Der Loyalitätskonflikt stellt eine der gravierendsten psychischen Belastungen dar, denen Kinder im Kontext hochstrittiger Trennungen ausgesetzt sind. Das Kernkonzept beschreibt eine schmerzhafte innere Zerrissenheit des Kindes, die entsteht, wenn es faktisch gezwungen wird, sich emotional zwischen zwei primären Bindungspersonen – den getrennten Eltern – zu entscheiden. Diese Entscheidung wird von dem Kind als Verrat an dem jeweils anderen Elternteil erlebt.
Aus systemischer Perspektive ist der Loyalitätskonflikt Ausdruck einer dysfunktionalen Elternbeziehung, in der die erwachsene Konfliktebene auf die Kindesebene übertragen wird. Das Kind befindet sich in einem ständigen „Hin- und Herkippen-Müssen“ zwischen den elterlichen Erwartungen und Bedürfnissen. Diese Dynamik erzeugt eine hohe innere Spannung und kann im Extremfall zu einer emotionalen „Erstarrung“ des Kindes führen, da jede Bewegung in Richtung eines Elternteils schuldbehaftet ist und die eigene innere Stabilität gefährdet. Psychologisch muss dieses Verhalten des Kindes nicht als bewusste Verweigerung, sondern als eine „subjektiv sinnvolle Anpassung“ an eine emotional unerträgliche Familiendynamik verstanden werden, die es dem Kind ermöglicht, die Beziehung zu beiden Elternteilen aufrechtzuerhalten, ohne sich offen zu positionieren.
Wir versuchen uns dem Begriff, den Auswirkungen von Strategien, diesen Konflikt zu vermeiden oder Folgen zu mildern in diesem Artikel anzunähern.
Wie Manifestationen in familiengerichtlichen Verfahren zur Geltung kommen.
Loyalitätskonflikte entstehen primär in stark konfliktreichen Umgangs‑ und Sorgeverfahren, wenn Eltern nicht in der Lage sind, ihre Auseinandersetzungen auf die reine elterliche Ebene zu beschränken. In solchen hochstrittigen Situationen entwickelt sich der Streit häufig zu einer eigenen Dynamik, bei der die Schädigung des Ex‑Partners wichtiger zu sein scheint als der eigene Nutzen oder sogar das Wohl des Kindes. Die Bedürfnisse und das Erleben des Kindes geraten in dieser Eskalationsspirale in Vergessenheit; das Kind wird instrumentalisiert und zum „Spielball selbstbezogener Parteieninteressen“ degradiert.
Die gerichtliche Relevanz dieser Konfliktdynamik ist von außerordentlicher Tragweite. Loyalitätskonflikte gelten als erhebliche Belastung des Kindeswohls und können in Kindschaftsverfahren als Hinweis auf notwendige richterliche Maßnahmen dienen. So kann ein durch das Verhalten eines Elternteils ausgelöster Loyalitätskonflikt die Notwendigkeit eines begleiteten Umgangs begründen und – in besonders schwerwiegenden Fällen – sogar einen vollständigen Umgangsausschluss zur Entlastung des Kindes erforderlich machen.
Ich selber erlebe allerdings oft, dass der Begriff verwendet wird, ohne dass man mit diesem wirklich etwas anfangen kann und diesen definieren kann. Gleichwohl wird oft, nicht nur bei diesem, sondern auch anderen Begriffen, dieser in eigener Unkenntnis verwendet, und das oft negativ für einen oder die Eltern.
Die Belastung des Kindes: der Verlust der Ambivalenzfähigkeit und ein innerlich zersplitterter Zustand
Die psychische Belastung des Kindes ist das Resultat eines Verlustes der Fähigkeit, Ambivalenzen auszuhalten. Gewöhnlich gelingt es Kindern, die Spannungen zwischen den Eltern zu verkraften, solange sie darauf vertrauen können, dass die übergeordneten elterlichen Ziele übereinstimmen und die Eltern letztlich wieder zueinander finden. Sobald jedoch eine manifeste, chronisch anhaltende Trennungsfehde eintritt, zerbricht diese Annahme; Kinder, die ihre Eltern bislang als ungeteilte Einheit erlebt haben, verlieren die notwendige innere Konsistenz und geraten in eine tiefe Zerrissenheit.
