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Sorgerecht

Wie geht man bei Entfremdung / Kontaktproblemen vor

Auch wenn die Thematik rund um Gardener/PAS/EKE alt und immer wieder am diskutieren ist, wird von keinem Experten ernstlich in Frage gestellt, dass es Kontaktprobleme zwischen Elternteil und Kind geben kann. Doch wie gehe ich bei Entfremdung vor? Wie gehe ich mit Kontaktproblemen um?

Ob man in diesem Zusammenhang lieber der Vorgehensweise von Baumann, Michel-Biegel, Rücker und Serafin, Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung in der ZKJ oder derjenigen von Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ebenfalls in der ZKJ folgen möchte, spielt dabei erst einmal keine Rolle. Wichtig ist, dass beide Meinungen Lösungsansätze darbieten. Ich selbst präferiere die erstere Vorgehensweise der Intervention:

Lösungsansatz 1: Schnelle Kontaktregelungen

  • Schnelle vorläufige Festlegung bindungserhaltender Kontaktregelungen
  • Hinführung zur Praxis paralleler Elternschaft
  • Verpflichtung der Eltern zur Teilnahme an psychologischer Beratung
  • Psychologischer und praktischer Beistand fur das betroffene Kind
zitiert nach Baumann, Michel-Biegel, Rücker und Serafin, Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung in ZKJ 7/22

Vorteil: Diese Lösung basiert auf bisherigen Hilfsangeboten und ist daher flächendeckend umsetzbar.

Michael Langhans, Volljurist

Die Gegenmeinung von Zimmermann et al. echauffiert sich sehr über die Schlüsse von Rücker und anderen, nutzt statt Entfremdung lieber den Begriff Kontaktprobleme, kommt aber auch zum Ergebnis, dass man einiges erst einmal herausarbeiten muss und insoweit die Ursachen der Kontaktprobleme diagnostisch bearbeiten muss:

Lösungsansatz 2: Diagnostik

„Erhoben werden sollen also Befunde insbesondere zu (a) Art und Austragungsform elterlicher Konflikte, einschließlich des Einbezugs des Kindes,
(b) Geschichte und Situation der elterlichen Zusammenarbeit (Co-Parenting),
(c) Art und Hintergründe der wechselseitigen Wahrnehmung beider Elternteile,
(d) Erleben und Umgangsweise beider Elternteile mit dem Verlauf der Trennung und der Aufgabe einer Neuorientierung für sich und das Kind,
(e) Geschichte und gegenwärtige Qualität der Beziehungen des Kindes zu jedem Elternteil,
(f) Belastung und Bewältigungsfähigkeiten des Kindes sowie die kindliche Wahrnehmung elterlicher Erwartungen und eigener Interessen,
(g) weitere Einflüsse von Geschwistern, Familienangehörigen und Fachkräften auf die Dynamik im Konfliktfall sowie
(h) Lösungsvorstellungen von Eltern und Kind.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Der Zweite Ansatz ist zu fachspezifisch, damit wird die Entscheidungsfindung wieder zu sehr in die Hände von Psychologen gelegt, von deren Qualität hängt damit auch ab, ob und wie es weitergeht.

Lösungsansatz 1 gibt dem Juristen umsetzbares Vorgehen an die Hand. Er ist zu präferieren.

Michael Langhans, Sorgerechtsexperte

Auch wenn es lobenswert ist, die Grundlagen eines Verhaltens zu verstehen, befürchte ich dass damit der Manipulation Tür und Tor geöffnet ist. Denn mit falschen oder unzureichenden Antworten kann man hier das Ergebnis beeinflussen.

Überhaupt wird doch aktuell in Verfahren zu sehr diskutiert und zu wenig gehandelt, wo doch Zeit ein wesentlicher Faktor ist.

Kinder wollen zu Umgang verpflichtet werden

Bekanntermaßen hat Dettenborn bereits vor langer Zeit klargestellt, dass auch Kinder bisweilen froh sind, zu Umgang „gezwungen“ zu werden, insbesondere wenn Entfremder am Werk sind.

„Das Kind ist eventuell froh, durch die Aufforderung zum Kontakt aus der Unentschlossenheit geholt zu werden. Das schließt Proteste gegen den Sozialarbeiter oder Richter, der Kontakt angeordnet hat, nicht aus. Sie sind meist eine Information an den manipulierenden Elternteil: Ich bin gezwungen zu gehen, es ist nicht meine Schuld.“

zitiert nach Harry Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021, S. 118

Daher fußt Lösungsansatz 1 doch nur in dieser alten Weisheit, wie sie Dettenborn zu Papier gebracht hat. Daran ändert dann auch nicht, dass Kindler und Co. zu Recht darauf hinweist, dass das Helfersystem in der Hochkonflikthaftigkeit an ihre Grenzen stößt:

Es gibt zu wenig echte Angebote

„Schließlich stimmen wir zu, dass Hilfeangebote in geeigneten Fällen meist bei der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern ansetzen müssen und neben den Chancen auch die Grenzen des Hinwirkens auf elterliches
Einvernehmen erkannt werden müssen.
(…)
Allerdings stellt die Hochkonflikthaftigkeit Fachkräfte der Trennungsberatung, wie eine aktuelle Umfrage zeigt ( Kindler/Eppinger, 2022), weiterhin häufig vor erhebliche Herausforderungen. Deshalb ist es nötig, spezialisierte Beratungs- und Hilfekonzepte für hochkonflikthafte Eltern, die sich als wirksam erwiesen haben (z.B. Retz , 2015; Visser/van Lawick, 2021), stärker zu fördern und flächendeckend auszurollen.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Statt also darauf hinzuweisen, dass man flächendeckendere Hilfekonzepte benötigt, ist es m.E. wichtig, diese Hilfe darzutun; und deshalb finde ich die Lösungsansätze 1 verbindlicher. Sie sind ein pragmatischer Ansatz, der mit den bisherigen Angeboten umsetzbar ist und damit eine Lösungsmöglichkeit sein könnte. Denn Zeit, bis Beratungsangebote ausgerollt sind und dann dem Jurist bekannt sind, spielt nur dem in die Hände, der keine Lösung möchte. Mit den oben dargelegten Handreichungen kann man jedenfalls bei Entfremdung vorgehen.

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Familienpolitik

Das ungehörte rechtliche Gehör

Es gibt sie noch: Richter, die sich entschuldigen, wenn ihnen Fehler passieren. Das kommt nicht oft vor, aber wenn, dann ist es bemerkenswert. Doch während man sich respektvoll verneigt vor dieser Geste (von der der/die/das betroffene Elternteil nichts hat!) und weiterliest, bleibt einem die Freude im Hals stecken. Denn man kann mit wenigen Worten die ganze Freude und den ganzen gewonnenen Respekt wieder kaputt machen, indem man deutlich macht, dass es dem Richter egal war und ist, was eine Partei vorträgt. Das ungehörte rechtliche Gehör ist für Euch da draussen oftmals Alltag und doch selten so einfach zu beweisen.

Was war passiert?

In einem Umgangsverfahren hatten wir Umgang beantragt in einem bestimmten Umgang. Ein altes Gutachten hatte hier Einschränkungen vorgesehen, das angesichts der fehlenden Wissenschaftlichkeit und Transparenz kaum zu verwerten war. In der Anhörung meinte das Gericht, dann „schauen wir halt mal, ob man diesen Salzgeber bekommt“ und kündigte damit ein neues Gutachten an. Diskussionen über das alte Gutachten waren dann unnötig. Umso ärgerlicher war es dann, im Beschluss als Begründung Verweise auf das alte Gutachten zu lesen und Zitate, die einfach widerlegt hätten werden können, wenn man hierüber diskutiert hätte. Es handelt sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung, weil das Gericht seine Meinung kund tat und diese dann heimlich änderte, ohne den Parteien Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben.

