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Psychologische Fragen und Kriterien im Gutachten

Psychologische Fragen im Gutachten betreffend Umgang und Sorgerecht muss der Sachverständige aus der gerichtlichen Fragestellung herleiten (vgl. Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht). Dieser Artikel wurde am 08.10.2023 überarbeitet und verbessert.

Dabei hat der Gutachter einen weiten Spielraum, welche konkreten Fragestellungen er psychologisch stellt und antworten findet.

Psychologische Fragen

Ich schreibe hier einige Fragestellungen, die ich so oder ähnlich in vielen Gutachten finde. Wenn ein Gutachter hiervon abweicht, muss das nicht falsch sein, aber er muss sein Abweichen vom Üblichen begründen.

Kompetenzen der Eltern

Zuerst werden Erkenntnisse zu Kompetenzen der Eltern abgefragt. Dies können beispielsweise die folgenden sein:

Erzieherische Kompetenzen: Hierunter sind die Fähigkeiten, essenzielle Ge- und Verbote zu setzen zu sehen sowie die Möglichkeit von Grenzsetzungen. Alle diese Maßnahmen müssen das Kind in seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit, die sich in die Gemeinschaft sozial integrieren kann, unterstützen.

Betreuungskompetenz spielt in Umgangsgutachten eine wesentliche Rolle.

Bindung ist insbesondere bei Sorgerecht, aber auch bei Umgangsrecht zu prüfen. Bindung ist nach Dettenborn eine dauerhafte und intensive emotionale Orientierung an einer anderen Person. Jede sichere Bindung ist positiv für ein Kind und steigert die kindliche Motivation, Umgang mit dem Umgangselternteil zu haben (August-Frenzel und Kindler 1997).

Auch die Kooperationsfähigkeit, Co-Parenting oder Bindungstoleranz ist zu berücksichtigen. Gemeint ist die Fähigkeit von Eltern, die Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind sowie die Erziehungsleistung des anderen Elternteils zu erkennen und positiv zu bewerten.

Auch die Frage nach Manipulationen kann hierunter fallen, diese schaden einem Kind (vgl. Salzgeber 2020).

Auch die Entwicklung und der Status der Beziehung der Eltern sowie des Konfliktniveaus derselben sind darzustellen. Das hängt mit der Kooperationsfähigkeit zusammen, aber auch dem Konfliktniveau, der Frage nach Hochstrittigkeit, die das Kind belasten kann und negative Auswirkungen hat usw.

Vor allem geht es auch um die Bereitschaft, die elterliche Verantwortung zu übernehmen, vor allem wer welche Verantwortung bereits übernommen hat oder welche Motive hinter dem gerichtlichen Antrag stehen usw.

Zusammenfassend sind die elterlichen Aspekte daher für Sorgerecht und ABR(zitiert nach Salzgeber/Bretz/Bublath, Arbeitsbuch familienpsychologische Gutachten, 2. Auflage 2022, S. 99):

  • Erziehungs- und Förderkompetenz (anders bei §1666 BGB, dort Erziehungsfähigkeit)
  • Kooperativität, Co-Parenting, Bindungs- und Beziehungstoleranz (gate-keeping)
  • Bereitschaft, elterliche Verantwortung zu übernehmen
zitiert nach Salzgeber/Bretz/Bublath, Arbeitsbuch familienpsychologische Gutachten, 2. Auflage 2022, S. 99

Kinderbezogene Aspekte

Kinderbezogene Aspekte sind v.a. Wunsch und Wille.

Der Wunsch und Vorstellung über Umgang oder Sorgerecht sowie der Wille des Kindes diesbezüglich sind auch zu berücksichtigen.

Freilich muss dies je nach Alter unterschiedlich interpretiert werden. Kinder, deren Wünsche berücksichtigt werden, werden in der Selbstwirksamkeit und dem Selbstbewusstsein gestärkt. Sie lernen also, durch eigene Handlungen oder Aussagen das Leben und Ereignisse, insbesondere negativer Art, zu beeinflussen (vgl. Dettenborn 2017).

