung übernimmt (wenn ein Kind Aufgaben übernimmt, die für sein Alter unangemessen sind).
  • Fehlen der Bedürfnisse des Kindes : Die Notwendigkeit des Kindes nach Fürsorge, Vergnügen und Unbeschwertheit wird ignoriert.
  • Langfristige Auswirkungen der Parentifizierung können zu psychischen Problemen wie Ängsten führen und Depressionssymptome hervorrufen sowie Schwierigkeiten bei Beziehlungen und ein geringes Selbstwertgefühl verursachen.
  • Instrumentelle Parentifizierung beinhaltet, dass das Kind praktische Aufgaben im Haushalt übernimmt oder sich um andere Familienmitglieder kümmert.
  • Emotionale Parentifizierung tritt auf, wenn das Kind in die Rolle des Vertrauten der Eltern schlüpft und als emotionale Stütze dient.
  • Narzissten neigen dazu ihre Kinder für emotionale Unterstützung und Bestätigung zu missbrauchen anstatt sich um die Bedürfnisse ihrer Kinder zu kümmern.

Ursachen von Parentifizierung:

  • Psychische Gesundheitsprobleme bei Eltern
  • Schwierigkeiten mit Suchtmitteln bei Eltern
  • Elterliche Trennung oder Scheidung
  • Chronische Erkrankungen innerhalb der Familie.
  • Knappheit oder Geldprobleme

Es ist von Bedeutung zu betonen, dass nicht jede Art von Unterstützung im Haushalt oder das Übernehmen von Verantwortung als Parentifizierung betrachtet werden sollte. Erst wenn die Bedürfnisse des Kinders langanhaltend vernachlässigt werden und es dazu gezwungen wird, eine Rolle zu übernehmen, die es überfordert, wird es problematisch.

Ist jede Form von Parentifizierung schädlich?

Das kann mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden. Erstens kommt es auf die Ausprägung, also die Intensität an, zweitens vorallem auch welche Form vorliegt. Hier muss man zwischen destruktiver Parentifizierung und adaptiver Parentifizierung unterscheiden.

Parentifizierung ist solange nicht maßgeblich schädlich für die kindliche Entwicklung, wie sie die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes nicht über die Maßen einschränkt und das Kind psychisch nicht destabilisiert.
Diese sogenannte adaptive Parentifizierung kann gelingen, wenn das Kind seine Sorgen und Ängste einer Person mitteilen kann und selbst Unterstützung erfährt.“

zitiert nach Anita Plattner u.a., Erziehungsfähigkeit kranker Eltern richtig einschätzen und fördern, 3. Auflage 2024

Positive Aspekte der Parentifizierung

Es gibt auch positive Aspekte der Parentifizierung, diese werden oft aber übergangen:

Fraglich ist jedoch, (…) ob sie unter anderen Bedingungen möglicherweise förderliche Aspekte für das Kind haben kann. Beispielhaft für eine Entwicklungsförderung sind berühmte Kinder psychisch kranker Eltern zu nennen, wie Hans-Peter Kerkerling oder René Magritte, der das bekannte und vielsagende Portrait einer Mutter und ihres Säuglings mit vertauschten Köpfen malte. (…).
Auf Seiten des Kindes kann die Parentifizierung der Herstellung von einer emotional warmherzigen und verbindlichen Beziehung zu seinem Elternteil begünstigen, sodass das Kind insofern profitiert, als dass es auf diesem Wege Nähe zu seinem Elternteil erfährt (Ohntrup et. al. 2011).

zitiert nach Anita Plattner u.a., Erziehungsfähigkeit kranker Eltern richtig einschätzen und fördern, 3. Auflage 2024

Deshalb ist es wichtig genau hinzuschauen, zu hinterfragen, Fachliteratur heranzuziehen und dem übermäßigen Verwenden von „Fachbegriffen“ ohne Substanz und ohne geklärte Anknüpfungstatsachen Einhalt zu gebieten.

