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Befangenheit Sachverständiger auch vor Gutachtenfertigstellung

Das OLG Nürnberg hat im Beschluss 7 WF 622/23 festgehalten, dass ein Sachverständiger auch vor Gutachtensfertigstellung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann. Voraussetzung hierzu ist ein zumindest grob fahrlässiges falsches Verhalten. Im entschiedenen Fall hatte der/die Sachverständige in einem anderen Verfahren mündlich Testergebnisse falsch dargestellt zum Nachteil einer Partei. Daher war die Besorgnis der Befangenheit berechtigt und der Gutachter abzulehnen.

Befangenheit des Sachverständigen vor Gutachtensfertigstellung

Die bisherige Rechtsprechung hatte weitgehend Gutachter nicht abgelehnt, solange kein Gutachten vorliegt. In der Tat bestehen viele Oberlandesgerichte sogar darauf, dass Fehler in der Begutachtung mit dem Rechtsmittel, also der Beschwerde, anzufechten seien und eine isolierte Anfechtbarkeit via Rüge der Befangenheit nicht möglich seien. Genau so hatte das Amtsgericht argumentiert:

„Das Amtsgericht wies den Antrag der Antragstellerin, den Sachverständigen Dr. S… wegen Befangenheit abzulehnen, mit Beschluss vom 07.07.2023 zurück. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung begründe der Vorwurf fehlerhafter Gutachtenerstellung infolge mangelnder Sorgfalt, unzureichender Sachkunde oder sonstiger Unzulänglichkeiten im Allgemeinen nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil diese Rüge lediglich die Qualität des Gutachtens und nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betreffe. Eine vorsätzliche Täuschung des Gerichts durch den Sachverständigen zum Nachteil der Antragstellerin sei nicht ersichtlich.“

OLG Nürnberg 7 WF 622/23

Da hier aber nicht sauber gearbeitet wurde, ergibt sich hier fehlende Unvoreingenommenheit:

„Das Beschwerdegericht kann nachvollziehen, dass sich für die Antragstellerin der Schluss ergibt, dass ein Sachverständiger, der im Hinblick auf ihre Diagnose bereits in einem mündlichen Gutachten nachgewiesenermaßen zu ihrem Nachteil unsauber gearbeitet hat, ihr nicht mehr ergebnisoffen gegenübertritt. Dies gilt umso mehr, als der Sachverständige auch in seiner mündlichen Gutachtensergänzung vom 25.11.2022 deutlich gemacht hat, dass er an seiner Einschätzung der Antragstellerin nichts geändert hat. Das Verhalten des Sachverständigen im Parallelverfahren steht in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren, in dem das schriftliche Gutachten des Sachverständigen lange überfällig ist, und ist daher geeignet, das Misstrauen der Antragstellerin im hiesigen Verfahren zu begründen.“

OLG Nürnberg 7 WF 622/23

Insoweit ist diese neue Rechtsprechung ein Meilenstein, der allerdings auch dringend notwendig ist. Wie sich diese Sichtweise in Zukunft entwickeln wird, bleibt aber abzuwarten. Es wird dabei bleiben, dass man viele Argumente sammeln und die Auswirkungen auf die fehlende Ergebnisoffenheit relevant und im Mittelpunkt der Argumentation stehen muss.

Befangenheit des Sachverständigen und Fehler im Verfahren

Folgt man der Argumentation des OLG Nürnberg, dann werden viele Sachverständige auch dann abzulehnen sein, wenn sie im selben Verfahren Fehler machen. Die dargestellten Argumente des OLG sind nämlich falsches Vorgehen zum Nachteil einer Partei. In der Tat ist der zweite Aspekt der schwierige, denn vor Gutachtenserstellung wird man kaum „zum Nachteil einer Partei“ begründen können. Sieht man aber die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht als Schutz der betroffenen Familien, dann wäre jedes Abweichen, z.B. auch die fehlende Benennung der eigenen Qualifikation, ein solcher Nachteil einer Partei.

Es bleibt also spannend, wie und ob sich die Rechtsprechung entwickeln wird. Befangenheit eines Sachverständigen wird also ein Thema bleiben, egal ob vor Gutachtenfertigstellung oder danach.

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Gutachten

BGH: Nichteinhalten von fachlichen Standards ist Fachfrage

In einer Schadenersatzklage hat sich der Bundesgerichtshof zu der Frage geäußert, ob die Fachfrage nach (Pflege)Standards in einem Beweisantrag übergangen werden kann oder nicht. Die Nichteinhaltung von fachlichen Standards ist Fachfrage, die im Ergebnis das Gericht nicht aus eigener Sachkunde prüfen kann. Daher entschied der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung VI ZR 244/21 dass eine Gehörsverletzung vorliegt. Diese Entscheidung wird auch für viele Fragen der Anfechtbarkeit von familienpsychologischen Gutachten Relevanz haben.

Im entschiedenen Fall war streitig, ob ein Beweisangebot auf Einholung eines Gutachtens notwendig war oder nicht. Zum rechtlichen Gehör führt der BGH aus:

Zum rechtlichen Gehör und der Pflicht, Vortrag wahrzunehmen sowie Nichteinhalten von fachlichen Standards als Fachfrage

„Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien
haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. Februar 2021 – VI ZR 44/20, VersR 2022, 66 Rn. 11; vom 16. August 2022 – VI ZR 1151/20, VersR 2022, 1393 Rn. 11).“

BGH vom 14.11.2023 VI ZR 244/21

Dort hatten die Ausgangsgericht überspannte Anforderungen an den Sachvortrag gestellt, die im Ergebnis eine Weigerung, Parteivortrag anzuhören, darstellt:

Überspannte Anforderungen sind eine Weigerung, Parteivortrag anzuerkennen

Dies gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat. Eine solche nur scheinbar das Parteivorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Tatrichters dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den Parteivortrag zur
Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2009 – II ZR 143/08, NJW 2009, 2598 Rn. 2; Beschlüsse vom Februar 2013 – I ZR 22/12, TranspR 2013, 430 Rn. 10; vom 16. April 2015 IX ZR 195/14, NJW-RR 2015, 829 Rn. 9; vom 21. Februar 2017 – VIII ZR 1/16, NJW 2017, 1877 Rn. 10; vom 12. Oktober 2021 – VIII ZR 91/20, NJW-RR 2022, 86 Rn. 17).

BGH vom 14.11.2023 VI ZR 244/21

Fehlende Sachkunde bei Gericht

Denn die Gerichte haben bei der Beantwortung der Frage, ob Fehler vorliegen, in der Regel nicht die notwendige Sachkunde

„Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an den Sachvortrag überspannt, sich über den Antrag der Kläger auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hinweggesetzt und die Frage, ob der Beklagten ein Fehler bei der pflegerischen Betreuung der Patientin unterlaufen ist, verfahrensfehlerhaft ohne die erforderliche Hinzuziehung eines Sachverständigen aus eigener, nicht ausgewiesener Sachkunde beantwortet hat.“

BGH vom 14.11.2023 VI ZR 244/21

Bedeutung in Familiensachen

Welche Bedeutung hat nun diese Frage in Familiensachen? Viele werden sagen, dass dort ja kein Strengbeweis gilt sondern der Freibeweis und die Amtsermittlung. Gleichwohl, sobald ein Gutachten eingeholt wird, ist hierin ein Strengbeweis gegeben i.S. §30 FamFG. Doch ist die Frage, ob ein familienpsychologisches Gutachten an die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen gebunden ist, Rechts- oder Fachfrage? Muss also hier ein Gutachten eingeholt werden?

Meiner Auffassung nach beides. Ich selbst habe ja schon vor Monaten kolportiert, dass die Einhaltung der Mindestanforderungen eine Rechtsfrage ist, die das Gericht von Amts wegen prüfen muss (oder man holt unsere Fachexpertise ein). Kommt aber das Gericht zum Ergebnis, diese wären eingehalten – trotz gegenläufigem Vortrag eurerseits) oder es lägen Fehler vor, die aber das Ergebnis nicht bedingen, liegt eine Fachfragestellung vor, die im Ergebnis nur ein Obergutachten bewerten kann.

