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Manipulation und induzierter Wille

Manipulation und induzierter Wille eines Kindes (also von einem anderen in das Kind gelegte Wille) sind Aspekte, mit denen die Gerichte und Juristen so ihre liebe Not haben. Ähnlich wie bei familienpsychologischen Fragen wird dann lieber alles in die Hände eines Fachpsychologen für Rechtspsychologie gelegt. Das ist im Ergebnis zwar richtig, verkennt aber, dass die Grundlagen der psychologischen Ergebnisse belegbare Fakten sein müssen, die zu beschaffen gerichtliche Aufgabe ist. Dazu gehört aber auch, dass man ein wenig Theorie dahinter kennt. Diese möchte ich Euch hier vorstellen. Doch Achtun: Damit ist keine fachpsychologische Bewertung verbunden, ich bin nur Jurist. Im konkreten Fall mag es also Sinn machen, einen Psychologen hinzuzuziehen.

Wann spricht man von einem manipulierten Willen?

Ein manipulierter Wille (induzierter Wille) liegt dann vor, wenn das Kind eine Meinung äußert, welche einer der Konfliktpartei nicht genehm ist (vgl. insoweit Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021, Kapitel 4.5).
Danach soll der durch Beeinflussung entstandene Kindeswille eine Induktion fremden Willens sein und damit nicht zu berücksichtigen. Insoweit ist die Bezugsperson mit mehr Kontakt und Macht im Vorteil, da diese auch mehr manipulieren könne (also die sogenannte umgangsgewährende Person. 

Das ist zum Beispiel so eine Tatsache, die man vortragen oder ermitteln kann und muss.

Was alles ist beeinflusster Wille?

Die gegenseitige Auffassung spricht davon, dass jeder menschliche Wille beeinflussbar ist, auch der Wille Erwachsener (Lempp 1983).

Erziehung insbesondere ist Beeinflussung, sodass Kinder einen Anspruch auf Beeinflussung und Erziehung haben (Lempp 1983).

Jede liebevolle Zuwendung ist Beeinflussung (Köster 1997), so dass sich die Frage stelle, dass bei Beeinflussungen mehrerer Personen sich das Kind für und gegen eine andere Beeinflussung entscheidet und diese Grundlagen zu klären sind und insbesondere jede Art von Beeinflussung seiner psychischen Prägung führt (alles zitiert nach Dettenborn).

Natürlich machen sich daher alle Eltern der Beeinflussung durch Erziehung des Kindes und Zuwendung von Liebe und Aufmerksamkeit „schuldig“. Das kann man auch vortragen und unter Beweis stellen.

Das heißt also, dass man hierzu sehr viel vor Einholung eines Gutachtens vortragen sollte – und danach auch das Gutachten auf Vollständigkeit prüft.

Verschiedene Arten der Induzierung

Komplizierter wird die Situation weiterhin, als das verschiedene Arten der Indizierung unterschieden werden müssen (vgl. Dettenborn aaO S. 94).
Wenn in einem Verfahren also von einen Manipulation gesprochen wird, dann muss zuerst mitgeteilt werden, ob und gegebenenfalls welche Form von Manipulation vorliegt. Hieran scheitern Gerichte, Anwälte, Jugendamt und Psychologen oft. 

Manipulation bedeutet, dass tatsächliche Bindungen sich im Verhalten nicht widerspiegeln

Salzgeber weist in Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020, Rn. 1104, zurecht darauf hin, dass  ein manipulierter Kindeswille dann vorliegt, wenn dieser die tatsächlichen Bindungsverhältnisse nicht widerspiegelt. Auch hierzu kann und muss man vortragen, wenn man dies behauptet.

Dies gilt umso mehr, als dass es eben kein Kriterium gibt, anhand dem man zwischen echten Äußerungen und vereinnahmten unterscheiden könnte (vgl. Kindler in Eltern-Kind Bindungen und geäußerter Kindeswille in hochstrittigen Trennungsfamilien).

Insbesondere unterscheiden Kinder nicht zwischen eigenen Aussagen und Induzierten, weshalb auch die Glaubwürdigkeitsanalyse diesbezüglich nicht hilft (Salzgeber aaO). 

Indirekte Induzierung

Die Wissenschaften unterscheiden weiter zwischen indirekter Induzierung, wie das Gewähren oder Versprechen von Vorteilen, Geschenken, Zuwendungen, Freizügigkeit.

Direkte Induzierung

Die direkte Induzierung hingegen betrifft konkret das Verändern von Einstellung und Willensinhalt von Kindern in Bezug auf bestimmte Personen und in Bezug auf die Zukunft.

Inhalte der Induzierung

Induzierte Inhalte sind vorwiegend Furcht, Ablehnung und Feindseligkeit. 
Die Behauptung, wenn  das Kind dieses oder jenes wolle, dies sei manipulierter Wille, könnte zwar Ablehnung darstellen. Dazu muss man aber vortragen und sich damit auseinandersetzen.

Zu berücksichtigen ist allerdings auch die Frage, wie das Kind trotz oder gerade wegen seines Alters diese Ablehnung begründet

Balloff in Kinder vor dem Familiengericht, 4. Auflage 2022, S. 253 ff., führt zu Recht aus, dass die Wirkfaktoren einer Manipulation darstellbar sind, sowohl auf Eltern als auch Kinderebene. Dies ist eine klare Handlungsanweisung an die Juristen, wird aber oft verkannt.

Unterbleibt dies, dann kann eben auch keine Manipulation behauptet sein.

Offene Induzierung

Offene Indizierung ist, wenn man den Gegner schlecht redet, das, was auch als bindungsintolerant auftritt. Damit wäre aber per se jedes Verfahren Manipulation, insbesondere jedes, das die Voraussetzungen des §1671 BGB bedingt, oder wenn im begleiteten Umgang bestimmte Themen nicht angesprochen werden dürfen oder der Wunsch des Kindes ignoriert werden muss).

Verdeckte Induzierung

Verdecktes Vorgehen ist die nonverbale Kommunikation, vor allem Mimik und Gestik Liebesentzug und Ähnliches. Auch hier muss es Sachvortrag geben.

Abgrenzung zur Normalität

Zu Recht weist Dettenborn (aaO S. 95) auch darauf hin, dass abgegrenzt werden muss zur normalen Erziehung, die die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes fördert einerseits gegen die Beeinflussung, bei der Ziele eines Erwachsenen im Konflikt durchgesetzt werden sollen. Äußere Anpassung und Verinnerlichung müssen vorliegen, um Induzierung anzunehmen (Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022, S. 100).  
Die Identität wird von solchen Induzierungen insoweit gestaltet, als dass diese bei Durchsetzung das Selbstvertrauen stärken, das Negieren dann aber das Gegenteil erreichen würde (vgl. hierzu auch OLG Frankfurtt 1 UF 94/93).
Das OLG Hamm hat in 11 UF 12/98 darauf hingewiesen, dass als eine Voraussetzung genannte Ablehnung von Kontakt … auf einer inneren Ablehnung beruhen muss, der tatsächliche oder auch eingebildete, nicht sachgerecht verarbeitete Ereignisse zugrunde liegen.

Auch hier muss also vorgetragen werden, welche Ereignisse es gibt, muss es Beweisaufnahmen geben usw.

Wann eine Manipulation nicht klappt

Einflüsse gegen vorhandene Einstellungen und Absichten eines Kindes sind in der Regel wenig wahrscheinlich (Dettenborn aaO S. 96).

Bedenklich, so Salzgeber, ist es insoweit, wenn man den Willen eines Kindes als nicht rational sieht und manipuliert, gleichzeitig aber dann den Willen nicht bei der gerichtlichen Regelung berücksichtigt, wie vorliegend (Salzgeber aaO).

Der Wille des Kindes sollte, so Balloff  aaO S. 251, nicht einem rechtlich wünschenswerten Ziel geopfert werden. Denn dadurch würde dieser Wille an Bedeutung verlieren.

Solch ein Wille ist, da Kinder Subjekte sind, zu berücksichtigen, weil Kinder fähig sind, sich Handlungsräume und Freiheitsgrade anzueignen.

Fazit

Hier kann und muss der Jurist die Argumente und Aspekte, wie oben oberflächlich dargestellt, bedienen, Beweise anbieten und strukturiert Belege vorlegen. Das erhöht die Chancen auf ein Gutachten oder eine Entscheidung in eurem Sinne.

