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Recht allgemein

Mündliche Verhandlung in der Beschwerde

Mündliche Verhandlung in der Beschwerde sind grundsätzlich verpflichtend. Nur in Ausnahmefällen kann man davon absehen. Oftmals wird aber formelhaft davon abgesehen, weil „keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.“ Das ist im Gesetz so vorgesehen, allerdings sollte man hier immer besonderes Augenmerk auf diese Argumentation legen, weil diese mit der EMRK in Widerspruch stehen könnte. Zudem bedeutet diese Rechtslage auch, dass es Eure Aufgabe ist, sicherzustellen, dass ihr nach der erstinstanzlichen Entscheidung neue Aspekte anführt. So wird dem Beschwerdegericht die Chance genommen, auf die mündliche Verhandlung zu verzichten.

Mündliche Verhandlung in der Beschwerde gem. §68 FamFG

„(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.“

Eigentlich spricht Satz 2 deutliche Worte, die einfach verständlich sind. Mündliche Verhandlung in der Beschwerde ist also die Regel, das Absehen die Ausnahme. Leider wird genau dieser Satz als pauschaler Baustein oft genutzt, um Elternrechte auszuschalten. Wenn es neue Fakten nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung gab oder in der Kindesanhörung Fragen offen geblieben sind, auch fachpsychologische Fragen ungeklärt sind, dann muss eine mündliche Verhandlung stattfinden.

Kommentarliteratur zur mündlichen Verhandlung

Zitieren wir die Kommentarliteratur hierzu:

Es kann von einer Beweisaufnahme oder einzelnen Verfahrenshandlungen abgesehen werden,

„wenn dies bereits in der ersten Instanz ordnungsgemäß durchgeführt wurde und von einer erneuten Vornahme keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten sind. So kann von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abgesehen werden, wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben…“

zitiert nach Roßmann in Schulte-Bunert, Weinreich, FamFG, 7. Auflage 2023, Rn. 39 zu §68 FamFG.

Ordnungsgemäß heißt auch vollständige Beweisaufnahme, was sich aus dem Recht auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 GG ergibt.

Anhörungen sind danach vorzunehmen, wenn Bedenken an die Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen bestehen.

zitiert nach Roßmann in Schulte-Bunert, Weinreich, FamFG, 7. Auflage 2023, Rn. 47 zu §68 FamFG.

Wie bei einer Gehörsrüge muss man also schauen, ob das Gericht verschiedene Aspekte übersehen hat, und hierzu in der Beschwerde vortragen.

Dies gilt insbesondere, wenn wesentliche neue Tatsachen zu erörtern sind, die in der ersten Instanz noch nicht zur Sprache gekommen sind,

zitiert nach Roßmann in Schulte-Bunert, Weinreich, FamFG, 7. Auflage 2023, Rn. 47 zu §68 FamFG.

Dieses Argument steuert ihr über einer Beschwerdevorbringen: Einfach vortragen, was an neuen Erkenntnissen bestehen.

„Wenn sich seit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung neue Gesichtspunkte ergeben haben, muss der Beteiligte bzw. Betroffene erneut angehört werden (BGH BeckRS 2010, 17681 Rn. 9 für das Abschiebungshaftverfahren; BGH NJW 2011, 2365 Rn. 13 für das Unterbringungsverfahren).“

zitiert nach BeckOK FamFG/Obermann FamFG § 68 Rn. 44b

Es besteht also eine Pflicht, Beteiligte zu neuen Erkenntnissen anzuhören. Und schriftlich rechtliches Gehör gewähren reicht insoweit nicht aus!

Dann jedenfalls eignet sich der Sachverhalt nicht mehr für eine Entscheidung nach Aktenlage:

„Der Sachverhalt muss sich für eine Entscheidung nach Aktenlage eignen, woran es fehlt, wenn es um die Würdigung solcher Umstände geht, die nur aufgrund einer durch unmittelbare Anhörung des Beteiligten gewonnenen Überzeugung angemessen beurteilt werden können (BGH FGPrax 2010, 290 Rn. 9).“

zitiert nach BeckOK FamFG/Obermann FamFG § 68 Rn. 44a

Daher muss eine mündliche Verhandlung stattfinden. „Solche Umstände“ sind daher auch Wertungen der Eltern oder Meinungen des Kindes.

„Erforderlich ist die erneute Anhörung, wenn die Entscheidung zum Nachteil des Betroffenen geändert werden soll (OLG Frankfurt a. M. BtPrax 1997, 73), wenn wesentliche neue Tatsachen vorgetragen werden (OLG Celle NdsRpfl 1995, 353); auch wenn der Betroffene beim erstinstanzlichen Anhörungstermin die Kommunikation mit dem Richter verweigert (BGH NJW 2016, 2650: Aufhebung einer Betreuung), wenn im ersten Rechtszug bei der Anhörung zwingende Verfahrensvorschriften verletzt wurden (BGH NJW 2011, 2365: Betroffener im Unterbringungsverfahren; NJW 2012, 2584).“

zitiert nach Bumiller/Harders/Schwamb/Bumiller FamFG § 68 Rn. 4-7

Die Ermittlungen müssen „erschöpfend“ sein.

„Gemäß Abs. 3 S. 2 kann das Beschwerdegericht in allen Verfahren nach dem FamFG – auch in Ehe- und Familienstreitsachen – nach pflichtgemäßem Ermessen von der Wiederholung erstinstanzlicher Verfahrenshandlungen absehen, soweit der Sachverhalt in erster Instanz erschöpfend und verfahrensgerecht ausermittelt worden ist und eine erneute Vornahme nicht zu neuen Erkenntnissen führen würde. Dies betrifft auch die mündliche Verhandlung.“

zitiert nach MüKoFamFG/A. Fischer FamFG § 68 Rn. 6-8

Gemeint sind also gesicherte Ermittlungsgrundlagen, wozu das BVerfG bereits ausführlich und verbindlich Stellung genommen hat und worüber ich hier berichtet habe. Das gilt auch für einstweilige Anordnungen.