Auf die Rüge der Überraschung kam dann folgendes Schreiben des Gerichtes:

Entschuldigungsschreiben?

Es wird Bezug genommen auf die Beschwerdeschrift vom 04.08.2023.

Die Beschwerde rügt eine Überraschungsentscheidung des Gerichts. Dies bedauert das Gericht.

Dem Gericht ist ein Fehler unterlaufen.

Infolge einer temporären Arbeitsüberlastung und eines Bearbeitungsfehlers beim Arbeiten mit der elektronischen Akte wurde bei der Übersendung des zweiten Zwischenberichts über den begleiteten Umgang am 04.07.2023 ein Aktenvermerk nicht übernommen, mit dem das Gericht die Beteiligten darauf hinwies, dass es in Erwägung ziehe, auch ohne das angekündigte Sachverständigengutachten zu entscheiden. Vermutlich wurde die elektronische Akte fehlerhaft bedient. Der Vermerk fehlt in der Akte. Die Beteiligten wurden also nicht dementsprechend unterrichtet. Am Tag der Absetzung der Entscheidung lagen dem Gericht dann noch weitere drei einstweilige Anordnungen vor. Der Fehler wurde daher bei der Absetzung der Entscheidung übersehen.

Zitat aus einer Verfügung eines süddeutschen Amtsgerichts

Soweit, so gut, oder? Bedauern, Fehler einräumen, alles gut soweit. Oder? Wir sind alle Menschen und machen Fehler, oder? Ja, richtig. Wenn da nicht der folgende Abschlusssatz wäre:

An der Entscheidung in der Sache hätte dies aber nichts geändert

Ok, an der Entscheidung in der Sache hätte sich aber nichts geändert – egal was vorgetragen worden wäre? Übersieht das Gericht dabei nicht, dass solche Hinweise eben auch geeignet sind, dass man Stellung nimmt und Argumente vorträgt, die überzeugen können?

Immerhin sagt das BVerG ja, dass man davon ausgehen kann, dass immer alles zur Kenntnis genommen wird:

„Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.“

BVerfG 1 BvR 117/16, BVerfGE 86, 133, BVerfGE 65, 293, BVerfGE 50,32 u.v.m.

Blöd nur, wenn ein Richter von vorne herein sagt, dass es ihm egal ist, was die Parteien auch vorgebracht haben. Da wird das rechtliche Gehör zur Formalie, die eher lästig als hilfreich ist. Ich bin dankbar für diese Erfahrung und diese Ehrlichkeit. Denn wann schon ist ein Richter mutig genug offen auszusprechen dass ihm der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 GG scheißegal ist?

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Gutachten

Manipulation und induzierter Wille

Manipulation und induzierter Wille eines Kindes (also von einem anderen in das Kind gelegte Wille) sind Aspekte, mit denen die Gerichte und Juristen so ihre liebe Not haben. Ähnlich wie bei familienpsychologischen Fragen wird dann lieber alles in die Hände eines Fachpsychologen für Rechtspsychologie gelegt. Das ist im Ergebnis zwar richtig, verkennt aber, dass die Grundlagen der psychologischen Ergebnisse belegbare Fakten sein müssen, die zu beschaffen gerichtliche Aufgabe ist. Dazu gehört aber auch, dass man ein wenig Theorie dahinter kennt. Diese möchte ich Euch hier vorstellen. Doch Achtun: Damit ist keine fachpsychologische Bewertung verbunden, ich bin nur Jurist. Im konkreten Fall mag es also Sinn machen, einen Psychologen hinzuzuziehen.

Wann spricht man von einem manipulierten Willen?

Ein manipulierter Wille (induzierter Wille) liegt dann vor, wenn das Kind eine Meinung äußert, welche einer der Konfliktpartei nicht genehm ist (vgl. insoweit Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021, Kapitel 4.5).
Danach soll der durch Beeinflussung entstandene Kindeswille eine Induktion fremden Willens sein und damit nicht zu berücksichtigen. Insoweit ist die Bezugsperson mit mehr Kontakt und Macht im Vorteil, da diese auch mehr manipulieren könne (also die sogenannte umgangsgewährende Person. 

Das ist zum Beispiel so eine Tatsache, die man vortragen oder ermitteln kann und muss.

Was alles ist beeinflusster Wille?

Die gegenseitige Auffassung spricht davon, dass jeder menschliche Wille beeinflussbar ist, auch der Wille Erwachsener (Lempp 1983).

Erziehung insbesondere ist Beeinflussung, sodass Kinder einen Anspruch auf Beeinflussung und Erziehung haben (Lempp 1983).

Jede liebevolle Zuwendung ist Beeinflussung (Köster 1997), so dass sich die Frage stelle, dass bei Beeinflussungen mehrerer Personen sich das Kind für und gegen eine andere Beeinflussung entscheidet und diese Grundlagen zu klären sind und insbesondere jede Art von Beeinflussung seiner psychischen Prägung führt (alles zitiert nach Dettenborn).

Natürlich machen sich daher alle Eltern der Beeinflussung durch Erziehung des Kindes und Zuwendung von Liebe und Aufmerksamkeit „schuldig“. Das kann man auch vortragen und unter Beweis stellen.

Das heißt also, dass man hierzu sehr viel vor Einholung eines Gutachtens vortragen sollte – und danach auch das Gutachten auf Vollständigkeit prüft.

Verschiedene Arten der Induzierung

Komplizierter wird die Situation weiterhin, als das verschiedene Arten der Indizierung unterschieden werden müssen (vgl. Dettenborn aaO S. 94).
Wenn in einem Verfahren also von einen Manipulation gesprochen wird, dann muss zuerst mitgeteilt werden, ob und gegebenenfalls welche Form von Manipulation vorliegt. Hieran scheitern Gerichte, Anwälte, Jugendamt und Psychologen oft. 

Manipulation bedeutet, dass tatsächliche Bindungen sich im Verhalten nicht widerspiegeln

Salzgeber weist in Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020, Rn. 1104, zurecht darauf hin, dass  ein manipulierter Kindeswille dann vorliegt, wenn dieser die tatsächlichen Bindungsverhältnisse nicht widerspiegelt. Auch hierzu kann und muss man vortragen, wenn man dies behauptet.

Dies gilt umso mehr, als dass es eben kein Kriterium gibt, anhand dem man zwischen echten Äußerungen und vereinnahmten unterscheiden könnte (vgl. Kindler in Eltern-Kind Bindungen und geäußerter Kindeswille in hochstrittigen Trennungsfamilien).

Insbesondere unterscheiden Kinder nicht zwischen eigenen Aussagen und Induzierten, weshalb auch die Glaubwürdigkeitsanalyse diesbezüglich nicht hilft (Salzgeber aaO). 

Indirekte Induzierung

Die Wissenschaften unterscheiden weiter zwischen indirekter Induzierung, wie das Gewähren oder Versprechen von Vorteilen, Geschenken, Zuwendungen, Freizügigkeit.

Direkte Induzierung

Die direkte Induzierung hingegen betrifft konkret das Verändern von Einstellung und Willensinhalt von Kindern in Bezug auf bestimmte Personen und in Bezug auf die Zukunft.

Inhalte der Induzierung

Induzierte Inhalte sind vorwiegend Furcht, Ablehnung und Feindseligkeit. 
Die Behauptung, wenn  das Kind dieses oder jenes wolle, dies sei manipulierter Wille, könnte zwar Ablehnung darstellen. Dazu muss man aber vortragen und sich damit auseinandersetzen.

Zu berücksichtigen ist allerdings auch die Frage, wie das Kind trotz oder gerade wegen seines Alters diese Ablehnung begründet

Balloff in Kinder vor dem Familiengericht, 4. Auflage 2022, S. 253 ff., führt zu Recht aus, dass die Wirkfaktoren einer Manipulation darstellbar sind, sowohl auf Eltern als auch Kinderebene. Dies ist eine klare Handlungsanweisung an die Juristen, wird aber oft verkannt.