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Angriff auf die Meinungsfreiheit? Günter-Themen-Anhänger verunstaltet

Ein Anhänger, der sich für mehr Qualität in familienpsychologischen Gutachten einsetzt und entsprechende Fragen nach Fehlern stellt (Aktion steht nicht im Zusammenhang mit mir oder meiner Webseite) wurde Gegenstand eines Angriff auf die Meinungsfreiheit: Ein Günter-Themen-Anhänger wurde verunstaltet, der/die Täter sind unbekannt.

Günter-Themen-Anhänger vor dem Angriff auf die Meinungsfreiheit

25.12.2023 abends

Bereits in der Vergangenheit soll, so die mir zugetragenen Informationen, eine Plane mit (derselben) Fragestellung ausgerechnet vor dem OLG Stuttgart von dem dort abgestellten Anhängers entwendet worden sein.

Nunmehr, also am 23.12.2023, wurde die Plane mit der Aufschrift „Sind Gutachten von Prof. Dr. Michael Günter fehlerhaft?“ mit Malerflies abgedeckt. Wer hat ein Interesse daran, einen harmlosen Anhänger so zu verunstalten? Wer hat ein Interesse daran, andere Meinungen nicht zuzulassen?

Günter-Themen-Anhänger nach dem Angriff auf die Meinungsfreiheit

26.12.2023 vormitttags

Fragen über Fragen. Hinweise, die zur Aufklärung beitragen können, bitte an mich. Ich leite diese gerne weiter. Ich möchte diesen Artikel, der sich um den Angriff auf die Meinungsfreiheit dreht, weil ein Günter-Themen-Anhänger verunstaltet wurde, mit dem folgenden Zitat beenden:

„Wer Angst um seine Autorität hat, der hat sie bereits verloren“

Reinhart Lempp

Unter diesem Motto stand eine „Hommage zum 100. Geburtstag von Reinhart Lempp“, bei dem Reinmar du Bois einen Vortrag hielt und Prof. Dr. Michael Günter die Moderation übernahm – zwei Experten auf Kinderpsychiatrischem Gebiet:

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Gutachten

Manipulation und induzierter Wille

Manipulation und induzierter Wille eines Kindes (also von einem anderen in das Kind gelegte Wille) sind Aspekte, mit denen die Gerichte und Juristen so ihre liebe Not haben. Ähnlich wie bei familienpsychologischen Fragen wird dann lieber alles in die Hände eines Fachpsychologen für Rechtspsychologie gelegt. Das ist im Ergebnis zwar richtig, verkennt aber, dass die Grundlagen der psychologischen Ergebnisse belegbare Fakten sein müssen, die zu beschaffen gerichtliche Aufgabe ist. Dazu gehört aber auch, dass man ein wenig Theorie dahinter kennt. Diese möchte ich Euch hier vorstellen. Doch Achtun: Damit ist keine fachpsychologische Bewertung verbunden, ich bin nur Jurist. Im konkreten Fall mag es also Sinn machen, einen Psychologen hinzuzuziehen.

Wann spricht man von einem manipulierten Willen?

Ein manipulierter Wille (induzierter Wille) liegt dann vor, wenn das Kind eine Meinung äußert, welche einer der Konfliktpartei nicht genehm ist (vgl. insoweit Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021, Kapitel 4.5).
Danach soll der durch Beeinflussung entstandene Kindeswille eine Induktion fremden Willens sein und damit nicht zu berücksichtigen. Insoweit ist die Bezugsperson mit mehr Kontakt und Macht im Vorteil, da diese auch mehr manipulieren könne (also die sogenannte umgangsgewährende Person. 

Das ist zum Beispiel so eine Tatsache, die man vortragen oder ermitteln kann und muss.

Was alles ist beeinflusster Wille?

Die gegenseitige Auffassung spricht davon, dass jeder menschliche Wille beeinflussbar ist, auch der Wille Erwachsener (Lempp 1983).

Erziehung insbesondere ist Beeinflussung, sodass Kinder einen Anspruch auf Beeinflussung und Erziehung haben (Lempp 1983).

Jede liebevolle Zuwendung ist Beeinflussung (Köster 1997), so dass sich die Frage stelle, dass bei Beeinflussungen mehrerer Personen sich das Kind für und gegen eine andere Beeinflussung entscheidet und diese Grundlagen zu klären sind und insbesondere jede Art von Beeinflussung seiner psychischen Prägung führt (alles zitiert nach Dettenborn).

Natürlich machen sich daher alle Eltern der Beeinflussung durch Erziehung des Kindes und Zuwendung von Liebe und Aufmerksamkeit „schuldig“. Das kann man auch vortragen und unter Beweis stellen.

Das heißt also, dass man hierzu sehr viel vor Einholung eines Gutachtens vortragen sollte – und danach auch das Gutachten auf Vollständigkeit prüft.

Verschiedene Arten der Induzierung

Komplizierter wird die Situation weiterhin, als das verschiedene Arten der Indizierung unterschieden werden müssen (vgl. Dettenborn aaO S. 94).
Wenn in einem Verfahren also von einen Manipulation gesprochen wird, dann muss zuerst mitgeteilt werden, ob und gegebenenfalls welche Form von Manipulation vorliegt. Hieran scheitern Gerichte, Anwälte, Jugendamt und Psychologen oft. 

Manipulation bedeutet, dass tatsächliche Bindungen sich im Verhalten nicht widerspiegeln

Salzgeber weist in Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020, Rn. 1104, zurecht darauf hin, dass  ein manipulierter Kindeswille dann vorliegt, wenn dieser die tatsächlichen Bindungsverhältnisse nicht widerspiegelt. Auch hierzu kann und muss man vortragen, wenn man dies behauptet.

Dies gilt umso mehr, als dass es eben kein Kriterium gibt, anhand dem man zwischen echten Äußerungen und vereinnahmten unterscheiden könnte (vgl. Kindler in Eltern-Kind Bindungen und geäußerter Kindeswille in hochstrittigen Trennungsfamilien).

Insbesondere unterscheiden Kinder nicht zwischen eigenen Aussagen und Induzierten, weshalb auch die Glaubwürdigkeitsanalyse diesbezüglich nicht hilft (Salzgeber aaO). 

Indirekte Induzierung

Die Wissenschaften unterscheiden weiter zwischen indirekter Induzierung, wie das Gewähren oder Versprechen von Vorteilen, Geschenken, Zuwendungen, Freizügigkeit.

Direkte Induzierung

Die direkte Induzierung hingegen betrifft konkret das Verändern von Einstellung und Willensinhalt von Kindern in Bezug auf bestimmte Personen und in Bezug auf die Zukunft.

Inhalte der Induzierung

Induzierte Inhalte sind vorwiegend Furcht, Ablehnung und Feindseligkeit. 
Die Behauptung, wenn  das Kind dieses oder jenes wolle, dies sei manipulierter Wille, könnte zwar Ablehnung darstellen. Dazu muss man aber vortragen und sich damit auseinandersetzen.

Zu berücksichtigen ist allerdings auch die Frage, wie das Kind trotz oder gerade wegen seines Alters diese Ablehnung begründet

Balloff in Kinder vor dem Familiengericht, 4. Auflage 2022, S. 253 ff., führt zu Recht aus, dass die Wirkfaktoren einer Manipulation darstellbar sind, sowohl auf Eltern als auch Kinderebene. Dies ist eine klare Handlungsanweisung an die Juristen, wird aber oft verkannt.

Unterbleibt dies, dann kann eben auch keine Manipulation behauptet sein.

Offene Induzierung

Offene Indizierung ist, wenn man den Gegner schlecht redet, das, was auch als bindungsintolerant auftritt. Damit wäre aber per se jedes Verfahren Manipulation, insbesondere jedes, das die Voraussetzungen des §1671 BGB bedingt, oder wenn im begleiteten Umgang bestimmte Themen nicht angesprochen werden dürfen oder der Wunsch des Kindes ignoriert werden muss).

Verdeckte Induzierung

Verdecktes Vorgehen ist die nonverbale Kommunikation, vor allem Mimik und Gestik Liebesentzug und Ähnliches. Auch hier muss es Sachvortrag geben.