Bundestagsdrucksachen zu §68 FamFG und zur mündlichen Verhandlung in der Beschwerde

Der Bundestag hat hierzu ausgeführt unter Berücksichtigung der verbindlichen Rechtsprechung des EGMR und der Verbindlichkeit der EMRK (vgl. BeckOK FamFG/Obermann FamFG § 68 Rn. 42-45):

„Diese Neuregelungen sind mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vereinbar. Die Menschenrechtskonvention enthält zwar den Grundsatz der mündlichen Verhandlung für alle streitigen Zivilverfahren, worunter nach der Rechtsprechung des EGMR auch Ehesachen, Kindschaftssachen und Unterbringungssachen fallen (vgl. Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2006, Rn. 8 zu Artikel 6). Es ist aber nach der Rechtsprechung anerkannt, dass der Staat eine Fallgruppe hiervon zum Schutz der Moral, der öffentlichen Ordnung, zum Jugendschutz oder zum Schutz des Privatlebens ausnehmen kann (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O. Rn. 63). Für Rechtsmittelinstanzen gilt auch nach der Rechtsprechung des Euro- päischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), dass von der mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, wenn in der ersten Instanz eine solche stattgefunden hat und es nur um die Zulassung des Rechtsmittels geht oder nur eine rechtliche Überprüfung möglich ist. Eine zweite mündliche Verhandlung ist nach der Rechtsprechung des EGMR auch bei Entscheidungen über Tatsachenentscheidungen entbehrlich, wenn ohne eigene Tatsachenermittlungen aufgrund der Aktenlage entschieden werden kann, nicht aber wenn der Fall schwierig ist und die tatsächlichen Fragen nicht einfach sind und erhebliche Bedeutung haben (Meyer-Ladewig, a. a. O. Rn. 66). Bei Absatz 3 Satz 2 handelt es sich um eine Ermessensvorschrift. Das Gericht hat die Vorschrift konform mit der EMRK auszulegen und bei der Ausübung des Ermessens auch die Rechtsprechung des EGMR hierzu zu beachten.“

zitiert nach BT-Drs. 16/6308, 207, 208

Das Ermessen des Gerichts muss also richtig gebrauchen. Im Verwaltungsrecht sind als Fehler anerkannt  Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, und die Verhältnismäßigkeit. Bausteine werden immer Ermessensnichtgebrauch sein.

Keine mündliche Verhandlung in der Beschwerde verletzt Art. 6 EMRK und Art. 103 GG, wenn neue Aspekte entstanden sind oder alte Aspekte nicht umfangreich gewürdigt sind. Es liegt an Euch, hierzu erschöpfend vorzutragen und eine Verhandlung zu erzwingen!

Michael Langhans, Volljurist

Die Nichtdurchführung der mündlichen Verhandlung in FamFG Sachen verletzt daher das faire Verfahren nach Art. 6 EMRK, wenn entweder neue Tatsachen nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sind, auf die es ankommt, oder wenn in erster Instanz nicht bereits alle Aspekte ausreichend gewürdigt sind, was einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darstellt. Hierzu habe ich in meinem Artikel zur Anhörungsrüge auch vorgetragen.

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Sorgerecht

Was ist Gatekeeping?

Gatekeeping wird häufig definiert als „Einstellungen und Verhaltensweisen eines Elternteils, die den Zugang des anderen Elternteils zum Kind regulieren, kann Gatekeeping Kontakt einschränken oder fordern“ (zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023).

Gatekeeping kann schädlich sein

Es wird daher manchmal vom „restriktiven“ und „facilitiativen“ Gatekeeping gesprochen .“

für eine Forschungsubersicht s. Schoppe-Sullivan/AltenburgerSchoppe-Sullivan/Altenburger, 2019

Gatekeeping ist also das, was oft auch als „Helicoptern“ bezeichnet wird: Überfürsorgliches Verhalten, das andere ausschließt und damit dem Kind schaden zufügen kann. Doch wie geht man in einer solchen Situation um?

Gatekeeping: Sachverhalt eruieren.

Beim Gatekeeping ist es zuvörderst wichtig, dass man den Sachverhalt ordentlich klärt – was gem. §26 FamFG im Verfahren Aufgabe des Richters wäre, der aber insoweit keine pädagogische-psychologische Ausbildung hat.

„Insgesamt begegnen den Fachkräften und Gerichten in Fällen mit ausgeprägtem mütterlichen Gatekeeping sowohl gut verborgene, aber reale Gefahren durch Umgang als auch stark verzerrte Wahrnehmungen. Daher
ist es unabdingbar, beide Möglichkeiten präsent zu halten, den Sachverhalt so gut wie möglich aufzuklären und die resultierenden Hinweise abzuwägen.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Konklusion: Nicht alles, was ein Elternteil erkennt oder bemängelt, muss real sein. Es gibt stark verzerrte Wahrnehmungen.

Gatekeeping führt zu stark verzerrter Wahrnehmung und muss daher Anlass des Gerichtes sein, nachzuforschen

Michael Langhans, Volljurist

Damit wird aber wie so oft der Finger in die Wunde gelegt: Man muss das Problem sehen wollen. Oftmals stellt sich aber in Verfahren dar, dass nur ein entfremdeter Elternteil negatives Gatekeeping bemerkt, die anderen nicht.

Gatekeeping: Lösungsansatze beim Umgang begehrenden Elternteil

Es verwundert ein wenig, aber selbst der, der Umgang wünscht, kann versuchen den anderen Elternteil positiv zu beeinflussen: Indem man diesen Teilhaben lässt.

„Zum anderen kann die Irritierbarkeit des Vertrauens in die Fürsorgekompetenz und Zuverlässigkeit des Vaters vermindert werden, wenn Absprachen eingehalten und Fotos bzw. Videos das Wohlergehen des Kindes beim Umgang dokumentieren. Dem verständlichen Wunsch von Vätern nach Abschottung der eigenen Zeit mit dem Kind nachzugeben, wirkt in diesen Fällen kontraproduktiv. „

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Vertrauen geben statt einfordern, so würde ich das zusammenfassen. Umgang muss nicht geheim erfolgen, sollte dann aber auch, wenn er stattfindet und dies kommuniziert wird und Bilder geteilt werden nicht zu einer kleinkarierten Kritik des anderen Elternteils führen.