Literaturempfehlungen:

Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021

Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022

Balloff in Kinder vor dem Familiengericht, 4. Auflage 2022

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020

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Die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (Polygraphie)

In Familiensachen mit schwieriger Beweislage kann die psycho-physiologischen Aussagebegutachtung (Polygraphie) durchaus eine wichtige Rolle einnehmen, auch wenn sie von vielen Juristen stigmatisiert wird als „vollkommen ungeeignet“. Und es gibt eine ganze Menge (familiengerichtliche) Entscheidungen, die solche Polygraphie-Untersuchungen (ggf. als eines von mehreren Beweismitteln) zulassen:

Entscheidungen mit Bezug auf die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (Polygraphie)

In den folgenden Entscheidungen wird ein Polygraphentest durchaus im Rahmen der Beweiswürdigung im Freibeweisverfahren vor dem Familiengericht zugebilligt:

OLG Bamberg 7 WF 122/94

OLG München 12 UF 1147/98

AG Bautzen 40 Ls 330 Js 6351/12 mit Hinweis auf ein familiengerichtliches Verfahren

AG Schwäbisch Hall 2 F 88/21

AG Schwäbisch Hall 2 F 150/20

OLG Dresden 21 UF 787/12

OLG Oldenburg 4 UF 60/96

Argumente für den Einsatz des Polygraphen

Das OLG München führt hierzu aus:

„Beim Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs bietet die Untersuchung mit einem Polygraphen eine sichere und schnelle Entscheidungshilfe zur Erfassung wahrheitsgemäßer Aussagen. Bei der elterlichen Sorge und dem Umgangsrecht handelt es sich um FGG-Verfahren (§§ 621 a Abs. 1621 Abs. 1 Nr. 12 ZPO), in denen der Untersuchungsgrundsatz gilt. Das Gericht hat von Amts wegen die notwendigen Tatsachen festzustellen und die objektive Wahrheit zu ergründen (Keidl-Kuntze-Winkler, FGG, 13. Auflage, § 12 RdNr. 21). Über den gesamten Inhalt des Verfahrens entscheidet das Gericht in freier Beweiswürdigung, wobei es die volle Überzeugung vom Vorliegen beweiserheblicher Tatsachen haben muß (Keidl-Kuntze-Winkler a.a.O. RdNr. 190). Kann ein entscheidungserheblicher Punkt nicht geklärt werden, ist dies zu Lasten desjenigen zu werten, den die Feststellungslast trifft (Keidl-Kuntze-Winkler a.a.O.). Beim Vorwurf sexuellen Mißbrauchs mit einem Kinde geht es regelmäßig wie auch im vorliegenden Fall, um die Behauptung des Kindsvaters, unschuldig zu sein, d.h. um den Nachweis seiner Unschuld. Die Sachlage ist damit völlig anders als im Strafprozeß (OLG Karlsruhe, StV 1998, 530).

OLG München, 25.11.1998 – 12 UF 1147/98

Die Untersuchung mit einem Polygraphen ist im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren ein geeignetes Mittel, einen Unschuldigen zu entlasten

OLG Dresden

Auf Grund der wissenschaftlichen Forschungen bietet die Untersuchung mit dem Polygraphen einen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsbeweis, wenn sie zum Ergebnis kommt, daß der Verdächtige unschuldig ist. Ergibt die Untersuchung dagegen, daß der Proband die tatbezogenen Fragen zu den konkret vorgeworfenen sexuellen Handlungen nicht wahrheitsgemäß beantwortet hat, besteht kein sicherer Nachweis, daß er die Taten tatsächlich begangen hat, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit hierfür (Undeutsch FamRZ 1996, 329 ff; Salzgeber/Stadler/Vehrs, Die psychophysiologische Aussagebegutachtung im Rahmen des Familiengerichtsverfahrens, Praxis der Rechtspsychologie 1997, 213 ff). Dies bedeutet im Ergebnis, daß der Proband dann seine Unschuld mit dieser Untersuchung nicht beweisen konnte. Bei der Untersuchung mit dem Polygraphen werden dabei üblicherweise neben allgemein gehaltenen Fragen drei Tatfragen und drei Kontrollfragen gestellt, wobei die Reaktion bei Atmung, Hautleitfähigkeit und Puls/Blutdruck gemessen wird. Erfolgt bei der Beantwortung der Tatfragen eine stärkere Reaktion als bei der Beantwortung der Kontrollfragen, spricht dies für wahrheitswidrige Angaben, im umgekehrten Fall für eine wahrheitsgemäße Aussage. Insgesamt ist die Untersuchung mit dem Polygraphen damit ein geeignetes Mittel im FGG-Verfahren, einen Unschuldigen zu entlasten (OLG Bamberg, NJW 1995, 1684). Im Sinne des Kindeswohls ist dabei auch hervorzuheben und zu beachten, daß das Kind bei einer Entlastung des Probanden regelmäßig nicht mit einem Glaubwürdigkeitsgutachten und den damit zusammenhängenden das Kind belastenden Untersuchungen überzogen werden muß. Die Anwendung des Polygraphen erfordert allerdings, wie der Sachverständige … bei seiner mündlichen Anhörung überzeugend darlegte, daß die sogenannten Tatfragen sehr exakt gestellt werden und den erhobenen Tatvorwurf präzise umfassen müssen, ferner, daß die Kontrollfragen für den Probanden eine emotionale Bedeutung haben. Werden nur allgemeine Tatfragen erhoben, wie „Haben Sie sexuelle Handlungen an Ihrem Kind vorgenommen?“, ermöglicht dies ein innerliches Ausweichen des möglichen Täters mit der Folge einer Verfälschung der Ergebnisse.“

OLG München, 25.11.1998 – 12 UF 1147/98

Polygraph ein völlig ungeeignetes Beweismittel?

Der Bundesgerichtshof hatte zuerst den Polygraphen als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen, diese Rechtsprechung dann aber in 1 StR 156/98 aufgegeben.

Gleichwohl wird in Strafsachen der Polygraphentest nach wie vor als „völlig ungeeignetes Beweismittel“ abgelehnt:

Bei einem Polygraphen handelt es sich um ein Gerät, das körperliche Vorgänge mißt, die der willentlichen Kontrolle des Untersuchten weitgehend entzogen sind (z.B. Blutdruck, Puls- und Atemfrequenz). Dem Beschuldigten werden während der Messung Fragen gestellt, deren Inhalt vom angewendeten Testverfahren abhängt.

Das Kontrollfragenverfahren geht davon aus, daß Täter und Nichttäter auf tatbezogene Fragen einerseits und nicht die Tat betreffende Fragen (Kontrollfragen) andererseits psychisch unterschiedlich reagieren. Dies soll sich in dem mit dem Polygraphen erzielten Meßergebnis niederschlagen, so daß aus einem Vergleich der unterschiedlichen Ausschläge der Meßkurven auf die Täterschaft des Beschuldigten geschlossen werden könne.

Dieses Konzept ist jedoch falsch:

Bereits die Grundannahme trifft nicht zu. Denn nach einhelliger wissenschaftlicher Auffassung ist es nicht möglich, eindeutige Zusammenhänge zwischen emotionalen Zuständen eines Menschen und hierfür spezifischen Reaktionsmustern im vegetativen Nervensystem zu erkennen. So muß beispielsweise die Veränderung des Blutdrucks nicht auf der Entdeckungsfurcht beruhen, sondern kann völlig andere, nicht erfaßbare Ursachen haben. Insbesondere ist nicht nachweisbar und deshalb für den letzt- und eigenverantwortlich entscheidenden Richter nicht überprüfbar, daß der zu Unrecht Verdächtigte emotional gelassener reagiert als der Täter. Die verbreitete Bezeichnung des Polygraphen als „Lügendetektor“ entbehrt daher jeder Grundlage.

Anderes ergibt sich auch nicht aus den Berichten über hohe „Trefferquoten“ (bis zu 98,5 %) bei der Durchführung von Studien. In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit, daß sich die in experimentellen Untersuchungen (Labor- und Analogstudien) erzielten Ergebnisse von vornherein nicht auf die gerichtliche Praxis übertragen lassen, weil die Testbedingungen der Wirklichkeit eben nicht entsprechen. Dagegen sind in Feldstudien, d.h. bei Untersuchungen anhand „echter“ Kriminalfälle gewonnene Ergebnisse deshalb ohne jeglichen Beweiswert, weil es keinen Maßstab gibt, ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es treten weitere Einwände hinzu: Die mitgeteilten Richtigkeitswerte sind Folgen der Verzerrung des statistischen Fallmaterials und daher statistisch wertlos. Aus den – ohnehin falschen – „Trefferquoten“ der Untersuchungen kann kein Schluß auf die Beweislage im konkreten Einzelfall gezogen werden.

BGH 1 StR 156/98

Ungeeignet bei hoher Trefferquote?