Unterbleibt dies, dann kann eben auch keine Manipulation behauptet sein.

Offene Induzierung

Offene Indizierung ist, wenn man den Gegner schlecht redet, das, was auch als bindungsintolerant auftritt. Damit wäre aber per se jedes Verfahren Manipulation, insbesondere jedes, das die Voraussetzungen des §1671 BGB bedingt, oder wenn im begleiteten Umgang bestimmte Themen nicht angesprochen werden dürfen oder der Wunsch des Kindes ignoriert werden muss).

Verdeckte Induzierung

Verdecktes Vorgehen ist die nonverbale Kommunikation, vor allem Mimik und Gestik Liebesentzug und Ähnliches. Auch hier muss es Sachvortrag geben.

Abgrenzung zur Normalität

Zu Recht weist Dettenborn (aaO S. 95) auch darauf hin, dass abgegrenzt werden muss zur normalen Erziehung, die die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes fördert einerseits gegen die Beeinflussung, bei der Ziele eines Erwachsenen im Konflikt durchgesetzt werden sollen. Äußere Anpassung und Verinnerlichung müssen vorliegen, um Induzierung anzunehmen (Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022, S. 100).  
Die Identität wird von solchen Induzierungen insoweit gestaltet, als dass diese bei Durchsetzung das Selbstvertrauen stärken, das Negieren dann aber das Gegenteil erreichen würde (vgl. hierzu auch OLG Frankfurtt 1 UF 94/93).
Das OLG Hamm hat in 11 UF 12/98 darauf hingewiesen, dass als eine Voraussetzung genannte Ablehnung von Kontakt … auf einer inneren Ablehnung beruhen muss, der tatsächliche oder auch eingebildete, nicht sachgerecht verarbeitete Ereignisse zugrunde liegen.

Auch hier muss also vorgetragen werden, welche Ereignisse es gibt, muss es Beweisaufnahmen geben usw.

Wann eine Manipulation nicht klappt

Einflüsse gegen vorhandene Einstellungen und Absichten eines Kindes sind in der Regel wenig wahrscheinlich (Dettenborn aaO S. 96).

Bedenklich, so Salzgeber, ist es insoweit, wenn man den Willen eines Kindes als nicht rational sieht und manipuliert, gleichzeitig aber dann den Willen nicht bei der gerichtlichen Regelung berücksichtigt, wie vorliegend (Salzgeber aaO).

Der Wille des Kindes sollte, so Balloff  aaO S. 251, nicht einem rechtlich wünschenswerten Ziel geopfert werden. Denn dadurch würde dieser Wille an Bedeutung verlieren.

Solch ein Wille ist, da Kinder Subjekte sind, zu berücksichtigen, weil Kinder fähig sind, sich Handlungsräume und Freiheitsgrade anzueignen.

Fazit

Hier kann und muss der Jurist die Argumente und Aspekte, wie oben oberflächlich dargestellt, bedienen, Beweise anbieten und strukturiert Belege vorlegen. Das erhöht die Chancen auf ein Gutachten oder eine Entscheidung in eurem Sinne.

Literaturempfehlungen:

Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021

Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022

Balloff in Kinder vor dem Familiengericht, 4. Auflage 2022

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020

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Familienpolitik

Fakenews: „Es ist Fakt, dass dieses Kind niemals missbraucht worden ist“

Ja, ich weiss, eigentlich sollte ich mich nicht äußern, weil ich mit der betroffenen Elternperson auch so meine Probleme habe, aber wie Ihr ja wisst kann und will und werde ich fachlichen und menschlichen Unsinn niemals akzeptieren. Wenn eine Andrea Zuercher von der AFD auf TikTok genau jenen Satz äußert „Es ist Fakt, dass dieses Kind niemals missbraucht worden ist“, dann ist für den Kinderschützer und Familienrechtler zwar eigentlich mit der Parteizugehörigkeit dieser Dame alles ausgesagt, was aber nicht bedeutet, dass sie auch recht hat. Jeder, der sich mit Missbrauch beschäftigt, weiss, dass eine solche Aussage populistischer Scheissdreck ist, was ja irgendwie wieder zur AFD passt. Gleichwohl möchte ich Euch erklären, warum eine solche Aussage schlicht Blödsinn ist.

@andreazuercherafd

Mein Statement zum "Kentler Fall" in Berlin!

♬ 【No drums】 Emotional space-like epic … – MoppySound

Missbrauch ist nie auszuschließen

Missbrauch von Kindern ist leider nie ganz auszuschließen, außer der Täter legt ein glaubwürdiges Geständnis vor, es gibt eindeutige Missbrauchsspuren medizinischer Art oder psychologische Auffälligkeiten oder gar Zeugen/Beweisvideos.

Das Gegenteil hingegen, dass kein Missbrauch stattgefunden hat, ist in der Regel niemals vollständig beweisbar.

Psychologische Gutachten

Salzgeber äußert sich hierzu wie folgt in Familienpsychologische Gutachten:

„Auch wenn … ein sexueller Missbrauchsvorwurf nicht bestätigt werden kann, so kann nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass kein Missbrauch oder Übergriffe stattgefunden haben.“

Salzgeber, Rn. 859

Es gibt eben keine sicheren psychologischen Kriterien für einen solchen Nachweis.

Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Aussagepsychologie. Denn diese scheitert oft am Alter des Opfers (Aussagefähigkeit), an psychischen Problemen desselben oder schlicht an mangelhaftem fachlichen Vorgehen.

Medizinische Befunde

Ich zitiere insoweit aus einem medizinischen Bericht einer Universitätsklinik:

„Es erfolgte außerdem eine rechtsmedizinische und gynäkologische Untersuchung am xx.xx.2022. Dort konnte kein Hinweis auf sexuellen Missbrauch gefunden werden. Dies schließt einen sexuellen Missbrauch jedoch nicht aus, da sich das kindliche Genital sehr schnell regenerieren kann. Die mikrobiologisch untersuchten Proben der Vagina (Abstrich) und des Urins brachten keinen Keimnachweis. Auch dies spricht weder für noch gegen das Vorliegen von Kindesmissbrauch.“

Bericht einer Universitätsklinik aus 2022

Auch das Hymnen (Jungfernhäutchen) muss bei Verkehr oder im Alltag nicht zwingend reißen (vgl. z.B. hier). Auch bei Analverkehr muss es nicht zwingend Verletzungen und damit Spuren geben.

Fazit

Es gibt also keine Möglichkeit, sicher einen Missbrauch auszuschließen (außer eben bei selbsternannten TikTok-Helden). Genau deshalb, wegen solchem Blödsinn der zu weiterem unentdeckten Missbrauch führen kann, warne ich regelmäßig davor, sein familienrechtliches Schicksal in die Hände von selbsternannten und fachlich disqualifizierten Helfern zu legen. Das schließt zwar Teile der Anwaltschaft mit ein, diese begeht aber in der Regel nicht solche mediale Selbstjustiz, die ich zutiefst verabscheue. Solche Leute helfen keinem Kind, nur ihrem eigenen Ego.

Die von mir vertretenen Väter, die fälschlicherweise des Missbrauchs beschuldigt werden oder wurden, sowie die Mütter, die diesen Verdacht hegen, aber auch ich, wir setzen uns für eine ordentliche, fachlich hochwertige Aufklärung von Vorwürfen ein. Dies findet in vielen Kinderschutzambulanzen oder bei vielen Familiengerichten nicht oder nicht zureichend statt. Solche medialen Massaker helfen hingegen keinem einzigen missbrauchten Kind.