Kompetenzbesserung des Umgangsgewährenden Elternteils hilft

Daher finde ich es gut, dass das Expertenteam um Fichtner, Kindler und Walper auch eine Kompetenzverbesserung des umganggewährenden Elternteils fordert.

„Unsicherheiten und Ängste von Müttern in der Elternrolle können das Bedürfnis nach Kontrolle über enge Beziehungen des Kindes verstärken, weshalb in der Jugendhilfe ein Zugang, der die Kompetenzen von Müttern
betont und fordert, prinzipiell auch Vater-Kind-Kontakten dient.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Jetzt muss man natürlich anmerken, dass Kompetenzverbesserung nicht heisst, dass der Elternteil vorher unfähig war. Jeder von uns kann noch besser werden. Einen Lösungsansatz, der beide Eltern verpflichtet, ist sicherlich einem einseitig kritisierenden vorzuziehen, um keine „Gewinner“ und „Verlierer“ zu gerieren.

Gatekeeping kann zu Kontaktproblemen führen

Unabhängig davon kann Gatekeeping also zu Entfremdung, Kontaktproblemen und Kontaktabbruch führen. Wie man dann vorgeht, habe ich in diesem Artikel beschrieben:

https://familienrecht.activinews.tv/sorgerecht/wie-geht-man-bei-entfremdung-kontaktproblemen-vor/
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Sorgerecht

Wie geht man bei Entfremdung / Kontaktproblemen vor

Auch wenn die Thematik rund um Gardener/PAS/EKE alt und immer wieder am diskutieren ist, wird von keinem Experten ernstlich in Frage gestellt, dass es Kontaktprobleme zwischen Elternteil und Kind geben kann. Doch wie gehe ich bei Entfremdung vor? Wie gehe ich mit Kontaktproblemen um?

Ob man in diesem Zusammenhang lieber der Vorgehensweise von Baumann, Michel-Biegel, Rücker und Serafin, Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung in der ZKJ oder derjenigen von Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ebenfalls in der ZKJ folgen möchte, spielt dabei erst einmal keine Rolle. Wichtig ist, dass beide Meinungen Lösungsansätze darbieten. Ich selbst präferiere die erstere Vorgehensweise der Intervention:

Lösungsansatz 1: Schnelle Kontaktregelungen

  • Schnelle vorläufige Festlegung bindungserhaltender Kontaktregelungen
  • Hinführung zur Praxis paralleler Elternschaft
  • Verpflichtung der Eltern zur Teilnahme an psychologischer Beratung
  • Psychologischer und praktischer Beistand fur das betroffene Kind
zitiert nach Baumann, Michel-Biegel, Rücker und Serafin, Zur Notwendigkeit professioneller Intervention bei Eltern-Kind-Entfremdung in ZKJ 7/22

Vorteil: Diese Lösung basiert auf bisherigen Hilfsangeboten und ist daher flächendeckend umsetzbar.

Michael Langhans, Volljurist

Die Gegenmeinung von Zimmermann et al. echauffiert sich sehr über die Schlüsse von Rücker und anderen, nutzt statt Entfremdung lieber den Begriff Kontaktprobleme, kommt aber auch zum Ergebnis, dass man einiges erst einmal herausarbeiten muss und insoweit die Ursachen der Kontaktprobleme diagnostisch bearbeiten muss:

Lösungsansatz 2: Diagnostik

„Erhoben werden sollen also Befunde insbesondere zu (a) Art und Austragungsform elterlicher Konflikte, einschließlich des Einbezugs des Kindes,
(b) Geschichte und Situation der elterlichen Zusammenarbeit (Co-Parenting),
(c) Art und Hintergründe der wechselseitigen Wahrnehmung beider Elternteile,
(d) Erleben und Umgangsweise beider Elternteile mit dem Verlauf der Trennung und der Aufgabe einer Neuorientierung für sich und das Kind,
(e) Geschichte und gegenwärtige Qualität der Beziehungen des Kindes zu jedem Elternteil,
(f) Belastung und Bewältigungsfähigkeiten des Kindes sowie die kindliche Wahrnehmung elterlicher Erwartungen und eigener Interessen,
(g) weitere Einflüsse von Geschwistern, Familienangehörigen und Fachkräften auf die Dynamik im Konfliktfall sowie
(h) Lösungsvorstellungen von Eltern und Kind.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Der Zweite Ansatz ist zu fachspezifisch, damit wird die Entscheidungsfindung wieder zu sehr in die Hände von Psychologen gelegt, von deren Qualität hängt damit auch ab, ob und wie es weitergeht.

Lösungsansatz 1 gibt dem Juristen umsetzbares Vorgehen an die Hand. Er ist zu präferieren.

Michael Langhans, Sorgerechtsexperte

Auch wenn es lobenswert ist, die Grundlagen eines Verhaltens zu verstehen, befürchte ich dass damit der Manipulation Tür und Tor geöffnet ist. Denn mit falschen oder unzureichenden Antworten kann man hier das Ergebnis beeinflussen.

Überhaupt wird doch aktuell in Verfahren zu sehr diskutiert und zu wenig gehandelt, wo doch Zeit ein wesentlicher Faktor ist.

Kinder wollen zu Umgang verpflichtet werden

Bekanntermaßen hat Dettenborn bereits vor langer Zeit klargestellt, dass auch Kinder bisweilen froh sind, zu Umgang „gezwungen“ zu werden, insbesondere wenn Entfremder am Werk sind.