@langhans.pro

Ist jede Form von Parenntifizierung schädlich und schränkt Erziehungsfaehigkeit ein – zitiert nach Plattner, Erziehungsfaehigkeit kranker Eltern richtig einschätzen und fördern – und ja, das Buch hilft auch falsche Annahmen von Krankheiten abzuwehren #kinderrechte #sorgerecht #erziehungsfaehigkeit #langhanspro

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Sorgerecht Umgang

Wichtiges zur Kindesanhörung und dem Verfahrensbeistand

Die Kindesanhörung ist ein elementarer Bereich in Familiensachen. In diesem Beitrag möchte ich zur Grundlage, typischen Fehler und Problemen Stellung nehmen und zur Aufklärung beitragen – auch wenn leider viel durch das Gericht geregelt wird. Manche Probleme liegen auch darin, dass und wie Verfahrensbeistände mit Kindern (nicht) umgehen.

Kindesanhörung – Die Grundlagen

Die Grundlage der Kindesanhörung findet sich in der UN Kinderrechtskonvention, dort Art. 12, im FamFG und auch in Entscheidungen des BVerfG.

UN-Kinderrechtskonvention

Art. 12 CRC lautet:

(1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.
(2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.

Art. 12 CRC

FamFG

Im deutschen Recht findet sich die Regelung im FamFG in §159 Abs.1 und 4 FamFG

§159 I FamFG lautet

(1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen.

(4) 1Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. 

2Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. 

3Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt, soll die persönliche Anhörung und die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in dessen Anwesenheit stattfinden. 

4Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts.

§159 FamFG

BVerfG

In seiner Leitentscheidung 1 BvR 349/80 hat das Bundesverfassungsgericht vorallem die zu ermittelnden Grundlagen konkretisiert:

  • Bindungen des Kindes
  • Neigungen
  • Wille des Kindes
1 BvR 349/80

Natürlich sind das alles auch psychologische Kriterien. Aber letztlich geht es vor allem darum, dass das Kind seine Meinung kund tun kann, gleichzeitig das Gericht aber auch sich vom Zustand des Kindes überzeugen kann.

Recht zur Äußerung in der Kindesanhörung, aber keine Pflicht

Es besteht also nur ein Recht zur Äußerung, keine Pflicht. Hierin liegt dann aber schon die größte Hürde für das Gericht, das im wesentlichen alles selbst gestalten kann: Dem Kind ist die Möglichkeit zu geben sich zu äußern, und das beinhaltet auch das Recht nichts zu sagen (vgl. insoweit Carl in Carl, Clauss und Karle, Kindesanhörung im Familienrecht rechtliche und psychologische Grundlagen sowie praktische Durchführung 2015, S. 33, Rn. 90). Das Gericht muss also damit leben, wenn nichts bei rauskommt (Carl aaO).

Insbesondere sollte dann das Gericht nicht das Kind mit penetranten Fragen fragen und in den innersten Bereich des Kindes eindringen (FamRZ 1990, 1383, 1385).

Bedeutung der Kindesanhörung

Die Kindesanhörung könnte dem Kind die Erfahrung vermittern, dass das Kind als eigene Person respektiert wird, was das Selbstwertgefühl des Kindes stärkt und ihm Selbstvertrauen gibt (vgl. Carl aaO S. 32). Das Kind soll lernen, indem es respektiert wird, andere zu respektieren. Das ist halt ein Problemchen, weil oftmals genau dieser Sinn nicht erreicht wird und Erwachsene vieles nicht erfüllen können oder wollen, weshalb die verfassungsrechtliche Bedeutung leider oft relativ schlecht umgesetzt wird.

Fragen zur Kindesanhörung

Ich darf einige Fragen und Antworten zur Kindesanhörung mitteilen:

Reicht es aus, ein Kind nur zu beobachten?

Nein. Das Kind muss sich äußern können, wobei Säuglinge oder Kleinkinder altersbedingt sich über Körpersprache äußern.

Darf ein Dolmetscher dabei sein?

Kinder und Erwachsene sollten sich immer in der wichtigsten Sprache, ihrer Bindungssprache, austauschen. Das heißt, dass also vor allem ein Dolmetscher verpflichtend sein muss, wenn die Ursprungssprache nicht Deutsch ist.

Muss die Kindesanhörung persönlich sein?

Ja, wobei persönlich als Kommunikation zwischen zwei Personen bei zeitgleicher Anwesenheit beider Gesprächspartner meint, was m.E. auch Onlinesitzungen ermöglicht.

Dürfen Eltern mit anwesend sein?