Abgrenzung zur Normalität

Zu Recht weist Dettenborn (aaO S. 95) auch darauf hin, dass abgegrenzt werden muss zur normalen Erziehung, die die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes fördert einerseits gegen die Beeinflussung, bei der Ziele eines Erwachsenen im Konflikt durchgesetzt werden sollen. Äußere Anpassung und Verinnerlichung müssen vorliegen, um Induzierung anzunehmen (Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022, S. 100).  
Die Identität wird von solchen Induzierungen insoweit gestaltet, als dass diese bei Durchsetzung das Selbstvertrauen stärken, das Negieren dann aber das Gegenteil erreichen würde (vgl. hierzu auch OLG Frankfurtt 1 UF 94/93).
Das OLG Hamm hat in 11 UF 12/98 darauf hingewiesen, dass als eine Voraussetzung genannte Ablehnung von Kontakt … auf einer inneren Ablehnung beruhen muss, der tatsächliche oder auch eingebildete, nicht sachgerecht verarbeitete Ereignisse zugrunde liegen.

Auch hier muss also vorgetragen werden, welche Ereignisse es gibt, muss es Beweisaufnahmen geben usw.

Wann eine Manipulation nicht klappt

Einflüsse gegen vorhandene Einstellungen und Absichten eines Kindes sind in der Regel wenig wahrscheinlich (Dettenborn aaO S. 96).

Bedenklich, so Salzgeber, ist es insoweit, wenn man den Willen eines Kindes als nicht rational sieht und manipuliert, gleichzeitig aber dann den Willen nicht bei der gerichtlichen Regelung berücksichtigt, wie vorliegend (Salzgeber aaO).

Der Wille des Kindes sollte, so Balloff  aaO S. 251, nicht einem rechtlich wünschenswerten Ziel geopfert werden. Denn dadurch würde dieser Wille an Bedeutung verlieren.

Solch ein Wille ist, da Kinder Subjekte sind, zu berücksichtigen, weil Kinder fähig sind, sich Handlungsräume und Freiheitsgrade anzueignen.

Fazit

Hier kann und muss der Jurist die Argumente und Aspekte, wie oben oberflächlich dargestellt, bedienen, Beweise anbieten und strukturiert Belege vorlegen. Das erhöht die Chancen auf ein Gutachten oder eine Entscheidung in eurem Sinne.

Literaturempfehlungen:

Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021

Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022

Balloff in Kinder vor dem Familiengericht, 4. Auflage 2022

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020

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Gutachten

Die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (Polygraphie)

In Familiensachen mit schwieriger Beweislage kann die psycho-physiologischen Aussagebegutachtung (Polygraphie) durchaus eine wichtige Rolle einnehmen, auch wenn sie von vielen Juristen stigmatisiert wird als „vollkommen ungeeignet“. Und es gibt eine ganze Menge (familiengerichtliche) Entscheidungen, die solche Polygraphie-Untersuchungen (ggf. als eines von mehreren Beweismitteln) zulassen:

Entscheidungen mit Bezug auf die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (Polygraphie)

In den folgenden Entscheidungen wird ein Polygraphentest durchaus im Rahmen der Beweiswürdigung im Freibeweisverfahren vor dem Familiengericht zugebilligt:

OLG Bamberg 7 WF 122/94

OLG München 12 UF 1147/98

AG Bautzen 40 Ls 330 Js 6351/12 mit Hinweis auf ein familiengerichtliches Verfahren

AG Schwäbisch Hall 2 F 88/21

AG Schwäbisch Hall 2 F 150/20

OLG Dresden 21 UF 787/12

OLG Oldenburg 4 UF 60/96

Argumente für den Einsatz des Polygraphen

Das OLG München führt hierzu aus:

„Beim Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs bietet die Untersuchung mit einem Polygraphen eine sichere und schnelle Entscheidungshilfe zur Erfassung wahrheitsgemäßer Aussagen. Bei der elterlichen Sorge und dem Umgangsrecht handelt es sich um FGG-Verfahren (§§ 621 a Abs. 1621 Abs. 1 Nr. 12 ZPO), in denen der Untersuchungsgrundsatz gilt. Das Gericht hat von Amts wegen die notwendigen Tatsachen festzustellen und die objektive Wahrheit zu ergründen (Keidl-Kuntze-Winkler, FGG, 13. Auflage, § 12 RdNr. 21). Über den gesamten Inhalt des Verfahrens entscheidet das Gericht in freier Beweiswürdigung, wobei es die volle Überzeugung vom Vorliegen beweiserheblicher Tatsachen haben muß (Keidl-Kuntze-Winkler a.a.O. RdNr. 190). Kann ein entscheidungserheblicher Punkt nicht geklärt werden, ist dies zu Lasten desjenigen zu werten, den die Feststellungslast trifft (Keidl-Kuntze-Winkler a.a.O.). Beim Vorwurf sexuellen Mißbrauchs mit einem Kinde geht es regelmäßig wie auch im vorliegenden Fall, um die Behauptung des Kindsvaters, unschuldig zu sein, d.h. um den Nachweis seiner Unschuld. Die Sachlage ist damit völlig anders als im Strafprozeß (OLG Karlsruhe, StV 1998, 530).

OLG München, 25.11.1998 – 12 UF 1147/98

Die Untersuchung mit einem Polygraphen ist im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren ein geeignetes Mittel, einen Unschuldigen zu entlasten

OLG Dresden

Auf Grund der wissenschaftlichen Forschungen bietet die Untersuchung mit dem Polygraphen einen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsbeweis, wenn sie zum Ergebnis kommt, daß der Verdächtige unschuldig ist. Ergibt die Untersuchung dagegen, daß der Proband die tatbezogenen Fragen zu den konkret vorgeworfenen sexuellen Handlungen nicht wahrheitsgemäß beantwortet hat, besteht kein sicherer Nachweis, daß er die Taten tatsächlich begangen hat, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit hierfür (Undeutsch FamRZ 1996, 329 ff; Salzgeber/Stadler/Vehrs, Die psychophysiologische Aussagebegutachtung im Rahmen des Familiengerichtsverfahrens, Praxis der Rechtspsychologie 1997, 213 ff). Dies bedeutet im Ergebnis, daß der Proband dann seine Unschuld mit dieser Untersuchung nicht beweisen konnte. Bei der Untersuchung mit dem Polygraphen werden dabei üblicherweise neben allgemein gehaltenen Fragen drei Tatfragen und drei Kontrollfragen gestellt, wobei die Reaktion bei Atmung, Hautleitfähigkeit und Puls/Blutdruck gemessen wird. Erfolgt bei der Beantwortung der Tatfragen eine stärkere Reaktion als bei der Beantwortung der Kontrollfragen, spricht dies für wahrheitswidrige Angaben, im umgekehrten Fall für eine wahrheitsgemäße Aussage. Insgesamt ist die Untersuchung mit dem Polygraphen damit ein geeignetes Mittel im FGG-Verfahren, einen Unschuldigen zu entlasten (OLG Bamberg, NJW 1995, 1684). Im Sinne des Kindeswohls ist dabei auch hervorzuheben und zu beachten, daß das Kind bei einer Entlastung des Probanden regelmäßig nicht mit einem Glaubwürdigkeitsgutachten und den damit zusammenhängenden das Kind belastenden Untersuchungen überzogen werden muß. Die Anwendung des Polygraphen erfordert allerdings, wie der Sachverständige … bei seiner mündlichen Anhörung überzeugend darlegte, daß die sogenannten Tatfragen sehr exakt gestellt werden und den erhobenen Tatvorwurf präzise umfassen müssen, ferner, daß die Kontrollfragen für den Probanden eine emotionale Bedeutung haben. Werden nur allgemeine Tatfragen erhoben, wie „Haben Sie sexuelle Handlungen an Ihrem Kind vorgenommen?“, ermöglicht dies ein innerliches Ausweichen des möglichen Täters mit der Folge einer Verfälschung der Ergebnisse.“

OLG München, 25.11.1998 – 12 UF 1147/98

Polygraph ein völlig ungeeignetes Beweismittel?

Der Bundesgerichtshof hatte zuerst den Polygraphen als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen, diese Rechtsprechung dann aber in 1 StR 156/98 aufgegeben.