„Das Kind ist eventuell froh, durch die Aufforderung zum Kontakt aus der Unentschlossenheit geholt zu werden. Das schließt Proteste gegen den Sozialarbeiter oder Richter, der Kontakt angeordnet hat, nicht aus. Sie sind meist eine Information an den manipulierenden Elternteil: Ich bin gezwungen zu gehen, es ist nicht meine Schuld.“

zitiert nach Harry Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021, S. 118

Daher fußt Lösungsansatz 1 doch nur in dieser alten Weisheit, wie sie Dettenborn zu Papier gebracht hat. Daran ändert dann auch nicht, dass Kindler und Co. zu Recht darauf hinweist, dass das Helfersystem in der Hochkonflikthaftigkeit an ihre Grenzen stößt:

Es gibt zu wenig echte Angebote

„Schließlich stimmen wir zu, dass Hilfeangebote in geeigneten Fällen meist bei der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern ansetzen müssen und neben den Chancen auch die Grenzen des Hinwirkens auf elterliches
Einvernehmen erkannt werden müssen.
(…)
Allerdings stellt die Hochkonflikthaftigkeit Fachkräfte der Trennungsberatung, wie eine aktuelle Umfrage zeigt ( Kindler/Eppinger, 2022), weiterhin häufig vor erhebliche Herausforderungen. Deshalb ist es nötig, spezialisierte Beratungs- und Hilfekonzepte für hochkonflikthafte Eltern, die sich als wirksam erwiesen haben (z.B. Retz , 2015; Visser/van Lawick, 2021), stärker zu fördern und flächendeckend auszurollen.“

zitiert nach Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023

Statt also darauf hinzuweisen, dass man flächendeckendere Hilfekonzepte benötigt, ist es m.E. wichtig, diese Hilfe darzutun; und deshalb finde ich die Lösungsansätze 1 verbindlicher. Sie sind ein pragmatischer Ansatz, der mit den bisherigen Angeboten umsetzbar ist und damit eine Lösungsmöglichkeit sein könnte. Denn Zeit, bis Beratungsangebote ausgerollt sind und dann dem Jurist bekannt sind, spielt nur dem in die Hände, der keine Lösung möchte. Mit den oben dargelegten Handreichungen kann man jedenfalls bei Entfremdung vorgehen.

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Familienpolitik

Das ungehörte rechtliche Gehör

Es gibt sie noch: Richter, die sich entschuldigen, wenn ihnen Fehler passieren. Das kommt nicht oft vor, aber wenn, dann ist es bemerkenswert. Doch während man sich respektvoll verneigt vor dieser Geste (von der der/die/das betroffene Elternteil nichts hat!) und weiterliest, bleibt einem die Freude im Hals stecken. Denn man kann mit wenigen Worten die ganze Freude und den ganzen gewonnenen Respekt wieder kaputt machen, indem man deutlich macht, dass es dem Richter egal war und ist, was eine Partei vorträgt. Das ungehörte rechtliche Gehör ist für Euch da draussen oftmals Alltag und doch selten so einfach zu beweisen.

Was war passiert?

In einem Umgangsverfahren hatten wir Umgang beantragt in einem bestimmten Umgang. Ein altes Gutachten hatte hier Einschränkungen vorgesehen, das angesichts der fehlenden Wissenschaftlichkeit und Transparenz kaum zu verwerten war. In der Anhörung meinte das Gericht, dann „schauen wir halt mal, ob man diesen Salzgeber bekommt“ und kündigte damit ein neues Gutachten an. Diskussionen über das alte Gutachten waren dann unnötig. Umso ärgerlicher war es dann, im Beschluss als Begründung Verweise auf das alte Gutachten zu lesen und Zitate, die einfach widerlegt hätten werden können, wenn man hierüber diskutiert hätte. Es handelt sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung, weil das Gericht seine Meinung kund tat und diese dann heimlich änderte, ohne den Parteien Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben.

Auf die Rüge der Überraschung kam dann folgendes Schreiben des Gerichtes:

Entschuldigungsschreiben?

Es wird Bezug genommen auf die Beschwerdeschrift vom 04.08.2023.

Die Beschwerde rügt eine Überraschungsentscheidung des Gerichts. Dies bedauert das Gericht.

Dem Gericht ist ein Fehler unterlaufen.

Infolge einer temporären Arbeitsüberlastung und eines Bearbeitungsfehlers beim Arbeiten mit der elektronischen Akte wurde bei der Übersendung des zweiten Zwischenberichts über den begleiteten Umgang am 04.07.2023 ein Aktenvermerk nicht übernommen, mit dem das Gericht die Beteiligten darauf hinwies, dass es in Erwägung ziehe, auch ohne das angekündigte Sachverständigengutachten zu entscheiden. Vermutlich wurde die elektronische Akte fehlerhaft bedient. Der Vermerk fehlt in der Akte. Die Beteiligten wurden also nicht dementsprechend unterrichtet. Am Tag der Absetzung der Entscheidung lagen dem Gericht dann noch weitere drei einstweilige Anordnungen vor. Der Fehler wurde daher bei der Absetzung der Entscheidung übersehen.

Zitat aus einer Verfügung eines süddeutschen Amtsgerichts

Soweit, so gut, oder? Bedauern, Fehler einräumen, alles gut soweit. Oder? Wir sind alle Menschen und machen Fehler, oder? Ja, richtig. Wenn da nicht der folgende Abschlusssatz wäre:

An der Entscheidung in der Sache hätte dies aber nichts geändert

Ok, an der Entscheidung in der Sache hätte sich aber nichts geändert – egal was vorgetragen worden wäre? Übersieht das Gericht dabei nicht, dass solche Hinweise eben auch geeignet sind, dass man Stellung nimmt und Argumente vorträgt, die überzeugen können?

Immerhin sagt das BVerG ja, dass man davon ausgehen kann, dass immer alles zur Kenntnis genommen wird:

„Es ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.“

BVerfG 1 BvR 117/16, BVerfGE 86, 133, BVerfGE 65, 293, BVerfGE 50,32 u.v.m.

Blöd nur, wenn ein Richter von vorne herein sagt, dass es ihm egal ist, was die Parteien auch vorgebracht haben. Da wird das rechtliche Gehör zur Formalie, die eher lästig als hilfreich ist. Ich bin dankbar für diese Erfahrung und diese Ehrlichkeit. Denn wann schon ist ein Richter mutig genug offen auszusprechen dass ihm der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 GG scheißegal ist?