Das Gericht entscheidet über den Ablauf der Kindesanhörung. Eltern können also zugelassen werden, müssen es aber nicht. Der Zweck der Anhörung, dass das Kind seine Sicht unbeschwert darstellt, muss erreichbar sein.

Muss der Verfahrensbeistand anwesend sein?

Das Gesetz sieht nur vor, dass der Verfahrensbeistand (kurz VB) mit anwesend sein soll; dies bedeutet also, dass es durchaus abweichende Regeln geben kann, vor allem aber auch das Kind seinen Wunsch einbringen kann, ohne Verfahrensbeistand auszusagen. Es gilt: Immer wenn ein Kind nicht mehr frei sprechen kann, ist das Setting anzupassen (vgl. Hohmann-Dennhardt in ZfJ 2001, 77, 80). Der Deutsche Familiengerichtstag empfahl von einer Anhörung des Kindes im Beisein des Verfahrensbeistandes abzusehen, wenn das Kind dies wünscht (Arbeitskreis 11 des 19. DFGT, Ziff. 1).

Darf der Verfahrensbeistand Fragen stellen oder für das Kind antworten?

Grundsätzlich sollte dies unterbleiben; das Kind hat ein Recht auf Anhörung, Dritte äußern sich im Termin (Heilmann in Salgo, Zenz, Fegert, Bauer, Lack, Weber, Zitelmann, Rn. 1495)

Wie lange darf eine Kindesanhörung dauern?

Um den Zweck der Anhörung nicht zu verfehlen, sollte die Anhörung nicht zu kurz sein (Carl aaO, S. 65)

Sind Wortprotokolle üblich oder Videoaufnahmen?

Leider werden Video- und Tonaufzeichnungen abgelehnt und sind nicht üblich (Carl aaO S. 67). Eine Pflicht auf ein Wortprotokoll gibt es nicht, was (unabsichtliche) Manipulationen ermöglicht.

Keine Ausforschung der Kinder

Das Gericht sollte die Kindesanhörung aber nicht nutzen, um „Beweise“ gegen die Eltern zu erlangen. Auch wenn die Kindesanhörung der Sachaufklärung dient, liegt der Focus darauf, dass das Kind sagt was es denkt und will. Hier können zwar Fragen durch das Gericht hilfreich sein, um dem Kind in der Äußerung zu helfen. Diese sollten aber nicht, und schon gar nicht ohne die Kinder über negative Konsequenzen aufzuklären, den Kindern das Gefühl vermittelt werden, sich gegen die Eltern zu stellen. Das würde einen Loyalitätskonflikt hervorrufen, des es zu vermeiden gibt.

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Recht allgemein Sorgerecht

Triftige Gründe

Triftige Gründe benötigt man, um die Abänderung eines Beschlusses oder eines Vergleiches i.S. §1696 I BGB zu erreichen. Dabei ist der Maßstab strenger als beim Kindeswohl. Oftmals wird für Gerichte und Beschwerdegerichte, um eine schnelle Entscheidung herbeizuführen, verneint, dass triftige Gründe vorliegen. Daher gilt es hier besonnen vorzutragen und typische Fehler bei Abänderungsanträgen zu vermeiden.

Änderungsmaßstab bei §1696 I BGB

Der Änderungsmaßstab bei §1696 I BGB ist streng. Er ist strenger als der Maßstab der §§ 1697a oder 1671 BGB.

Es genügt nicht, dass die Neuregelung dem Kindeswohl genügt.

Grüneberg/Götz BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 1696 Rn. 9

Es muss eine Abwägung aller Vor- und Nachteile erfolgen:

Vielmehr müssen im Hinblick auf die gewünschte Stabilität der Lebensverhältnisse des Kindes die Vorteile der angestrebten Neuregelung die mit der Abänderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (Grüneberg/Götz BGB § 1696 Rn. 9 mit Hinweis auf OLG Hamburg NJW-RR 2021, 197 = FamRZ 2021, 204; OLG Dresden NJOZ 2022, 1027 = FamRZ 2022, 1208).