Der Bundesgerichtshof lehnt den Einsatz des Polygraphen daher auch deshalb ab, weil die „Trefferquote“ nicht ausreichend sein soll. Dies wird zurecht kritisiert:

Wegen der hohen Trefferquote hatte Schwabe (NJW 1982, 367) bereits 1982 die Entscheidung eines Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 18.08.1981 –2 BvR 166/81 -, NJW 1982, 375) kritisiert und von einer „brüchigen Logik“ gesprochen. Denn wenn ein Beweismittel mit einer Treffergenauigkeit von 90 % nicht ausreiche, so müsste man folglich allen Beweismitteln, deren Treffergenauigkeit sich nicht über die 90 %-Marke erhebt, ihren Beweiswert absprechen und als völlig ungeeignetes Beweismittel einstufen. Letztendlich ist in der Gerichtspraxis bekannt, dass der Zeugenbeweis hinsichtlich der Trefferquote „Lüge“ oder „Irrtum“ besonders unzuverlässig ist. Dennoch gehört die Zeugenvernehmung zu dem Beweismittel, welches in der gerichtlichen Praxis am häufigsten erhoben wird. Würden entsprechende Anforderungen hinsichtlich der Treffergenauigkeit auch an andere Beweismittel gestellt werden, bliebe letztendlich wohl nur das DNA-Abstammungsgutachten mit 99,9 %-Trefferquote als geeignetes Beweismittel für die Gerichtspraxis übrig.

AG Schwäbisch-Hall 2 F 150/20

Diese Auffassung teile ich. Schauen wir doch auf die familienpsychologischen Gutachten, bei denen bis zu 75% mangelhaft und daher im Ergebnis falsch sind (vgl. gutachten-anfechten.de). Das hat die Studie von Prof. Dr. Werner Leitner ergeben. Danach sind bei diesen Gutachten 95% aller Verhaltensbeobachtungen unsystematisch, die Gesprächsführung zu 80% unspezifiziert und zu 79% ohne Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Literatur.

Wie kann man also ein Beweismittel ablehnen, wenn man schlechtere Beweismittel regelmäßig zulässt?

Und zudem: Gelten die Einwände gegen den Polygraphen, der als psycho-physiologische Aussagebegutachtung eine andere Form der Aussagebegutachtung ist bzw. eine Fortbildung derselben um subjektive Kriterien, dann auch für das Aussagepsychologische Gutachten?

Jedenfalls muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass das Gutachten von einem echten Experten erstellt wird.

Anwendbarkeit des Polygraphen (zumindest) in Kindschaftssachen

In Kindschaftssachen gilt die Amtsermittlung und der Freibeweis, nicht der Strengbeweis des Strafverfahrens und Zivilverfahrens. Die Möglichkeiten des FamFG sind anders als in der StPO und der ZPO nicht formell aufgeführt, sondern in Kindschaftssachen vorallem am Wohl des Kindes als oberster Richtschnur orientiert.

Beweiserhebliche Tatsachen sind mit allen vom Gericht für notwendig erachteten Mitteln festzustellen.

Polygraphen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, keine Fehlentscheidungen zu treffen

AG Schwäbisch-Hall

Folgerichtig führt das AG Schwäbisch-Hall – und diesen Ausführungen folge ich – zu Recht aus:

Dabei verpflichtet der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG die Familiengerichte in Kindschaftsverfahren im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen. In besonderer Weise ist das Familiengericht gehalten, die vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und auf diese Weise nach Möglichkeit zu vermeiden, dass sich die Grundsätze der Feststellungslast zu Lasten des Kindes auswirken (BGH, Beschluss vom 17.02.2010 – XII ZB 68/09 -, NJW 2010, 1351 (1353)). Dies ist letztendlich der entscheidende Aspekt, warum der Polygraph im familiengerichtlichen Verfahren zuzulassen ist, da er – ungeachtet des Meinungsstreits – die Wahrscheinlichkeit zum Wohl des Kindes erhöht, dass das Familiengericht weder in Bezug auf den Kindeswohlaspekt 1 noch in Bezug den Kindeswohlaspekt 2 eine Fehlentscheidung trifft. Denn das Familiengericht trifft letztendlich in derartigen Fällen Entscheidungen, die das Leben eines minderjährigen Kindes betreffen und entscheidende „Weichen“ für die Zukunft dieses jungen Menschen stellen.

AG Schwäbisch-Hall, Beschluss vom 25.10.2021 – 2 F 150/20

Wissenschaftliche Stimmen pro Polygraph

Polygrafie (…) ist ein gut überprüfbares, zuverlässiges Verfahren

Dettenborn und Walter

Dabei weißen Dettenborn und Walter in Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022 auf S. 376 auf folgendes hin, was ich oben bereits angedeutet habe:

„Die Polygrafie-Methode ist ein spezieller Bereich, in dem aussagepsychologische Kompetenz genutzt werden kann. Wenn im Falle eines sexuellen Missbrauchsverdachts die Aussagen eines Kindes wegen zu geringen Alters, wegen geistiger Mehrfachbefragungen bzw. Behinderung oder infolge suggestiver nach Fremdeinflüssen zeugenschaftlich nicht verwertbar sind, andere Beweise aber nicht zur Verfügung stehen und trotzdem entschieden werden muss, dann ist die Polygrafie-Methode d. h. die physiopsychologische Aussagebeurteilung (alltagssprachlich ‚Lügendetektion’), ein gut überprüftes, vergleichsweise (z. B. Glaubhaftigkeitsgutachten) zuverlässiges Verfahren.“

Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie

Zudem, hierauf weisen Dettenborn und Walter zurecht hin, gibt es keine andere Möglichkeit bei Missbrauchsverdacht, die eigene Unschuld zu beweisen, weshalb der Beschuldigte einen Anspruch hierauf habe, auch um die sozialen Beziehungen aufrechterhalten zu können (Vermeidung einer Stigmatisierung) und um das Interesse des Kindes an kindeswohldienlichen Beziehungen zu beiden Eltern aufrecht zu erhalten.

Auch Salzgeber äußert sich seit 2001 hierzu:

„Der Polygraph kann im Rahmen der familienpsychologischen Verfahren z. B. dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Raum steht [Fn. 611: Siehe Undeutsch FamRZ 1996, 329 — 331]. Es bietet sich der Einsatz immer dann an, wenn das Kind so jung ist, dass weder eine konkrete Aussage vorliegt noch erwartet werden kann oder wenn möglicherweise durch falsche Begutachtung oder falsche aufdeckende Arbeit die Aussage bereits so manipuliert worden ist, dass auf eine zugrundeliegende Tat nicht mehr geschlossen werden kann, der Vorwurf aber dennoch weiter im Raum bleibt [Fn. 612: Siehe: Endres/Scholz NStZ 1994, 473]. […]

Sollte jemand zu Unrecht beschuldigt werden, und dies ist im Familienrechtsverfahren nicht selten der Fall, so wird damit ja nicht nur die familiäre Beziehung zum Kind belastet, wenn nicht gar zerstört, sondern auch möglicherweise eine berufliche Karriere behindert oder soziale Eingebundenheit zerstört (S. 209).“

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, Auflagen ab 2001 (mit verändertem Text), aktuell Rn. 843 in gekürzter Fassung

Leider gibt es nur wenige echte Experten, die den Polygraphentest nutzen können (Salzgeber aaO). Daher begrenzt das AG Bautzen die in Betracht Ziehung von solchen Gutachten auf Fachpsychologen für Rechtspsychologie, die nachgewiesenermaßen mit der physiopsychologischen Methode vertraut sind und über eine spezielle Ausbildung verfügen zur fachgerechten Bedienung eines Polygrafen und der Interpretation seiner Aufzeichnungen (vgl. Uni Passau).

Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs erfolgt die polygraphische Aufzeichnung auch eher aus dokumentierendem Anlass, weshalb Undeutsch und Klein auch den Begriff „forensisch-physiopsychologische Begutachtung“ geprägt, den die Wissenschaft auch verwendet, der vorallem aber verdeutlicht, dass die technischen Aspekte hinter die Aussagepsychologie zurückzutreten haben und nur deren Qualität erhöhen. Vereinfacht ausgesprochen: Wer die Aussagepsychologie anerkennt als geeignetes Beweismittel, muss das mehr, das die physio-psychologische Begutachtung mit sich bringt, erst recht zulassen.

Konklusion: Polygrafie ist geeignet

Im Hinblick auf die oben dargelegten Aspekte ist daher die psycho-physiologische Aussagebegutachtung bzw. der Polygraf/“Lügendetektor“ hervorragend geeignet, um als eines von mehreren Aspekten die Unschuld zu beweisen. Die forensisch-physiopsychologische Begutachtung ist dabei nur ein Aspekt der anerkannten Aussagepsychologie. Andere Mittel des Unschuldsbeweises gibt es nicht. Insbesondere wenn eine Manipulation des Opfers oder altersbedingt/zeitablaufbedingt keine weiteren Beweismittel gewonnen werden können, bietet sich diese Methode an. In Zeiten, in denen Richter bei Glaubhaftigkeitsbewertungen regelmäßig versagen und Gutachten oft so schlecht sind, dass man hiermit nicht einmal die Mülleimer belasten kann, müssen seriösere Methoden zugelassen werden. Dies gilt umso mehr, als dass diese Methode im fairen Verfahren nur eines von vielen Beweisaspekten sein wird.