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Gutachten

Manipulation und induzierter Wille

Manipulation und induzierter Wille eines Kindes (also von einem anderen in das Kind gelegte Wille) sind Aspekte, mit denen die Gerichte und Juristen so ihre liebe Not haben. Ähnlich wie bei familienpsychologischen Fragen wird dann lieber alles in die Hände eines Fachpsychologen für Rechtspsychologie gelegt. Das ist im Ergebnis zwar richtig, verkennt aber, dass die Grundlagen der psychologischen Ergebnisse belegbare Fakten sein müssen, die zu beschaffen gerichtliche Aufgabe ist. Dazu gehört aber auch, dass man ein wenig Theorie dahinter kennt. Diese möchte ich Euch hier vorstellen. Doch Achtun: Damit ist keine fachpsychologische Bewertung verbunden, ich bin nur Jurist. Im konkreten Fall mag es also Sinn machen, einen Psychologen hinzuzuziehen.

Wann spricht man von einem manipulierten Willen?

Ein manipulierter Wille (induzierter Wille) liegt dann vor, wenn das Kind eine Meinung äußert, welche einer der Konfliktpartei nicht genehm ist (vgl. insoweit Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021, Kapitel 4.5).
Danach soll der durch Beeinflussung entstandene Kindeswille eine Induktion fremden Willens sein und damit nicht zu berücksichtigen. Insoweit ist die Bezugsperson mit mehr Kontakt und Macht im Vorteil, da diese auch mehr manipulieren könne (also die sogenannte umgangsgewährende Person. 

Das ist zum Beispiel so eine Tatsache, die man vortragen oder ermitteln kann und muss.

Was alles ist beeinflusster Wille?

Die gegenseitige Auffassung spricht davon, dass jeder menschliche Wille beeinflussbar ist, auch der Wille Erwachsener (Lempp 1983).

Erziehung insbesondere ist Beeinflussung, sodass Kinder einen Anspruch auf Beeinflussung und Erziehung haben (Lempp 1983).

Jede liebevolle Zuwendung ist Beeinflussung (Köster 1997), so dass sich die Frage stelle, dass bei Beeinflussungen mehrerer Personen sich das Kind für und gegen eine andere Beeinflussung entscheidet und diese Grundlagen zu klären sind und insbesondere jede Art von Beeinflussung seiner psychischen Prägung führt (alles zitiert nach Dettenborn).

Natürlich machen sich daher alle Eltern der Beeinflussung durch Erziehung des Kindes und Zuwendung von Liebe und Aufmerksamkeit „schuldig“. Das kann man auch vortragen und unter Beweis stellen.

Das heißt also, dass man hierzu sehr viel vor Einholung eines Gutachtens vortragen sollte – und danach auch das Gutachten auf Vollständigkeit prüft.

Verschiedene Arten der Induzierung

Komplizierter wird die Situation weiterhin, als das verschiedene Arten der Indizierung unterschieden werden müssen (vgl. Dettenborn aaO S. 94).
Wenn in einem Verfahren also von einen Manipulation gesprochen wird, dann muss zuerst mitgeteilt werden, ob und gegebenenfalls welche Form von Manipulation vorliegt. Hieran scheitern Gerichte, Anwälte, Jugendamt und Psychologen oft. 

Manipulation bedeutet, dass tatsächliche Bindungen sich im Verhalten nicht widerspiegeln

Salzgeber weist in Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020, Rn. 1104, zurecht darauf hin, dass  ein manipulierter Kindeswille dann vorliegt, wenn dieser die tatsächlichen Bindungsverhältnisse nicht widerspiegelt. Auch hierzu kann und muss man vortragen, wenn man dies behauptet.

Dies gilt umso mehr, als dass es eben kein Kriterium gibt, anhand dem man zwischen echten Äußerungen und vereinnahmten unterscheiden könnte (vgl. Kindler in Eltern-Kind Bindungen und geäußerter Kindeswille in hochstrittigen Trennungsfamilien).

Insbesondere unterscheiden Kinder nicht zwischen eigenen Aussagen und Induzierten, weshalb auch die Glaubwürdigkeitsanalyse diesbezüglich nicht hilft (Salzgeber aaO). 

Indirekte Induzierung

Die Wissenschaften unterscheiden weiter zwischen indirekter Induzierung, wie das Gewähren oder Versprechen von Vorteilen, Geschenken, Zuwendungen, Freizügigkeit.

Direkte Induzierung

Die direkte Induzierung hingegen betrifft konkret das Verändern von Einstellung und Willensinhalt von Kindern in Bezug auf bestimmte Personen und in Bezug auf die Zukunft.

Inhalte der Induzierung

Induzierte Inhalte sind vorwiegend Furcht, Ablehnung und Feindseligkeit. 
Die Behauptung, wenn  das Kind dieses oder jenes wolle, dies sei manipulierter Wille, könnte zwar Ablehnung darstellen. Dazu muss man aber vortragen und sich damit auseinandersetzen.

Zu berücksichtigen ist allerdings auch die Frage, wie das Kind trotz oder gerade wegen seines Alters diese Ablehnung begründet

Balloff in Kinder vor dem Familiengericht, 4. Auflage 2022, S. 253 ff., führt zu Recht aus, dass die Wirkfaktoren einer Manipulation darstellbar sind, sowohl auf Eltern als auch Kinderebene. Dies ist eine klare Handlungsanweisung an die Juristen, wird aber oft verkannt.

Unterbleibt dies, dann kann eben auch keine Manipulation behauptet sein.

Offene Induzierung

Offene Indizierung ist, wenn man den Gegner schlecht redet, das, was auch als bindungsintolerant auftritt. Damit wäre aber per se jedes Verfahren Manipulation, insbesondere jedes, das die Voraussetzungen des §1671 BGB bedingt, oder wenn im begleiteten Umgang bestimmte Themen nicht angesprochen werden dürfen oder der Wunsch des Kindes ignoriert werden muss).