Michael Langhans, 06.06.2023

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Gutachten

Die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (Polygraphie)

In Familiensachen mit schwieriger Beweislage kann die psycho-physiologischen Aussagebegutachtung (Polygraphie) durchaus eine wichtige Rolle einnehmen, auch wenn sie von vielen Juristen stigmatisiert wird als „vollkommen ungeeignet“. Und es gibt eine ganze Menge (familiengerichtliche) Entscheidungen, die solche Polygraphie-Untersuchungen (ggf. als eines von mehreren Beweismitteln) zulassen:

Entscheidungen mit Bezug auf die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (Polygraphie)

In den folgenden Entscheidungen wird ein Polygraphentest durchaus im Rahmen der Beweiswürdigung im Freibeweisverfahren vor dem Familiengericht zugebilligt:

OLG Bamberg 7 WF 122/94

OLG München 12 UF 1147/98

AG Bautzen 40 Ls 330 Js 6351/12 mit Hinweis auf ein familiengerichtliches Verfahren

AG Schwäbisch Hall 2 F 88/21

AG Schwäbisch Hall 2 F 150/20

OLG Dresden 21 UF 787/12

OLG Oldenburg 4 UF 60/96

Argumente für den Einsatz des Polygraphen

Das OLG München führt hierzu aus:

„Beim Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs bietet die Untersuchung mit einem Polygraphen eine sichere und schnelle Entscheidungshilfe zur Erfassung wahrheitsgemäßer Aussagen. Bei der elterlichen Sorge und dem Umgangsrecht handelt es sich um FGG-Verfahren (§§ 621 a Abs. 1621 Abs. 1 Nr. 12 ZPO), in denen der Untersuchungsgrundsatz gilt. Das Gericht hat von Amts wegen die notwendigen Tatsachen festzustellen und die objektive Wahrheit zu ergründen (Keidl-Kuntze-Winkler, FGG, 13. Auflage, § 12 RdNr. 21). Über den gesamten Inhalt des Verfahrens entscheidet das Gericht in freier Beweiswürdigung, wobei es die volle Überzeugung vom Vorliegen beweiserheblicher Tatsachen haben muß (Keidl-Kuntze-Winkler a.a.O. RdNr. 190). Kann ein entscheidungserheblicher Punkt nicht geklärt werden, ist dies zu Lasten desjenigen zu werten, den die Feststellungslast trifft (Keidl-Kuntze-Winkler a.a.O.). Beim Vorwurf sexuellen Mißbrauchs mit einem Kinde geht es regelmäßig wie auch im vorliegenden Fall, um die Behauptung des Kindsvaters, unschuldig zu sein, d.h. um den Nachweis seiner Unschuld. Die Sachlage ist damit völlig anders als im Strafprozeß (OLG Karlsruhe, StV 1998, 530).

OLG München, 25.11.1998 – 12 UF 1147/98

Die Untersuchung mit einem Polygraphen ist im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren ein geeignetes Mittel, einen Unschuldigen zu entlasten

OLG Dresden

Auf Grund der wissenschaftlichen Forschungen bietet die Untersuchung mit dem Polygraphen einen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsbeweis, wenn sie zum Ergebnis kommt, daß der Verdächtige unschuldig ist. Ergibt die Untersuchung dagegen, daß der Proband die tatbezogenen Fragen zu den konkret vorgeworfenen sexuellen Handlungen nicht wahrheitsgemäß beantwortet hat, besteht kein sicherer Nachweis, daß er die Taten tatsächlich begangen hat, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit hierfür (Undeutsch FamRZ 1996, 329 ff; Salzgeber/Stadler/Vehrs, Die psychophysiologische Aussagebegutachtung im Rahmen des Familiengerichtsverfahrens, Praxis der Rechtspsychologie 1997, 213 ff). Dies bedeutet im Ergebnis, daß der Proband dann seine Unschuld mit dieser Untersuchung nicht beweisen konnte. Bei der Untersuchung mit dem Polygraphen werden dabei üblicherweise neben allgemein gehaltenen Fragen drei Tatfragen und drei Kontrollfragen gestellt, wobei die Reaktion bei Atmung, Hautleitfähigkeit und Puls/Blutdruck gemessen wird. Erfolgt bei der Beantwortung der Tatfragen eine stärkere Reaktion als bei der Beantwortung der Kontrollfragen, spricht dies für wahrheitswidrige Angaben, im umgekehrten Fall für eine wahrheitsgemäße Aussage. Insgesamt ist die Untersuchung mit dem Polygraphen damit ein geeignetes Mittel im FGG-Verfahren, einen Unschuldigen zu entlasten (OLG Bamberg, NJW 1995, 1684). Im Sinne des Kindeswohls ist dabei auch hervorzuheben und zu beachten, daß das Kind bei einer Entlastung des Probanden regelmäßig nicht mit einem Glaubwürdigkeitsgutachten und den damit zusammenhängenden das Kind belastenden Untersuchungen überzogen werden muß. Die Anwendung des Polygraphen erfordert allerdings, wie der Sachverständige … bei seiner mündlichen Anhörung überzeugend darlegte, daß die sogenannten Tatfragen sehr exakt gestellt werden und den erhobenen Tatvorwurf präzise umfassen müssen, ferner, daß die Kontrollfragen für den Probanden eine emotionale Bedeutung haben. Werden nur allgemeine Tatfragen erhoben, wie „Haben Sie sexuelle Handlungen an Ihrem Kind vorgenommen?“, ermöglicht dies ein innerliches Ausweichen des möglichen Täters mit der Folge einer Verfälschung der Ergebnisse.“

OLG München, 25.11.1998 – 12 UF 1147/98

Polygraph ein völlig ungeeignetes Beweismittel?

Der Bundesgerichtshof hatte zuerst den Polygraphen als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen, diese Rechtsprechung dann aber in 1 StR 156/98 aufgegeben.

Gleichwohl wird in Strafsachen der Polygraphentest nach wie vor als „völlig ungeeignetes Beweismittel“ abgelehnt:

Bei einem Polygraphen handelt es sich um ein Gerät, das körperliche Vorgänge mißt, die der willentlichen Kontrolle des Untersuchten weitgehend entzogen sind (z.B. Blutdruck, Puls- und Atemfrequenz). Dem Beschuldigten werden während der Messung Fragen gestellt, deren Inhalt vom angewendeten Testverfahren abhängt.

Das Kontrollfragenverfahren geht davon aus, daß Täter und Nichttäter auf tatbezogene Fragen einerseits und nicht die Tat betreffende Fragen (Kontrollfragen) andererseits psychisch unterschiedlich reagieren. Dies soll sich in dem mit dem Polygraphen erzielten Meßergebnis niederschlagen, so daß aus einem Vergleich der unterschiedlichen Ausschläge der Meßkurven auf die Täterschaft des Beschuldigten geschlossen werden könne.

Dieses Konzept ist jedoch falsch:

Bereits die Grundannahme trifft nicht zu. Denn nach einhelliger wissenschaftlicher Auffassung ist es nicht möglich, eindeutige Zusammenhänge zwischen emotionalen Zuständen eines Menschen und hierfür spezifischen Reaktionsmustern im vegetativen Nervensystem zu erkennen. So muß beispielsweise die Veränderung des Blutdrucks nicht auf der Entdeckungsfurcht beruhen, sondern kann völlig andere, nicht erfaßbare Ursachen haben. Insbesondere ist nicht nachweisbar und deshalb für den letzt- und eigenverantwortlich entscheidenden Richter nicht überprüfbar, daß der zu Unrecht Verdächtigte emotional gelassener reagiert als der Täter. Die verbreitete Bezeichnung des Polygraphen als „Lügendetektor“ entbehrt daher jeder Grundlage.