Zudem hat sich die Fragetechnik in den letzten Jahren erheblich verbessert, so dass auch aus diesen Aspekten keine wissenschaftlichen Bedenken mehr herleiten lassen.

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Gutachtenstelle Stuttgart GmbH / Dr. Arnscheid

Werden Daten der Gutachtenstelle Stuttgart GmbH ohne Rechtsgrundlage weitergegeben, auch wenn diese aus Nichtöffentlichen Verfahrensakten herrühren? Diesbezüglich sind mir die Gutachtenstelle Stuttgart GmbH und deren Geschäftsführerin Dr. Arnscheid unlängst in den Fokus gelangt. Ähnlich wie im fehlerhaften Vorgehen von Prof. Dr. Michael Günter scheint auch in Stuttgart die Auffassung vertreten zu werden, dass man mit Daten aus nichtöffentlichen Verfahren machen könne, was man wolle. Wie ich zu dieser Einschätzung komme, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart GmbH und Dr. Arnscheid

Mir liegt ein Schreiben dieser Gutachtenstelle Stuttgart GmbH vor, in dem eine Sekretärin mitteilt, der Gutachterauftrag eines Amtsgerichtes würde ausgeführt durch die benannte Gutachterin.

Eine Prüfung der Frage, ob die Gutachterin qualifiziert genug ist im Sinne der Mindestanforderungen, scheint nicht stattgefunden zu haben. Das kann auch kaum eine Sekretärin entscheiden. Das ist Aufgabe der benannten Sachverständigen.

Relevant ist aber die folgende Ankündigung:

Ausschnitt aus dem Dokument, das hier vorliegt

„Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen werden im Rahmen unserer Qualitätssicherung mit Frau Dr. Arnscheid persönlich beraten und abgestimmt. Das Gutachten wird entsprechend gegengezeichnet.“

Darf ein neutraler Gutachter das Ergebnis seines Gutachtens „abstimmen“ mit dritten Personen? Ich sage nein. Eine gesetzliche Grundlage gibt es hierfür nicht. Ein Gutachter muss selbst auf Basis der Wissenschaft zu einem Ergebnis kommen. Dabei werden persönliche Aussagen, Aktendetails, Interaktionen und gegebenenfalls medizinische Diagnosen und psychologische Tests anhand psychologischer Fragen bewertet, also Daten, die vertraulich sind. Einfach so und ohne Rechtsgrundlage?

Das Ergebnis eines Gutachtens muss offen und neutral sein, es kann nicht „abgestimmt“ werden. Eine Abstimmung der Ergebnisse von Gutachten mit denn Gerichten hatte bereits Prof. Dr. Gresser und Jorden im Aufsatz „Gerichtsgutachten. Oft wird die Tendenz vorgegeben.“ kritisiert.

Ein solches Gutachten, bei dem ein Ergebnis abgestimmt wird, ist nicht neutral erstattet.

Strafbarkeit der Gutachtenstelle Stuttgart?

Die Gutachtenstelle Stuttgart scheint einige Probleme mit der Schweigepflicht von Sachverständigen zu haben. Und eine Schweigepflicht nach §203 StGB des gerichtlich bestellten Sachverständigen scheint auch nicht zu existieren. Eine Weitergabe von nichtöffentlichen Verfahrensunterlagen an irgendwelche Menschen, egal ob diese Psychologe sind oder nicht, scheidet grundsätzlich aus. Denn ein solches Verhalten ist strafbar gem. §203 StGB, wie das Kammergericht Berlin bereits festgestellt hat.

Absatz 2 des §203 StGB lautet insoweit:

„(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
(…)
5. öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist“

Eine Ausnahme sieht das Gesetz nur bei der Ausbildung vor, vgl. Abs. 3. Aber wie sich oben ergibt ist die Gutachterin ja gerade nicht in Ausbildung. Und ich glaube auch nicht, dass Frau Dr. Arnscheid behaupten wird, sie selbst wäre noch ausbildungsbedürftig. Eine Mitwirkungspflicht i.S. §203 III StGB ergibt sich ebenfalls nur dann, wenn dies im Beweisbeschluss vorgegeben wäre.

Das Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart dürfte daher strafrechtliche Relevanz haben. Denn Daten aus Kindschaftssachen sind nichtöffentlich i.S. §170 GVG, um die Persönlichkeitsrecht der Eltern und Kinder zu schützen. Hiergegen zu verstoßen ist unprofessionell, genau so wie wenn ein Richter aus einer Akte in der Sauna zitiert oder ein Anwalt sich am Stammtisch über seinen Mandanten äußert.

Zur einfachen Verständlichkeit beinhalten Sachverständigenordnungen oft folgenden Passus:

„Dem Sachverständigen ist untersagt, bei der Ausübung seiner Tätigkeit erlangte Kenntnisse Dritten unbefugt mitzuteilen oder zum Schaden anderer oder zu seinem oder zum Nutzen anderer unbefugt zu verwerten. Der Sachverständige hat seine Mitarbeiter zur Beachtung der Schweigepflicht zu verpflichten.“ (vgl. hier) Gutachter, die ihr Handwerk verstehen, müssten soetwas wissen.

DSGVO und Gutachtenstelle Stuttgart

Aber auch nach der Datenschutzgrundverordnung ist dieses Vorgehen rechtswidrig. Hierfür muss die Geschäftsführerin Dr. Arnscheid einstehen. Denn Art. 5 DSGVO fordert die Datenminimierung ein. Das heißt, es dürften nur die Daten erhoben werden, die man wirklich benötigt. Und weitergegeben werden darf nur das, was auch wirklich weitergegeben werden muss, um die rechtmäßige Datenerhebung des Auftrags zu erfüllen.

Das Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart im obigen Verfahren ist daher datenschutzwidrig und dürfte Schadensersatzansprüche auslösen i.S. Art. 82 DSGVO i.V.m. §§823 II BGB, 203 II StGB.

Zudem ist die Datenschutzerklärung falsch:

„Die Aufträge werden von der GA-ST an die Gutachter weitervermittelt und schließlich an diese „ad personam“ übergeben. Anschließend erfüllt die GA-ST nur noch beratende, organisatorische, buchhalterische und logistische Aufgaben.“

Datenschutzerklärung

Lassen wir es einmal außen vor, dass „beratende“ Tätigkeit und „gutachterliche Tätigkeit“ sich gegenseitig ausschließen. Lustig ist, wenn man dann weiter liest. Denn man trägt vor, dass nur der Auftraggeber das Gutachten weitergeben darf:

Die fertiggestellten Gutachten werden original unterschrieben an den Auftraggeber übersandt. Die Entscheidung darüber, welche weiteren Personen vom Inhalt der Gutachten Kenntnis erlangen dürfen bzw. das Dokument ausgehändigt bekommen, liegt allein bei den Auftraggebern, nicht bei den Gutachtern. Diese sind ihrerseits nicht befugt, Gutachten herauszugeben.

Datenschutzerklärung Gutachterstelle Stuttgart

Einen Datenschutzbeauftragten scheint es nicht zu geben, ich habe jedenfalls keinen gefunden.

Liest man weiter, findet man einen klaren Widerspruch:

Zur Qualitätssicherung dienen folgende Verfahren:

  • Erörterung der Gutachten in einem Konferenz- und Expertensystem unter Wahrung der Anonymität
  • Persönliche Supervision und Gegenzeichnung der Gutachten durch Herrn Prof. Dr. du Bois (Facharzt für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Forensische Kinder- und Jugendpsychiatrie ) und/oder Frau Dr. Judith Arnscheid Verhaltenstherapeutin für Kinder-, Jugendliche und Erwachsene, Fachpsychologin für Rechtspsychologie (Geschäftsführung der GA-ST), Frau Bettina Wernecke, Fachpsychologin für Rechtspsychologie
Webseite Gutachtenstelle

Einerseits sagt man, die Daten werde nicht geteilt, dann wieder anonym diskutiert und dann doch von einer weiteren Person unterzeichnet. Ich finde, man muss sich schon entscheiden, was man machen möchte – unabhängig davon, ob dies rechtlich zulässig ist. Die Datenschutzerklärung ist daher grob falsch und widersprüchlich.

Sonderregelungen im Bundesland Baden-Württemberg

Wie wir bereits im Fall von Herrn Prof. Dr. Günter gefragt hatten, dürfte so ein Vorgehen per se zu unverwertbaren Gutachten führen, weil hier Menschen Gutachten bewerten, die die Personen, die exploriert wurden, gar nicht kennen. Dieses Vorgehen ist fachlich falsch, wie sich aus Ventzlaff/Foerster, Das psychiatrische Gutachten, S. 70, ergibt. Umso erstaunlicher ist, dass der Kollege von Prof. Dr. Günter, Prof. Dr. Reinmar du Bois, mit in der Gutachterstelle sitzt. Günter und du Bois bilden gemeinsam neue „Experten“ aus.