Verdeckte Induzierung

Verdecktes Vorgehen ist die nonverbale Kommunikation, vor allem Mimik und Gestik Liebesentzug und Ähnliches. Auch hier muss es Sachvortrag geben.

Abgrenzung zur Normalität

Zu Recht weist Dettenborn (aaO S. 95) auch darauf hin, dass abgegrenzt werden muss zur normalen Erziehung, die die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes fördert einerseits gegen die Beeinflussung, bei der Ziele eines Erwachsenen im Konflikt durchgesetzt werden sollen. Äußere Anpassung und Verinnerlichung müssen vorliegen, um Induzierung anzunehmen (Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022, S. 100).  
Die Identität wird von solchen Induzierungen insoweit gestaltet, als dass diese bei Durchsetzung das Selbstvertrauen stärken, das Negieren dann aber das Gegenteil erreichen würde (vgl. hierzu auch OLG Frankfurtt 1 UF 94/93).
Das OLG Hamm hat in 11 UF 12/98 darauf hingewiesen, dass als eine Voraussetzung genannte Ablehnung von Kontakt … auf einer inneren Ablehnung beruhen muss, der tatsächliche oder auch eingebildete, nicht sachgerecht verarbeitete Ereignisse zugrunde liegen.

Auch hier muss also vorgetragen werden, welche Ereignisse es gibt, muss es Beweisaufnahmen geben usw.

Wann eine Manipulation nicht klappt

Einflüsse gegen vorhandene Einstellungen und Absichten eines Kindes sind in der Regel wenig wahrscheinlich (Dettenborn aaO S. 96).

Bedenklich, so Salzgeber, ist es insoweit, wenn man den Willen eines Kindes als nicht rational sieht und manipuliert, gleichzeitig aber dann den Willen nicht bei der gerichtlichen Regelung berücksichtigt, wie vorliegend (Salzgeber aaO).

Der Wille des Kindes sollte, so Balloff  aaO S. 251, nicht einem rechtlich wünschenswerten Ziel geopfert werden. Denn dadurch würde dieser Wille an Bedeutung verlieren.

Solch ein Wille ist, da Kinder Subjekte sind, zu berücksichtigen, weil Kinder fähig sind, sich Handlungsräume und Freiheitsgrade anzueignen.

Fazit

Hier kann und muss der Jurist die Argumente und Aspekte, wie oben oberflächlich dargestellt, bedienen, Beweise anbieten und strukturiert Belege vorlegen. Das erhöht die Chancen auf ein Gutachten oder eine Entscheidung in eurem Sinne.

Literaturempfehlungen:

Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021

Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022

Balloff in Kinder vor dem Familiengericht, 4. Auflage 2022

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020

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Familienpolitik

Fakenews: „Es ist Fakt, dass dieses Kind niemals missbraucht worden ist“

Ja, ich weiss, eigentlich sollte ich mich nicht äußern, weil ich mit der betroffenen Elternperson auch so meine Probleme habe, aber wie Ihr ja wisst kann und will und werde ich fachlichen und menschlichen Unsinn niemals akzeptieren. Wenn eine Andrea Zuercher von der AFD auf TikTok genau jenen Satz äußert „Es ist Fakt, dass dieses Kind niemals missbraucht worden ist“, dann ist für den Kinderschützer und Familienrechtler zwar eigentlich mit der Parteizugehörigkeit dieser Dame alles ausgesagt, was aber nicht bedeutet, dass sie auch recht hat. Jeder, der sich mit Missbrauch beschäftigt, weiss, dass eine solche Aussage populistischer Scheissdreck ist, was ja irgendwie wieder zur AFD passt. Gleichwohl möchte ich Euch erklären, warum eine solche Aussage schlicht Blödsinn ist.

@andreazuercherafd

Mein Statement zum "Kentler Fall" in Berlin!

♬ 【No drums】 Emotional space-like epic … – MoppySound

Missbrauch ist nie auszuschließen

Missbrauch von Kindern ist leider nie ganz auszuschließen, außer der Täter legt ein glaubwürdiges Geständnis vor, es gibt eindeutige Missbrauchsspuren medizinischer Art oder psychologische Auffälligkeiten oder gar Zeugen/Beweisvideos.

Das Gegenteil hingegen, dass kein Missbrauch stattgefunden hat, ist in der Regel niemals vollständig beweisbar.

Psychologische Gutachten

Salzgeber äußert sich hierzu wie folgt in Familienpsychologische Gutachten:

„Auch wenn … ein sexueller Missbrauchsvorwurf nicht bestätigt werden kann, so kann nicht der sichere Schluss gezogen werden, dass kein Missbrauch oder Übergriffe stattgefunden haben.“

Salzgeber, Rn. 859

Es gibt eben keine sicheren psychologischen Kriterien für einen solchen Nachweis.

Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Aussagepsychologie. Denn diese scheitert oft am Alter des Opfers (Aussagefähigkeit), an psychischen Problemen desselben oder schlicht an mangelhaftem fachlichen Vorgehen.

Medizinische Befunde

Ich zitiere insoweit aus einem medizinischen Bericht einer Universitätsklinik:

„Es erfolgte außerdem eine rechtsmedizinische und gynäkologische Untersuchung am xx.xx.2022. Dort konnte kein Hinweis auf sexuellen Missbrauch gefunden werden. Dies schließt einen sexuellen Missbrauch jedoch nicht aus, da sich das kindliche Genital sehr schnell regenerieren kann. Die mikrobiologisch untersuchten Proben der Vagina (Abstrich) und des Urins brachten keinen Keimnachweis. Auch dies spricht weder für noch gegen das Vorliegen von Kindesmissbrauch.“

Bericht einer Universitätsklinik aus 2022

Auch das Hymnen (Jungfernhäutchen) muss bei Verkehr oder im Alltag nicht zwingend reißen (vgl. z.B. hier). Auch bei Analverkehr muss es nicht zwingend Verletzungen und damit Spuren geben.

