Triftige Gründe benötigt man, um die Abänderung eines Beschlusses oder eines Vergleiches i.S. §1696 I BGB zu erreichen. Dabei ist der Maßstab strenger als beim Kindeswohl. Oftmals wird für Gerichte und Beschwerdegerichte, um eine schnelle Entscheidung herbeizuführen, verneint, dass triftige Gründe vorliegen. Daher gilt es hier besonnen vorzutragen und typische Fehler bei Abänderungsanträgen zu vermeiden.
Änderungsmaßstab bei §1696 I BGB
Der Änderungsmaßstab bei §1696 I BGB ist streng. Er ist strenger als der Maßstab der §§ 1697a oder 1671 BGB.
Es genügt nicht, dass die Neuregelung dem Kindeswohl genügt.
Grüneberg/Götz BGB, 82. Aufl. 2023, BGB § 1696 Rn. 9
Es muss eine Abwägung aller Vor- und Nachteile erfolgen:
Vielmehr müssen im Hinblick auf die gewünschte Stabilität der Lebensverhältnisse des Kindes die Vorteile der angestrebten Neuregelung die mit der Abänderung verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (Grüneberg/Götz BGB § 1696 Rn. 9 mit Hinweis auf OLG Hamburg NJW-RR 2021, 197 = FamRZ 2021, 204; OLG Dresden NJOZ 2022, 1027 = FamRZ 2022, 1208).
OLG Bamberg Beschl. v. 30.1.2023 – 7 UF 190/22
Unterschied triftige Gründe und Abwägung bei Sorgerechts- und Umgangsantrag
Bei der Abwägung kommt es auch darauf an, ob man über Sorgerecht oder Umgangsrecht streitet (beachtet: Wechselmodell ist nach wie vor Umgangsregelung!); denn eine solche Abänderung ist schneller auszusprechen, weil die Folgen bei Umgang weniger gravierend sind:
Allerdings sind die Voraussetzungen für eine Modifikation des Umgangs niedriger als bei Entscheidungen zum Sorgerecht, weil die Abänderung einer Umgangsregelung regelmäßig weniger schwerwiegend in die Lebensverhältnisse des betroffenen Kindes eingreift (OLG Frankfurt a. M. NJOZ 2022, 97 = FamRZ 2022, 362).
OLG Bamberg Beschl. v. 30.1.2023 – 7 UF 190/22
Ausführlicher hierzu das OLG Frankfurt:
Da Umgangsregelungen in besonderem Maß der Anpassungsnotwendigkeit unterliegen (Staudinger/Coester BGB, 2019, § 1696 Rn. 30) ist die Änderungsschwelle für eine Modifikation oder eine Erweiterung des Umgangs niedriger als bei sorgerechtlichen Regelungen anzusetzen. Umgangsregelungen greifen zum einen weniger schwerwiegend in die Lebensverhältnisse des betroffenen Kindes ein als ein grundsätzlicher Platzierungswechsel. Zum anderen können Anpassungen an Veränderungen in beiden Elternfamilien häufig notwendig werden (Staudinger/Coester BGB § 1696 Rn. 113). Anpassungen an veränderte Umstände können demnach schon dann geboten sein, wenn dies dem Kindeswohl dient (OLG Brandenburg 27.12.2016 – 10 UF 23/16, BeckRS 2016, 124514). Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass auch Umgangsregelungen eine „gewisse Bestandskraft“ haben, die ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht durchbrochen werden darf (OLG Zweibrücken NJW-RR 1997, 900).
OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 26.10.2021 – 6 UF 147/21
Anpassungen sind der Umgangsregelung immanent; Kinder, Familien, Bedürfnisse ändern sich, weshalb keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Das OLG Frankfurt erwähnt
- Anpassungen an Veränderungen in beiden Elternfamilien
- Anpassungen aus dem Kindeswohl heraus
Auch der Kindeswille wird hier eine herausragende Bedeutung haben.
Triftige Gründe
Was sind also nun diese triftigen Gründe? Eine klare Definition wird es nie geben; dazu ist Familienrecht zu einzelfallbezogen.
Als Begründung für die Beschränkung auf triftige Gründe führt der Münchener Kommentar aus;
Obwohl sorge- und umgangsrechtliche Entscheidungen bzw. gerichtlich gebilligte Vergleiche nicht in materielle Rechtskraft erwachsen, erlaubt Abs.1 keine beliebige Wiederaufnahme des Verfahrens. Zum einen soll das Kind möglichst Erziehungskontinuität erfahren. Zum anderen ist jede Änderung des Eltern-Kind-Verhältnisses ein Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Elternautonomie (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) und bedarf deshalb einer Rechtfertigung. Der Gesetzgeber hat sich für eine kontinuierlich am Kindeswohl orientierte Eingriffsmöglichkeit entschieden und bei der Neufassung des Abs. 1 durch das KindRG 1998 die von der Rechtsprechung entwickelte Formel übernommen, wonach die Änderung aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt sein muss.
MüKoBGB/Lugani, 8. Aufl. 2020, BGB § 1696 Rn. 23
Dieser Prüfungsmaßstab wird daher auch „qualifizierte positive Kindeswohlprüfung1“ genannt.
Es muss daher
- ein Änderungsgrund von solcher Bedeutung vorliegen,2
- der den Grundsatz der Erziehungskontinuität überwiegt
- und die mit der Veränderung verbundenen Nachteile für die Entwicklung sowie
- die Änderung muss am generellen Bedürfnis des Kindes nach Kontinuität und Stabilität seiner Lebens- und Erziehungsbedingungen gemessen werden
- Es liegt eine Einzelfallentscheidung vor,
- Grundlegende Wertungen, die sich aus der Erstentscheidungsnorm ergeben, müssen aber auch im Änderungsverfahren berücksichtigt werden, um einen „unerträglichen“ Wertungswiderspruch zu vermeiden
Das ist wie alle rechtlichen Wertungen erst einmal viel zu berücksichtigen und wenig konkretes. Aber dass das Gericht hier einen Bewertungsspielraum hat, wird man kaum verkennen können.