Sind Gutachten der Gutachtenstelle Stuttgart unverwertbar?

Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Doch wenn an einem Gutachten eines Sachverständigen der Gutachtenstelle Stuttgart weitere Personen mitwirken, die im Beweisbeschluss nicht benannt sind, ohne dass der Sachverständige von der Schweigepflicht entbunden wurde, ist dies unverwertbar.

Ein Ergebnis kann ein Sachverständiger nur auf eigene Explorationen stürzen. Es darf doch nicht bewerten, was ein anderer Verstanden hat, er muss bewerten was jemand sagte.

Zudem macht es auch keinen Sinn, warum 2 Personen einen Sachverhalt bewerten sollten, wenn einer ausreicht. Ein Gutachter, der sein Gutachten mit Dritten abstimmt, ist zudem nicht mehr neutral.

Gleichwohl sollte jeder eine Einzelfallprüfung vornehmen, um die Frage zu beantworten, ob in seinem Fall Schadensersatzansprüche gem. §839a BGB oder Art. 82 DSGVO und §823 II BGB i.V.m. §203 StGB bestehen.

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Wie bereite ich mich auf ein Gutachten vor?

Viele Eltern fragen es sich, wenn ein Beweisbeschluss erlassen wurde: Wie bereite ich mich auf ein Gutachten vor, egal ob familienpsychologisch, psychiatrisch oder auf sonstige Weise. Für die Gutachter sind vorbereitete Probanden ein Problem, weil diese nicht mehr unbekümmert fehlerhafte Aussagen machen, die man zu Lasten der Personen berücksichtigen kann. Eine Vorbereitung auf ein Gutachten ist daher wichtig und sollte sowohl persönlich als auch rechtlich erfolgen. Denn Gutachten vorbereiten ist nicht schwer.

So bereite ich mich auf ein Gutachten vor

Als erstes sollte man den Beweisbeschluss kennen und gegebenenfalls in die richtigen Bahnen lenken. Davon ausgehend kann man dann ungefähr voraussagen, welche Inhalte das Gutachten haben wird. Es geht hier um psychologische Fragen im Gutachten. Auf diese psychologischen Fragen kann man sich vorbereiten. Insbesondere beim Thema Bindungstoleranz sollte man eben wissen, dass man auch die Erziehungsleistung des anderen Elternteils und die Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind anerkennen muss.

Antworten auf psychologische Fragen vorbereiten

Man kann sich also auf die psychologischen Fragen vorbereiten. Damit meine ich nicht, dass man Antworten auswendig lernen sollte. Aber man sollte die eigene Einstellung zu den Problemen, die sich aus den Fragen ergeben, hinterfragen, recherchieren oder sich Coachen lassen. Natürlich kann es auch hilfreich sein, Fachliteratur zum Thema zu lesen.

Wenn man vorher weiß, dass bestimmte Probleme ein Thema sein werden (Alkoholsucht, Aggression usw.), sollte man sich vorbereiten und mitteilen können, was man konkret getan hat, um eine Situationsverbesserung herbeizuführen. Dazu muss man aber die Wirkweise von Alkohol oder Substanzen kennen. Hilfreich ist es dort oft auch, wenn man belegen kann dass man sich fachkundig beraten und unterstützen lässt.

„Was soll schon passieren“

Die oft geäußerte Aussage, was denn passieren soll, oder von Anwälten kommunizierte Aussagen wie „sie sind doch ein guter Elternteil“ hingegen sind wenig hilfreich. Fehler vermeiden wie „sich zu negativ über den anderen Elternteil äußern“ oder eben bestimmte Verhaltensweisen nicht zu hinterfragen sind dazu geeignet, dass man die Situation oft verkennt und damit schlechte Karten hat.

Kenne Deine Akte!

Die beste Vorbereitung auf ein familienpsychologisches Gutachten ist es also, die Akte zu kennen. Wer die Akte kennt, kann sich auf die psychologischen Fragen vorbereiten. Wer alle Vorwürfe kennt, kann mit diesen Souverän umgehen.

Wichtig ist, dass der Gegenüber, gleich ob Richter oder Gutachter, nicht den Eindruck hat, dass man keinen Überblick hat oder überheblich agiert.

Sich auf ein familienpsychologisches Gutachten vorzubereiten ist daher gar nicht so schwer. Wer dabei Hilfe braucht kann sich gerne an unsere Hotline wenden.

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Gutachten

Unterschied Befundtatsache und Anknüpfungstatsache

Der Unterschied Befundtatsache und Anknüpfungstatsache ist für viele nicht klar, rechtlich hat er auch wenig Bedeutung. Denn falsche Anknüpfungstatsachen oder falsche Befundtatsachen führen immer zu einem unverwertbaren Gutachten (vgl. BGH XII ZB 68/09, dort Randnummer 42).

Was sind Anknüpfungstatsachen?

Anknüpfungstatsachen stehen bereits vor seiner Tätigkeit prozessual fest (vgl. Wikipedia). Es sind also Informationen aus der Akte, aus Zeugenvernehmungen durch das Gericht, aus Beweismitteln. Wichtig ist, dass diese vor der Erhebung eines Sachverständigengutachtens bereits vorhanden sind.

Manchmal spricht man aber auch von Anknüpfungstatsachen im Gutachten (vgl. Rechtslupe). Damit gemeint sind aber in der Regel die Befundtatsachen.

Was sind Befundtatsachen?

Befundtatsachen sind Tatsachen, die ein Sachverständiger aufgrund seiner Fachkenntnis ermittelt. Das sind zum Beispiel Voraussetzungen von Diagnosen nach ICD 10 (wie ich hier am Beispiel Borderline vorgestellt habe), also Muster von instabilen zwischenmenschlichen Beziehungen, Identitätsstörungen, Impulsivität usw.

Doch Suizidalität zum Beispiel wäre keine Befundtatsache, weil für diese keine Fachkenntnis notwendig ist. Suiziddrohungen sind Fakten, die auch Richter ermitteln kann durch Anhörung der Partei, Zeugenaussagen oder Vorlesen von medizinischen Diagnosen, die vor dem Gutachten erstellt oder zu diesem gereicht wurden. Solche neuen Tatsachen nennt man dann „Zusatztatsachen“.

Was sind Zusatztatsachen?

Zusatztatsachen sind solche, die der Gutachter während seines Gutachtens erfährt, die aber grundsätzlich auch das Gericht mit den prozessualen Mitteln erheben könnte. Es sind also neue, zusätzliche Daten.

Sind Anknüpfungstatsachen, Befundtatsachen und Zusatztatsachen Daten i.S. der DSGVO?

Anknüpfungstatsachen, Befundtatsachen und Zusatztatsachen sind personenbezogene Daten i.S. der DSGVO, dort Art. 4 Nr. 1. Dieser lautet:

„personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann;

DSGVO Art. 4

Damit gilt aber auch das Recht auf Berichtigung, wenn diese Tatsachen / Daten falsch sind. Man hat also bei Anknüpfungstatsachen, Befundtatsachen und Zusatztatsachen einen Berichtigungsanspruch gem. Art. 16 DSGVO.

Dieser Berichtigungsanspruch ist unabhängig von den Ansprüchen aus §839a BGB und auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 I GG.

Gutachten und falsche Befundtatsachen

Sind in einem Gutachten falsche Befundtatsachen benannt, dann wird das Gutachten unverwertbar. Die Rechtslage ändert sich also nicht, wenn man zwischen Befund-, Anknüpfungs- und Zusatztatsachen entscheidet. In jedem Fall sind diese unverwertbar. Es gibt also keinen Unterschied Befundtatsache und Anknüpfungstatsache in rechtlicher Hinsicht.

Ich verstehe nur Bahnhof?

Dann lass Dir bei der Analyse Deines Gutachtens helfen:

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Gutachten

Psychologische Fragen im Gutachten

Psychologische Fragen im Gutachten betreffend Umgang und Sorgerecht muss der Sachverständige aus der gerichtlichen Fragestellung herleiten (vgl. Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht).

Dabei hat der Gutachter einen weiten Spielraum, welche konkreten Fragestellungen er psychologisch stellt und antworten findet.

Psychologische Fragen

Ich schreibe hier einige Fragestellungen, die ich so oder ähnlich in vielen Gutachten finde. Wenn ein Gutachter hiervon abweicht, muss das nicht falsch sein, aber er muss sein Abweichen vom Üblichen begründen.