Gleichwohl wird in Strafsachen der Polygraphentest nach wie vor als „völlig ungeeignetes Beweismittel“ abgelehnt:

Bei einem Polygraphen handelt es sich um ein Gerät, das körperliche Vorgänge mißt, die der willentlichen Kontrolle des Untersuchten weitgehend entzogen sind (z.B. Blutdruck, Puls- und Atemfrequenz). Dem Beschuldigten werden während der Messung Fragen gestellt, deren Inhalt vom angewendeten Testverfahren abhängt.

Das Kontrollfragenverfahren geht davon aus, daß Täter und Nichttäter auf tatbezogene Fragen einerseits und nicht die Tat betreffende Fragen (Kontrollfragen) andererseits psychisch unterschiedlich reagieren. Dies soll sich in dem mit dem Polygraphen erzielten Meßergebnis niederschlagen, so daß aus einem Vergleich der unterschiedlichen Ausschläge der Meßkurven auf die Täterschaft des Beschuldigten geschlossen werden könne.

Dieses Konzept ist jedoch falsch:

Bereits die Grundannahme trifft nicht zu. Denn nach einhelliger wissenschaftlicher Auffassung ist es nicht möglich, eindeutige Zusammenhänge zwischen emotionalen Zuständen eines Menschen und hierfür spezifischen Reaktionsmustern im vegetativen Nervensystem zu erkennen. So muß beispielsweise die Veränderung des Blutdrucks nicht auf der Entdeckungsfurcht beruhen, sondern kann völlig andere, nicht erfaßbare Ursachen haben. Insbesondere ist nicht nachweisbar und deshalb für den letzt- und eigenverantwortlich entscheidenden Richter nicht überprüfbar, daß der zu Unrecht Verdächtigte emotional gelassener reagiert als der Täter. Die verbreitete Bezeichnung des Polygraphen als „Lügendetektor“ entbehrt daher jeder Grundlage.

Anderes ergibt sich auch nicht aus den Berichten über hohe „Trefferquoten“ (bis zu 98,5 %) bei der Durchführung von Studien. In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit, daß sich die in experimentellen Untersuchungen (Labor- und Analogstudien) erzielten Ergebnisse von vornherein nicht auf die gerichtliche Praxis übertragen lassen, weil die Testbedingungen der Wirklichkeit eben nicht entsprechen. Dagegen sind in Feldstudien, d.h. bei Untersuchungen anhand „echter“ Kriminalfälle gewonnene Ergebnisse deshalb ohne jeglichen Beweiswert, weil es keinen Maßstab gibt, ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es treten weitere Einwände hinzu: Die mitgeteilten Richtigkeitswerte sind Folgen der Verzerrung des statistischen Fallmaterials und daher statistisch wertlos. Aus den – ohnehin falschen – „Trefferquoten“ der Untersuchungen kann kein Schluß auf die Beweislage im konkreten Einzelfall gezogen werden.

BGH 1 StR 156/98

Ungeeignet bei hoher Trefferquote?

Der Bundesgerichtshof lehnt den Einsatz des Polygraphen daher auch deshalb ab, weil die „Trefferquote“ nicht ausreichend sein soll. Dies wird zurecht kritisiert:

Wegen der hohen Trefferquote hatte Schwabe (NJW 1982, 367) bereits 1982 die Entscheidung eines Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 18.08.1981 –2 BvR 166/81 -, NJW 1982, 375) kritisiert und von einer „brüchigen Logik“ gesprochen. Denn wenn ein Beweismittel mit einer Treffergenauigkeit von 90 % nicht ausreiche, so müsste man folglich allen Beweismitteln, deren Treffergenauigkeit sich nicht über die 90 %-Marke erhebt, ihren Beweiswert absprechen und als völlig ungeeignetes Beweismittel einstufen. Letztendlich ist in der Gerichtspraxis bekannt, dass der Zeugenbeweis hinsichtlich der Trefferquote „Lüge“ oder „Irrtum“ besonders unzuverlässig ist. Dennoch gehört die Zeugenvernehmung zu dem Beweismittel, welches in der gerichtlichen Praxis am häufigsten erhoben wird. Würden entsprechende Anforderungen hinsichtlich der Treffergenauigkeit auch an andere Beweismittel gestellt werden, bliebe letztendlich wohl nur das DNA-Abstammungsgutachten mit 99,9 %-Trefferquote als geeignetes Beweismittel für die Gerichtspraxis übrig.

AG Schwäbisch-Hall 2 F 150/20

Diese Auffassung teile ich. Schauen wir doch auf die familienpsychologischen Gutachten, bei denen bis zu 75% mangelhaft und daher im Ergebnis falsch sind (vgl. gutachten-anfechten.de). Das hat die Studie von Prof. Dr. Werner Leitner ergeben. Danach sind bei diesen Gutachten 95% aller Verhaltensbeobachtungen unsystematisch, die Gesprächsführung zu 80% unspezifiziert und zu 79% ohne Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Literatur.

Wie kann man also ein Beweismittel ablehnen, wenn man schlechtere Beweismittel regelmäßig zulässt?

Und zudem: Gelten die Einwände gegen den Polygraphen, der als psycho-physiologische Aussagebegutachtung eine andere Form der Aussagebegutachtung ist bzw. eine Fortbildung derselben um subjektive Kriterien, dann auch für das Aussagepsychologische Gutachten?

Jedenfalls muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass das Gutachten von einem echten Experten erstellt wird.

Anwendbarkeit des Polygraphen (zumindest) in Kindschaftssachen

In Kindschaftssachen gilt die Amtsermittlung und der Freibeweis, nicht der Strengbeweis des Strafverfahrens und Zivilverfahrens. Die Möglichkeiten des FamFG sind anders als in der StPO und der ZPO nicht formell aufgeführt, sondern in Kindschaftssachen vorallem am Wohl des Kindes als oberster Richtschnur orientiert.

Beweiserhebliche Tatsachen sind mit allen vom Gericht für notwendig erachteten Mitteln festzustellen.

Polygraphen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, keine Fehlentscheidungen zu treffen

AG Schwäbisch-Hall

Folgerichtig führt das AG Schwäbisch-Hall – und diesen Ausführungen folge ich – zu Recht aus:

Dabei verpflichtet der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG die Familiengerichte in Kindschaftsverfahren im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen. In besonderer Weise ist das Familiengericht gehalten, die vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und auf diese Weise nach Möglichkeit zu vermeiden, dass sich die Grundsätze der Feststellungslast zu Lasten des Kindes auswirken (BGH, Beschluss vom 17.02.2010 – XII ZB 68/09 -, NJW 2010, 1351 (1353)). Dies ist letztendlich der entscheidende Aspekt, warum der Polygraph im familiengerichtlichen Verfahren zuzulassen ist, da er – ungeachtet des Meinungsstreits – die Wahrscheinlichkeit zum Wohl des Kindes erhöht, dass das Familiengericht weder in Bezug auf den Kindeswohlaspekt 1 noch in Bezug den Kindeswohlaspekt 2 eine Fehlentscheidung trifft. Denn das Familiengericht trifft letztendlich in derartigen Fällen Entscheidungen, die das Leben eines minderjährigen Kindes betreffen und entscheidende „Weichen“ für die Zukunft dieses jungen Menschen stellen.

AG Schwäbisch-Hall, Beschluss vom 25.10.2021 – 2 F 150/20

Wissenschaftliche Stimmen pro Polygraph

Polygrafie (…) ist ein gut überprüfbares, zuverlässiges Verfahren

Dettenborn und Walter

Dabei weißen Dettenborn und Walter in Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022 auf S. 376 auf folgendes hin, was ich oben bereits angedeutet habe:

„Die Polygrafie-Methode ist ein spezieller Bereich, in dem aussagepsychologische Kompetenz genutzt werden kann. Wenn im Falle eines sexuellen Missbrauchsverdachts die Aussagen eines Kindes wegen zu geringen Alters, wegen geistiger Mehrfachbefragungen bzw. Behinderung oder infolge suggestiver nach Fremdeinflüssen zeugenschaftlich nicht verwertbar sind, andere Beweise aber nicht zur Verfügung stehen und trotzdem entschieden werden muss, dann ist die Polygrafie-Methode d. h. die physiopsychologische Aussagebeurteilung (alltagssprachlich ‚Lügendetektion’), ein gut überprüftes, vergleichsweise (z. B. Glaubhaftigkeitsgutachten) zuverlässiges Verfahren.“

Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie

Zudem, hierauf weisen Dettenborn und Walter zurecht hin, gibt es keine andere Möglichkeit bei Missbrauchsverdacht, die eigene Unschuld zu beweisen, weshalb der Beschuldigte einen Anspruch hierauf habe, auch um die sozialen Beziehungen aufrechterhalten zu können (Vermeidung einer Stigmatisierung) und um das Interesse des Kindes an kindeswohldienlichen Beziehungen zu beiden Eltern aufrecht zu erhalten.

