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Recht allgemein

Anhörungsrüge in Familiensachen

Die Anhörungsrüge in Familiensachen ist ein wichtiges Instrument. Sie ist in §44 FamFG geregelt. Die Anhörungsrüge ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Wir erklären alles wesentliche.

Voraussetzungen Anhörungsrüge

Die Voraussetzungen für eine Anhörungsrüge ist

  • es darf kein Rechtsmittel mehr zulässig sein (Verfassungsbeschwerde ist kein Rechtsmittel!)
  • es muss eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör i.S. Art. 103 GG vorliegen
  • darauf muss die Entscheidung basieren („entscheidungserheblich“)

Diskutiert wird ob normale Rechtsfehler auch mit der Anhörungsrüge angegriffen werden dürfen. Die Rechtsprechung möchte die Anhörungsrüge nur auf Gehörsverletzungen beschränken, ich denke aber dass aus verfassungsrechtlicher Sicht jeder grobe Fehler auch mitgerügt werden kann.

Kein zulässiges Rechtsmittel

Solange ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Anhörung möglich ist, eine Beschwerde oder eine zugelassene Rechtsbeschwerde, solange ist die Anhörungsrüge unzulässig. Normale Rechtsbehelfe gehen der Anhörungsrüge vor, der Rechtsweg muss quasi ausgeschöpft sein.

Verletzung Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. Art. 103 GG verletzt

Zudem muss der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein. Art. 103 GG lautet:

„Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.“

Rechtliches Gehör meint insoweit nicht nur, dass man die Möglichkeit hat, zu sprechen. Es meint auch, dass grundsätzlich Ausführungen der Parteien zur Kenntnis genommen werden. Allerdings schränkt das die Rechtsprechung wieder ein, weil grundsätzlich davon auszugehen sein soll, dass sich Gerichte immer mit allem auseinandersetzen, selbst wenn es nicht ausdrücklich im Beschluss/Urteil stehen soll. Denn eine solche Pflicht, meint das BVerfG, ergebe sich nicht aus Art. 103 GG, vgl. BVerfG 1 BvR 117/16, BVerfGE 86, 133, BVerfGE 65, 293, BVerfGE 50, 32 und weitere:

Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren die Gelegenheit, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern (vgl. BVerfGE 1, 418 <429>; 84, 188 <190>; stRspr) und schützt, dass die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden (vgl. exemplarisch BVerfGE 86, 133 <145>). Art. 103 Abs. 1 GG schützt allerdings nicht vor falschen Entscheidungen (vgl. BVerfGE 22, 267 <273>) und legt den Gerichten nicht die Pflicht auf, sich mit jedem Vorbringen in der Entscheidungsbegründung ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfGE 86, 133 <146>). Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Lediglich wenn im Einzelfall aus besonderen Umständen heraus das Gegenteil deutlich wird, kann eine Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör festgestellt werden (vgl. BVerfGE 65, 293 <295 f.>; 70, 288 <293>; 86, 133 <146>). Es ist ebenso wenig Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, Entscheidungen der Gerichte in jeder Hinsicht auf die Richtigkeit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu kontrollieren (vgl. BVerfGE 11, 343 <349>). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ebenso nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist (vgl. BVerfGE 22, 267 <273 f.>), einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen (vgl. BVerfGE 28, 378 <384>) oder nicht Beweis erhoben hat (vgl. BVerfGE 27, 248 <251>). Das Übergehen eines erheblichen Beweisangebots oder Beweisantrags verletzt Art. 103 Abs. 1 GG, wenn dies aus Gründen erfolgt, die im einschlägigen Verfahrensrecht keine Stütze finden (vgl. BVerfGE 50, 32 <35 f.>; 69, 141 <143 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. Dezember 2018 -1 BvR 1155/18 -, Rn. 11). Auch müssen die wesentlichen der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>).13b) Im Hinblick auf die Rüge der Verletzung des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG ist zu beachten, dass ein verfassungsgerichtliches Eingreifen nicht schon bei jeder fehlerhaften Anwendung des einfachen Rechts, sondern nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt. Selbst eine zweifelsfrei fehlerhafte Gesetzesanwendung begründet noch keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Für die Annahme eines Verstoßes gegen das Willkürverbot ist vielmehr erforderlich, dass die Rechtsanwendung krass fehlerhaft und unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 62, 189 <192>; 67, 90 <94>; 74, 102<127>; stRspr).”“Entgegen der üblichen Vermutung, dass derartiges Vorbringen in der Regel vom Gericht zur Kenntnis genommen und erwogen wird, treten hier jedoch besondere Anhaltspunkte für das Gegenteil zutage: Das klageabweisende Endurteil ist bis auf wenige Abweichungen größtenteils formaler Natur wortlautidentisch mit dem zuvor von einem anderen Richter abgefassten und später vom Oberlandesgericht mit ausführlicher Begründung aufgehobenen Beschluss im Prozesskostenhilfeverfahren. Damit wird aus der Entscheidung selbst und ihren Begleitumständen nicht deutlich, ob sich der im Hauptsacheverfahren entscheidende Richter selbst mit dem Vorbringen und den aufgeworfenen Rechtsfragen, die sich auch im Beschluss des Oberlandesgerichts finden, befasst hat.”“

In rechtlicher Hinsicht ist nicht ersichtlich, dass das Gericht das Vorbringen des Beschwerdeführers, sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und diverser Obergerichte (vgl. neben den bereits genannten nur BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. November 2012 -2 BvR 1567/11 -, Rn. 2; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Oktober 1993 -2 BvR 1778/93 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. Februar 2011 -1 BvR 409/09 -, Rn. 31; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 7. November 2011 -1 BvR 1403/09 -, Rn. 39; vgl. ferner [für eine Einzelunterbringung auf 4,5 m2 ] BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22. März 2016 -2 BvR 566/15 -, Rn. 28; weiterhin OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juni 2008 -11 W 78/07 -, juris, Rn. 30; OLG Hamm, Urteil vom 18. März 2009 -11 U 88/08 -, juris, Rn. 48; OLG Hamm, Urteil vom 29. September 2010 -11 U 88/08 -, juris, Rn. 23) sei seine Haftunterbringung menschenunwürdig gewesen, in dem gebotenen Maße zur Kenntnis genommen und ernsthaft erwogen hat. Das Endurteil greift –wie der fast identische vorgelagerte Beschluss im Prozesskostenhilfeverfahren –diese Frage nicht auf. Zusätzlich hat das Gericht in der Hinweisverfügung zur Anhörungsrüge erkennen lassen, dass es sich nicht an die diesbezügliche Rechtsprechung anderer Gerichte gebunden sehe und die Haftunterbringung auch unter Zugrundelegung des Tatsachenvortrags des Beschwerdeführers nicht als menschenunwürdig ansehe. Dieser pauschale Hinweis auf eine fehlende formelle Präjudizienbindung ist nicht geeignet, zu erkennen zu geben, dass das Landgericht sich in der Sache mit den angeführten Entscheidungen befasst hat. Durch die lapidar gehaltene Zurückweisung der Anhörungsrüge, die keinerlei konkret auf die Sache bezogenen Begründungen enthält, wird dieser Eindruck verfestigt.