In solchen Situationen spürt das Kind ein erdrückendes Schuldgefühl, weil es gleichzeitig beiden Elternteilen gegenüber liebevoll und positiv bleiben will, obwohl diese im Streit liegen. Dieses Schuldempfinden wird noch verstärkt, sobald die Eltern das Kind direkt um seine emotionale Zustimmung bitten oder erwarten. Kommt dann ein neuer Partner ins Spiel, kann die Lage weiter verschärft werden – Kinder entwickeln häufig die Angst, den leiblichen Elternteil zu verlieren oder für ihn an Bedeutung zu verblassen.
Das innere Unbehagen, das ein Loyalitätskonflikt erzeugt, macht sich häufig in psychosomatischen und psychischen Auffälligkeiten bemerkbar. Besonders auffällig ist dabei die Somatisierung – ein zunächst leicht missverstandenes Signal: Kinder melden etwa Bauch- oder Kopfschmerzen, meist kurz bevor sie vom einen zum anderen Elternteil wechseln (hierzu lesenswert auch Baumann und Bolz, Loyalitätskonflikte, Eltern-Kind-Entfremdung und Umgangsstreitigkeiten als juristische, gutachterliche und beraterische Krise – eine bindungs-dynamische Perspektive in ZKJ 6/2021, S. 212). Eltern deuten solche körperlichen Beschwerden häufig fälschlicherweise darauf, dass dem Kind beim jeweils anderen Elternteil nicht gut gehe, und übersehen dabei den eigentlichen, trennungsbedingten Loyalitätskonflikt. Für das Kind stellen die somatischen Symptome eine körperliche Übersetzung des kaum zu ertragenden psychischen Drucks dar, weil es seine Not nicht offen aussprechen darf oder vermag.
Unabhängig davon, ob somatische Beschwerden im Vordergrund stehen, können chronische Loyalitätskonflikte gravierende psychische Auffälligkeiten hervorrufen – dazu gehören Verhaltensauffälligkeiten, Aggressivität, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen und Konzentrationsschwächen. Deshalb ist es von zentraler Bedeutung, diese Konflikte frühzeitig zu erkennen und gezielt zu intervenieren. Führen die Konflikte zu einer pathologischen „Erstarrung“ oder geraten die Eltern in eine Phase der „aktiven Destruktion“, bei der die Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse vollständig blockiert ist, reichen rein konsensbasierte Lösungsansätze nicht mehr aus. Unter solchen Umständen erweist sich ein unverzichtbares, direkteres Vorgehen der Fachseite als unabdingbar, um das starre System aufzubrechen und dem Kind den dringend benötigten Schutz zu gewährleisten.
Der Loyalitätskonflikt als Indikator der Kindeswohlgefährdung (§ 1666 BGB)
Im Zentrum aller gerichtlichen Entscheidungen in Sorge‑ und Umgangsverfahren steht das Wohl des Kindes. Der Terminus „Kindeswohlgefährdung“ bleibt ein vage, normativ gefärbtes Konstrukt, das Raum für unterschiedliche Deutungen lässt. Dennoch hat die Rechtsprechung bestimmte Fallgruppen herausgearbeitet, die eine präzisere Anwendung des § 1666 BGB – der Vorschrift zu gerichtlichen Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls – ermöglichen.
Eine chronische, stark belastende psychische Anspannung, die ein Loyalitätskonflikt beim Kind auslöst – besonders dann, wenn das Kind von einem oder beiden Elternteilen instrumentalisiert wird – schränkt die Entwicklungschancen des Kindes erheblich ein. Solche Umstände können die Grenze zur Kindeswohlgefährdung überschreiten und damit gerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB erforderlich machen. Im Zentrum der gerichtlichen Prüfung steht die Frage, in welchem Ausmaß die Eltern ihrer Bindungsfürsorgepflicht nicht nachkommen.
Bindungsfürsorge
Ein zentrales Bewertungskriterium für die Erziehungsfähigkeit ist die Bereitschaft, die Bindungsfürsorge zu gewährleisten. Eltern haben die Pflicht, im Rahmen des Zumutbaren die Beziehung des Kindes zum jeweils anderen Elternteil zu stärken – ein Aspekt, der als Bindungstoleranz (zur Kritik an Bindungstoleranz und zur Nutzung des Begriffs des Gatekeepings hier mehr) bezeichnet wird. Die gerichtliche Analyse richtet sich dabei darauf, ob die Eltern trotz ihrer Trennung weiterhin gemeinsam die Erziehungsaufgabe im Sinne des Kindeswohls wahrnehmen können.