Auch Salzgeber äußert sich seit 2001 hierzu:

„Der Polygraph kann im Rahmen der familienpsychologischen Verfahren z. B. dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Raum steht [Fn. 611: Siehe Undeutsch FamRZ 1996, 329 — 331]. Es bietet sich der Einsatz immer dann an, wenn das Kind so jung ist, dass weder eine konkrete Aussage vorliegt noch erwartet werden kann oder wenn möglicherweise durch falsche Begutachtung oder falsche aufdeckende Arbeit die Aussage bereits so manipuliert worden ist, dass auf eine zugrundeliegende Tat nicht mehr geschlossen werden kann, der Vorwurf aber dennoch weiter im Raum bleibt [Fn. 612: Siehe: Endres/Scholz NStZ 1994, 473]. […]

Sollte jemand zu Unrecht beschuldigt werden, und dies ist im Familienrechtsverfahren nicht selten der Fall, so wird damit ja nicht nur die familiäre Beziehung zum Kind belastet, wenn nicht gar zerstört, sondern auch möglicherweise eine berufliche Karriere behindert oder soziale Eingebundenheit zerstört (S. 209).“

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, Auflagen ab 2001 (mit verändertem Text), aktuell Rn. 843 in gekürzter Fassung

Leider gibt es nur wenige echte Experten, die den Polygraphentest nutzen können (Salzgeber aaO). Daher begrenzt das AG Bautzen die in Betracht Ziehung von solchen Gutachten auf Fachpsychologen für Rechtspsychologie, die nachgewiesenermaßen mit der physiopsychologischen Methode vertraut sind und über eine spezielle Ausbildung verfügen zur fachgerechten Bedienung eines Polygrafen und der Interpretation seiner Aufzeichnungen (vgl. Uni Passau).

Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs erfolgt die polygraphische Aufzeichnung auch eher aus dokumentierendem Anlass, weshalb Undeutsch und Klein auch den Begriff „forensisch-physiopsychologische Begutachtung“ geprägt, den die Wissenschaft auch verwendet, der vorallem aber verdeutlicht, dass die technischen Aspekte hinter die Aussagepsychologie zurückzutreten haben und nur deren Qualität erhöhen. Vereinfacht ausgesprochen: Wer die Aussagepsychologie anerkennt als geeignetes Beweismittel, muss das mehr, das die physio-psychologische Begutachtung mit sich bringt, erst recht zulassen.

Konklusion: Polygrafie ist geeignet

Im Hinblick auf die oben dargelegten Aspekte ist daher die psycho-physiologische Aussagebegutachtung bzw. der Polygraf/“Lügendetektor“ hervorragend geeignet, um als eines von mehreren Aspekten die Unschuld zu beweisen. Die forensisch-physiopsychologische Begutachtung ist dabei nur ein Aspekt der anerkannten Aussagepsychologie. Andere Mittel des Unschuldsbeweises gibt es nicht. Insbesondere wenn eine Manipulation des Opfers oder altersbedingt/zeitablaufbedingt keine weiteren Beweismittel gewonnen werden können, bietet sich diese Methode an. In Zeiten, in denen Richter bei Glaubhaftigkeitsbewertungen regelmäßig versagen und Gutachten oft so schlecht sind, dass man hiermit nicht einmal die Mülleimer belasten kann, müssen seriösere Methoden zugelassen werden. Dies gilt umso mehr, als dass diese Methode im fairen Verfahren nur eines von vielen Beweisaspekten sein wird.

Zudem hat sich die Fragetechnik in den letzten Jahren erheblich verbessert, so dass auch aus diesen Aspekten keine wissenschaftlichen Bedenken mehr herleiten lassen.

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Gutachtenstelle Stuttgart GmbH / Dr. Arnscheid

Werden Daten der Gutachtenstelle Stuttgart GmbH ohne Rechtsgrundlage weitergegeben, auch wenn diese aus Nichtöffentlichen Verfahrensakten herrühren? Diesbezüglich sind mir die Gutachtenstelle Stuttgart GmbH und deren Geschäftsführerin Dr. Arnscheid unlängst in den Fokus gelangt. Ähnlich wie im fehlerhaften Vorgehen von Prof. Dr. Michael Günter scheint auch in Stuttgart die Auffassung vertreten zu werden, dass man mit Daten aus nichtöffentlichen Verfahren machen könne, was man wolle. Wie ich zu dieser Einschätzung komme, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart GmbH und Dr. Arnscheid

Mir liegt ein Schreiben dieser Gutachtenstelle Stuttgart GmbH vor, in dem eine Sekretärin mitteilt, der Gutachterauftrag eines Amtsgerichtes würde ausgeführt durch die benannte Gutachterin.

Eine Prüfung der Frage, ob die Gutachterin qualifiziert genug ist im Sinne der Mindestanforderungen, scheint nicht stattgefunden zu haben. Das kann auch kaum eine Sekretärin entscheiden. Das ist Aufgabe der benannten Sachverständigen.

Relevant ist aber die folgende Ankündigung:

Ausschnitt aus dem Dokument, das hier vorliegt

„Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen werden im Rahmen unserer Qualitätssicherung mit Frau Dr. Arnscheid persönlich beraten und abgestimmt. Das Gutachten wird entsprechend gegengezeichnet.“

Darf ein neutraler Gutachter das Ergebnis seines Gutachtens „abstimmen“ mit dritten Personen? Ich sage nein. Eine gesetzliche Grundlage gibt es hierfür nicht. Ein Gutachter muss selbst auf Basis der Wissenschaft zu einem Ergebnis kommen. Dabei werden persönliche Aussagen, Aktendetails, Interaktionen und gegebenenfalls medizinische Diagnosen und psychologische Tests anhand psychologischer Fragen bewertet, also Daten, die vertraulich sind. Einfach so und ohne Rechtsgrundlage?

Das Ergebnis eines Gutachtens muss offen und neutral sein, es kann nicht „abgestimmt“ werden. Eine Abstimmung der Ergebnisse von Gutachten mit denn Gerichten hatte bereits Prof. Dr. Gresser und Jorden im Aufsatz „Gerichtsgutachten. Oft wird die Tendenz vorgegeben.“ kritisiert.

Ein solches Gutachten, bei dem ein Ergebnis abgestimmt wird, ist nicht neutral erstattet.

Strafbarkeit der Gutachtenstelle Stuttgart?

Die Gutachtenstelle Stuttgart scheint einige Probleme mit der Schweigepflicht von Sachverständigen zu haben. Und eine Schweigepflicht nach §203 StGB des gerichtlich bestellten Sachverständigen scheint auch nicht zu existieren. Eine Weitergabe von nichtöffentlichen Verfahrensunterlagen an irgendwelche Menschen, egal ob diese Psychologe sind oder nicht, scheidet grundsätzlich aus. Denn ein solches Verhalten ist strafbar gem. §203 StGB, wie das Kammergericht Berlin bereits festgestellt hat.

Absatz 2 des §203 StGB lautet insoweit:

„(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
(…)
5. öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist“

Eine Ausnahme sieht das Gesetz nur bei der Ausbildung vor, vgl. Abs. 3. Aber wie sich oben ergibt ist die Gutachterin ja gerade nicht in Ausbildung. Und ich glaube auch nicht, dass Frau Dr. Arnscheid behaupten wird, sie selbst wäre noch ausbildungsbedürftig. Eine Mitwirkungspflicht i.S. §203 III StGB ergibt sich ebenfalls nur dann, wenn dies im Beweisbeschluss vorgegeben wäre.

Das Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart dürfte daher strafrechtliche Relevanz haben. Denn Daten aus Kindschaftssachen sind nichtöffentlich i.S. §170 GVG, um die Persönlichkeitsrecht der Eltern und Kinder zu schützen. Hiergegen zu verstoßen ist unprofessionell, genau so wie wenn ein Richter aus einer Akte in der Sauna zitiert oder ein Anwalt sich am Stammtisch über seinen Mandanten äußert.

Zur einfachen Verständlichkeit beinhalten Sachverständigenordnungen oft folgenden Passus:

„Dem Sachverständigen ist untersagt, bei der Ausübung seiner Tätigkeit erlangte Kenntnisse Dritten unbefugt mitzuteilen oder zum Schaden anderer oder zu seinem oder zum Nutzen anderer unbefugt zu verwerten. Der Sachverständige hat seine Mitarbeiter zur Beachtung der Schweigepflicht zu verpflichten.“ (vgl. hier) Gutachter, die ihr Handwerk verstehen, müssten soetwas wissen.

DSGVO und Gutachtenstelle Stuttgart

Aber auch nach der Datenschutzgrundverordnung ist dieses Vorgehen rechtswidrig. Hierfür muss die Geschäftsführerin Dr. Arnscheid einstehen. Denn Art. 5 DSGVO fordert die Datenminimierung ein. Das heißt, es dürften nur die Daten erhoben werden, die man wirklich benötigt. Und weitergegeben werden darf nur das, was auch wirklich weitergegeben werden muss, um die rechtmäßige Datenerhebung des Auftrags zu erfüllen.

Das Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart im obigen Verfahren ist daher datenschutzwidrig und dürfte Schadensersatzansprüche auslösen i.S. Art. 82 DSGVO i.V.m. §§823 II BGB, 203 II StGB.

Zudem ist die Datenschutzerklärung falsch:

„Die Aufträge werden von der GA-ST an die Gutachter weitervermittelt und schließlich an diese „ad personam“ übergeben. Anschließend erfüllt die GA-ST nur noch beratende, organisatorische, buchhalterische und logistische Aufgaben.“

Datenschutzerklärung

Lassen wir es einmal außen vor, dass „beratende“ Tätigkeit und „gutachterliche Tätigkeit“ sich gegenseitig ausschließen. Lustig ist, wenn man dann weiter liest. Denn man trägt vor, dass nur der Auftraggeber das Gutachten weitergeben darf:

Die fertiggestellten Gutachten werden original unterschrieben an den Auftraggeber übersandt. Die Entscheidung darüber, welche weiteren Personen vom Inhalt der Gutachten Kenntnis erlangen dürfen bzw. das Dokument ausgehändigt bekommen, liegt allein bei den Auftraggebern, nicht bei den Gutachtern. Diese sind ihrerseits nicht befugt, Gutachten herauszugeben.

Datenschutzerklärung Gutachterstelle Stuttgart

Einen Datenschutzbeauftragten scheint es nicht zu geben, ich habe jedenfalls keinen gefunden.

Liest man weiter, findet man einen klaren Widerspruch:

Zur Qualitätssicherung dienen folgende Verfahren:

  • Erörterung der Gutachten in einem Konferenz- und Expertensystem unter Wahrung der Anonymität
  • Persönliche Supervision und Gegenzeichnung der Gutachten durch Herrn Prof. Dr. du Bois (Facharzt für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Forensische Kinder- und Jugendpsychiatrie ) und/oder Frau Dr. Judith Arnscheid Verhaltenstherapeutin für Kinder-, Jugendliche und Erwachsene, Fachpsychologin für Rechtspsychologie (Geschäftsführung der GA-ST), Frau Bettina Wernecke, Fachpsychologin für Rechtspsychologie
Webseite Gutachtenstelle

Einerseits sagt man, die Daten werde nicht geteilt, dann wieder anonym diskutiert und dann doch von einer weiteren Person unterzeichnet. Ich finde, man muss sich schon entscheiden, was man machen möchte – unabhängig davon, ob dies rechtlich zulässig ist. Die Datenschutzerklärung ist daher grob falsch und widersprüchlich.

Sonderregelungen im Bundesland Baden-Württemberg

Wie wir bereits im Fall von Herrn Prof. Dr. Günter gefragt hatten, dürfte so ein Vorgehen per se zu unverwertbaren Gutachten führen, weil hier Menschen Gutachten bewerten, die die Personen, die exploriert wurden, gar nicht kennen. Dieses Vorgehen ist fachlich falsch, wie sich aus Ventzlaff/Foerster, Das psychiatrische Gutachten, S. 70, ergibt. Umso erstaunlicher ist, dass der Kollege von Prof. Dr. Günter, Prof. Dr. Reinmar du Bois, mit in der Gutachterstelle sitzt. Günter und du Bois bilden gemeinsam neue „Experten“ aus.

Sind Gutachten der Gutachtenstelle Stuttgart unverwertbar?

Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Doch wenn an einem Gutachten eines Sachverständigen der Gutachtenstelle Stuttgart weitere Personen mitwirken, die im Beweisbeschluss nicht benannt sind, ohne dass der Sachverständige von der Schweigepflicht entbunden wurde, ist dies unverwertbar.

Ein Ergebnis kann ein Sachverständiger nur auf eigene Explorationen stürzen. Es darf doch nicht bewerten, was ein anderer Verstanden hat, er muss bewerten was jemand sagte.

Zudem macht es auch keinen Sinn, warum 2 Personen einen Sachverhalt bewerten sollten, wenn einer ausreicht. Ein Gutachter, der sein Gutachten mit Dritten abstimmt, ist zudem nicht mehr neutral.

Gleichwohl sollte jeder eine Einzelfallprüfung vornehmen, um die Frage zu beantworten, ob in seinem Fall Schadensersatzansprüche gem. §839a BGB oder Art. 82 DSGVO und §823 II BGB i.V.m. §203 StGB bestehen.

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Gutachten

Wie bereite ich mich auf ein Gutachten vor?

Viele Eltern fragen es sich, wenn ein Beweisbeschluss erlassen wurde: Wie bereite ich mich auf ein Gutachten vor, egal ob familienpsychologisch, psychiatrisch oder auf sonstige Weise. Für die Gutachter sind vorbereitete Probanden ein Problem, weil diese nicht mehr unbekümmert fehlerhafte Aussagen machen, die man zu Lasten der Personen berücksichtigen kann. Eine Vorbereitung auf ein Gutachten ist daher wichtig und sollte sowohl persönlich als auch rechtlich erfolgen. Denn Gutachten vorbereiten ist nicht schwer.

So bereite ich mich auf ein Gutachten vor

Als erstes sollte man den Beweisbeschluss kennen und gegebenenfalls in die richtigen Bahnen lenken. Davon ausgehend kann man dann ungefähr voraussagen, welche Inhalte das Gutachten haben wird. Es geht hier um psychologische Fragen im Gutachten. Auf diese psychologischen Fragen kann man sich vorbereiten. Insbesondere beim Thema Bindungstoleranz sollte man eben wissen, dass man auch die Erziehungsleistung des anderen Elternteils und die Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind anerkennen muss.

Antworten auf psychologische Fragen vorbereiten

Man kann sich also auf die psychologischen Fragen vorbereiten. Damit meine ich nicht, dass man Antworten auswendig lernen sollte. Aber man sollte die eigene Einstellung zu den Problemen, die sich aus den Fragen ergeben, hinterfragen, recherchieren oder sich Coachen lassen. Natürlich kann es auch hilfreich sein, Fachliteratur zum Thema zu lesen.

Wenn man vorher weiß, dass bestimmte Probleme ein Thema sein werden (Alkoholsucht, Aggression usw.), sollte man sich vorbereiten und mitteilen können, was man konkret getan hat, um eine Situationsverbesserung herbeizuführen. Dazu muss man aber die Wirkweise von Alkohol oder Substanzen kennen. Hilfreich ist es dort oft auch, wenn man belegen kann dass man sich fachkundig beraten und unterstützen lässt.

„Was soll schon passieren“

Die oft geäußerte Aussage, was denn passieren soll, oder von Anwälten kommunizierte Aussagen wie „sie sind doch ein guter Elternteil“ hingegen sind wenig hilfreich. Fehler vermeiden wie „sich zu negativ über den anderen Elternteil äußern“ oder eben bestimmte Verhaltensweisen nicht zu hinterfragen sind dazu geeignet, dass man die Situation oft verkennt und damit schlechte Karten hat.

Kenne Deine Akte!

Die beste Vorbereitung auf ein familienpsychologisches Gutachten ist es also, die Akte zu kennen. Wer die Akte kennt, kann sich auf die psychologischen Fragen vorbereiten. Wer alle Vorwürfe kennt, kann mit diesen Souverän umgehen.

Wichtig ist, dass der Gegenüber, gleich ob Richter oder Gutachter, nicht den Eindruck hat, dass man keinen Überblick hat oder überheblich agiert.

Sich auf ein familienpsychologisches Gutachten vorzubereiten ist daher gar nicht so schwer. Wer dabei Hilfe braucht kann sich gerne an unsere Hotline wenden.

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Unterschied Befundtatsache und Anknüpfungstatsache

Der Unterschied Befundtatsache und Anknüpfungstatsache ist für viele nicht klar, rechtlich hat er auch wenig Bedeutung. Denn falsche Anknüpfungstatsachen oder falsche Befundtatsachen führen immer zu einem unverwertbaren Gutachten (vgl. BGH XII ZB 68/09, dort Randnummer 42).

Was sind Anknüpfungstatsachen?

Anknüpfungstatsachen stehen bereits vor seiner Tätigkeit prozessual fest (vgl. Wikipedia). Es sind also Informationen aus der Akte, aus Zeugenvernehmungen durch das Gericht, aus Beweismitteln. Wichtig ist, dass diese vor der Erhebung eines Sachverständigengutachtens bereits vorhanden sind.

Manchmal spricht man aber auch von Anknüpfungstatsachen im Gutachten (vgl. Rechtslupe). Damit gemeint sind aber in der Regel die Befundtatsachen.

Was sind Befundtatsachen?

Befundtatsachen sind Tatsachen, die ein Sachverständiger aufgrund seiner Fachkenntnis ermittelt. Das sind zum Beispiel Voraussetzungen von Diagnosen nach ICD 10 (wie ich hier am Beispiel Borderline vorgestellt habe), also Muster von instabilen zwischenmenschlichen Beziehungen, Identitätsstörungen, Impulsivität usw.

Doch Suizidalität zum Beispiel wäre keine Befundtatsache, weil für diese keine Fachkenntnis notwendig ist. Suiziddrohungen sind Fakten, die auch Richter ermitteln kann durch Anhörung der Partei, Zeugenaussagen oder Vorlesen von medizinischen Diagnosen, die vor dem Gutachten erstellt oder zu diesem gereicht wurden. Solche neuen Tatsachen nennt man dann „Zusatztatsachen“.

Was sind Zusatztatsachen?

Zusatztatsachen sind solche, die der Gutachter während seines Gutachtens erfährt, die aber grundsätzlich auch das Gericht mit den prozessualen Mitteln erheben könnte. Es sind also neue, zusätzliche Daten.

Sind Anknüpfungstatsachen, Befundtatsachen und Zusatztatsachen Daten i.S. der DSGVO?

Anknüpfungstatsachen, Befundtatsachen und Zusatztatsachen sind personenbezogene Daten i.S. der DSGVO, dort Art. 4 Nr. 1. Dieser lautet:

„personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann;

DSGVO Art. 4

Damit gilt aber auch das Recht auf Berichtigung, wenn diese Tatsachen / Daten falsch sind. Man hat also bei Anknüpfungstatsachen, Befundtatsachen und Zusatztatsachen einen Berichtigungsanspruch gem. Art. 16 DSGVO.

Dieser Berichtigungsanspruch ist unabhängig von den Ansprüchen aus §839a BGB und auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 I GG.

Gutachten und falsche Befundtatsachen

Sind in einem Gutachten falsche Befundtatsachen benannt, dann wird das Gutachten unverwertbar. Die Rechtslage ändert sich also nicht, wenn man zwischen Befund-, Anknüpfungs- und Zusatztatsachen entscheidet. In jedem Fall sind diese unverwertbar. Es gibt also keinen Unterschied Befundtatsache und Anknüpfungstatsache in rechtlicher Hinsicht.

Ich verstehe nur Bahnhof?

Dann lass Dir bei der Analyse Deines Gutachtens helfen:

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Gutachten

Psychologische Fragen und Kriterien im Gutachten

Psychologische Fragen im Gutachten betreffend Umgang und Sorgerecht muss der Sachverständige aus der gerichtlichen Fragestellung herleiten (vgl. Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht). Dieser Artikel wurde am 08.10.2023 überarbeitet und verbessert.

Dabei hat der Gutachter einen weiten Spielraum, welche konkreten Fragestellungen er psychologisch stellt und antworten findet.

Psychologische Fragen

Ich schreibe hier einige Fragestellungen, die ich so oder ähnlich in vielen Gutachten finde. Wenn ein Gutachter hiervon abweicht, muss das nicht falsch sein, aber er muss sein Abweichen vom Üblichen begründen.

Kompetenzen der Eltern

Zuerst werden Erkenntnisse zu Kompetenzen der Eltern abgefragt. Dies können beispielsweise die folgenden sein:

Erzieherische Kompetenzen: Hierunter sind die Fähigkeiten, essenzielle Ge- und Verbote zu setzen zu sehen sowie die Möglichkeit von Grenzsetzungen. Alle diese Maßnahmen müssen das Kind in seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit, die sich in die Gemeinschaft sozial integrieren kann, unterstützen.

Betreuungskompetenz spielt in Umgangsgutachten eine wesentliche Rolle.

Bindung ist insbesondere bei Sorgerecht, aber auch bei Umgangsrecht zu prüfen. Bindung ist nach Dettenborn eine dauerhafte und intensive emotionale Orientierung an einer anderen Person. Jede sichere Bindung ist positiv für ein Kind und steigert die kindliche Motivation, Umgang mit dem Umgangselternteil zu haben (August-Frenzel und Kindler 1997).

Auch die Kooperationsfähigkeit, Co-Parenting oder Bindungstoleranz ist zu berücksichtigen. Gemeint ist die Fähigkeit von Eltern, die Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind sowie die Erziehungsleistung des anderen Elternteils zu erkennen und positiv zu bewerten.

Auch die Frage nach Manipulationen kann hierunter fallen, diese schaden einem Kind (vgl. Salzgeber 2020).

Auch die Entwicklung und der Status der Beziehung der Eltern sowie des Konfliktniveaus derselben sind darzustellen. Das hängt mit der Kooperationsfähigkeit zusammen, aber auch dem Konfliktniveau, der Frage nach Hochstrittigkeit, die das Kind belasten kann und negative Auswirkungen hat usw.

Vor allem geht es auch um die Bereitschaft, die elterliche Verantwortung zu übernehmen, vor allem wer welche Verantwortung bereits übernommen hat oder welche Motive hinter dem gerichtlichen Antrag stehen usw.

Zusammenfassend sind die elterlichen Aspekte daher für Sorgerecht und ABR(zitiert nach Salzgeber/Bretz/Bublath, Arbeitsbuch familienpsychologische Gutachten, 2. Auflage 2022, S. 99):

  • Erziehungs- und Förderkompetenz (anders bei §1666 BGB, dort Erziehungsfähigkeit)
  • Kooperativität, Co-Parenting, Bindungs- und Beziehungstoleranz (gate-keeping)
  • Bereitschaft, elterliche Verantwortung zu übernehmen
zitiert nach Salzgeber/Bretz/Bublath, Arbeitsbuch familienpsychologische Gutachten, 2. Auflage 2022, S. 99

Kinderbezogene Aspekte

Kinderbezogene Aspekte sind v.a. Wunsch und Wille.

Der Wunsch und Vorstellung über Umgang oder Sorgerecht sowie der Wille des Kindes diesbezüglich sind auch zu berücksichtigen.

Freilich muss dies je nach Alter unterschiedlich interpretiert werden. Kinder, deren Wünsche berücksichtigt werden, werden in der Selbstwirksamkeit und dem Selbstbewusstsein gestärkt. Sie lernen also, durch eigene Handlungen oder Aussagen das Leben und Ereignisse, insbesondere negativer Art, zu beeinflussen (vgl. Dettenborn 2017).

Aber auch die Entwicklung des Kindes spielt eine Rolle, insbesondere besondere Bedürfnisse bei Behinderungen o.ä.