Anderes ergibt sich auch nicht aus den Berichten über hohe „Trefferquoten“ (bis zu 98,5 %) bei der Durchführung von Studien. In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit, daß sich die in experimentellen Untersuchungen (Labor- und Analogstudien) erzielten Ergebnisse von vornherein nicht auf die gerichtliche Praxis übertragen lassen, weil die Testbedingungen der Wirklichkeit eben nicht entsprechen. Dagegen sind in Feldstudien, d.h. bei Untersuchungen anhand „echter“ Kriminalfälle gewonnene Ergebnisse deshalb ohne jeglichen Beweiswert, weil es keinen Maßstab gibt, ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es treten weitere Einwände hinzu: Die mitgeteilten Richtigkeitswerte sind Folgen der Verzerrung des statistischen Fallmaterials und daher statistisch wertlos. Aus den – ohnehin falschen – „Trefferquoten“ der Untersuchungen kann kein Schluß auf die Beweislage im konkreten Einzelfall gezogen werden.

BGH 1 StR 156/98

Ungeeignet bei hoher Trefferquote?

Der Bundesgerichtshof lehnt den Einsatz des Polygraphen daher auch deshalb ab, weil die „Trefferquote“ nicht ausreichend sein soll. Dies wird zurecht kritisiert:

Wegen der hohen Trefferquote hatte Schwabe (NJW 1982, 367) bereits 1982 die Entscheidung eines Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 18.08.1981 –2 BvR 166/81 -, NJW 1982, 375) kritisiert und von einer „brüchigen Logik“ gesprochen. Denn wenn ein Beweismittel mit einer Treffergenauigkeit von 90 % nicht ausreiche, so müsste man folglich allen Beweismitteln, deren Treffergenauigkeit sich nicht über die 90 %-Marke erhebt, ihren Beweiswert absprechen und als völlig ungeeignetes Beweismittel einstufen. Letztendlich ist in der Gerichtspraxis bekannt, dass der Zeugenbeweis hinsichtlich der Trefferquote „Lüge“ oder „Irrtum“ besonders unzuverlässig ist. Dennoch gehört die Zeugenvernehmung zu dem Beweismittel, welches in der gerichtlichen Praxis am häufigsten erhoben wird. Würden entsprechende Anforderungen hinsichtlich der Treffergenauigkeit auch an andere Beweismittel gestellt werden, bliebe letztendlich wohl nur das DNA-Abstammungsgutachten mit 99,9 %-Trefferquote als geeignetes Beweismittel für die Gerichtspraxis übrig.

AG Schwäbisch-Hall 2 F 150/20

Diese Auffassung teile ich. Schauen wir doch auf die familienpsychologischen Gutachten, bei denen bis zu 75% mangelhaft und daher im Ergebnis falsch sind (vgl. gutachten-anfechten.de). Das hat die Studie von Prof. Dr. Werner Leitner ergeben. Danach sind bei diesen Gutachten 95% aller Verhaltensbeobachtungen unsystematisch, die Gesprächsführung zu 80% unspezifiziert und zu 79% ohne Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Literatur.

Wie kann man also ein Beweismittel ablehnen, wenn man schlechtere Beweismittel regelmäßig zulässt?

Und zudem: Gelten die Einwände gegen den Polygraphen, der als psycho-physiologische Aussagebegutachtung eine andere Form der Aussagebegutachtung ist bzw. eine Fortbildung derselben um subjektive Kriterien, dann auch für das Aussagepsychologische Gutachten?

Jedenfalls muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass das Gutachten von einem echten Experten erstellt wird.

Anwendbarkeit des Polygraphen (zumindest) in Kindschaftssachen

In Kindschaftssachen gilt die Amtsermittlung und der Freibeweis, nicht der Strengbeweis des Strafverfahrens und Zivilverfahrens. Die Möglichkeiten des FamFG sind anders als in der StPO und der ZPO nicht formell aufgeführt, sondern in Kindschaftssachen vorallem am Wohl des Kindes als oberster Richtschnur orientiert.

Beweiserhebliche Tatsachen sind mit allen vom Gericht für notwendig erachteten Mitteln festzustellen.

Polygraphen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, keine Fehlentscheidungen zu treffen

AG Schwäbisch-Hall

Folgerichtig führt das AG Schwäbisch-Hall – und diesen Ausführungen folge ich – zu Recht aus:

Dabei verpflichtet der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG die Familiengerichte in Kindschaftsverfahren im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen. In besonderer Weise ist das Familiengericht gehalten, die vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und auf diese Weise nach Möglichkeit zu vermeiden, dass sich die Grundsätze der Feststellungslast zu Lasten des Kindes auswirken (BGH, Beschluss vom 17.02.2010 – XII ZB 68/09 -, NJW 2010, 1351 (1353)). Dies ist letztendlich der entscheidende Aspekt, warum der Polygraph im familiengerichtlichen Verfahren zuzulassen ist, da er – ungeachtet des Meinungsstreits – die Wahrscheinlichkeit zum Wohl des Kindes erhöht, dass das Familiengericht weder in Bezug auf den Kindeswohlaspekt 1 noch in Bezug den Kindeswohlaspekt 2 eine Fehlentscheidung trifft. Denn das Familiengericht trifft letztendlich in derartigen Fällen Entscheidungen, die das Leben eines minderjährigen Kindes betreffen und entscheidende „Weichen“ für die Zukunft dieses jungen Menschen stellen.

AG Schwäbisch-Hall, Beschluss vom 25.10.2021 – 2 F 150/20

Wissenschaftliche Stimmen pro Polygraph

Polygrafie (…) ist ein gut überprüfbares, zuverlässiges Verfahren

Dettenborn und Walter

Dabei weißen Dettenborn und Walter in Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022 auf S. 376 auf folgendes hin, was ich oben bereits angedeutet habe:

„Die Polygrafie-Methode ist ein spezieller Bereich, in dem aussagepsychologische Kompetenz genutzt werden kann. Wenn im Falle eines sexuellen Missbrauchsverdachts die Aussagen eines Kindes wegen zu geringen Alters, wegen geistiger Mehrfachbefragungen bzw. Behinderung oder infolge suggestiver nach Fremdeinflüssen zeugenschaftlich nicht verwertbar sind, andere Beweise aber nicht zur Verfügung stehen und trotzdem entschieden werden muss, dann ist die Polygrafie-Methode d. h. die physiopsychologische Aussagebeurteilung (alltagssprachlich ‚Lügendetektion’), ein gut überprüftes, vergleichsweise (z. B. Glaubhaftigkeitsgutachten) zuverlässiges Verfahren.“

Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie

Zudem, hierauf weisen Dettenborn und Walter zurecht hin, gibt es keine andere Möglichkeit bei Missbrauchsverdacht, die eigene Unschuld zu beweisen, weshalb der Beschuldigte einen Anspruch hierauf habe, auch um die sozialen Beziehungen aufrechterhalten zu können (Vermeidung einer Stigmatisierung) und um das Interesse des Kindes an kindeswohldienlichen Beziehungen zu beiden Eltern aufrecht zu erhalten.

Auch Salzgeber äußert sich seit 2001 hierzu:

„Der Polygraph kann im Rahmen der familienpsychologischen Verfahren z. B. dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Raum steht [Fn. 611: Siehe Undeutsch FamRZ 1996, 329 — 331]. Es bietet sich der Einsatz immer dann an, wenn das Kind so jung ist, dass weder eine konkrete Aussage vorliegt noch erwartet werden kann oder wenn möglicherweise durch falsche Begutachtung oder falsche aufdeckende Arbeit die Aussage bereits so manipuliert worden ist, dass auf eine zugrundeliegende Tat nicht mehr geschlossen werden kann, der Vorwurf aber dennoch weiter im Raum bleibt [Fn. 612: Siehe: Endres/Scholz NStZ 1994, 473]. […]

Sollte jemand zu Unrecht beschuldigt werden, und dies ist im Familienrechtsverfahren nicht selten der Fall, so wird damit ja nicht nur die familiäre Beziehung zum Kind belastet, wenn nicht gar zerstört, sondern auch möglicherweise eine berufliche Karriere behindert oder soziale Eingebundenheit zerstört (S. 209).“

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, Auflagen ab 2001 (mit verändertem Text), aktuell Rn. 843 in gekürzter Fassung

Leider gibt es nur wenige echte Experten, die den Polygraphentest nutzen können (Salzgeber aaO). Daher begrenzt das AG Bautzen die in Betracht Ziehung von solchen Gutachten auf Fachpsychologen für Rechtspsychologie, die nachgewiesenermaßen mit der physiopsychologischen Methode vertraut sind und über eine spezielle Ausbildung verfügen zur fachgerechten Bedienung eines Polygrafen und der Interpretation seiner Aufzeichnungen (vgl. Uni Passau).

Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs erfolgt die polygraphische Aufzeichnung auch eher aus dokumentierendem Anlass, weshalb Undeutsch und Klein auch den Begriff „forensisch-physiopsychologische Begutachtung“ geprägt, den die Wissenschaft auch verwendet, der vorallem aber verdeutlicht, dass die technischen Aspekte hinter die Aussagepsychologie zurückzutreten haben und nur deren Qualität erhöhen. Vereinfacht ausgesprochen: Wer die Aussagepsychologie anerkennt als geeignetes Beweismittel, muss das mehr, das die physio-psychologische Begutachtung mit sich bringt, erst recht zulassen.

Konklusion: Polygrafie ist geeignet

Im Hinblick auf die oben dargelegten Aspekte ist daher die psycho-physiologische Aussagebegutachtung bzw. der Polygraf/“Lügendetektor“ hervorragend geeignet, um als eines von mehreren Aspekten die Unschuld zu beweisen. Die forensisch-physiopsychologische Begutachtung ist dabei nur ein Aspekt der anerkannten Aussagepsychologie. Andere Mittel des Unschuldsbeweises gibt es nicht. Insbesondere wenn eine Manipulation des Opfers oder altersbedingt/zeitablaufbedingt keine weiteren Beweismittel gewonnen werden können, bietet sich diese Methode an. In Zeiten, in denen Richter bei Glaubhaftigkeitsbewertungen regelmäßig versagen und Gutachten oft so schlecht sind, dass man hiermit nicht einmal die Mülleimer belasten kann, müssen seriösere Methoden zugelassen werden. Dies gilt umso mehr, als dass diese Methode im fairen Verfahren nur eines von vielen Beweisaspekten sein wird.

Zudem hat sich die Fragetechnik in den letzten Jahren erheblich verbessert, so dass auch aus diesen Aspekten keine wissenschaftlichen Bedenken mehr herleiten lassen.

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Sorgerecht

Die Angst des Kindes vor einem Elternteil

Ich bin heute über eine Aussage des Amtsgerichts Wangen zu einer wunderbaren Entscheidung des Obergericht des Kantons Zürich gestolpert, die zur Angst des Kindes vor einem Elternteil auf die denkbar emphatischste Art und Weise eingeht (samt einer eloquenten Belesenheit), die man sich in vielen Verfahren wünscht und die man so selten nur erhält. Das Obergericht nimmt nämlich als Metapher für die Angst Herrn TurTur, den Scheinriesen, als Beispiel. Herr Tur Tur ist eine Figur aus Michael Endes Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer.

Ich darf also Herrn Tur Tur vorstellen im genialen Verfilmungsoriginal „meiner“ Augsburger Puppenkiste:

https://youtu.be/Oe89N_68Qm0?t=1102

Was ist ein Scheinriese

Herr Tur Tur ist ein Scheinriese, also ein normalgroßer Mensch, der auf Distanz als Riese erscheint, je näher man ihn betrachtet, desto kleiner wird er, bis er ein normaler, liebenswerter, aber einsamer Mensch ist.

Die Geschichte des Scheinriesen kann – je nach Alter – zu einer unterschiedlichen Wahrnehmung führen. Während Kinder ihn direkt „als armen Kerl wahr[nehmen], mit dem man Mitleid haben muss“, der Mitgefühl erzeugt, assoziieren Erwachsene eher realitätsnah: „Für sie steht der Scheinriese für die Neigung des Menschen, sich und andere über seine wahre Bedeutung zu täuschen“.

Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Scheinriese

Der Scheinriese als Metapher für die Angst

Insoweit liegt es so nahe, diese Metapher für die Angst zu nutzen. Angst vor dem Unbekannten. Und das hat das Obergericht in Zürich erkannt und dies als wunderbares Beispiel genommen:

„Angst muss ernst genommen werden; sie zu überwinden, kostet Anstrengung und braucht auch Mut. Aber nur wer Angst aktiv
angeht, vermag sie zu überwinden, oder erkennt, dass sie unbegründet gewesen ist. Die Figur des Scheinriesen „Herr Tur Tur“ aus dem Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ veranschaulicht dieses Phänomen hervorragend:
Je weiter entfernt „Herr Tur Tur“ ist, umso bedrohlicher erscheint er; nur wer sich ihm nähert, erkennt, dass er kein Riese ist. Gino kann seine Angst vor seinem Vater nur überwinden, wenn er mit ihm in Kontakt tritt und erfährt, dass sein Vater kein Monster und kein Dämon ist und ihm keine Vorwürfe macht. Nur wenn Gino erfahren darf, dass sein Vater ein „gewöhnlicher“ Mann ist mit Stärken und Schwächen, Vorzügen und allenfalls unangenehm empfundenen Eigenheiten, wird er seinen väterlichen Anteil an seinem eigenen Wesen akzeptieren lernen.“

Obergericht Kanton Zürich PQ190029-O/U vom 02.09.2019

Ein wunderbares Beispiel, das auch als Kritik an Eltern und Juristen in Verfahren verstanden werden kann, deren Verhalten aus kleinen Dingen riesige Monster aus Kindersicht erscheinen lassen – als Scheinmonster wie Herrn Tur Tur. Nur wer die Macht hat, sich auf die Angst einzulassen und sich dem Riesen nähert, hat eine Chance zu erkennen dass hinter dem Riesen ein normaler, wenn auch einsamer Mensch steckt.

Ich habe, ehrlicherweise, nie etwas emphatischeres in einem Beschluss gelesen. Und irgendwie wundere ich mich nicht, dass es kein deutsches Gericht war, das diese Idee herangezogen hat.

Idee des Amtsgerichts Wangen

Das Amtsgericht hat die Idee des Scheinriesen adaptiert und eine „Auflage“ formuliert, dass ein Elternteil dem Kind das Buch schenkt mit der Widmung und Mitteilung, der andere Elternteil solle dies (gemeinsam mit dem Kind) vorlesen. Eine einfache, geniale und richtige Idee, die ich hier gern weitergebe in der Hoffnung, der eine oder andere von Euch zieht hieraus Vorteile für sein Verfahren.

Und natürlich ist diese Metapher nicht nur eine Hilfe bei Entfremdung, sondern bei vielen Ängsten. Wenn wir alle ein wenig über den Tellerrand blicken wollen, wird die Welt sicher besser.

Das Buch könnt ihr übrigends hier besorgen.

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Recht allgemein

Erfolg: Jugendamt lügt, Umgangsausschluss aufgehoben

Erfolg auf ganzer Linie: Wenn das Jugendamt lügt und man es richtig macht, dann wird auch ein Umgangsausschluss aufgehoben. Das habe ich für den Verein Erzengel in Kooperation mit dem Verein „Nein lass das!“ bewiesen.

Erfolgsmeldung des Vereins

Bemerkenswert ist dabei die wichtige Aussage des Gerichts:

„Insbesondere haben sich die Ausführungen des Jugendamtes (…) als unzutreffend erwiesen.

Was man tun sollte, wenn das Jugendamt lügt, könnt ihr hier nachlesen. Dann muss ein Umgangsausschluss aufgehoben werden oder eine Sorgerechtsmaßnahme.

Ihr könnt aber auch eine kostenfreie telefonische Beratung des Vereins Erzengel buchen oder zusammen mit unseren Anwälten die Wahrheit erstreiten. Leider wissen viele Anwälte nicht, wie das geht. Wir und unsere Anwälte hingegen schon.

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Recht allgemein

Vortrag „Gutachten im Familienrecht aus juristischer Sicht“

Ich halte am 23.02.2023 ab 19 Uhr einen Vortrag „Gutachten im Familienrecht aus juristischer Sicht“ online auf Zoom ab. Dies ist eine Kooperation mit Vater Rat von Stephan Gutte. Teilnehmen kann jeder, für Mitglieder von Vater Rat ist die Teilnahme kostenlos. Mehr Infos oder Anmeldungen könnt ihr Euch per eMail an Stephan Gutte.

Inhalt Vortrag Gutachten im Familienrecht

Der grobe Inhalt wird ungefähr so ausgerichtet sein und in drei Komplexe geteilt sein:

  1. Vor Beginn eines Gutachtens: Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, Sachverhalt sicher- und richtigzustellen und Freiwilligkeit der Teilnahme mit Vor- und Nachteilen, aber auch Vorbereitung auf ein Gutachten.
  2. Während des Gutachtens: Wie kann ich während der Begutachtung prozessual Einfluss nehmen und das vorbereitete einbringen
  3. Nach schriftlicher Vorlage des Gutachtens: Typische rechtliche und wissenschaftliche Fehler, wie diese angehen, wann Gutachter ablehnen, wie neue Entwicklungen einbringen, Haftungsklagen

Wie mit Stephan besprochen, werde ich die Inhalte auch nach Euren Wünschen ausgestalten, so dass ich fleissig um Mitteilung bitte, welche konkreten Fragen beantwortet und welche Schwerpunkte gesetzt sein sollten.

Was ist Vater Rat?

Vater Rat bzw. Eltern Rat – die Webseite und das Netzwerk steht jedermann offen – zur Information, Selbsthilfe, Beratung und Vernetzung. Es werden regelmäßige Austauschtreffen organisiert, unter anderem eben auch die Fachvorträge.

Der Vortrag von mir ist eine Kooperation von Vater Rat mit unserem Verein Erzengel. Die Inhalte des Vortrag „Gutachten im Familienrecht aus juristischer Sicht“ sind die Quintessenz meiner Webseite Gutachten anfechten und Familienrecht by Michael Langhans. Insbesondere wird auch auf die dritte Auflage des Buches „Fehler in Gutachten erkennen“ Bezug genommen. Dieses erscheint Ende Februar 2023.

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Gutachten

Gutachtenstelle Stuttgart GmbH / Dr. Arnscheid

Werden Daten der Gutachtenstelle Stuttgart GmbH ohne Rechtsgrundlage weitergegeben, auch wenn diese aus Nichtöffentlichen Verfahrensakten herrühren? Diesbezüglich sind mir die Gutachtenstelle Stuttgart GmbH und deren Geschäftsführerin Dr. Arnscheid unlängst in den Fokus gelangt. Ähnlich wie im fehlerhaften Vorgehen von Prof. Dr. Michael Günter scheint auch in Stuttgart die Auffassung vertreten zu werden, dass man mit Daten aus nichtöffentlichen Verfahren machen könne, was man wolle. Wie ich zu dieser Einschätzung komme, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart GmbH und Dr. Arnscheid

Mir liegt ein Schreiben dieser Gutachtenstelle Stuttgart GmbH vor, in dem eine Sekretärin mitteilt, der Gutachterauftrag eines Amtsgerichtes würde ausgeführt durch die benannte Gutachterin.

Eine Prüfung der Frage, ob die Gutachterin qualifiziert genug ist im Sinne der Mindestanforderungen, scheint nicht stattgefunden zu haben. Das kann auch kaum eine Sekretärin entscheiden. Das ist Aufgabe der benannten Sachverständigen.

Relevant ist aber die folgende Ankündigung:

Ausschnitt aus dem Dokument, das hier vorliegt

„Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen werden im Rahmen unserer Qualitätssicherung mit Frau Dr. Arnscheid persönlich beraten und abgestimmt. Das Gutachten wird entsprechend gegengezeichnet.“

Darf ein neutraler Gutachter das Ergebnis seines Gutachtens „abstimmen“ mit dritten Personen? Ich sage nein. Eine gesetzliche Grundlage gibt es hierfür nicht. Ein Gutachter muss selbst auf Basis der Wissenschaft zu einem Ergebnis kommen. Dabei werden persönliche Aussagen, Aktendetails, Interaktionen und gegebenenfalls medizinische Diagnosen und psychologische Tests anhand psychologischer Fragen bewertet, also Daten, die vertraulich sind. Einfach so und ohne Rechtsgrundlage?

Das Ergebnis eines Gutachtens muss offen und neutral sein, es kann nicht „abgestimmt“ werden. Eine Abstimmung der Ergebnisse von Gutachten mit denn Gerichten hatte bereits Prof. Dr. Gresser und Jorden im Aufsatz „Gerichtsgutachten. Oft wird die Tendenz vorgegeben.“ kritisiert.

Ein solches Gutachten, bei dem ein Ergebnis abgestimmt wird, ist nicht neutral erstattet.

Strafbarkeit der Gutachtenstelle Stuttgart?

Die Gutachtenstelle Stuttgart scheint einige Probleme mit der Schweigepflicht von Sachverständigen zu haben. Und eine Schweigepflicht nach §203 StGB des gerichtlich bestellten Sachverständigen scheint auch nicht zu existieren. Eine Weitergabe von nichtöffentlichen Verfahrensunterlagen an irgendwelche Menschen, egal ob diese Psychologe sind oder nicht, scheidet grundsätzlich aus. Denn ein solches Verhalten ist strafbar gem. §203 StGB, wie das Kammergericht Berlin bereits festgestellt hat.

Absatz 2 des §203 StGB lautet insoweit:

„(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als
(…)
5. öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist“

Eine Ausnahme sieht das Gesetz nur bei der Ausbildung vor, vgl. Abs. 3. Aber wie sich oben ergibt ist die Gutachterin ja gerade nicht in Ausbildung. Und ich glaube auch nicht, dass Frau Dr. Arnscheid behaupten wird, sie selbst wäre noch ausbildungsbedürftig. Eine Mitwirkungspflicht i.S. §203 III StGB ergibt sich ebenfalls nur dann, wenn dies im Beweisbeschluss vorgegeben wäre.

Das Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart dürfte daher strafrechtliche Relevanz haben. Denn Daten aus Kindschaftssachen sind nichtöffentlich i.S. §170 GVG, um die Persönlichkeitsrecht der Eltern und Kinder zu schützen. Hiergegen zu verstoßen ist unprofessionell, genau so wie wenn ein Richter aus einer Akte in der Sauna zitiert oder ein Anwalt sich am Stammtisch über seinen Mandanten äußert.

Zur einfachen Verständlichkeit beinhalten Sachverständigenordnungen oft folgenden Passus:

„Dem Sachverständigen ist untersagt, bei der Ausübung seiner Tätigkeit erlangte Kenntnisse Dritten unbefugt mitzuteilen oder zum Schaden anderer oder zu seinem oder zum Nutzen anderer unbefugt zu verwerten. Der Sachverständige hat seine Mitarbeiter zur Beachtung der Schweigepflicht zu verpflichten.“ (vgl. hier) Gutachter, die ihr Handwerk verstehen, müssten soetwas wissen.

DSGVO und Gutachtenstelle Stuttgart

Aber auch nach der Datenschutzgrundverordnung ist dieses Vorgehen rechtswidrig. Hierfür muss die Geschäftsführerin Dr. Arnscheid einstehen. Denn Art. 5 DSGVO fordert die Datenminimierung ein. Das heißt, es dürften nur die Daten erhoben werden, die man wirklich benötigt. Und weitergegeben werden darf nur das, was auch wirklich weitergegeben werden muss, um die rechtmäßige Datenerhebung des Auftrags zu erfüllen.

Das Vorgehen der Gutachtenstelle Stuttgart im obigen Verfahren ist daher datenschutzwidrig und dürfte Schadensersatzansprüche auslösen i.S. Art. 82 DSGVO i.V.m. §§823 II BGB, 203 II StGB.

Zudem ist die Datenschutzerklärung falsch:

„Die Aufträge werden von der GA-ST an die Gutachter weitervermittelt und schließlich an diese „ad personam“ übergeben. Anschließend erfüllt die GA-ST nur noch beratende, organisatorische, buchhalterische und logistische Aufgaben.“

Datenschutzerklärung

Lassen wir es einmal außen vor, dass „beratende“ Tätigkeit und „gutachterliche Tätigkeit“ sich gegenseitig ausschließen. Lustig ist, wenn man dann weiter liest. Denn man trägt vor, dass nur der Auftraggeber das Gutachten weitergeben darf:

Die fertiggestellten Gutachten werden original unterschrieben an den Auftraggeber übersandt. Die Entscheidung darüber, welche weiteren Personen vom Inhalt der Gutachten Kenntnis erlangen dürfen bzw. das Dokument ausgehändigt bekommen, liegt allein bei den Auftraggebern, nicht bei den Gutachtern. Diese sind ihrerseits nicht befugt, Gutachten herauszugeben.

Datenschutzerklärung Gutachterstelle Stuttgart

Einen Datenschutzbeauftragten scheint es nicht zu geben, ich habe jedenfalls keinen gefunden.

Liest man weiter, findet man einen klaren Widerspruch:

Zur Qualitätssicherung dienen folgende Verfahren:

  • Erörterung der Gutachten in einem Konferenz- und Expertensystem unter Wahrung der Anonymität
  • Persönliche Supervision und Gegenzeichnung der Gutachten durch Herrn Prof. Dr. du Bois (Facharzt für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Forensische Kinder- und Jugendpsychiatrie ) und/oder Frau Dr. Judith Arnscheid Verhaltenstherapeutin für Kinder-, Jugendliche und Erwachsene, Fachpsychologin für Rechtspsychologie (Geschäftsführung der GA-ST), Frau Bettina Wernecke, Fachpsychologin für Rechtspsychologie
Webseite Gutachtenstelle

Einerseits sagt man, die Daten werde nicht geteilt, dann wieder anonym diskutiert und dann doch von einer weiteren Person unterzeichnet. Ich finde, man muss sich schon entscheiden, was man machen möchte – unabhängig davon, ob dies rechtlich zulässig ist. Die Datenschutzerklärung ist daher grob falsch und widersprüchlich.

Sonderregelungen im Bundesland Baden-Württemberg

Wie wir bereits im Fall von Herrn Prof. Dr. Günter gefragt hatten, dürfte so ein Vorgehen per se zu unverwertbaren Gutachten führen, weil hier Menschen Gutachten bewerten, die die Personen, die exploriert wurden, gar nicht kennen. Dieses Vorgehen ist fachlich falsch, wie sich aus Ventzlaff/Foerster, Das psychiatrische Gutachten, S. 70, ergibt. Umso erstaunlicher ist, dass der Kollege von Prof. Dr. Günter, Prof. Dr. Reinmar du Bois, mit in der Gutachterstelle sitzt. Günter und du Bois bilden gemeinsam neue „Experten“ aus.

Sind Gutachten der Gutachtenstelle Stuttgart unverwertbar?

Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Doch wenn an einem Gutachten eines Sachverständigen der Gutachtenstelle Stuttgart weitere Personen mitwirken, die im Beweisbeschluss nicht benannt sind, ohne dass der Sachverständige von der Schweigepflicht entbunden wurde, ist dies unverwertbar.

Ein Ergebnis kann ein Sachverständiger nur auf eigene Explorationen stürzen. Es darf doch nicht bewerten, was ein anderer Verstanden hat, er muss bewerten was jemand sagte.

Zudem macht es auch keinen Sinn, warum 2 Personen einen Sachverhalt bewerten sollten, wenn einer ausreicht. Ein Gutachter, der sein Gutachten mit Dritten abstimmt, ist zudem nicht mehr neutral.

Gleichwohl sollte jeder eine Einzelfallprüfung vornehmen, um die Frage zu beantworten, ob in seinem Fall Schadensersatzansprüche gem. §839a BGB oder Art. 82 DSGVO und §823 II BGB i.V.m. §203 StGB bestehen.

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Gutachten

Wie bereite ich mich auf ein Gutachten vor?

Viele Eltern fragen es sich, wenn ein Beweisbeschluss erlassen wurde: Wie bereite ich mich auf ein Gutachten vor, egal ob familienpsychologisch, psychiatrisch oder auf sonstige Weise. Für die Gutachter sind vorbereitete Probanden ein Problem, weil diese nicht mehr unbekümmert fehlerhafte Aussagen machen, die man zu Lasten der Personen berücksichtigen kann. Eine Vorbereitung auf ein Gutachten ist daher wichtig und sollte sowohl persönlich als auch rechtlich erfolgen. Denn Gutachten vorbereiten ist nicht schwer.

So bereite ich mich auf ein Gutachten vor

Als erstes sollte man den Beweisbeschluss kennen und gegebenenfalls in die richtigen Bahnen lenken. Davon ausgehend kann man dann ungefähr voraussagen, welche Inhalte das Gutachten haben wird. Es geht hier um psychologische Fragen im Gutachten. Auf diese psychologischen Fragen kann man sich vorbereiten. Insbesondere beim Thema Bindungstoleranz sollte man eben wissen, dass man auch die Erziehungsleistung des anderen Elternteils und die Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind anerkennen muss.

Antworten auf psychologische Fragen vorbereiten

Man kann sich also auf die psychologischen Fragen vorbereiten. Damit meine ich nicht, dass man Antworten auswendig lernen sollte. Aber man sollte die eigene Einstellung zu den Problemen, die sich aus den Fragen ergeben, hinterfragen, recherchieren oder sich Coachen lassen. Natürlich kann es auch hilfreich sein, Fachliteratur zum Thema zu lesen.

Wenn man vorher weiß, dass bestimmte Probleme ein Thema sein werden (Alkoholsucht, Aggression usw.), sollte man sich vorbereiten und mitteilen können, was man konkret getan hat, um eine Situationsverbesserung herbeizuführen. Dazu muss man aber die Wirkweise von Alkohol oder Substanzen kennen. Hilfreich ist es dort oft auch, wenn man belegen kann dass man sich fachkundig beraten und unterstützen lässt.

„Was soll schon passieren“

Die oft geäußerte Aussage, was denn passieren soll, oder von Anwälten kommunizierte Aussagen wie „sie sind doch ein guter Elternteil“ hingegen sind wenig hilfreich. Fehler vermeiden wie „sich zu negativ über den anderen Elternteil äußern“ oder eben bestimmte Verhaltensweisen nicht zu hinterfragen sind dazu geeignet, dass man die Situation oft verkennt und damit schlechte Karten hat.

Kenne Deine Akte!

Die beste Vorbereitung auf ein familienpsychologisches Gutachten ist es also, die Akte zu kennen. Wer die Akte kennt, kann sich auf die psychologischen Fragen vorbereiten. Wer alle Vorwürfe kennt, kann mit diesen Souverän umgehen.

Wichtig ist, dass der Gegenüber, gleich ob Richter oder Gutachter, nicht den Eindruck hat, dass man keinen Überblick hat oder überheblich agiert.

Sich auf ein familienpsychologisches Gutachten vorzubereiten ist daher gar nicht so schwer. Wer dabei Hilfe braucht kann sich gerne an unsere Hotline wenden.

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