Kompetenzen der Eltern

Zuerst werden Erkenntnisse zu Kompetenzen der Eltern abgefragt. Dies können beispielsweise die folgenden sein:

Erzieherische Kompetenzen: Hierunter sind die Fähigkeiten, essenzielle Ge- und Verbote zu setzen zu sehen sowie die Möglichkeit von Grenzsetzungen. Alle diese Maßnahmen müssen das Kind in seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit, die sich in die Gemeinschaft sozial integrieren kann, unterstützen.

Betreuungskompetenz spielt in Umgangsgutachten eine wesentliche Rolle.

Bindung ist insbesondere bei Sorgerecht, aber auch bei Umgangsrecht zu prüfen. Bindung ist nach Dettenborn eine dauerhafte und intensive emotionale Orientierung an einer anderen Person. Jede sichere Bindung ist positiv für ein Kind und steigert die kindliche Motivation, Umgang mit dem Umgangselternteil zu haben (August-Frenzel und Kindler 1997).

Auch die Kooperationsfähigkeit oder Bindungstoleranz ist zu berücksichtigen. Gemeint ist die Fähigkeit von Eltern, die Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind sowie die Erziehungsleistung des anderen Elternteils zu erkennen und positiv zu bewerten.

Auch die Frage nach Manipulationen kann hierunter fallen, diese schaden einem Kind (vgl. Salzgeber 2020).

Auch die Entwicklung und der Status der Beziehung der Eltern sowie des Konfliktniveaus derselben sind darzustellen. Das hängt mit der Kooperationsfähigkeit zusammen, aber auch dem Konfliktniveau, der Frage nach Hochstrittigkeit, die das Kind belasten kann und negative Auswirkungen hat usw.

Kinderbezogene Aspekte

Kinderbezogene Aspekte sind v.a. Wunsch und Wille.

Der Wunsch und Vorstellung über Umgang oder Sorgerecht sowie der Wille des Kindes diesbezüglich sind auch zu berücksichtigen.

Freilich muss dies je nach Alter unterschiedlich interpretiert werden. Kinder, deren Wünsche berücksichtigt werden, werden in der Selbstwirksamkeit und dem Selbstbewusstsein gestärkt. Sie lernen also, durch eigene Handlungen oder Aussagen das Leben und Ereignisse, insbesondere negativer Art, zu beeinflussen (vgl. Dettenborn 2017).

Aber auch die Entwicklung des Kindes spielt eine Rolle, insbesondere besondere Bedürfnisse bei Behinderungen o.ä.

Fragen zur Ergebnisfindung

Aus diesen Aspekten ist dann die Fragestellung zu beantworten, ob dies und wenn ja welche negativen Auswirkungen auf ein Kind oder Belastungen daraus herrühren. Dies wird für die Ergebnisfindung relevant.

Fragestellungen nach den Mindestanforderungen

In den Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen sind die folgenden psychologischen Fragen formuliert:

  • der familiären Beziehungen und Bindungen;
  • der Ressourcen und Risikofaktoren in der Familie;
  • der Kompetenzen der Eltern/Sorgeberechtigten, ihrer Erziehungsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme, Bindungstoleranz;
  • des Entwicklungsstands, der Bedürfnisse des Kindes, des Kindeswillens, der
  • Kompetenzen und der aktuellen Situation des Kindes, evtl. besonderer Belastungen und Beeinträchtigungen.

Fragestellungen und Weigerung, am Gutachten teilzunehmen

Weigert man sich, am Gutachten teilzunehmen, dann sind diese Fragestellungen solche, an die man anknüpfen sollte rechtlich. Hierauf sollten Beweisangebote abzielen, um das Gutachten in diesen relevanten Fragen positiv zu beeinflussen. Denn keine Teilnahme heißt in der Regel Gutachten nach Aktenlage. Hier die richtigen Stichwörter zu belegen hilft Euch beim Erreichen Eures Zieles. Ich erlebe aber immer wieder, dass viele Anwälte dies nicht wissen und die richtigen Fragestellungen daher nicht per Beweisangebot oder noch besser Belegen (schriftliche Zeugenaussagen, Dokumente, eidesstattliche Versicherungen usw.) zu stellen und zu fördern. Auf diese psychologischen Fragen muss man also immer abzielen. Daher muss man diese auch kennen.

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Bücher vorgestellt Gutachten

Psychiatrische Begutachtung

Psychiatrische Begutachtung von Venzlaff, Foerster, Dreßing und Habermeyer versteht sich Gegenentwurf zu Salzgebers „Familienpsychologische Begutachtung“ und als Standardwerk, was bei psychiatrischer (und familienpsychologischer) Begutachtung zu berücksichtigen sein soll. Ich habe mich mit dem Buch auseinandergesetzt in der Erwartung, ähnlich wie bei Salzgeber wichtige Impulse und wissenschaftliche Meinungen zu finden. Was ich gefunden habe ist ein Buch voller offenkundiger Fehler und peinlicher Unwissenheit, die einen Preis von 240 € nicht wert ist. Für mich ist der Venzlaff/Foerster der teuerste Hausfrauenratgeber (für akademische Hausfrauen) allerzeiten. Das versprochene „praktische Handbuch für Ärzte und Juriste“ ist es nicht.

Rechtliche Fehler

Natürlich kann ich nur eingeschränkt Fehler bemängeln, da ich weder Arzt noch Psychiater bin. Aber ich bin Jurist. Und was ich in den ersten 10 Minuten lesen gefunden habe ist so schlecht, dass es sich nicht lohnt weiterzulesen. Hinweis an die Herausgeber: Vielleicht sollten rechtliche Kapitel auch von Juristen verfasst werden und nicht von Medizinern, die sich in ihrer Hybris dafür halten?

Die Haftung des Gutachters

Auf Seite 74 wird von Prof. Dr. med. Peter W. Gaidzik, Institut für Medizinrecht, behauptet, dass die Haftung des Sachverständigen nur Urteile oder Beschlüsse auslösen, nicht aber Vergleiche. Diese Auffassung ist falsch. Erstens wurde bereits in der Vergangenheit eine analoge Anwendung des §839a BGB diskutiert, zweitens diese Frage mit BGH III ZR 199/19 gelöst. Der Vetzaff/Foerster ist schlicht und erschreckend falsch und stellt für jeden Gutachter, der dieses Buch liest, ein Haftungsproblem dar. Lustig ist insoweit, dass man sich noch über anwaltliche Haftungsrisiken auslässt. Man kann sich der Auffassung kaum verwehren, dass zu Gunsten von Gutachtern eine eigene Haftungsrealität geschaffen werden sollte. Wissenschaftlich ist das nicht und ein Praxishandbuch sollte zumindest auch die maßgebliche Rechtsprechung kennen – die der Langhans auch kennt.

Familienpsychologische Gutachten

Für das Kapitel Familienpsychologische Gutachten wurde der Jurist Psychiater Michael Günter gewonnen. Auch er ist uns bekannt.

Prof. Dr. Günter, Psychiater, kommentiert zu familienpsychologischer Begutachtung und spricht auf Seite 673 von „Verfahrenspfleger„, die es so seit 1. September 2009 in Kindschaftssachen nicht mehr gibt mit der Einführung des Verfahrensbeistandes . Seine Auffassung, „das Gesetz nennt das so“, ist schlicht seit Jahrzehnten falsch. Es ist bedenklich, wenn Wikipedia und das Gesetz mehr wissen als ein Schinken für 240 Euro.

Aber das ist noch nicht alles. Er zitiert noch die Mindestanforderungen.
Auf Seite 687 zitiert er diese Standards „“Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen“ von 2015 (!) – aktuell ist aber die zweite Auflage 2019, die er selbst mitverfasst hat. Offenbar weiß er nicht einmal, was er unterschreibt, oder recherchiert nicht. Beides ist ein Offenbarungseid. Wenn man denkt für welchen Blödsinn andere ihre Doktorwürde verloren haben fragt man sich schon, wie wenig Niveau gefordert wirrd.

Fazit zum Ventzlaff/Foerster

Schlampig recherchiert, teils rechtlich vorsätzlich falsch, die meisten Aussagen aber auch nicht mit Fundstellen belegt (Stattdessen Endnoten, die Wissenschaftlichkeit vorgaukeln – für mich ist dieses Buch für einen Hausfrauenratgeber mit 240 € arg teuer, vielleicht der teuerste Hausfrauenratgeber für Akademisches Personal. Ein Handbuch für Juristen ist es nicht, in der rechtlichen Praxis mag es als Briefbeschwerer gute Dienste erweisen.

Gleichwohl sollte der Anspruch eines Standardwerkes nicht sein, die eigene Gutachterklientel zu befriedigen, sondern zu erleuchten und neue Erkenntnisse zu vermitteln.

Das gelingt hier nicht. Mal sehen, wann der Verlag reagiert. Eigentlich müsste man das Werk vom Markt nehmen.