Die Weigerung eines Elternteils, die kindliche Bindung zum anderen Elternteil zu akzeptieren – oder sie sogar aktiv zu untergraben – gilt als gravierendes Erziehungsdefizit. In stark konfliktbeladenen Fällen lässt sich beobachten, dass die Auseinandersetzungen nicht nur psychisch hochkochen, sondern durch das juristische Gefüge weiter angefacht werden können, insbesondere wenn Anwälte die Spannungen ausnutzen. Deshalb setzen Gerichte häufig auf Mediation oder auf die Aussetzung des Verfahrens, um die gefährliche Eskalationsspirale bereits im Keim zu ersticken.
Prävention von Loyalitätskonflikten: Kooperative Elternschaft im Fokus
Die wirksamste Methode zur Vermeidung von Loyalitätskonflikten liegt in der Etablierung einer kooperativen Elternschaft, dem sogenannten Co-Parenting, welches die Konfliktzone strikt von der Kindesebene fernhält.
Schutz des Kindes vor der Elternebene: Vermeidung instrumentalisierenden Verhaltens
Ein bewusster Umgang erfordert, dass Eltern kritische Situationen, die Loyalitätskonflikte auslösen könnten, frühzeitig identifizieren und gezielt aus dem Weg gehen. Besonders wichtig ist, in Gegenwart des Kindes negative Äußerungen über den anderen Elternteil zu unterlassen. Dies gilt auch, wenn diese gut begründet ist. Insoweit muss man bisweilen einfach besser sein als die Gegenseite.
Ebenso sollte darauf verzichtet werden, sich selbst oder dem Ex‑Partner die Schuld an der Trennung zuzuschieben und hierin die Kinder zu involvieren.
Obwohl das Ende einer Paarbeziehung nicht voraussetzt, dass die ehemaligen Partner „auf Teufel komm raus“ miteinander auskommen – besonders nicht, wenn schwerwiegende Vorfälle wie häusliche Gewalt stattgefunden haben – sollten sie trotzdem in der Lage sein, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu fördern. Die zentrale Schutzstrategie besteht darin, das Kind nicht zum Zeugen elterlicher Auseinandersetzungen zu machen, weder bei Telefonaten noch bei den Übergaben.
Ausnahmen kann es dabei geben, wenn das Kind aktiv Informationen einfordert. Aber auch dann sollte man die Contenance wahren, ebenso wenn das Kind Geschehnisse mitbekommen hat. Bisweilen muss man hier abwiegeln oder das Kind strikt aus dem Konflikt heraushalten („Ich bespreche das mit Papa/Mama“ oder „wir werden das Problem für Dich als Eltern gemeinsam lösen“ usw.)
Altersgerechte und wahrhaftige Kommunikation der Trennung (Do’s and Don’ts)
Wenn Eltern das Thema Trennung ansprechen, sollte die Wahrheit in einer für das Kind passenden, altersgerechten Sprache vermittelt werden. Das zentrale Element, das dem Kind emotionale Sicherheit gibt, ist die klare Aussage, dass die romantische Beziehung der Erwachsenen zwar ein Ende finden kann, die elterliche Liebe zu ihren Kindern jedoch immer bestehen bleibt. Dabei braucht das Kind keine ausführlichen Erklärungen darüber, welche konkreten Gründe zur Auflösung der Partnerschaft geführt haben.
Liebe Eltern zu ihren Kindern bleibt immer bestehen – gerade in der Trennung
Eine ehrliche, leicht verständliche Erklärung ist entscheidend, um dem Kind zu vermitteln, dass die Eltern nicht mehr auf dieselbe Weise lieben und deshalb getrennt leben wollen. Formulierungen wie: „Wir trennen uns, weil es uns nicht mehr gut geht. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass es besser ist, wenn wir getrennt wohnen“, schaffen klare Transparenz. Zusätzlich benötigt das Kind sofortige Klarheit über seinen Alltag: Wann bin ich bei Papa und wann bei Mama?
Etablierung konsistenter und respektvoller Co-Parenting-Strukturen
Eine effektive Kommunikation bildet das Fundament eines erfolgreichen Co-Parentings. Diese Kommunikation muss regelmäßig, offen, respektvoll und sachlich bleiben, auch wenn schwierige Themen zu besprechen sind. Klare, konsistente Absprachen über Erziehungsziele, Schulangelegenheiten und Alltagsroutinen sind notwendig, um dem Kind Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln. Die Konsequenz und Berechenbarkeit bei der Umgangsgestaltung ist eine elterliche Fähigkeit, die gefördert werden muss.