OLG Bamberg Beschl. v. 30.1.2023 – 7 UF 190/22

Unterschied triftige Gründe und Abwägung bei Sorgerechts- und Umgangsantrag

Bei der Abwägung kommt es auch darauf an, ob man über Sorgerecht oder Umgangsrecht streitet (beachtet: Wechselmodell ist nach wie vor Umgangsregelung!); denn eine solche Abänderung ist schneller auszusprechen, weil die Folgen bei Umgang weniger gravierend sind:

Allerdings sind die Voraussetzungen für eine Modifikation des Umgangs niedriger als bei Entscheidungen zum Sorgerecht, weil die Abänderung einer Umgangsregelung regelmäßig weniger schwerwiegend in die Lebensverhältnisse des betroffenen Kindes eingreift (OLG Frankfurt a. M. NJOZ 2022, 97 = FamRZ 2022, 362).

OLG Bamberg Beschl. v. 30.1.2023 – 7 UF 190/22

Ausführlicher hierzu das OLG Frankfurt:

Da Umgangsregelungen in besonderem Maß der Anpassungsnotwendigkeit unterliegen (Staudinger/Coester BGB, 2019, § 1696 Rn. 30) ist die Änderungsschwelle für eine Modifikation oder eine Erweiterung des Umgangs niedriger als bei sorgerechtlichen Regelungen anzusetzen. Umgangsregelungen greifen zum einen weniger schwerwiegend in die Lebensverhältnisse des betroffenen Kindes ein als ein grundsätzlicher Platzierungswechsel. Zum anderen können Anpassungen an Veränderungen in beiden Elternfamilien häufig notwendig werden (Staudinger/Coester BGB § 1696 Rn. 113). Anpassungen an veränderte Umstände können demnach schon dann geboten sein, wenn dies dem Kindeswohl dient (OLG Brandenburg 27.12.2016 – 10 UF 23/16, BeckRS 2016, 124514). Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass auch Umgangsregelungen eine „gewisse Bestandskraft“ haben, die ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht durchbrochen werden darf (OLG Zweibrücken NJW-RR 1997, 900).

OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 26.10.2021 – 6 UF 147/21

Anpassungen sind der Umgangsregelung immanent; Kinder, Familien, Bedürfnisse ändern sich, weshalb keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Das OLG Frankfurt erwähnt

  • Anpassungen an Veränderungen in beiden Elternfamilien
  • Anpassungen aus dem Kindeswohl heraus

Auch der Kindeswille wird hier eine herausragende Bedeutung haben.

Triftige Gründe

Was sind also nun diese triftigen Gründe? Eine klare Definition wird es nie geben; dazu ist Familienrecht zu einzelfallbezogen.

Als Begründung für die Beschränkung auf triftige Gründe führt der Münchener Kommentar aus;

Obwohl sorge- und umgangsrechtliche Entscheidungen bzw. gerichtlich gebilligte Vergleiche nicht in materielle Rechtskraft erwachsen, erlaubt Abs.1 keine beliebige Wiederaufnahme des Verfahrens. Zum einen soll das Kind möglichst Erziehungskontinuität erfahren. Zum anderen ist jede Änderung des Eltern-Kind-Verhältnisses ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Elternautonomie (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) und bedarf deshalb einer Rechtfertigung. Der Gesetzgeber hat sich für eine kontinuierlich am Kindeswohl orientierte Eingriffsmöglichkeit entschieden und bei der Neufassung des Abs. 1 durch das KindRG 1998 die von der Rechtsprechung entwickelte Formel übernommen, wonach die Änderung aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt sein muss.

MüKoBGB/Lugani, 8. Aufl. 2020, BGB § 1696 Rn. 23

Dieser Prüfungsmaßstab wird daher auch „qualifizierte positive Kindeswohlprüfung1“ genannt.

Es muss daher

  • ein Änderungsgrund von solcher Bedeutung vorliegen,2
  • der den Grundsatz der Erziehungskontinuität überwiegt
  • und die mit der Veränderung verbundenen Nachteile für die Entwicklung sowie
  • die Änderung muss am generellen Bedürfnis des Kindes nach Kontinuität und Stabilität seiner Lebens- und Erziehungsbedingungen gemessen werden
  • Es liegt eine Einzelfallentscheidung vor,
  • Grundlegende Wertungen, die sich aus der Erstentscheidungsnorm ergeben, müssen aber auch im Änderungsverfahren berücksichtigt werden, um einen „unerträglichen“ Wertungswiderspruch zu vermeiden

Das ist wie alle rechtlichen Wertungen erst einmal viel zu berücksichtigen und wenig konkretes. Aber dass das Gericht hier einen Bewertungsspielraum hat, wird man kaum verkennen können.