19bb) Durch diese Sachverhaltsbehandlung ist zugleich ein Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG gegeben. Es ist kein sachlicher Gesichtspunkt ersichtlich, warum sich das Landgericht selbst im Verfahren zur Anhörungsrüge der zahlreichen zu ähnlichen Haftbedingungen existierenden Rechtsprechung, die der Beschwerdeführer vorgetragen hatte, offenbar verschlossen hat. Ein solches Vorgehen ist unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich und rechtfertigt den Schluss auf eine krass fehlerhafte Rechtsanwendung.“

Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes sind sehr sorgfältig, weshalb ich diese Worte so stehen lasse. Allerdings wird verkannt, dass man im Referendariat lernt, ein Urteil so zu begründen, dass der, der verliert, weiss warum er verloren hat und damit eigentlich lege artis eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit allen wesentlichen Aspekten gefordert wird.

Kern der Rechtsprechung des BVerfG ist es, und darauf müsst Ihr beharren, darzutun, warum in Eurem Fall das Gericht ersichtlich Aspekte nicht zur Kenntnis genommen hat, die aber relevant sind. Das ist dann der Fall, wenn Beweisangebote abgelehnt sind, was aber so verfahrensrechtlich nicht nachvollziehbar ist.

Entscheidungserheblich

Die Rechtsverletzung muss aber auch entscheidungserheblich sein. Ihr solltet also vortragen, wie sich der Fehler auf den Beschluss auswirkt.

Frist

Die Anhörungsrüge muss innerhalb von 2 Wochen erhoben werden nach Zustellung der Entscheidung.

Entscheidung durch dasselbe Gericht/Richter

Über die Anhörungsrüge entscheidet dasselbe Gericht wie im Beschluss/Urteil. Es findet also keine Prüfung durch neutrale andere Richter statt. Entsprechend gering sind die Chancen, weil ein Richter seinen eigenen Fehler einsehen muss und abstellen sollte.

Voraussetzung für Verfassungsbeschwerde

Die Einlegung einer Anhörungsrüge ist Voraussetzung für eine Verfassungsbeschwerde. Ohne eine Anhörungsrüge ist der Rechtsweg nicht ausgeschöpft und die Verfassungsbeschwerde daher unzulässig. Nur unzulässige Anhörungsrügen verlängern nicht die Monatsfrist. In der Regel läuft die Frist für eine Verfassungsbeschwerde erst, wenn über die Anhörungsrüge entschieden ist.

Formular

Ein Formular für eine Anhörungsrüge gibt es für Mitglieder des Vereins Erzengel.

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Sorgerecht

Inobhutnahmen ohne Begründung Sofortvollzug sind rechtswidrig!

Der Verein Erzengel, dessen Vorstand ich bin, weist auf eine durch das Mitglied des Vereins erstrittene Entscheidung des Verwaltungsgerichts München, Az. M 18 S 22.3726 mit dem Datum 09.08.2022 hin. Die unter meiner Beratung erstrittene Entscheidung ist für alle Eltern, die von Inobhutnahmen ohne gerichtliche Entscheidung betroffen sind, relevant. Das Verwaltungsgericht zeigt deutlich auf, dass das Vorgehen, eine Inobhutnahme ohne schriftlichen Bescheid und ohne eine gesetzlich geforderte schriftliche Begründung rechtswidrig ist, sogar ohne eine Prüfung in der Sache.

Inobhutnahme muss schriftlich begründeten Sofortvollzug beinhalten

Eine verwaltungsrechtliche Inobhutnahme ist ein Verwaltungsakt, gegen den man Widerspruch einlegen sollte. Der Widerspruch hat immer aufschiebende Wirkung, ausser die Behörde ordnet den Sofortvollzug an. Diese Anordnung des Sofortvollzugs muss aber schriftlich begründet werden. Unterbleibt dies, ist die Inobhutnahme immer rechtswidrig, ohne Prüfung in der Sache.

Wichtige Entscheidung für alle betroffenen Eltern!

Alle Eltern ohne einen schriftlichen Bescheid des Jugendamtes können sich daher auf diese bahnbrechende Entscheidung stürzen. Die Inobhutnahmen sind dann immer rechtswidrig. Ihr könnt zudem Amtshaftungsansprüche prüfen, wenn Inobhutnahmen ohne Begründung Sofortvollzug rechtswidrig sind und das Kind herausgenommen wurde.

Die vollständige Entscheidung könnt Ihr anonym beim Verein herunterladen:

Gerne könnt Ihr Euch auch beraten lassen – dafür könnt Ihr kostenfreie Termine beim Verein reservieren – oder ihr werdet Mitglied.

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Recht allgemein

Rechtsbeugung des Weimarer Familienrichters und §1666 IV BGB

Ich hatte ja bereits hier über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Zuständigkeit der Familiengerichte nach §1666 IV BGB geschrieben. Meine Videos zum Thema findet Ihr hier und hier. Nun habe ich einen Beitrag auf LTO.de zu Rechtsbeugung des Weimarer Familienrichters gelesen und möchte das so nicht stehen lassen. Weil die eigentlichen Probleme hier wieder nicht zureichend besprochen sind. Im Ergebnis kommt der Doktorand zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung über die Zuständigkeit der Familiengerichte, die Ausdehnung auf alle Schüler und die Anwendung von §1666 BGB auf Behördenmitarbeiter unvertretbar sein sollen. Diese Interpretation wird in weiten Teilen dem Familienrecht nicht gerecht.

Rechtsbeugung, weil Grundrechtsschutz auch über den Verwaltungsrechtsweg?

Der Rezendent meint, dass die Verwaltungsgerichte auch den Grundrechtsschutz sicherstellen würden:

Familiengerichte sind nicht einmal befugt, das Jugendamt zu einer bestimmten Leistung zu verpflichten, obwohl dieses sogar zwingend an Verfahren nach § 1666 BGB zu beteiligen ist (§ 162 II FamFG). Wenn nicht einmal das Jugendamt bei Kindeswohlsachen verpflichtet werden kann, was in der Sache durchaus naheliegen würde, gilt dies erst recht für Maßnahmen gegenüber Schulen.

Schließlich wird dem Kindeswohl auch auf dem Verwaltungsrechtsweg genügend Rechnung getragen. Denn auch Schulen sind über die Grundrechte verpflichtet, das Kindeswohl zu schützen. Das Thüringer OLG hob mit eben dieser Begründung die Entscheidung des AG auf

LTO

Dabei verkennt der Rezendent aber, dass Kindeswohlverfahren nach §1666 BGB mit dem Antrag an das Familiengericht gem. §8a Abs. 2 SGB VIII an diese verwiesen ist. Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte endet damit. Der Gesetzgeber selbst hat also bei einer Gefahr die Zuständigkeit der Familiengerichte bejaht, auch und gerade wenn vorher eine andere Zuständigkeit bestanden haben sollte.

Stellen die Verwaltungsgerichte immer in KWG Verfahren den Grundrechtsschutz sicher? Ich habe es zu oft erlebt, dass Entscheidungen nach §80 V VwGO gegen Inobhutnahmen nicht bearbeitet werden, bis das Familiengericht tätig wird. Das mag der Überlastung der Justiz geschuldet sein oder der Tatsache, dass es keinen Sinn macht 2x in einer Sache entscheiden zu lassen. Ein Nachgeschmack bleibt trotzdem.