Zusammenfassend schreiben Salzgeber/Bretz/Bublath hierzu:

Entwicklungsbezogene Ausgangslage des Kindes

  • Körperliche Entwicklung, soweit einschätzbar
  • Aktuelle und demnächst anstehende Entwicklungsaufgaben
  • Ggf. spezifischer Förderbedarf, erhöhter Betreuungsbedarf etc.

Situationsspezifische Erlebens- und Verhaltensmuster

  • Lebensgeschichte des Kindes inkl. Brüchen
  • Reaktionsweise auf Trennung und fam. Belastungen
  • Einbindung in Elternkonflikte, Loyalitäten und Schuldzuschreibung, Parentifizierung und Adultifizierung, Koalitionsdruck, Infantilisierung, Symbiose,
  • Altersspezifische Verarbeitung der Trennung
  • Miterlebte Konflikte
  • Erlebte verminderte Erziehungskompetenz

Kindeswille

  • Geäußerterr Wille, Wünsche und Hoffnungen des Kindes
  • Lösungsvorschläge des Kindes

Familiäre und außerfamiliäre Beziehungen

  • Bindungsqualität zu den Eltern, soweit auffällig
  • Beziehungen zu den Eltern und weiteren zentralen Bezugspersonen
  • Beziehungen zu Geschwistern (Halb- und Stiefgeschwister)
  • Beziehungen zu sonstigen Familien / Verwandten
zitiert nach Salzgeber/Bretz/Bublath, Arbeitsbuch familienpsychologische Gutachten, 2. Auflage 2022, S. 100

Fragen zur Ergebnisfindung

Aus diesen Aspekten ist dann die Fragestellung zu beantworten, ob dies und wenn ja welche negativen Auswirkungen auf ein Kind oder Belastungen daraus herrühren. Dies wird für die Ergebnisfindung relevant.

Fragestellungen nach den Mindestanforderungen

In den Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen sind die folgenden psychologischen Fragen formuliert:

  • der familiären Beziehungen und Bindungen;
  • der Ressourcen und Risikofaktoren in der Familie;
  • der Kompetenzen der Eltern/Sorgeberechtigten, ihrer Erziehungsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme, Bindungstoleranz;
  • des Entwicklungsstands, der Bedürfnisse des Kindes, des Kindeswillens, der
  • Kompetenzen und der aktuellen Situation des Kindes, evtl. besonderer Belastungen und Beeinträchtigungen.

Fragestellungen und Weigerung, am Gutachten teilzunehmen

Weigert man sich, am Gutachten teilzunehmen, dann sind diese Fragestellungen solche, an die man anknüpfen sollte rechtlich. Hierauf sollten Beweisangebote abzielen, um das Gutachten in diesen relevanten Fragen positiv zu beeinflussen. Denn keine Teilnahme heißt in der Regel Gutachten nach Aktenlage. Hier die richtigen Stichwörter zu belegen hilft Euch beim Erreichen Eures Zieles. Ich erlebe aber immer wieder, dass viele Anwälte dies nicht wissen und die richtigen Fragestellungen daher nicht per Beweisangebot oder noch besser Belegen (schriftliche Zeugenaussagen, Dokumente, eidesstattliche Versicherungen usw.) zu stellen und zu fördern. Auf diese psychologischen Fragen muss man also immer abzielen. Daher muss man diese auch kennen.

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Bücher vorgestellt Gutachten

Psychiatrische Begutachtung

Psychiatrische Begutachtung von Venzlaff, Foerster, Dreßing und Habermeyer versteht sich Gegenentwurf zu Salzgebers „Familienpsychologische Begutachtung“ und als Standardwerk, was bei psychiatrischer (und familienpsychologischer) Begutachtung zu berücksichtigen sein soll. Ich habe mich mit dem Buch auseinandergesetzt in der Erwartung, ähnlich wie bei Salzgeber wichtige Impulse und wissenschaftliche Meinungen zu finden. Was ich gefunden habe ist ein Buch voller offenkundiger Fehler und peinlicher Unwissenheit, die einen Preis von 240 € nicht wert ist. Für mich ist der Venzlaff/Foerster der teuerste Hausfrauenratgeber (für akademische Hausfrauen) allerzeiten. Das versprochene „praktische Handbuch für Ärzte und Juriste“ ist es nicht.

Rechtliche Fehler

Natürlich kann ich nur eingeschränkt Fehler bemängeln, da ich weder Arzt noch Psychiater bin. Aber ich bin Jurist. Und was ich in den ersten 10 Minuten lesen gefunden habe ist so schlecht, dass es sich nicht lohnt weiterzulesen. Hinweis an die Herausgeber: Vielleicht sollten rechtliche Kapitel auch von Juristen verfasst werden und nicht von Medizinern, die sich in ihrer Hybris dafür halten?

Die Haftung des Gutachters

Auf Seite 74 wird von Prof. Dr. med. Peter W. Gaidzik, Institut für Medizinrecht, behauptet, dass die Haftung des Sachverständigen nur Urteile oder Beschlüsse auslösen, nicht aber Vergleiche. Diese Auffassung ist falsch. Erstens wurde bereits in der Vergangenheit eine analoge Anwendung des §839a BGB diskutiert, zweitens diese Frage mit BGH III ZR 199/19 gelöst. Der Vetzaff/Foerster ist schlicht und erschreckend falsch und stellt für jeden Gutachter, der dieses Buch liest, ein Haftungsproblem dar. Lustig ist insoweit, dass man sich noch über anwaltliche Haftungsrisiken auslässt. Man kann sich der Auffassung kaum verwehren, dass zu Gunsten von Gutachtern eine eigene Haftungsrealität geschaffen werden sollte. Wissenschaftlich ist das nicht und ein Praxishandbuch sollte zumindest auch die maßgebliche Rechtsprechung kennen – die der Langhans auch kennt.

Familienpsychologische Gutachten

Für das Kapitel Familienpsychologische Gutachten wurde der Jurist Psychiater Michael Günter gewonnen. Auch er ist uns bekannt.

Prof. Dr. Günter, Psychiater, kommentiert zu familienpsychologischer Begutachtung und spricht auf Seite 673 von „Verfahrenspfleger„, die es so seit 1. September 2009 in Kindschaftssachen nicht mehr gibt mit der Einführung des Verfahrensbeistandes . Seine Auffassung, „das Gesetz nennt das so“, ist schlicht seit Jahrzehnten falsch. Es ist bedenklich, wenn Wikipedia und das Gesetz mehr wissen als ein Schinken für 240 Euro.

Aber das ist noch nicht alles. Er zitiert noch die Mindestanforderungen.
Auf Seite 687 zitiert er diese Standards „“Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen“ von 2015 (!) – aktuell ist aber die zweite Auflage 2019, die er selbst mitverfasst hat. Offenbar weiß er nicht einmal, was er unterschreibt, oder recherchiert nicht. Beides ist ein Offenbarungseid. Wenn man denkt für welchen Blödsinn andere ihre Doktorwürde verloren haben fragt man sich schon, wie wenig Niveau gefordert wirrd.

Fazit zum Ventzlaff/Foerster

Schlampig recherchiert, teils rechtlich vorsätzlich falsch, die meisten Aussagen aber auch nicht mit Fundstellen belegt (Stattdessen Endnoten, die Wissenschaftlichkeit vorgaukeln – für mich ist dieses Buch für einen Hausfrauenratgeber mit 240 € arg teuer, vielleicht der teuerste Hausfrauenratgeber für Akademisches Personal. Ein Handbuch für Juristen ist es nicht, in der rechtlichen Praxis mag es als Briefbeschwerer gute Dienste erweisen.

Gleichwohl sollte der Anspruch eines Standardwerkes nicht sein, die eigene Gutachterklientel zu befriedigen, sondern zu erleuchten und neue Erkenntnisse zu vermitteln.

Das gelingt hier nicht. Mal sehen, wann der Verlag reagiert. Eigentlich müsste man das Werk vom Markt nehmen.

Psychiatrische Gutachten anfechten

Psychiatrische Gutachten anfechten funktioniert daher wie Gutachten anfechten. Sprecht mich ggf. an, wenn Ihr Probleme mit Psychiatrischen Gutachten habt.

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