Der Wille des Kindes alleine hingegen reicht nicht aus3. Auch der Wille eines Elternteils alleine reicht nicht aus4.

EMRK-Konform

Diese Einschränkung des Abänderungsverfahrens ist auch vom EGMR als zulässig bejaht.

Denn das Ziel dieser erheblichen Einschränkung der Abänderungsmöglichkeit, Kinder vor fortwährenden Sorgerechtsverfahren zu schützen, ist zulässig i.S. der EMRK:

Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass § 1696 BGB u. a. zum Ziel hat, Kinder vor fortwäh­renden Sorgerechtsverfahren zu schützen und für eine stabile und dauerhafte Sorgesituation zu sorgen. Er ist somit auf das legitime Ziel gerichtet, die „Gesundheit“ und die „Rechte und Freiheiten anderer“ zu schützen.

Enke gegen Deutschland, Individualbeschwerde

Innerstaatliche Behörden haben insoweit einen erheblichen Beurteilungsspielraum im Hinblick auf Art. 8 EMRK:

Aus diesen Erwägungen und im Hinblick auf den großen Beurteilungsspielraum der inner­staatlichen Behörden bei Sorgerechtsentscheidungen (vgl. u. a. S., a. a. O., Rdnrn. 64-65) ist der Gerichtshof überzeugt, dass die Verfahrensweise der innerstaatlichen Gerichte angemessen und hinreichend begründet war und dem Beschwerdeführer somit den erforder­lichen Schutz seines Rechts auf Achtung seines Familienlebens zuteil werden ließ.

Enke gegen Deutschland, Individualbeschwerde

Folglich ist Artikel 8 der Konvention im Fall Enke gegen Deutschland nicht verletzt worden.

2. Unter Berufung auf die Artikel 6 und 14 rügte der Beschwerdeführer ferner, dass die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte zu einer Ungleichbehandlung der Elternteile ge­führt habe.

Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und soweit die ge­rügten Angelegenheiten in seine Zuständigkeit fallen, stellt der Gerichtshof jedoch fest, dass hier keine Anzeichen für eine Verletzung der in der Konvention oder den Protokollen dazu bezeichneten Rechte und Freiheiten ersichtlich sind.

Enke gegen Deutschland, Individualbeschwerde

Das führt natürlich noch zu mehr Unsicherheit und damit zu mehr Begründungsaufwand für Euch.

Einzelfälle

In der gängigen Literatur gibt es Listen mit Einzelfällen; diese können Eure Anwälte heranziehen; wichtig ist aber nach wie vor die Herausarbeitung der Änderungen für die Kinder und die Bedeutung auf deren Entwicklung.

Die folgende Liste ist nicht abschließend5:

  • der erfolgreiche Abschluss einer Familientherapie (AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg FamRZ 2004, 134, im konkreten Fall allerdings ein Anwendungsfall von Abs. 2),
  • eine wiederholte Verletzung des Kindesrechts auf gewaltfreie Erziehung (OLG Jena FamRZ 2005, 52 (53)),
  • die Uneinsichtigkeit des Sorgeberechtigten bei der Ernährung des noch nicht schulpflichtigen Kindes sowie die mangelnde Befolgung ärztlicher Anordnungen über die medikamentöse Behandlung (KG NJW-RR 1990, 716) oder sonstiger medizinisch indizierter Maßnahmen (OLG Hamm FamRZ 1979, 855),
  • ein grenzenloses Omnipotenzverhalten des Sorgeberechtigten, das den Kindern keine Chance zu eigenständiger Entwicklung lässt (OLG Frankfurt FamRZ 2005, 1700),
  • eine ansteckende Krankheit des Sorgeberechtigten (OLG Hamm ZBlJR 1955, 138 (139)),
  • unkontrollierte Drogen- und Alkoholabhängigkeit (OLG Naumburg OLGR 2009, 209 = FamRZ 2009, 433 Ls.),
  • psychische Erkrankungen eines oder beider Elternteile (AG Flensburg BeckRS 2018, 44237 Rn. 13 ff.; zur wachsenden Erziehungsfähigkeit eines Elternteils bei sich stabilisierendem psychischen Zustand OLG Brandenburg BeckRS 2020, 22435 Rn. 25),
  • schulische Gründe (OLG Brandenburg FamRZ 2014, 1859: fehlende Unterrichtsmaterialien aufgrund wechselnden Umgangs; OLG Saarbrücken FamRZ 2012, 646: Einschulung),
  • eine fehlende Mitwirkungsbereitschaft der Umgangspflegerin mit Ausbruch der Covid-19-Pandemie (AG Frankfurt FamRZ 2020, 839 (840) = JAmt 2020, 266),
  • die Ansteckungsgefahr von Kindern in Kindertagesstätten während der Covid-19-Pandemie (AG München FamRZ 2020, 1178 mAnm Rake).