Der Wille des Kindes alleine hingegen reicht nicht aus3. Auch der Wille eines Elternteils alleine reicht nicht aus4.
EMRK-Konform
Diese Einschränkung des Abänderungsverfahrens ist auch vom EGMR als zulässig bejaht.
Denn das Ziel dieser erheblichen Einschränkung der Abänderungsmöglichkeit, Kinder vor fortwährenden Sorgerechtsverfahren zu schützen, ist zulässig i.S. der EMRK:
Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass § 1696 BGB u. a. zum Ziel hat, Kinder vor fortwährenden Sorgerechtsverfahren zu schützen und für eine stabile und dauerhafte Sorgesituation zu sorgen. Er ist somit auf das legitime Ziel gerichtet, die „Gesundheit“ und die „Rechte und Freiheiten anderer“ zu schützen.
Enke gegen Deutschland, Individualbeschwerde
Innerstaatliche Behörden haben insoweit einen erheblichen Beurteilungsspielraum im Hinblick auf Art. 8 EMRK:
Aus diesen Erwägungen und im Hinblick auf den großen Beurteilungsspielraum der innerstaatlichen Behörden bei Sorgerechtsentscheidungen (vgl. u. a. S., a. a. O., Rdnrn. 64-65) ist der Gerichtshof überzeugt, dass die Verfahrensweise der innerstaatlichen Gerichte angemessen und hinreichend begründet war und dem Beschwerdeführer somit den erforderlichen Schutz seines Rechts auf Achtung seines Familienlebens zuteil werden ließ.
Enke gegen Deutschland, Individualbeschwerde
Folglich ist Artikel 8 der Konvention im Fall Enke gegen Deutschland nicht verletzt worden.
2. Unter Berufung auf die Artikel 6 und 14 rügte der Beschwerdeführer ferner, dass die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte zu einer Ungleichbehandlung der Elternteile geführt habe.
Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und soweit die gerügten Angelegenheiten in seine Zuständigkeit fallen, stellt der Gerichtshof jedoch fest, dass hier keine Anzeichen für eine Verletzung der in der Konvention oder den Protokollen dazu bezeichneten Rechte und Freiheiten ersichtlich sind.
Enke gegen Deutschland, Individualbeschwerde
Das führt natürlich noch zu mehr Unsicherheit und damit zu mehr Begründungsaufwand für Euch.
Einzelfälle
In der gängigen Literatur gibt es Listen mit Einzelfällen; diese können Eure Anwälte heranziehen; wichtig ist aber nach wie vor die Herausarbeitung der Änderungen für die Kinder und die Bedeutung auf deren Entwicklung.
Die folgende Liste ist nicht abschließend5:
- der erfolgreiche Abschluss einer Familientherapie (AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg FamRZ 2004, 134, im konkreten Fall allerdings ein Anwendungsfall von Abs. 2),
- eine wiederholte Verletzung des Kindesrechts auf gewaltfreie Erziehung (OLG Jena FamRZ 2005, 52 (53)),
- die Uneinsichtigkeit des Sorgeberechtigten bei der Ernährung des noch nicht schulpflichtigen Kindes sowie die mangelnde Befolgung ärztlicher Anordnungen über die medikamentöse Behandlung (KG NJW-RR 1990, 716) oder sonstiger medizinisch indizierter Maßnahmen (OLG Hamm FamRZ 1979, 855),
- ein grenzenloses Omnipotenzverhalten des Sorgeberechtigten, das den Kindern keine Chance zu eigenständiger Entwicklung lässt (OLG Frankfurt FamRZ 2005, 1700),
- eine ansteckende Krankheit des Sorgeberechtigten (OLG Hamm ZBlJR 1955, 138 (139)),
- unkontrollierte Drogen- und Alkoholabhängigkeit (OLG Naumburg OLGR 2009, 209 = FamRZ 2009, 433 Ls.),
- psychische Erkrankungen eines oder beider Elternteile (AG Flensburg BeckRS 2018, 44237 Rn. 13 ff.; zur wachsenden Erziehungsfähigkeit eines Elternteils bei sich stabilisierendem psychischen Zustand OLG Brandenburg BeckRS 2020, 22435 Rn. 25),
- schulische Gründe (OLG Brandenburg FamRZ 2014, 1859: fehlende Unterrichtsmaterialien aufgrund wechselnden Umgangs; OLG Saarbrücken FamRZ 2012, 646: Einschulung),
- eine fehlende Mitwirkungsbereitschaft der Umgangspflegerin mit Ausbruch der Covid-19-Pandemie (AG Frankfurt FamRZ 2020, 839 (840) = JAmt 2020, 266),
- die Ansteckungsgefahr von Kindern in Kindertagesstätten während der Covid-19-Pandemie (AG München FamRZ 2020, 1178 mAnm Rake).
Was hier vor allem fehlt ist aber auch eine nicht realisierte Hoffnung aus einem familienpsychologischen Gutachten oder realisierte Bedenken aus einem familienpsychologischen Gutachten. Auch Indizien für die Belastung des Kindes, andauernde Manipulation und ähnliches kann einen solchen triftigen Grund darstellen.
Gerne könnt Ihr Euch in der Hotline des Vereins Erzengel kostenfrei beraten lassen zu diesem Thema: