Auch wenn die Thematik rund um Gardener/PAS/EKE alt und immer wieder am diskutieren ist, wird von keinem Experten ernstlich in Frage gestellt, dass es Kontaktprobleme zwischen Elternteil und Kind geben kann. Doch wie gehe ich bei Entfremdung vor? Wie gehe ich mit Kontaktproblemen um?
Ob man in diesem Zusammenhang lieber der Vorgehensweise von Baumann, Michel-Biegel, Rücker und Serafin, Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung in der ZKJ oder derjenigen von Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ebenfalls in der ZKJ folgen möchte, spielt dabei erst einmal keine Rolle. Wichtig ist, dass beide Meinungen Lösungsansätze darbieten. Ich selbst präferiere die erstere Vorgehensweise der Intervention:
Lösungsansatz 1: Schnelle Kontaktregelungen
zitiert nach Baumann, Michel-Biegel, Rücker und Serafin, Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung in ZKJ 7/22
- Schnelle vorläufige Festlegung bindungserhaltender Kontaktregelungen
- Hinführung zur Praxis paralleler Elternschaft
- Verpflichtung der Eltern zur Teilnahme an psychologischer Beratung
- Psychologischer und praktischer Beistand fur das betroffene Kind
Die Gegenmeinung von Zimmermann et al. echauffiert sich sehr über die Schlüsse von Rücker und anderen, nutzt statt Entfremdung lieber den Begriff Kontaktprobleme, kommt aber auch zum Ergebnis, dass man einiges erst einmal herausarbeiten muss und insoweit die Ursachen der Kontaktprobleme diagnostisch bearbeiten muss:
Lösungsansatz 2: Diagnostik
„Erhoben werden sollen also Befunde insbesondere zu (a) Art und Austragungsform elterlicher Konflikte, einschließlich des Einbezugs des Kindes,
zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023
(b) Geschichte und Situation der elterlichen Zusammenarbeit (Co-Parenting),
(c) Art und Hintergründe der wechselseitigen Wahrnehmung beider Elternteile,
(d) Erleben und Umgangsweise beider Elternteile mit dem Verlauf der Trennung und der Aufgabe einer Neuorientierung für sich und das Kind,
(e) Geschichte und gegenwärtige Qualität der Beziehungen des Kindes zu jedem Elternteil,
(f) Belastung und Bewältigungsfähigkeiten des Kindes sowie die kindliche Wahrnehmung elterlicher Erwartungen und eigener Interessen,
(g) weitere Einflüsse von Geschwistern, Familienangehörigen und Fachkräften auf die Dynamik im Konfliktfall sowie
(h) Lösungsvorstellungen von Eltern und Kind.“
Der Zweite Ansatz ist zu fachspezifisch, damit wird die Entscheidungsfindung wieder zu sehr in die Hände von Psychologen gelegt, von deren Qualität hängt damit auch ab, ob und wie es weitergeht.
Auch wenn es lobenswert ist, die Grundlagen eines Verhaltens zu verstehen, befürchte ich dass damit der Manipulation Tür und Tor geöffnet ist. Denn mit falschen oder unzureichenden Antworten kann man hier das Ergebnis beeinflussen.
Überhaupt wird doch aktuell in Verfahren zu sehr diskutiert und zu wenig gehandelt, wo doch Zeit ein wesentlicher Faktor ist.
Kinder wollen zu Umgang verpflichtet werden
Bekanntermaßen hat Dettenborn bereits vor langer Zeit klargestellt, dass auch Kinder bisweilen froh sind, zu Umgang „gezwungen“ zu werden, insbesondere wenn Entfremder am Werk sind.
Daher fußt Lösungsansatz 1 doch nur in dieser alten Weisheit, wie sie Dettenborn zu Papier gebracht hat. Daran ändert dann auch nicht, dass Kindler und Co. zu Recht darauf hinweist, dass das Helfersystem in der Hochkonflikthaftigkeit an ihre Grenzen stößt:
Es gibt zu wenig echte Angebote
„Schließlich stimmen wir zu, dass Hilfeangebote in geeigneten Fällen meist bei der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern ansetzen müssen und neben den Chancen auch die Grenzen des Hinwirkens auf elterliches
zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023
Einvernehmen erkannt werden müssen.
(…)
Allerdings stellt die Hochkonflikthaftigkeit Fachkräfte der Trennungsberatung, wie eine aktuelle Umfrage zeigt ( Kindler/Eppinger, 2022), weiterhin häufig vor erhebliche Herausforderungen. Deshalb ist es nötig, spezialisierte Beratungs- und Hilfekonzepte für hochkonflikthafte Eltern, die sich als wirksam erwiesen haben (z.B. Retz , 2015; Visser/van Lawick, 2021), stärker zu fördern und flächendeckend auszurollen.“
Statt also darauf hinzuweisen, dass man flächendeckendere Hilfekonzepte benötigt, ist es m.E. wichtig, diese Hilfe darzutun; und deshalb finde ich die Lösungsansätze 1 verbindlicher. Sie sind ein pragmatischer Ansatz, der mit den bisherigen Angeboten umsetzbar ist und damit eine Lösungsmöglichkeit sein könnte. Denn Zeit, bis Beratungsangebote ausgerollt sind und dann dem Jurist bekannt sind, spielt nur dem in die Hände, der keine Lösung möchte. Mit den oben dargelegten Handreichungen kann man jedenfalls bei Entfremdung vorgehen.