Psychiatrische Gutachten anfechten

Psychiatrische Gutachten anfechten funktioniert daher wie Gutachten anfechten. Sprecht mich ggf. an, wenn Ihr Probleme mit Psychiatrischen Gutachten habt.

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Gutachten

Keine Pflicht, Sachverständigengutachten einzuholen

Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist das Familiengericht nicht gezwungen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Dies hat das BVerfG in der Entscheidung 1 BvR 1750/21 nochmals deutlich gemacht.

Keine Pflicht Sachverständigengutachten einzuholen

Konkret führt das BVerfG in Fortführung der bisherigen Rechtsprechung aus:

Die Fachgerichte sind demnach verfassungsrechtlich nicht stets gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>).

BVerfG aaO

Ohne Gutachten mehr Beweiserhebung

Doch hat dieses Vorgehen für das Gericht auch Nachteile. Denn wenn es kein Gutachten einholt, muss es anderweitig dafür sorgen, dass es zuverlässige Entscheidungsgrundlagen gibt:

Wenn sie von der Beiziehung eines Sachverständigen absehen, müssen sie anderweitig über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen (vgl. BVerfGK 9, 274 <279>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. April 2021 – 1 BvR 1839/20 -, Rn. 20 m.w.N.).

BVerfG aaO

Abweichen vom familienpsychologischen Gutachten

Doch auch hiermit hat es noch kein Ende: Denn selbst wenn man ein Gutachten einholt, kann man als Richter davon abweichen. Doch auch hier ist der Preis ein mehr an Arbeit und Begründung:

Die Verfassung schließt zudem nicht aus, dass das Fachgericht im Einzelfall von den fachkundigen Feststellungen und Wertungen gerichtlich bestellter Sachverständiger abweicht. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht zu einer abweichenden Einschätzung und Bewertung von Art und Ausmaß einer Kindeswohlgefährdung oder der dem Kindeswohl am besten entsprechenden Entscheidung gelangt. Es muss dann aber eine anderweitige verlässliche Grundlage für eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung haben und diese offenlegen. Ein Abweichen von den gegenläufigen Einschätzungen der Sachverständigen bedarf daher eingehender Begründung (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. April 2021 – 1 BvR 1839/20 -, Rn. 20 m.w.N.).

BVerfG aaO

Konklusion

Selbst wenn die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe es hergibt, dass man kein Gutachten einholt oder dass vom Ergebnis desselben abgewichen wird, führt dies nur zu einem mehr an Arbeit für den Familienrichter. Er hat also gerade keine Motivation, auf ein Gutachten zu verzichten oder hiervon abzuweichen. Die ausführliche Begründung braucht es für ein dem Gutachter folgen nicht, nur wenn man abweicht.

Die Entscheidung des BVerfG ist daher wichtig und richtig, sie eröffnet den Richtern aber auch den Weg in die Bequemlichkeit.

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Gutachten

Anforderungen an die Qualifikation von Sachverständigen

Das OLG Schleswig hat sich mit seiner Entscheidung 13 UF 4/20 vom 07.05.2020 mit den Anforderungen an die Qualifikation von Sachverständigen bei familienpsychologischen Gutachten auseinandergesetzt.

OLG Schleswig zur Qualifikation von Sachverständigen

Auf Seite 727 der NZFam führt der Senat zu Anforderungen an den Beweisbeschluss und an die
Qualifikation des für ein familienpsychologisches Gutachten
hinzuzuziehenden Sachverständigen aus:

Die „Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten“ hat unter Beteiligung von Vertretern juristischer,
psychologischer und medizinischer Fachverbände, der Bundesrechtsanwalts- und der Bundespsychotherapeutenkammer, fachlich begleitet durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und unterstützt durch den XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes unter Einbindung und Mitwirkung der Landesjustizministerien die sog. „Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht“ als Empfehlungen erarbeitet.

Diese sind im Jahre 2019 in 2. überarbeiteter Auflage erschienen. Unter anderem war auch das Institut für Soziale Arbeit (ISA) beteiligt.

Auch wenn diese Empfehlungen keine Kriterien im Sinne rechtlich verbindlicher Mindeststandards darstellen, so dienen sie doch der Konkretisierung der in § 163 I FamFG formulierten Anforderungen an die in Kindschaftssachen zu bestellenden Sachverständigen und die zu erstattenden Gutachten und sind nach Auffassung des Senates im Rahmen der Ausübung des
pflichtgemäßen Ermessens zu berücksichtigen, da sie eine Arbeitsgrundlage darstellen, die von den
beteiligten Experten unter Einbeziehung juristischer und psychologischer Aspekte in Kenntnis der
bestehenden Situation im Gutachterwesen erarbeitet wurden.

OLG Schleswig 13 UF 4/20 vom 7.5.2020

Mindestanforderungen definieren i.S. §163 FamFG die Frage der Qualifikation von Sachverständigen

Kurz und knapp: Die Mindestanforderungen definieren als Auslegung des §163 I FamFG, wann ein Gutachter kompetent ist und wann ein Gutachten hinreichend gut ist.

Mindestanforderungen definieren i.S. §163 FamFG, welche Qualifikation Sachverständige haben müssen und was in ein Gutachten muss

OLG Schleswig aaO

Für mir eine längst überfällige klare Aussage zur Qualifikation von Sachverständigen und zur Anwendbarkeit der Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht, insbesondere eben auch im Hinblick auf die Gutachten.

Der Senat setzt sich noch umfangreich mit der Qualifikation von Pädagogen, Ausnahmen und Regeln auseinander, weshalb diese Entscheidung für alle zu lesen empfehlenswert ist.

Josef Salzgeber kommentiert diese Entscheidung in der FamRZ 2020, 719 ff. und erkennt an, dass die dortigen Sachverständigen nicht qualifiziert für die Beweisfrage waren, gleichzeitig das OLG anders als andere Oberlandesgerichte eben nicht jede Fortbildung ausreichen lassen wollen. Insbesondere hat das Oberlandesgericht aber, so Salzgeber zustimmend, das Gutachten inhaltlich gewürdigt und konkrete Mängel aufgezeigt. Damit wird letztlich per se die von mir „kritische Gutachtensrezension“ getaufte Vorgehensweise geadelt.

Untersuchungsplan muss vorab den Beteiligten kundgetan sein

Weiter erwähnt das Oberlandesgericht, dass eine angemessene Erklärung des Sachverständigen gegenüber den Beteiligten über die Fragestellung und den Untersuchungsplan zu erfolgen hat.

Fehlerhaft ist es danach, dies nicht zu tun, was aus dem Gutachten ersichtlich sein muss:

Dem Gutachten ist nicht zu entnehmen, dass insbesondere mit den Kindeseltern die einzelnen Schritte der Begutachtung vorab besprochen und sie auf die Freiwilligkeit der Begutachtung hingewiesen wurden.

OLG Schleswig aaO

Anwälte und Richter müssen die Qualifikation von Sachverständigen aktiv hinterfragen

Die Entscheidung zeigt, dass es sich also lohnt, sowohl die Qualifikation von Sachverständigen zu hinterfragen als auch die Gutachten an den Mindestanforderungen zu messen. Auch wenn es viele Anwälte und Richter nur ungern hören wollen: Diese Mehrarbeit lässt sich nach dieser Entscheidung, die vollkommen meiner Auffassung entspricht, nicht mehr vermeiden. Wenn ein Anwalt das nicht kann, sollte man tunlichst einen Fachmann hinzuziehen oder mich beauftragen.

Die Entscheidung des OLG Schleswig ist ein Meilenstein für die Qualität von Sachverständigengutachten und gibt der von mir lange geäußerte Auffassung, dass diese Mindestanforderungen verbindlich sind, weil sie das wissenschaftlich geschuldete wiedergeben, rückhalt.

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Gutachten

Sind Gutachten von Prof. Dr. Michael Günter fehlerhaft?

Hier liegen einige Gerichtsgutachten von Prof. Dr. Michael Günter vor, die Auffälligkeiten beinhalten und – meiner Meinung nach – Abweichungen von den Mindeststandards beinhalten, so dass der Schluss auf fehlerhafte Gutachten möglich ist. Prof. Dr. Michael Günter, langjähriger Leiter der KJP Bad Canstatt, gehört zu den fleissigen Gutachtern im „Ländle“. Er ist in ganz Baden-Württemberg unterwegs, von Ellwangen bis Freiburg. Seine Gutachten sind auch deshalb etwas besonderes, weil sie in den mir vorliegenden Fällen oft nicht die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen einhalten, obwohl er diese mit verabschiedet und unterzeichnet hat:

Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten

„Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BAG KJPP), Berufsverband für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (BKJPP), Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) vertreten durch Prof. Dr. Renate Schepker, Dr. Gundolf Berg, Prof. Dr. Michael Günter (2. Auflage)“

Mindestanforderungen Seite 1, 2. Punkt

In mir vorliegenden Gutachten kam es unter anderem zu den folgenden Auffälligkeiten, die meines Erachtens eine Unverwertbarkeit der Arbeit von Prof. Dr. Michael Günter als Familienpsychologischer Sachverständiger zur Folge haben wird.