Rechtsbeugung kann man daher meiner Meinung nach auf diesen Fakt nicht stützen.

Rechtsbeugung, weil eine Behörde mit §1666 IV BGB getroffen wurde?

Auch hier führt Özcan aus:

§ 1666 IV BGB meint eigentlich, dass Anordnungen gegenüber Privaten, beispielsweise dem Lebenspartner der Kindesmutter, getroffen werden können. Dass Träger hoheitlicher Gewalt, wie z.B. die Schulleitung, davon nicht erfasst sind, findet im Schrifttum nicht einmal Erwähnung. Hintergrund ist, dass es zum juristischen Einmaleins gehört, dass Maßnahmen gegenüber Behörden grundsätzlich – bis auf wenige ausdrückliche Ausnahmen – von den Verwaltungsgerichten erlassen werden.

LTO

Die Einschränkung, dass §1666 IV BGB meint, Anordnungen würden nur gegenüber Privaten getroffen werden, widerspricht dem Wortlaut der Regelung und dem Sinn und Zweck derselben, eine Gefahr für ein Kind abzustellen. Welchen Unterschied macht es für ein Kind, ob es von einem Menschen in Uniform, einem Lehrer oder dem Nachbarn geschlagen wird? Was, wenn der Nachbar gleichzeitig noch Polizeibeamter wäre? Kommt es dann auf dessen Dienstzeiten an, wobei Beamte ja immer im Dienst sind? An dieser Stelle sieht man schon, wie absurd die Ausführungen sind. Art. 6 II GG gilt hier uneingeschränkt und gibt den Eltern die Möglichkeiten, tätig zu werden – auch gegen Dritte, auch vor dem Familiengericht. Nun kann man einwenden, dass der Bundesgerichtshof diese Auffassung widerlegt und anders bewertet. Anders als Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes sind Bundesgerichtshofs Entscheidungen nicht bindend, hiervon kann – mit guten Argumenten – abgewichen werden. Stimmen gibt es genug, die eine andere Auffassung zu §1666 IV BGB vertreten – mich eingeschlossen. Damit kann also Rechtsbeugung nicht begründet werden.

Rechtsbeugung nur weil es um die Maskenpflicht geht?

Man kann sich des Eindrucks also nicht erwehren, dass Rechtsbeugung nur wegen des kontroversen Themas Corona und Maskenpflicht getroffen werden soll. Deshalb habe ich oben das Beispiel Gewalt bewusst gewählt, um die Diskussion abstrakter zu gestalten. Wenn ein Lehrer als Lebensgefährte ein Kind schlägt, sind dann die Familiengerichte nicht mehr zuständig? Oder wenn der Vater Lehrer ist? An dieser Stelle wird es doch deutlich, wie willkürlich argumentiert wird.

Rechtsbeugung, weil Dritte beteiligt wurden?

Denn nach § 7 II Nr. 1 FamFG müssen diejenigen, die von dem Beschluss unmittelbar betroffen sind, am Verfahren beteiligt werden. Familiengerichtliche Entscheidungen wirken also auch nur zwischen den Beteiligten. Wie das Gericht auf die Idee kommt, den Beschluss auch auf unbeteiligte Kinder zu erstrecken, ist schlicht nicht nachvollziehbar. Es stellt sich daher als vollständig willkürliche Erweiterung des Beschlusses dar.

LTO

Dass Beschlüsse nur zwischen den Beteiligten wirken, das wird bereits durch den Wortlaut des §1666 IV BGB widerlegt. Maßnahmen können auch gegen Dritte getroffen werden, die nicht Beteiligte sind. Auch hier halte ich die Argumentation für nicht schlüssig.

Wer Kinder nicht anhört, verstößt gegen die Würde des Menschen

Michael Langhans, Herausgeber

Aber wie ich bereits im Video ausgeführt habe, ist das Problem doch dass die betroffenen Kinder keine Möglichkeit hatten, ihre Sicht im Verfahren darzulegen, womit Art. 1 I GG i.V.m. §§158, 7, 9 FamFG verletzt ist, weil die anderen Kinder Objekt des Verfahrens wurden. Ich finde es bemerkenswert, dass ein solcher Artikel die Würde eines Kindes nicht als betroffen sehen möchte, dafür aber andere formelle Aspekte. Kann man so begründen, ich halte es aber für Systemwidrig.

Rechtsbeugung? Rechtsbeugung!

Auch ich bleibe dabei, dass Rechtsbeugung vorliegt, weil dritte Kinder keine Stimme im Verfahren hatten und damit gegen Verfassungsprinzipien verstoßen wurde. Solche Richter gehören aus dem Dienst entfernt. Aber: So oft wie falsche Entscheidungen im Familiengericht auch durch falsche Aussagen von Gutachtern und Jugendamt getroffen werden, die nicht geprüft oder hinterfragt werden, ist es schon bemerkenswert dass man bei einer Entscheidung, die einen ausufernden Staat in die Schranken weist, Rechtsbeugung annimmt, während man dies nicht tut, wenn der Staat bewusst nicht in die Schranken verwiesen wird.

So wenig Staat wie möglich im Anwendungsbereich des Art. 6 II GG

Michael Langhans

Für mich bleibt die Formel klar: Weniger Staat ist mehr. Rechtsbeugung ja, aber wenn dann nicht ergebnisorientiert bejahen.

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Gutachten Recht allgemein

Anwaltliche Falschberatung bei Gutachten

Ich habe heute dieses Schreiben auf Facebook gefunden, das ein Paradebeispiel für anwaltliche Falschberatung bei Gutachten ist. Ich übersende Euch das Schreiben hier zum Download, allerdings anonymisiert. Mir geht es nicht um Schelte einer Anwältin/eines Anwalts, sondern darum Fehler aufzuzeigen in der Hoffnung, dass in Zukunft besser beraten wird und anwaltliche Falschberatung bei Gutachten so nicht mehr vorkommt. Das Schreiben ist insoweit typisch, viele Mandanten und Menschen erzählen mir vergleichbares.

Anwaltliche Falschberatung bei Gutachten

Dieses Schreiben erhielt eine Mutter von ihrer Anwältin/ihrem Anwalt:

Das Schreiben lautet im Text:

Sachverständigengutachten in der Sorgerechtssache betreffend Name des Kindes
Bitte um kurze Rücksprache
Sehr geehrte Frau Name der Mutter,
heute hat mich die Sachverständige angerufen, Frau Name der Gutachterin ohne Titel ist vom Gericht beauftragt
worden, ein Gutachten zu erstellen. Vorläufig hatte das Amtsgericht Name des Gerichtsortes Ihnen die elterliche Sorge für Ihre Tochter Name des Kindes entzogen. Ob es bei dieser Entscheidung bleibt, hängt vom Ausgang des Gutachtens ab.
Die Gutachterin soll schauen, ob Sie die Verantwortung für das Kind übernehmen können. Wenn Sie dazu in der Lage sind, soll noch überprüft werden, ob Sie dabei Unterstützung brauchen und wenn ja, welche. Die Sachverständige benötigt für die Tätigkeit Ihr ausdrückliches Einverständnis. Die Teilnahme an der Begutachtung ist freiwillig.
Es ist in Ihrem Interesse, an der Begutachtung teilzunehmen, da Sie die elterliche Sorge für Name des Kindes gerne wiederhaben möchten.
In Ihrem eigenen Interesse bitte ich Sie daher, mit der Sachverständigen Kontakt aufzunehmen und einen Termin mit ihr zu vereinbaren.
Bei Fragen können Sie mich gerne anrufen.