Was hier vor allem fehlt ist aber auch eine nicht realisierte Hoffnung aus einem familienpsychologischen Gutachten oder realisierte Bedenken aus einem familienpsychologischen Gutachten. Auch Indizien für die Belastung des Kindes, andauernde Manipulation und ähnliches kann einen solchen triftigen Grund darstellen.

Gerne könnt Ihr Euch in der Hotline des Vereins Erzengel kostenfrei beraten lassen zu diesem Thema:

  1. MüKoBGB/Lugani, 8. Aufl. 2020, BGB § 1696 Rn. 24, 25 ↩︎
  2. MüKo aaO ↩︎
  3. BeckOK BGB/Veit, 67. Ed. 1.1.2023, BGB § 1696 Rn. 16-18 ↩︎
  4. OLG Hamm FPR 2002, 270 ↩︎
  5. BeckOK BGB/Veit, 67. Ed. 1.1.2023, BGB § 1696 Rn. 19-29 ↩︎
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Sorgerecht

Was ist Gatekeeping?

Gatekeeping wird häufig definiert als „Einstellungen und Verhaltensweisen eines Elternteils, die den Zugang des anderen Elternteils zum Kind regulieren, kann Gatekeeping Kontakt einschränken oder fordern“ (zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023).

Gatekeeping kann schädlich sein

Es wird daher manchmal vom „restriktiven“ und „facilitiativen“ Gatekeeping gesprochen .“

für eine Forschungsubersicht s. Schoppe-Sullivan/AltenburgerSchoppe-Sullivan/Altenburger, 2019

Gatekeeping ist also das, was oft auch als „Helicoptern“ bezeichnet wird: Überfürsorgliches Verhalten, das andere ausschließt und damit dem Kind schaden zufügen kann. Doch wie geht man in einer solchen Situation um?

Gatekeeping: Sachverhalt eruieren.

Beim Gatekeeping ist es zuvörderst wichtig, dass man den Sachverhalt ordentlich klärt – was gem. §26 FamFG im Verfahren Aufgabe des Richters wäre, der aber insoweit keine pädagogische-psychologische Ausbildung hat.

„Insgesamt begegnen den Fachkräften und Gerichten in Fällen mit ausgeprägtem mütterlichen Gatekeeping sowohl gut verborgene, aber reale Gefahren durch Umgang als auch stark verzerrte Wahrnehmungen. Daher
ist es unabdingbar, beide Möglichkeiten präsent zu halten, den Sachverhalt so gut wie möglich aufzuklären und die resultierenden Hinweise abzuwägen.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Konklusion: Nicht alles, was ein Elternteil erkennt oder bemängelt, muss real sein. Es gibt stark verzerrte Wahrnehmungen.

Gatekeeping führt zu stark verzerrter Wahrnehmung und muss daher Anlass des Gerichtes sein, nachzuforschen

Michael Langhans, Volljurist

Damit wird aber wie so oft der Finger in die Wunde gelegt: Man muss das Problem sehen wollen. Oftmals stellt sich aber in Verfahren dar, dass nur ein entfremdeter Elternteil negatives Gatekeeping bemerkt, die anderen nicht.

Gatekeeping: Lösungsansatze beim Umgang begehrenden Elternteil

Es verwundert ein wenig, aber selbst der, der Umgang wünscht, kann versuchen den anderen Elternteil positiv zu beeinflussen: Indem man diesen Teilhaben lässt.

„Zum anderen kann die Irritierbarkeit des Vertrauens in die Fürsorgekompetenz und Zuverlässigkeit des Vaters vermindert werden, wenn Absprachen eingehalten und Fotos bzw. Videos das Wohlergehen des Kindes beim Umgang dokumentieren. Dem verständlichen Wunsch von Vätern nach Abschottung der eigenen Zeit mit dem Kind nachzugeben, wirkt in diesen Fällen kontraproduktiv. „

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Vertrauen geben statt einfordern, so würde ich das zusammenfassen. Umgang muss nicht geheim erfolgen, sollte dann aber auch, wenn er stattfindet und dies kommuniziert wird und Bilder geteilt werden nicht zu einer kleinkarierten Kritik des anderen Elternteils führen.

Kompetenzbesserung des Umgangsgewährenden Elternteils hilft

Daher finde ich es gut, dass das Expertenteam um Fichtner, Kindler und Walper auch eine Kompetenzverbesserung des umganggewährenden Elternteils fordert.

„Unsicherheiten und Ängste von Müttern in der Elternrolle können das Bedürfnis nach Kontrolle über enge Beziehungen des Kindes verstärken, weshalb in der Jugendhilfe ein Zugang, der die Kompetenzen von Müttern
betont und fordert, prinzipiell auch Vater-Kind-Kontakten dient.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Jetzt muss man natürlich anmerken, dass Kompetenzverbesserung nicht heisst, dass der Elternteil vorher unfähig war. Jeder von uns kann noch besser werden. Einen Lösungsansatz, der beide Eltern verpflichtet, ist sicherlich einem einseitig kritisierenden vorzuziehen, um keine „Gewinner“ und „Verlierer“ zu gerieren.

Gatekeeping kann zu Kontaktproblemen führen

Unabhängig davon kann Gatekeeping also zu Entfremdung, Kontaktproblemen und Kontaktabbruch führen. Wie man dann vorgeht, habe ich in diesem Artikel beschrieben:

https://familienrecht.activinews.tv/sorgerecht/wie-geht-man-bei-entfremdung-kontaktproblemen-vor/
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Sorgerecht

Wie geht man bei Entfremdung / Kontaktproblemen vor

Auch wenn die Thematik rund um Gardener/PAS/EKE alt und immer wieder am diskutieren ist, wird von keinem Experten ernstlich in Frage gestellt, dass es Kontaktprobleme zwischen Elternteil und Kind geben kann. Doch wie gehe ich bei Entfremdung vor? Wie gehe ich mit Kontaktproblemen um?

Ob man in diesem Zusammenhang lieber der Vorgehensweise von Baumann, Michel-Biegel, Rücker und Serafin, Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung in der ZKJ oder derjenigen von Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ebenfalls in der ZKJ folgen möchte, spielt dabei erst einmal keine Rolle. Wichtig ist, dass beide Meinungen Lösungsansätze darbieten. Ich selbst präferiere die erstere Vorgehensweise der Intervention:

Lösungsansatz 1: Schnelle Kontaktregelungen

  • Schnelle vorläufige Festlegung bindungserhaltender Kontaktregelungen
  • Hinführung zur Praxis paralleler Elternschaft
  • Verpflichtung der Eltern zur Teilnahme an psychologischer Beratung
  • Psychologischer und praktischer Beistand fur das betroffene Kind
zitiert nach Baumann, Michel-Biegel, Rücker und Serafin, Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung in ZKJ 7/22

Vorteil: Diese Lösung basiert auf bisherigen Hilfsangeboten und ist daher flächendeckend umsetzbar.