Aber auch die Entwicklung des Kindes spielt eine Rolle, insbesondere besondere Bedürfnisse bei Behinderungen o.ä.

Zusammenfassend schreiben Salzgeber/Bretz/Bublath hierzu:

Entwicklungsbezogene Ausgangslage des Kindes

  • Körperliche Entwicklung, soweit einschätzbar
  • Aktuelle und demnächst anstehende Entwicklungsaufgaben
  • Ggf. spezifischer Förderbedarf, erhöhter Betreuungsbedarf etc.

Situationsspezifische Erlebens- und Verhaltensmuster

  • Lebensgeschichte des Kindes inkl. Brüchen
  • Reaktionsweise auf Trennung und fam. Belastungen
  • Einbindung in Elternkonflikte, Loyalitäten und Schuldzuschreibung, Parentifizierung und Adultifizierung, Koalitionsdruck, Infantilisierung, Symbiose,
  • Altersspezifische Verarbeitung der Trennung
  • Miterlebte Konflikte
  • Erlebte verminderte Erziehungskompetenz

Kindeswille

  • Geäußerterr Wille, Wünsche und Hoffnungen des Kindes
  • Lösungsvorschläge des Kindes

Familiäre und außerfamiliäre Beziehungen

  • Bindungsqualität zu den Eltern, soweit auffällig
  • Beziehungen zu den Eltern und weiteren zentralen Bezugspersonen
  • Beziehungen zu Geschwistern (Halb- und Stiefgeschwister)
  • Beziehungen zu sonstigen Familien / Verwandten
zitiert nach Salzgeber/Bretz/Bublath, Arbeitsbuch familienpsychologische Gutachten, 2. Auflage 2022, S. 100

Fragen zur Ergebnisfindung

Aus diesen Aspekten ist dann die Fragestellung zu beantworten, ob dies und wenn ja welche negativen Auswirkungen auf ein Kind oder Belastungen daraus herrühren. Dies wird für die Ergebnisfindung relevant.

Fragestellungen nach den Mindestanforderungen

In den Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen sind die folgenden psychologischen Fragen formuliert:

  • der familiären Beziehungen und Bindungen;
  • der Ressourcen und Risikofaktoren in der Familie;
  • der Kompetenzen der Eltern/Sorgeberechtigten, ihrer Erziehungsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme, Bindungstoleranz;
  • des Entwicklungsstands, der Bedürfnisse des Kindes, des Kindeswillens, der
  • Kompetenzen und der aktuellen Situation des Kindes, evtl. besonderer Belastungen und Beeinträchtigungen.

Fragestellungen und Weigerung, am Gutachten teilzunehmen

Weigert man sich, am Gutachten teilzunehmen, dann sind diese Fragestellungen solche, an die man anknüpfen sollte rechtlich. Hierauf sollten Beweisangebote abzielen, um das Gutachten in diesen relevanten Fragen positiv zu beeinflussen. Denn keine Teilnahme heißt in der Regel Gutachten nach Aktenlage. Hier die richtigen Stichwörter zu belegen hilft Euch beim Erreichen Eures Zieles. Ich erlebe aber immer wieder, dass viele Anwälte dies nicht wissen und die richtigen Fragestellungen daher nicht per Beweisangebot oder noch besser Belegen (schriftliche Zeugenaussagen, Dokumente, eidesstattliche Versicherungen usw.) zu stellen und zu fördern. Auf diese psychologischen Fragen muss man also immer abzielen. Daher muss man diese auch kennen.

3 Antworten auf „Psychologische Fragen und Kriterien im Gutachten“

Lieber Erhan, dieser Blog hat mehr Infos als viele glauben – alle aus der Praxis, alle hilfreich. Gleichwohl ist nicht jeder Alleingang sinnvoll. Kompetente Hilfe ist besser als Alleingänge – das sag ich jetzt allgemein.
LG Michael

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