Unterschrift der Anwältin

Schreiben vom 29.07.2022 einer/eines Anwalts/Anwältin

An diesem Schreiben stimmt so einiges nicht, und anderes ist nur teils richtig. Ich möchte hier die wesentlichen Fehler darstellen.

Ob es bei dieser Entscheidung bleibt, hängt vom Ausgang des Gutachtens ab

Diese Aussage ist falsch. Ob es bei einer Entscheidung bleibt, hängt von vielen Faktoren ab, Beweiserhebungen, Einlassungen, dem konkreten Problem usw. Die sogenannte Erziehungsunfähigkeit ist nur manchmal ein Faktor. Leider ergibt sich aus dem Schreiben nicht einmal sicher, ob ein familienpsychologisches Gutachten erstellt werden soll oder ein anderes. Ich hätte mir hier bereits Aussagen über den Beweisbeschluss und die Qualifikation der Gutachterin gewünscht, wie es z.B. in den Mindestanforderungen zu lesen ist.

Gerichte entscheiden, nicht Gutachter

Herausgeber Michael Langhans

Beweisaufnahmen sind viele Dinge, nicht nur das Gutachten. Das Gericht darf die Amtsermittlung nicht alleine auf den Gutachter übertragen.

Ergebnis: Die Beratung ist hier bereits grob falsch. Das lässt schlimmes erahnen

Die Teilnahme an der Begutachtung ist freiwillig

Diese Aussage ist richtig. Doch wird an dieser Stelle auch der wesentliche Teil verheimlicht: Selbst wenn die Mutter nicht teilnimmt, wird trotzdem ein Gutachten erstellt werden. Ein solches Gutachten nach Aktenlage kann je nach Aktenlage eine bessere Option darstellen oder eine schlechtere. Dazu muss man aber die Aktenlage kennen. Jedenfalls sollte man den Mandanten nicht im Irrglauben lassen, dass ohne Einwilligung nichts weiter passiert.

Freiwillig heisst nicht, dass ohne Zustimmung kein Gutachten erstellt wird

Michael Langhans, Volljurist

Es ist in Ihrem Interesse, an der Begutachtung teilzunehmen, da Sie die elterliche Sorge für Name des Kindes gerne wiederhaben möchten

Diese Aussage ist Blödsinn. Es ist im Interesse der Mutter und des Kindes, das Verfahren zu fördern. Dazu gehört aber nicht blinde Unterstützung aller Wünsche des Gerichts. Wer sein Kind wiederhaben möchte, der muss bestehende Zweifel aufklären oder Gefahren für ein Kind verhindern. Das kann auf vielerlei Weisen passieren, muss nicht zwingend durch ein Gutachten erfolgen.

Zudem: Was ist wenn das Gutachten negativ ausgeht? Man sollte immer darauf hinweisen, dass Gutachten oft die schnellsten Wege sind ein Kind zurückzubekommen. Ein schlechtes Gutachten ist aber auch perfekt geeignet, ein Kind nicht mehr zurückzubekommen.

Diese Abwägung sollte man unter allen Aspekten treffen, die möglich sind: Aktenauswertung, Beweise würdigen, Chancen und Risiken einschätzen.

In Ihrem eigenen Interesse bitte ich Sie daher, mit der Sachverständigen Kontakt aufzunehmen

Anwälte sollen beraten, nicht raten was das Interesse der Mutter ist. Sie haben Vor- und Nachteile von Verhalten und Prozesslagen darzustellen, nicht darzustellen was angeblich im Elterninteresse läge. Ps.: Es geht bei §1666er Verfahren auch um das Kind, nicht um die Eltern.

Anwälte beraten, sie raten nicht.

Michael Langhans

Fazit:

Wenn man schon Bausteinschreiben raussendet, dann kann man diese einmal richtig darstellen. So ist die Beratung Müll und ein deutliches Zeichen von anwaltlicher Falschberatung bei Gutachten im Kindschaftsrecht. So, liebe Anwälte, geht es eben nicht. Aber ich hab das so oft ähnlich gehört. Nehmen Sie teil, sie sind doch ein guter Vater usw. Solche Falschberatungen, aus der Bequemlichkeit des Alltags geboren, bringen Leid über Familien und Kinder.

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Recht allgemein

Anwaltliche Berufspflichten

Ich hatte letztens einen Artikel über Bewertung von Anwälten geschrieben, was es zu beachten gilt. Ein anderer Aspekt sind anwaltliche Berufspflichten. Wenn ein Anwalt gegen diese Berufspflichten verstößt, dann kann man sich diesbezüglich bei der für den Anwalt zuständigen Rechtsanwaltskammer beschweren. Solche Beschwerden sind oft ohne Erfolg. Warum das so ist und wie ihr das vermeiden könnt, das schildere ich in diesem Artikel.

Beschwerde gegen Anwalt

Viele Beschweren sich gegen ein Verhalten ihres Anwaltes, ohne sich mit den Berufspflichten auseinanderzusetzen und ohne zu wissen, was die Kammer kann und was sie nicht tun kann. Solche Beschwerden gehen dann nach hinten los. Dabei ist es einfach zu vermeiden.

Die Kammer kann nichts ermitteln

Egal was ihr dem Anwalt vorwerft: Die Kammer kann und darf den Sachverhalt nicht ermitteln. Wenn ihr also keine Beweise habt oder der Anwalt einfach sagt das stimmt nicht, dann sind Beschwerden von keinem Erfolg gekrönt. Daher könnt Ihr Euch die Mühe sparen. Doch manche Sachverhalte sind auch beweisbar: Dann macht eine Beschwerde Sinn.

Welche Anwaltlichen Berufspflichten gibt es?

Es gibt im Gesetz die folgenden Berufspflichten in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO):

  • Gewissenhaftigkeit
  • Unabhängigkeitspflicht
  • Verschwiegenheitspflicht
  • Sachlichkeitspflicht
  • Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten
  • Fremdgeldbetreuungspflichten
  • Berufshaftpflichtpflicht
  • Fortbildungspflicht

Diese Pflichten sind in den §§43 ff., 53, 56, 59, 76 BRAO geregelt.

Gerade das Sachlichkeitsgebot ist entweder über Protokolle oder Schriftsätze beweisbar. Unsachlich verhält sich ein Anwalt, wenn er die Gegenseite nur noch persönlich angreift, ohne dass dies der Vertretung irgendwie dienlich ist. Gewissenhaftigkeitsverstöße ergibt sich auch aus Schriftsätzen oder beweisbarem Verhalten.