Fazit

Es gibt also keine Möglichkeit, sicher einen Missbrauch auszuschließen (außer eben bei selbsternannten TikTok-Helden). Genau deshalb, wegen solchem Blödsinn der zu weiterem unentdeckten Missbrauch führen kann, warne ich regelmäßig davor, sein familienrechtliches Schicksal in die Hände von selbsternannten und fachlich disqualifizierten Helfern zu legen. Das schließt zwar Teile der Anwaltschaft mit ein, diese begeht aber in der Regel nicht solche mediale Selbstjustiz, die ich zutiefst verabscheue. Solche Leute helfen keinem Kind, nur ihrem eigenen Ego.

Die von mir vertretenen Väter, die fälschlicherweise des Missbrauchs beschuldigt werden oder wurden, sowie die Mütter, die diesen Verdacht hegen, aber auch ich, wir setzen uns für eine ordentliche, fachlich hochwertige Aufklärung von Vorwürfen ein. Dies findet in vielen Kinderschutzambulanzen oder bei vielen Familiengerichten nicht oder nicht zureichend statt. Solche medialen Massaker helfen hingegen keinem einzigen missbrauchten Kind.

Michael Langhans, 06.06.2023

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Gutachten

Die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (Polygraphie)

In Familiensachen mit schwieriger Beweislage kann die psycho-physiologischen Aussagebegutachtung (Polygraphie) durchaus eine wichtige Rolle einnehmen, auch wenn sie von vielen Juristen stigmatisiert wird als „vollkommen ungeeignet“. Und es gibt eine ganze Menge (familiengerichtliche) Entscheidungen, die solche Polygraphie-Untersuchungen (ggf. als eines von mehreren Beweismitteln) zulassen:

Entscheidungen mit Bezug auf die psycho-physiologische Aussagebegutachtung (Polygraphie)

In den folgenden Entscheidungen wird ein Polygraphentest durchaus im Rahmen der Beweiswürdigung im Freibeweisverfahren vor dem Familiengericht zugebilligt:

OLG Bamberg 7 WF 122/94

OLG München 12 UF 1147/98

AG Bautzen 40 Ls 330 Js 6351/12 mit Hinweis auf ein familiengerichtliches Verfahren

AG Schwäbisch Hall 2 F 88/21

AG Schwäbisch Hall 2 F 150/20

OLG Dresden 21 UF 787/12

OLG Oldenburg 4 UF 60/96

Argumente für den Einsatz des Polygraphen

Das OLG München führt hierzu aus:

„Beim Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs bietet die Untersuchung mit einem Polygraphen eine sichere und schnelle Entscheidungshilfe zur Erfassung wahrheitsgemäßer Aussagen. Bei der elterlichen Sorge und dem Umgangsrecht handelt es sich um FGG-Verfahren (§§ 621 a Abs. 1621 Abs. 1 Nr. 12 ZPO), in denen der Untersuchungsgrundsatz gilt. Das Gericht hat von Amts wegen die notwendigen Tatsachen festzustellen und die objektive Wahrheit zu ergründen (Keidl-Kuntze-Winkler, FGG, 13. Auflage, § 12 RdNr. 21). Über den gesamten Inhalt des Verfahrens entscheidet das Gericht in freier Beweiswürdigung, wobei es die volle Überzeugung vom Vorliegen beweiserheblicher Tatsachen haben muß (Keidl-Kuntze-Winkler a.a.O. RdNr. 190). Kann ein entscheidungserheblicher Punkt nicht geklärt werden, ist dies zu Lasten desjenigen zu werten, den die Feststellungslast trifft (Keidl-Kuntze-Winkler a.a.O.). Beim Vorwurf sexuellen Mißbrauchs mit einem Kinde geht es regelmäßig wie auch im vorliegenden Fall, um die Behauptung des Kindsvaters, unschuldig zu sein, d.h. um den Nachweis seiner Unschuld. Die Sachlage ist damit völlig anders als im Strafprozeß (OLG Karlsruhe, StV 1998, 530).

OLG München, 25.11.1998 – 12 UF 1147/98

Die Untersuchung mit einem Polygraphen ist im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren ein geeignetes Mittel, einen Unschuldigen zu entlasten

OLG Dresden

Auf Grund der wissenschaftlichen Forschungen bietet die Untersuchung mit dem Polygraphen einen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsbeweis, wenn sie zum Ergebnis kommt, daß der Verdächtige unschuldig ist. Ergibt die Untersuchung dagegen, daß der Proband die tatbezogenen Fragen zu den konkret vorgeworfenen sexuellen Handlungen nicht wahrheitsgemäß beantwortet hat, besteht kein sicherer Nachweis, daß er die Taten tatsächlich begangen hat, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit hierfür (Undeutsch FamRZ 1996, 329 ff; Salzgeber/Stadler/Vehrs, Die psychophysiologische Aussagebegutachtung im Rahmen des Familiengerichtsverfahrens, Praxis der Rechtspsychologie 1997, 213 ff). Dies bedeutet im Ergebnis, daß der Proband dann seine Unschuld mit dieser Untersuchung nicht beweisen konnte. Bei der Untersuchung mit dem Polygraphen werden dabei üblicherweise neben allgemein gehaltenen Fragen drei Tatfragen und drei Kontrollfragen gestellt, wobei die Reaktion bei Atmung, Hautleitfähigkeit und Puls/Blutdruck gemessen wird. Erfolgt bei der Beantwortung der Tatfragen eine stärkere Reaktion als bei der Beantwortung der Kontrollfragen, spricht dies für wahrheitswidrige Angaben, im umgekehrten Fall für eine wahrheitsgemäße Aussage. Insgesamt ist die Untersuchung mit dem Polygraphen damit ein geeignetes Mittel im FGG-Verfahren, einen Unschuldigen zu entlasten (OLG Bamberg, NJW 1995, 1684). Im Sinne des Kindeswohls ist dabei auch hervorzuheben und zu beachten, daß das Kind bei einer Entlastung des Probanden regelmäßig nicht mit einem Glaubwürdigkeitsgutachten und den damit zusammenhängenden das Kind belastenden Untersuchungen überzogen werden muß. Die Anwendung des Polygraphen erfordert allerdings, wie der Sachverständige … bei seiner mündlichen Anhörung überzeugend darlegte, daß die sogenannten Tatfragen sehr exakt gestellt werden und den erhobenen Tatvorwurf präzise umfassen müssen, ferner, daß die Kontrollfragen für den Probanden eine emotionale Bedeutung haben. Werden nur allgemeine Tatfragen erhoben, wie „Haben Sie sexuelle Handlungen an Ihrem Kind vorgenommen?“, ermöglicht dies ein innerliches Ausweichen des möglichen Täters mit der Folge einer Verfälschung der Ergebnisse.“

OLG München, 25.11.1998 – 12 UF 1147/98

Polygraph ein völlig ungeeignetes Beweismittel?