Michael Langhans, Volljurist

Die Gegenmeinung von Zimmermann et al. echauffiert sich sehr über die Schlüsse von Rücker und anderen, nutzt statt Entfremdung lieber den Begriff Kontaktprobleme, kommt aber auch zum Ergebnis, dass man einiges erst einmal herausarbeiten muss und insoweit die Ursachen der Kontaktprobleme diagnostisch bearbeiten muss:

Lösungsansatz 2: Diagnostik

„Erhoben werden sollen also Befunde insbesondere zu (a) Art und Austragungsform elterlicher Konflikte, einschließlich des Einbezugs des Kindes,
(b) Geschichte und Situation der elterlichen Zusammenarbeit (Co-Parenting),
(c) Art und Hintergründe der wechselseitigen Wahrnehmung beider Elternteile,
(d) Erleben und Umgangsweise beider Elternteile mit dem Verlauf der Trennung und der Aufgabe einer Neuorientierung für sich und das Kind,
(e) Geschichte und gegenwärtige Qualität der Beziehungen des Kindes zu jedem Elternteil,
(f) Belastung und Bewältigungsfähigkeiten des Kindes sowie die kindliche Wahrnehmung elterlicher Erwartungen und eigener Interessen,
(g) weitere Einflüsse von Geschwistern, Familienangehörigen und Fachkräften auf die Dynamik im Konfliktfall sowie
(h) Lösungsvorstellungen von Eltern und Kind.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Der Zweite Ansatz ist zu fachspezifisch, damit wird die Entscheidungsfindung wieder zu sehr in die Hände von Psychologen gelegt, von deren Qualität hängt damit auch ab, ob und wie es weitergeht.

Lösungsansatz 1 gibt dem Juristen umsetzbares Vorgehen an die Hand. Er ist zu präferieren.

Michael Langhans, Sorgerechtsexperte

Auch wenn es lobenswert ist, die Grundlagen eines Verhaltens zu verstehen, befürchte ich dass damit der Manipulation Tür und Tor geöffnet ist. Denn mit falschen oder unzureichenden Antworten kann man hier das Ergebnis beeinflussen.

Überhaupt wird doch aktuell in Verfahren zu sehr diskutiert und zu wenig gehandelt, wo doch Zeit ein wesentlicher Faktor ist.

Kinder wollen zu Umgang verpflichtet werden

Bekanntermaßen hat Dettenborn bereits vor langer Zeit klargestellt, dass auch Kinder bisweilen froh sind, zu Umgang „gezwungen“ zu werden, insbesondere wenn Entfremder am Werk sind.

„Das Kind ist eventuell froh, durch die Aufforderung zum Kontakt aus der Unentschlossenheit geholt zu werden. Das schließt Proteste gegen den Sozialarbeiter oder Richter, der Kontakt angeordnet hat, nicht aus. Sie sind meist eine Information an den manipulierenden Elternteil: Ich bin gezwungen zu gehen, es ist nicht meine Schuld.“

zitiert nach Harry Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021, S. 118

Daher fußt Lösungsansatz 1 doch nur in dieser alten Weisheit, wie sie Dettenborn zu Papier gebracht hat. Daran ändert dann auch nicht, dass Kindler und Co. zu Recht darauf hinweist, dass das Helfersystem in der Hochkonflikthaftigkeit an ihre Grenzen stößt:

Es gibt zu wenig echte Angebote

„Schließlich stimmen wir zu, dass Hilfeangebote in geeigneten Fällen meist bei der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern ansetzen müssen und neben den Chancen auch die Grenzen des Hinwirkens auf elterliches
Einvernehmen erkannt werden müssen.
(…)
Allerdings stellt die Hochkonflikthaftigkeit Fachkräfte der Trennungsberatung, wie eine aktuelle Umfrage zeigt ( Kindler/Eppinger, 2022), weiterhin häufig vor erhebliche Herausforderungen. Deshalb ist es nötig, spezialisierte Beratungs- und Hilfekonzepte für hochkonflikthafte Eltern, die sich als wirksam erwiesen haben (z.B. Retz , 2015; Visser/van Lawick, 2021), stärker zu fördern und flächendeckend auszurollen.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Statt also darauf hinzuweisen, dass man flächendeckendere Hilfekonzepte benötigt, ist es m.E. wichtig, diese Hilfe darzutun; und deshalb finde ich die Lösungsansätze 1 verbindlicher. Sie sind ein pragmatischer Ansatz, der mit den bisherigen Angeboten umsetzbar ist und damit eine Lösungsmöglichkeit sein könnte. Denn Zeit, bis Beratungsangebote ausgerollt sind und dann dem Jurist bekannt sind, spielt nur dem in die Hände, der keine Lösung möchte. Mit den oben dargelegten Handreichungen kann man jedenfalls bei Entfremdung vorgehen.

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