Auch Verstöße gegen die Fortbildungspflicht, die Pflichten bei Fremdgeldern und beim Erhalt einer Berufshaftpflichtversicherung sind beweisbar. Schwieriger sind es aber das Verbot Widerstreitende Interessen zu vertreten oder die Pflicht, unabhängig zu agieren.

Dabei verkennen Laien oft die Grenzen. Widerstreitende Interessen liegen nicht schon dann vor, wenn man jede Partei schon einmal vertreten hat, auch und soweit dies gegen genau diese andere Partei der Fall war. Denn leider muss die Vertretung in derselben Rechtsangelegenheit vorliegen. Daran scheitert es oft, weil alleine ein sachlicher Zusammenhang nicht ausreicht.

Sachlichkeitspflicht als Berufspflicht

Gegen das Sachlichkeitsgebot verstößt ein Anwalt, der bewusst Unwahrheiten verbreitet und herabsetzende Äußerungen nutzt, ohne dass andere hierzu Veranlassung gegeben hat. Insbesondere Beleidigungen sind hierunter zu sehen, auch wenn im Kampf um das Recht auch deutliche Kritik geäußert werden darf (was dann aber eben nicht anlasslos ist, weil man ja reagiert). Verboten sind damit auch Lügen weiterverbreiten, auch wenn der Anwalt seinem Mandanten glauben und vertrauen darf.

Gewissenhaftigkeitspflicht

Gegen die Pflicht, gewissenhaft zu handeln, verstößt, wer nichts tut oder falsches tut. Dabei gilt nicht jede Untätigkeit als Verstoß, die Bummelei muss eine grobe Pflichtwidrigkeit darstellen. Wer Fristen versäumt, Schriftsätze nicht weiterleitet, sich auf Termine nicht vorbereitet, nicht zurückruft, nie erreichbar ist, der verhält sich grob Pflichtwidrig und verstößt auch gegen die Grundpflicht zur gewissenhaften Berufsausübung. Dabei werden mehrere Verstöße schnell als Häufung eher eine Berufspflichtverletzung darstellen als eine einzige. Die Kommentare fordern dabei eben hartnäckige Untätigkeit. Auch hieran scheitern dann viele Beschwerden.

Fazit

Nicht jedes Fehlverhalten führt zu einer berufsrechtlichen Sanktion. Es muss schon eine gewisse Schwelle erreicht werden, ab der die Kammern dann einen Verstoß gegen das Berufsrecht annehmen. Diese Schwellen müssen allesamt beweisbar sein. Eine erfolglose Beschwerde wird einen Anwalt nur wütend machen, daher sollte man sparsam sein mit diesem Mittel, wenn man einen Anwalt noch braucht.

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Recht allgemein

Anwalt bewerten

Viele Betroffene im Familienrecht beschweren sich über Anwälte. Zu wenig engagiert, zu teuer, zu leise. Eine legale Möglichkeit, sich seinen Frust von der Seele zu schreiben, die auch ankommt, ist es den Anwalt auf Google My Business, Anwalt.de oder ähnlichen Portal zu bewerten. Was man beachten sollte, wenn man einen Anwalt bewerten will, was man tunlichst nicht tun sollte und was erlaubt ist erzähle ich Euch in diesem Beitrag.

Bewertungsportale

Am Bekanntesten ist Anwalt.de, ein Portal in dem Anwälte kostenpflichtig werben, Artikel veröffentlichen können und sich präsentieren. Dort kann man seinen Anwalt bewerten. Die Bewertungen müssen aber freigeschalten werden. Eine andere Möglichkeit ist Google My Business, dort kann jeder mit einem Google Account eine Bewertung abgeben. Teils werden die Bewertungen dann auch in den Google Suchergebnissen angezeigt in der bewährten Sterne-Optik (bis 5 Sterne). Auch auf Facebook Seiten konnte man bewerten. Auf bewertet.de oder Provenexpert kann man ggf. ebenfalls seinen Anwalt bewerten.

Was gilt es zu beachten beim Anwalt bewerten?

Eine Bewertung sollte ehrlich sein. Wer also nie bei einem Anwalt war oder den Anwalt der Gegenseite bewertet, verhält sich bereits falsch. Es ist dann ein einfaches, eine solche Bewertung zu löschen oder gar abzumahnen.

Wenn ich aber eine konkrete Leistung in Anspruch genommen habe, was muss ich dann beachten bei meiner Bewertung?

Wie Bewertungen richtig abgeben

Bewertungen sind immer subjektiv. Ihr solltet das auch erwähnen. Formulierungen wie „meiner Meinung nach“, „ich hatte das Gefühl dass“ sind besser als Behauptungen faktischer Art.

Es ist schwerer anzugreifen wenn man schreibt „Ich hatte das Gefühl der Anwalt kannte meine Akte nicht“ als zu schreiben „Der Anwalt kannte meine Akte nicht“. Letzteres ist eine Tatsachenbehauptung und kann widerlegt werden (Zeugen, auch wenn diese die Wahrheit nicht sagen o.ä.)

„Ich fühle mich schlecht beraten“ ist besser als „ich wurde schlecht beraten“. Auch wenn man fakten nennt, bleibt immer ein Abmahnrisiko (bedenke: Du streitest mit einem Anwalt, der mit Streiten sein Geld verdient!). Wenn Du also schreibst „ich fühle mich schlecht vertreten, weil er im Termin fast nichts gesagt hat und nicht vorbereitet zu sein schien“ ist das weniger angreifbar als „ich war schlecht vertreten, weil er/sie/es/div. im Termin nichts sagte und nicht vorbereitet war“.

Meinungsfreiheit

Meinungsfreiheit gilt auch bei Bewertungen, trotzdem sollten diese neutral-objektiv gehalten sein, wenn es um sachliche Kritik geht. Der Ton sollte also angepasst sein. Aber auch in die Nutzungsbedingungen einer Plattform sollte man schauen, ob Kritik unter Pseudonym zulässig ist oder nicht.

Fazit

Eine Anwaltsbewertung ist ein netter Weg zur Rache, auch wenn man es nicht überbewerten sollte. Ich selber orientiere mich nie an 100% positiven Bewertungen, sondern achte auch auf schlechte. Wenn man nicht genau sagen kann was gestört hat oder Angst vor Angriffen hat, dann ist es besser nur eine Sternebewertung ohne Aussagen abzugeben. Diese hat aber weniger wert. Wenn Ihr inhaltlich was sagen wollt, versteckt Euch hinter Eurer Meinung oder Eurem Gefühl und meidet Tatsachenbehauptungen. Ein guter Anwalt wird auch Kritik annehmen. Ein schlechter wird Euch dann unters Korn nehmen.

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Gutachten

Familie in Tieren

Familie in Tieren ist ein projektiver Test, der gerne in familienpsychologischen Gutachten verwendet wird. Der Test wurde 1957 von  Luitgard Brem-Gräser entwickelt.

Familie in Tieren: Aufgabe

Die Aufgabe lautet: Das Kind soll sich seine Familie in Tieren vorstellen und diese dann zeichnen.

Interpretation der Zeichnung Familie in Tieren

Man erhofft sich aus der zeichnerischen Anwendung einen tiefenpsychologischen Schluss auf die Gedankenwelt des Kindes. Weil keine Worte verlangt werden, soll es, so die Idee, dem Kind leichter fallen zu zeichnen was es denkt. Zum Beispiel soll man Konflikte schildern können, ohne dass man verbal diese so benennen muss.