Die Möglichkeit gemeinsamer Aktivitäten, wie Geburtstagsfeiern oder Schulveranstaltungen, fördert das Selbstwertgefühl des Kindes und vermittelt ein Gefühl der Normalität, da es sieht, dass die Eltern trotz Trennung als Einheit zusammenstehen, wenn es um seine Belange geht.
Wenn all dies nicht geht, sollte man sich mit weiteren Modellen wie parallele Elternschaft auseinandersetzen und die Kommunikation reduzieren.
Die Bedeutung der frühzeitigen Hinzuziehung externer Beratung und Mediation
Frühe, präventive Interventionen sind entscheidend, um die Konflikteskalation zu stoppen, bevor der Loyalitätsdruck für das Kind chronisch wird. Coaching, Psychotherapie und gezielte Elternarbeit sollten so früh wie möglich beginnen. Auch Erziehungsberatungsstellen können dabei sehr hilfreich sein.
herapeutische Interventionen zielen darauf ab, dem Kind eine sichere emotionale Basis zu verschaffen, die es für den Weg in die Ablösung und Autonomie benötigt.
Bindungssicherheit und Orientierung: Die Therapie bietet dem Kind einen geschützten Raum. Da Kinder oft ein vages Bild von Therapie haben, benötigen sie eine konkrete Erklärung, wie diese ihnen nützen kann – sei es durch das Besprechen von Sorgen oder das Entwickeln von Ideen für Veränderungen. Ziel ist es, dem Kind eine Orientierung im Geschehen zu geben und seine Bewältigungsstrategien anzuerkennen. Die Berücksichtigung des Entwicklungsstandes des Kindes ist dabei fundamental.
In Fällen extremer Hochstrittigkeit, in denen die primären Bindungspersonen versagen, können Pädagogen oder Psychotherapeuten temporär Ersatz-Bindungspersonen darstellen, um die emotionale Grundversorgung zu sichern.
Schutz des Kindes vor Überforderung: Die Entscheidungsverantwortung der Erwachsenen
Der zentrale Entlastungsfaktor für ein Kind im Loyalitätskonflikt liegt darin, dass die Erwachsenen die Entscheidungsgewalt konsequent übernehmen. Dabei muss das Kind aktiv vor der Last einer eigenen Verantwortungsübernahme geschützt werden. Zeigt das erwachsene Umfeld beständige und vorhersehbare Handlungsweisen, entsteht die notwendige Struktur, die das Kind wirklich entlastet.
Gleichzeitig sollte dem Kind die Erlaubnis eingeräumt werden, frei und ehrlich über seine Gefühle zu sprechen – sei es Trauer, Zorn oder Angst – ohne die ständige Befürchtung, dabei einen Elternteil zu enttäuschen oder zu verletzen.
Förderung der Ambivalenzfähigkeit des Kindes und Bearbeitung von Schuldgefühlen
Der Loyalitätskonflikt entspringt einer inneren Dichotomie, die dem Kind das Gefühl vermittelt, nur einen Elternteil lieben zu können. Ein zentrales Ziel der therapeutischen Arbeit besteht deshalb darin, die Ambivalenzfähigkeit des Kindes wieder zu aktivieren – also die Möglichkeit, gleichzeitig widersprüchliche Gefühle zu tragen. Dabei muss dem Kind auf einfühlsame Weise klar gemacht werden, dass die anhaltende Liebe zu Mutter und Vater völlig in Ordnung ist, selbst wenn die Eltern ihre Beziehung beendet haben.
Parallel dazu sollte man Eltern dabei unterstützen, ihre eigenen Schuldgefühle, die aus dem Leiden ihrer Kinder entstehen, auszuhalten, damit diese inneren Lasten nicht unbewusst auf das Kind abfärben. Die konsequente Förderung einer Bindung zu beiden Elternteilen bleibt die zuverlässigste Garantie, die Entwicklungschancen des Kindes nach einer Scheidung zu sichern.
Lösung und Fazit
Priorisierung der präventiven Konfliktlösung:
Die Gerichte sollten frühzeitig und konsequent die Nutzung von Mediation und außergerichtlicher Konfliktbeilegung anordnen, um die Eskalation der Hochstrittigkeit zu verhindern.
Eltern sollten erkennen, dass jede Streitbeilegung dem Kind hilft. Das gilt insbesondere auch in finanziellen Aspekten wie Unterhalt und Zugewinn.