Sind die Mindestanforderungen verbindlich?

Aus meiner Sicht sind die Mindestanforderungen verbindlich, insbesondere für die, die sie ausgearbeitet haben:

Ein psychologisches Gutachten dokumentiert ein wissenschaftlich fundiertes Vorgehen und beantwortet eine von einer Auftraggeberin / einem Auftraggeber vorgegebene Fragestellung (oder mehrere Teilfragestellungen). Die Fragestellung betrifft bestimmte Aspekte des Erlebens und Verhaltens von einer Person oder mehreren Personen. Die Fragestellung muss im Rahmen des nachfolgend beschriebenen diagnostischen Prozesses beantwortet sein. Im Gutachten muss dieser Prozess und die Beantwortung der Fragestellung nachvollziehbar dargestellt werden (Amelang et. al., Psychologische Diagnostik und Intervention).

Die Entscheidungsfindung soll mit Hilfe eines solchen Gutachtens fundierter und nachvollziehbarer getroffen werden können (Salzgeber, Rn. 1432). Denn die gewonnenen Erkenntnisse sind, wenn auch keine wissenschaftliche Arbeit im engeren Sinn, doch vor dem Hintergrund aktueller Forschungsergebnisse und auf Basis statistischer Beziehungen nachvollziehbar zu bewerten (Salzgeber, Rn. 1314).

Betroffene, Auftraggeber und Obergutachter finden hierin den Maßstab für eine Bewertung von (Familien)psychologischen Gutachten (DGPS S. 2). Der Begriff Gutachten ist nicht gesetzlich definiert, aber fachlich (Salzgeber, Rn. 1432). Die Politik erkennt diese Mindestanforderungen zudem als Rechtsverbesserung an (Winkelmeier-Becker in https://www.rtl.de/cms/aufgedeckt-falsches-gutachten-bei-sorgerechtsstreit-reporter-hilft-verzweifelter-mutter-4901881.html).

Gibt es weitere Gütekriterien für familienpsychologische Gutachten?

Daneben gibt es noch die Standards des FSLS nach Jopt und Behrend und weitere, die Salzgeber (aaO Rn. 1500) benennt oder die von Westhoff und Kluck propagierten EOD-Standards (ebenda). Im Literaturverzeichnis der österreichischen Vorgaben „Empfehlung für Sachverständigengutachten im Bereich des Familienrechts“ (siehe sozialministerium.at) sind noch die AFCC-Standards von 2006, welche Salzgeber definiert als durchaus geeignet, um „bei uns Anwendung zu finden. “

Welche wissenschaftlichen Fehler als Gutachter macht Günter?

Viele Fehler, die er aus meiner Sicht macht, finden nicht in allen Gutachten statt, manche nur in einigen, manche nur in einem. Eine individuelle Prüfung seiner Gutachten ist daher unumgänglich, die nachstehende Liste ist nur eine Möglichkeit von Fehlern, die nicht zwingend in Deinem Gutachten gegeben sein müssen. Ausgewertet habe ich so um die zehn Gutachten, die mir vorliegen.

Die nachstehende Liste stellt meine Meinung zu Fehlern in Gutachten dar, die ich in jeweils mindestens einem Gutachten von Prof. Dr. Michael Günter extrahieren konnte:

  • Er erstellt ein kinderpsychiatrisches Gutachten, obwohl der Auftrag auf ein familienpsychologisches gerichtet ist
  • Der Beweisbeschluss des Gerichtes ist im Gutachten nicht oder nicht vollständig zitiert
  • Die rechtliche Fragestellung wird nicht in eine psychologische übersetzt
  • Hypothesen werden nicht gebildet und nicht benannt
  • Eine Untersuchungsplanung ist nicht ersichtlich
  • Eine Begründung, warum ein spezifisches Testvorgehen stattfindet oder nicht stattfindet, erfolgt nicht
  • Personen, die nicht teilnehmen wollen, werden (aus deren Sicht) bedrängt, doch teilzunehmen
  • Aussagen von Betroffenen werden nicht richtig widergegeben
  • Hilfspersonen, die nicht im Beweisbeschluss benannt sind als Gutachter, nehmen die Exploration vor / Günter nimmt nicht (vollständig) an der Exploration teil
  • Die Aktenanalyse ist frei erfolgt
  • Die Gesprächsführung ist ohne einen erkennbaren Gesprächsleitfaden erfolgt
  • Die Interaktionsbeobachtung erfolgt nicht dem Stand der Wissenschaft nach
  • Die Qualifikation des Co-Gutachters entspricht nicht den Mindestanforderungen
  • Es ist nicht klar, welcher Gutachter (bei mehreren) welchen Teil des Gutachtens zu verantworten hat
  • Anknüpfungstatsachen sind falsch oder nicht richtig wiedergegeben
  • Der Beweisauftrag wird teilweise überschritten

Sicherlich ist nicht jedes Abweichen von den Mindestanforderungen bereits dazu führend, dass das Gutachten unverwertbar ist. Wenn aber mehrere der oben genannten Punkte auch bei Euch nicht eingehalten sind, dann dürfte das Gutachten nicht verwertbar sein. Gleichwohl ist eben auch nicht jeder Psychiater i.S. §163 FamFG geeignet.

Eine Liste zur Eigeneinschätzung findet ihr auf Gutachten-anfechten.de.

Wie wehre ich mich gegen ein Gutachten von Prof. Dr. Michael Günter?

Am Besten ist es, wenn Ihr bereits beim Beweisbeschluss darauf hinweist – falls dieser eine familienpsychologische Fragestellung beinhaltet – dass Prof. Dr. Michael Günter eben nur Kinder- und Jugendlichenpsychiater ist. Psychologische Fragestellungen sind daher nicht seine Kernkompetenz, unabhängig von §163 FamFG. Mir ist auch aus keinem Gutachten bekannt, dass er diese Kompetenzen erworben hätte. Allerdings sind Psychiater in §163 FamFG aufgeführt als potentielle Gutachter.

Weiter sollte man darauf hinweisen, dass es ausreicht, einen Gutachter zu bestellen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, dass zwei Menschen die Arbeit machen, die einer erledigen kann. Eventuelle Mehrkosten sind unnötig.

Man sollte zudem einer Weitergabe der Akten an Dritte widersprechen, solange der Beweisbeschluss nicht abgeändert ist. Dies könnte nämlich ein Verstoß gegen die Schweigepflicht des Sachverständigen sein (vgl. Kammergericht Berlin).

Gleichzeitig empfehle ich, dass Ihr einen kompetenten Gutachter vorschlagt, zum Beispiel alle (!) Sachverständige der Psychotherapeutenkammer in Baden-Württemberg. Nur mit einem solchen zusammenzuarbeiten bringt das Gericht in Argumentationsnot.

Eine Rüge der Befangenheit muss Einzelfallbezogen entschieden und begründet werden. Teils meinen die Gerichte, dass die Fachlichkeit eines Gutachtens oder Gutachters nur mit dem Rechtsmittel (Beschwerde/Rechtsbeschwerde) angefochten werden kann. Ich sehe das anders.

Hat eine Haftungsklage nach §839a BGB Erfolg gegen Gutachten Prof. Dr. Michael Günter?

Auch dies ist eine Einzelfallfrage, die je nach Gutachten zu prüfen ist. Grundsätzlich sind die Erfolgschancen höher, je mehr der oben genannten Auffälligkeiten in Deinem Gutachten auch vorkommen. Jedenfalls ist mindestens eine Klage gegen Prof. Dr. Michael Günter derzeit am Landgericht Frankfurt anhängig, Az. 2-10 O 272/22. Mehr Infos zu Amtshaftungsklagen findet Ihr hier auf dem Blog oder auf Amtshaftung.org. Wusstet Ihr schon, dass die meisten Amtshaftungsklagen als Schadenersatz-Rechtsschutzfall gelten und damit versichert sind? Eine Versicherung im Familienrecht ist dafür nicht notwendig!

Für Gute Gutachten!

Dieser Beitrag ist nicht dazu da, den Gutachter Prof. Dr. Michael Günter an den Pranger zu stellen. Er ist dazu da, die tausende guten Gutachter da draussen, die einen tollen Job machen, und deren Arbeit zu schützen. Ich bin, wenn Gutachten schon sein müssen, für gute Gutachten, Nachvollziehbar und Prüffähig. Jeder Rechtspsychologe kann ein gutes Gutachten schreiben. Man muss es nur wollen und sich an ein paar einfache Regeln halten.

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