Auswertung der Zeichnung

„Die Auswertung erfolgt in „freier“ Interpretation nach tiefenpsychologisch oder systemisch orientierten Kriterien zu bestimmten Gesichtspunkten. Die Autorin selbst gibt hier eine Hilfestellung mit einem Katalog der Tiereigenschaften. Als weiteres Kriterium gilt die Anordnung, Größe und Art der Tiere auf dem Bild:

  • Welche Familienmitglieder werden in der gleichen Ebene gezeichnet?
  • Wer wendet sich wem zu?
  • Wer wendet sich von wem ab?
  • Welche räumlichen Distanzen bestehen zwischen den Familienmitgliedern?
  • Wie groß sind die Tiere dargestellt?
  • Welche Übereinstimmungen bzw. Unterschiede gibt es hinsichtlich der Gattung der gezeichneten Tiere (zum Beispiel Haus- oder Wildtiere, Säugetiere, Insekten etc.)?

Anders als beim Rorschach-Test sind die Zeichnungen nicht zwingend a priori bedeutungslos. Sie werden vom Tester subjektiv bewertet.“

vgl. Wikipedia

Probleme bei der Auswertung

Die Probleme bei der Auswertung sind in der subjektiven Gedanken desjenigen, der die Testung durchführt. Wer wendet sich wem zu kann sowohl technisch begründet sein (weil das Kind nur so malen kann), als auch subjektive Gründe haben, die nicht mit einem Streit zu erklären sind. Wenn der Vater weit weg wohnt ist es doch normal, diesen auch weiter weg zu zeichnen. Die räumliche Distanz wäre daher der Realität angepasst und würde nicht eine emotionale Distanz widerspiegeln. Das, was der Gutachter darin sehen möchte – trotz der systemischen Kriterien – wird er interpretieren, nicht zwingend das was gezeichnet oder gar gemeint ist.

Familienrichter a.D. Elmar Bergmann über Familie in Tieren in Gutachten mangelhaft

Verwendbarkeit und Gütekriterien

Das Testkuratorium deutscher Psychologenvereinigungen kommt in seiner Rezension von 2014 zu dem Ergebnis, dass „Familie in Tieren“ aufgrund der ausschließlich auf Intuition beruhenden Interpretation die Mindestanforderungen an Gütekriterien psychodiagnostischer Verfahren nicht erfüllt (F. Baumgärtel, R. Thomas-Langel: TBS-TK Rezension: Familie in Tieren. In: Report Psychologie. 11/12, 2014, S. 453–454.) Petermann hält die Verwendung von „Familie in Tieren“ daher als Test für nicht verantwortbar und die Verwendung als Explorationshilfe für spekulativ (vgl. F. Petermann: Familie in Tieren – Die Familiensituation im Spiegel der Kinderzeichnung. In: Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie. 18, 1–2, 1997, S. 90–92.).

Frau Lutz hingegen verteidigt den Test (vgl. Christiane Lutz: Projektive Verfahren und ihre Verwendung für die psychodynamische Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen. In: Hans Hopf, Eberhard Windaus (Hrsg.), (2007). Lehrbuch der Psychotherapie, Band 5: Psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. München: CIP Medien. (S. 159 – 174))

Da der Test nicht objektiv ist und nicht zuverlässig, kann er in wissenschaftlich fundierten Gutachten nicht verwendet werden. Allenfalls als kleine Explorationshilfe mag er eine Rolle spielen, ich selbst würde ein Gutachten aber an einem solchen Test scheitern lassen.

local_hospital

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Gutachten

Projektive Tests in familienpsychologischen Gutachten

Projektive Tests in familienpsychologischen Gutachten gibt es viele. Sie sind auch recht beliebt, vorallem weil der Gutachter einen weiten, wenig prüfbaren Spielraum bei der Auslegung hat. Ich erläutere Euch in diesem Artikel projektive Tests, was genau das ist und welche es gibt. Gutachten, die nur auf solchen Tests aufbauen, sind mit Vorsicht zu geniessen.

Was sind projektive Tests in familienpsychologischen Gutachten

Projektive Tests sind:

Gruppe von Testverfahren, bei denen die Probanden zu einem mehrdeutigen Stimulusmaterial Assoziationen bilden. Die Reizvorlagen werden inhaltlich möglichst unbestimmt belassen. Dies soll den Probanden Gelegenheit geben, bei der Assoziation Informationen aus ihrer eigenen Erlebniswelt zu verwerten. Es besteht also die Erwartung, daß die Personen ihre Emotionen und Motive in die Vorlage hineinprojizieren und dadurch offenlegen.

Spektrum.de

Das sagt ja der Name schon: Man projiziert Aussagen in den Test. Man möchte damit auch umgehen, falls eine Person/Kind/Opfer über bestimmte Dinge nicht sprechen kann oder will. Weil die Erfüllung der Aufgabe unbewusst eben die Meinung des Probanden projiziert. Das soll also alles tiefenpsychologisch inspiriert und nachvollziehbar sein.

Das hat aber einen großen Nachteil: Die Interpretation des Testergebnisses liegt im Auge des Betrachter. Der ehemalige Familienrichter Elmar Bergmann hat das im Fernsehen mal schön zusammengefasst:

Damit ist eigentlich alles über solche projektiven Tests gesagt. Eigentlich sollte man sie „subjektive“ Tests nennen.

Welchen Sinn haben diese projektiven Tests in familienpsychologischen Gutachten und Verfahren?

Man möchte die unbewusste Einstellung des Kindes zur Familie, seine Wünsche, seine selbstsicht eruieren und daraus Schlüsse für das Verfahren ziehen.

Welche projektiven Tests gibt es im Familienrecht durch Psychologen?

Die folgenden Tests sind mir schon im Rahmen meiner Arbeit als Gutachtenskritiker und -rezendent untergekommen:

  • Familie in Tieren
  • Drei Wünsche Test
  • Schloßzeichentest
  • Schweinchen Schwarzfuss
  • Baumzeichentest
  • Familienbrett
  • Mann Zeichen Test
  • Sterne Wellen Test
  • Zehn Wünsche Fantasiespiel

Das ist natürlich keine abschließende Auswahl, aber es sind gängige Tests.

local_hospital

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Natürlich würden Psychologen jetzt sagen, dass es natürlich Interpretationshilfen gibt und man nicht frei Schnauze loslegen dürfe:

Interpretationshilfen sind vorhanden

Wikipedia schreibt zum Beispiel zu Familie in Tieren:

„Die Auswertung erfolgt in „freier“ Interpretation nach tiefenpsychologisch oder systemisch orientierten Kriterien zu bestimmten Gesichtspunkten. Die Autorin selbst gibt hier eine Hilfestellung mit einem Katalog der Tiereigenschaften. Als weiteres Kriterium gilt die Anordnung, Größe und Art der Tiere auf dem Bild:

  • Welche Familienmitglieder werden in der gleichen Ebene gezeichnet?
  • Wer wendet sich wem zu?
  • Wer wendet sich von wem ab?
  • Welche räumlichen Distanzen bestehen zwischen den Familienmitgliedern?
  • Wie groß sind die Tiere dargestellt?
  • Welche Übereinstimmungen bzw. Unterschiede gibt es hinsichtlich der Gattung der gezeichneten Tiere (zum Beispiel Haus- oder Wildtiere, Säugetiere, Insekten etc.)?“

(Quelle)

Zu subjektiv, zu unzuverlässig: Projektive Tests

Meiner Meinung nach reicht das nicht. Zum einen wird auf die Fähigkeiten eines Kindes zu Malen/Zeichnen wenig Rücksicht genommen. Zudem sind die Ursachen, warum z.B. Distanz zwischen Familienmitgliedern gezeichnet ist, rein subjektiv. Das Kind kann den Vater weit weg zeichnen, weil er weit weg wohnt oder weil er sich (subjektiv gefühlt) nicht kümmert oder nicht kümmern kann. Es kann also sowohl räumlich als auch emotional gemeint sein. Daher kommt das Testkuratorium deutscher Psychologenvereinigungen in seiner Rezension von 2014 zu dem Ergebnis, dass „Familie in Tieren“ aufgrund der ausschließlich auf Intuition beruhenden Interpretation die Mindestanforderungen an Gütekriterien psychodiagnostischer Verfahren nicht erfüllt (siehe Wikipedia). Ein Test muss nämlich objektiv und zuverlässig sein.

Projektive Tests sind nicht objektiv genug und unzuverlässig

Michael Langhans

Dasselbe Problem gibt es beim Baumzeichentest. Man interpretiert wie groß und wie genau das Kind einen Baum zeichnet. Doch was sagt ein starker Stamm aus über die Bindung? Und hat das Kind einfach mit einem zu großen Stamm angefangen und dann ging der Platz aus? Kann ein starker Stamm ohne Blätter wachsen?

Was helfen projektive Tests in familienpsychologischen Gutachten?

Projektive Tests können am Ende eines Gutachtens unterstützen. Wenn ein Kind nicht reden kann oder will, weil es viel erlebt hat oder der Loyalitätskonflikt da ist. Wenn aber insbesondere viele Informationen in der Akte sind, die durch solche Sichtweisen gestützt oder widerlegt werden. Und in jedem Fall muss der Gutachter offenlegen, dass das eine reine subjektive Interpretation ist. Wie er zu seinen Schlüssen kommt, muss prüfbar und nachvollziehbar sein.

Deshalb müssen die Bilder oder Aussagen auch wörtlich / bildlich im Gutachten anliegen. Sonst ist das Gutachten diesbezüglich unverwertbar.

Fazit projektive Tests

Projektive Tests sollten im Gutachten möglichst nicht verwendet werden und wenn dann nur eine Randmeinung darstellen. Gutachten aus rein projektiven Tests sind unverwertbar und unwissenschaftlich.

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Sorgerecht

Wechselmodell auch bei Kommunikationsproblemen

Wechselmodell auch bei Kommunikationsproblemen oder erheblichen Störungen der Kommunikation kein Problem – zu dem Schluss kommt das OLG Dresden Beschluss vom 14.04.2022 – 21 UF 304/21 – freilich unter der Einschränkung, dass dieses Wechselmodell bereits gelebt sein muss. Trotzdem eine Entscheidung, die Hoffnung machen kann:

Leitsatz Wechselmodell auch bei Kommunikationsproblemen

Ein Wechselmodell kann gegen den Willen eines Elternteils auch bei einer erheblichen Störung der elterlichen Kommunikation gerichtlich angeordnet werden, wenn das Wechselmodell bereits seit geraumer Zeit tatsächlich gelebt wird, es dem beachtlichen Willen des Kindes entspricht und nachteilige Auswirkungen auf das Kind nicht feststellbar sind.

OLG Dresden

Die dortige Mutter war gegen die Anordnung des Wechselmodells gewesen. Begründet wurde die Beschwerde mit erheblichen Kommunikationsstörungen und der Manipulation des Kindeswillens. Dem hat das Oberlandesgericht nun eine Abfuhr erteilt.

Das Oberlandesgericht bekennt sich selbst in einem höchsten Konfliktfall zur BGH Rechtsprechung. Obwohl ein höchst komplexer Fall vorlag mit vielen Streiereien.

Selbst Eskalationsexzesse hindern Wechselmodell nicht

Auszugsweise führt der Beschluss aus:

Eine vernünftige, am Kindeswohl orientierte Kooperation und Kommunikation zwischen den Eltern ist auch derzeit kaum möglich. Es fehlt weiterhin an gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Eine von dem Antragsteller und der Antragsgegnerin im Senatstermin am 22.06.2021 vereinbarte außergerichtliche Mediation ist gescheitert. Die Antragsgegnerin hat hierzu erklärt, sie habe die Mediation beendet, weil der Antragsteller sie fortlaufend beleidigt und ihr ein kriminelles Verhalten unterstellt habe. An Absprachen, die während der Mediation getroffen worden seien, habe sich der Antragsteller im Nachhinein nicht gehalten. Der Antragsteller hat noch während des Laufs des Mediationsverfahrens im Januar 2022 Strafanzeige gegen die Antragsgegnerin mit der Begründung erstattet, diese habe ein Handy, das er L… zu Weihnachten 2020 geschenkt habe, an Dritte veräußert. Im Senatstermin am 17.03.2022 hat die Antragsgegnerin berichtet, dass es mit dem Antragsteller derzeit keine Kommunikation gebe. Der Antragsteller hat seinerseits geschildert, dass eine Kommunikation der Eltern gegenwärtig nur über L… oder über die Schule stattfinde. Ein Fahrradunfall des Kindes im April 2021 hat zu seinem nach wie vor noch anhängigen Sorgerechtsverfahren vor dem Familiengericht geführt, nachdem die Eltern kein Einvernehmen über die erforderliche ärztliche Behandlung erzielen konnten. Nach Einschätzung des Jugendamtes dauert der massive Elternkonflikt, dem L… schutzlos ausgesetzt ist, seit dem Jahre 2018 bis heute unverändert an.

OLG Dresden

Es wurde also alles mögliche an Stress produziert. Oft stellt man sich sowieso in der Beratungspraxis die Frage, ob Eltern nicht bewusst die Kommunikation hindern, um ein Wechselmodell zu verhindern.

Wechselmodell darf Kind nicht belasten

Darauf kommt es aber nicht an, solange das Wechselmodell das Kind nicht belastet:

Dabei ist die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern aber nur ein Abwägungsgesichtspunkt, der im Einzelfall zurücktreten kann. Auch bei hochkonfliktbehafteten Eltern kann das Wechselmodell dem Kindeswohl entsprechen, und zwar dann, wenn zu erwarten ist, dass das Wechselmodell die Belastung des Kindes durch den Elternkonflikt nicht verstärkt, darüber hinaus die Belastung sogar vermindert (vgl. Wache, Anm. zu OLG Bamberg, Beschluss vom 01.03.2019 – 7 UF 226/18 -, NZFam 2019, 574; Salzgeber, NZFam 2014, 921, 929). 

BGH, FamRZ 2020, 255, 257

Jede Betreuung an Vor- und Nachteilen messen, auch das Wechselmodell!

Wichtig dabei ist immer, dass bei jedem Betreuungsmodell alle Vor- und Nachteile aller Konstellationen abzuwägen sind:

Vor- und Nachteile für das betroffene Kind und seine Eltern wertend gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Bamberg, FamRZ 2019, 979, 980 = NZFam 2019, 574; KG, FamRZ 2018, 1324, 1326; Hammer, FamRZ 2015, 1433, 1442).

OLG Bamberg FamRZ 2019, 979

Das Wechselmodell kann Schadensminimierung sein

Diese Aussage des OLG finde ich so unendlich wichtig. Und man muss sie sich auf der Zunge zergehen lassen. Das Wechselmodell kann Schadensminimierung sein. Insbesondere wenn es seit einem Jahr keine Probleme beim Wechsel gab und die Schule das bestätigt, steht einem Wechselmodell nichts entgegen.

Die Entscheidung ist wichtig, weil der Focus auf das verlegt wird, was wirklich zählt: Dass es dem Kind gut geht. Echte oder vorgeschobene Probleme der Eltern sind zu vernachlässigen. Dem kann ich mich nur anschließen.

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Recht allgemein

Verzögerungsrüge richtig

Wie man eine Verzögerungsrüge richtig macht, erkläre ich in diesem Beitrag. Wichtig: In Kindschaftssachen gilt das Beschleunigungsgebot des §155 FamFG.

Vorrangs- und Beschleunigungsgebot in §155 FamFG

Dieser lautet in Absatz 1:

(1) Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls sind vorrangig und beschleunigt durchzuführen.

§155 FamFG

Das Gegenteil ist der Fall. Oft lassen sich die Gerichte viel Zeit. Notwendige Beweisaufnahmen werden nicht durchgeführt. Terminierungen erfolgen zu spät, obwohl das Gesetz hier klare Regeln kennt: 1 Monat nach Verfahrenseinleitung:

(2) Das Gericht erörtert in Verfahren nach Absatz 1 die Sache mit den Beteiligten in einem Termin. Der Termin soll spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden. Das Gericht hört in diesem Termin das Jugendamt an. Eine Verlegung des Termins ist nur aus zwingenden Gründen zulässig. Der Verlegungsgrund ist mit dem Verlegungsgesuch glaubhaft zu machen.

§155 Abs. 2 FamFG

Das richtige Mittel gegen solche den Familien schadenden Verzögerungen sind die Verzögerungsrüge und die Beschleunigungsrüge, die im GVG geregelt sind.

Was ist eine Verzögerungsrüge

Die Verzögerungsrüge ist die Rüge bei Gericht, dass man Angst hat dass das Verfahren nicht mit der notwendigen Sorgfalt betrieben wird. Geregelt ist sie in §198 GVG:

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist.

§198 GVG

Es geht also um Entschädigungen bei zu langen Verfahren.

Wie stelle ich die Verzögerungsrüge richtig?

Um die Verzögerungsrüge richtig zu stellen, muss man

  • beim Gericht der Sache (also dem Familiengericht mit dem Aktenzeichen des Verfahrens, das man rügt)
  • mitteilen
  • dass man die Sorge hat, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird

Weiter darf man nur

  • alle sechs Monate eine solche Rüge erheben oder
  • öfter, wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist.

Weil der Gesetzgeber aber erkannt hat, dass dieses Instrument in vielen Verfahren nicht richtig passt (die Verzögerungsrüge gilt in jedem gerichtlichen Verfahren!), hat er für Kindschaftssachen eine weitere Möglichkeit eingefügt: Die Beschleunigungsrüge

Was ist eine Beschleunigungsrüge

Die Beschleunigungsrüge ist in §155b FamFG geregelt und lautet:

(1) 1Ein Beteiligter in einer in § 155 Absatz 1 bestimmten Kindschaftssache kann geltend machen, dass die bisherige Verfahrensdauer nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot nach der genannten Vorschrift entspricht (Beschleunigungsrüge). 2Er hat dabei Umstände darzulegen, aus denen sich ergibt, dass das Verfahren nicht vorrangig und beschleunigt durchgeführt worden ist.

(2) 1Das Gericht entscheidet über die Beschleunigungsrüge spätestens innerhalb eines Monats nach deren Eingang durch Beschluss. 2Hält das Gericht die Beschleunigungsrüge für begründet, hat es unverzüglich geeignete Maßnahmen zur vorrangigen und beschleunigten Durchführung des Verfahrens zu ergreifen; insbesondere ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zu prüfen.

(3) Die Beschleunigungsrüge gilt zugleich als Verzögerungsrüge im Sinne des § 198 Absatz 3 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes.

§155b FamFG

Man sieht bereits, dass hier anders als bei der Verzögerungsrüge nicht die Geldkompensation im Vordergrund steht, sondern die echte Beschleunigung. Deshalb muss man hier auch konkret vortragen, was getan werden muss.

Wie stelle ich die Beschleunigungsrüge richtig?

Die Voraussetzungen für eine Beschleunigungsrüge lauten:

  • man muss in einer Kindschaftssache Beteiligter sein
  • die bisherige Verfahrensdauer darf nicht dem Beschleunigungsgebot entsprechen
  • es müssen Verfahrenshandlungen unterlassen worden sein

Die Verfahrensdauer meint z.B. §155 FamFG mit der Monatsfrist für Anhörungen. Erfahrungsgemäß findet die erste Anhörung zwar rechtzeitig statt, danach passiert aber oft wenig. Deshalb muss man hier vortragen, was genau unterlassen wurde, z.B. dass es keinen Beweisbeschluss gibt, der Gutachter zu langsam arbeitet, beantragte Beweisaufnahmen nicht erfolgen, Akten nicht beigezogen sind usw.

Die Beschleunigungsrüge ist immer auch eine Verzögerungsrüge, sagt das Gesetz. Eine Rüge reicht also aus!

Michael Langhans, Volljurist

Je konkreter ihr hier werdet, desto besser. Denn das Gericht muss sich innerhalb von einem Monat hiermit auseinandersetzen. Aussitzen geht also nicht einfach. Und das beste: Die Beschleunigungsrüge ist gleichzeitig eine Verzögerungsrüge.

Wie sieht so eine Musterformulierung Beschleunigungsrüge aus?

Ich habe Euch ein Muster vorbereitet. Dieses müsst Ihr natürlich anpassen und nur konkret reinschreiben, was bei Euch falsch läuft. Gleichzeitig habe ich trotzdem viele Grundsatzprobleme reingenommen.

Schadensersatz nach Verzögerungsrüge

Der immaterielle Schaden wird vom Gesetz mit 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung bemessen:

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

§198 II GVG

Dabei wird nur die konkrete Verzögerung berücksichtigt, und auch erst ab der Verzögerungsrüge. Der Schadensersatz ist also oft eher ein Taschengeld.

Was tue ich, wenn Beschleunigungsrüge und Verzögerungsrüge nicht fruchten?

Dann kann man mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde arbeiten oder einem Befangenheitsgesuch. Eine außerordentliche Beschwerde wegen unzureichenden Beschwerderechts wird weitgehend abgelehnt durch die Einführung der Anhörungsrüge.

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