Der Bundesgerichtshof hatte zuerst den Polygraphen als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen, diese Rechtsprechung dann aber in 1 StR 156/98 aufgegeben.

Gleichwohl wird in Strafsachen der Polygraphentest nach wie vor als „völlig ungeeignetes Beweismittel“ abgelehnt:

Bei einem Polygraphen handelt es sich um ein Gerät, das körperliche Vorgänge mißt, die der willentlichen Kontrolle des Untersuchten weitgehend entzogen sind (z.B. Blutdruck, Puls- und Atemfrequenz). Dem Beschuldigten werden während der Messung Fragen gestellt, deren Inhalt vom angewendeten Testverfahren abhängt.

Das Kontrollfragenverfahren geht davon aus, daß Täter und Nichttäter auf tatbezogene Fragen einerseits und nicht die Tat betreffende Fragen (Kontrollfragen) andererseits psychisch unterschiedlich reagieren. Dies soll sich in dem mit dem Polygraphen erzielten Meßergebnis niederschlagen, so daß aus einem Vergleich der unterschiedlichen Ausschläge der Meßkurven auf die Täterschaft des Beschuldigten geschlossen werden könne.

Dieses Konzept ist jedoch falsch:

Bereits die Grundannahme trifft nicht zu. Denn nach einhelliger wissenschaftlicher Auffassung ist es nicht möglich, eindeutige Zusammenhänge zwischen emotionalen Zuständen eines Menschen und hierfür spezifischen Reaktionsmustern im vegetativen Nervensystem zu erkennen. So muß beispielsweise die Veränderung des Blutdrucks nicht auf der Entdeckungsfurcht beruhen, sondern kann völlig andere, nicht erfaßbare Ursachen haben. Insbesondere ist nicht nachweisbar und deshalb für den letzt- und eigenverantwortlich entscheidenden Richter nicht überprüfbar, daß der zu Unrecht Verdächtigte emotional gelassener reagiert als der Täter. Die verbreitete Bezeichnung des Polygraphen als „Lügendetektor“ entbehrt daher jeder Grundlage.

Anderes ergibt sich auch nicht aus den Berichten über hohe „Trefferquoten“ (bis zu 98,5 %) bei der Durchführung von Studien. In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit, daß sich die in experimentellen Untersuchungen (Labor- und Analogstudien) erzielten Ergebnisse von vornherein nicht auf die gerichtliche Praxis übertragen lassen, weil die Testbedingungen der Wirklichkeit eben nicht entsprechen. Dagegen sind in Feldstudien, d.h. bei Untersuchungen anhand „echter“ Kriminalfälle gewonnene Ergebnisse deshalb ohne jeglichen Beweiswert, weil es keinen Maßstab gibt, ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es treten weitere Einwände hinzu: Die mitgeteilten Richtigkeitswerte sind Folgen der Verzerrung des statistischen Fallmaterials und daher statistisch wertlos. Aus den – ohnehin falschen – „Trefferquoten“ der Untersuchungen kann kein Schluß auf die Beweislage im konkreten Einzelfall gezogen werden.

BGH 1 StR 156/98

Ungeeignet bei hoher Trefferquote?

Der Bundesgerichtshof lehnt den Einsatz des Polygraphen daher auch deshalb ab, weil die „Trefferquote“ nicht ausreichend sein soll. Dies wird zurecht kritisiert:

Wegen der hohen Trefferquote hatte Schwabe (NJW 1982, 367) bereits 1982 die Entscheidung eines Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 18.08.1981 –2 BvR 166/81 -, NJW 1982, 375) kritisiert und von einer „brüchigen Logik“ gesprochen. Denn wenn ein Beweismittel mit einer Treffergenauigkeit von 90 % nicht ausreiche, so müsste man folglich allen Beweismitteln, deren Treffergenauigkeit sich nicht über die 90 %-Marke erhebt, ihren Beweiswert absprechen und als völlig ungeeignetes Beweismittel einstufen. Letztendlich ist in der Gerichtspraxis bekannt, dass der Zeugenbeweis hinsichtlich der Trefferquote „Lüge“ oder „Irrtum“ besonders unzuverlässig ist. Dennoch gehört die Zeugenvernehmung zu dem Beweismittel, welches in der gerichtlichen Praxis am häufigsten erhoben wird. Würden entsprechende Anforderungen hinsichtlich der Treffergenauigkeit auch an andere Beweismittel gestellt werden, bliebe letztendlich wohl nur das DNA-Abstammungsgutachten mit 99,9 %-Trefferquote als geeignetes Beweismittel für die Gerichtspraxis übrig.

AG Schwäbisch-Hall 2 F 150/20

Diese Auffassung teile ich. Schauen wir doch auf die familienpsychologischen Gutachten, bei denen bis zu 75% mangelhaft und daher im Ergebnis falsch sind (vgl. gutachten-anfechten.de). Das hat die Studie von Prof. Dr. Werner Leitner ergeben. Danach sind bei diesen Gutachten 95% aller Verhaltensbeobachtungen unsystematisch, die Gesprächsführung zu 80% unspezifiziert und zu 79% ohne Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Literatur.

Wie kann man also ein Beweismittel ablehnen, wenn man schlechtere Beweismittel regelmäßig zulässt?

Und zudem: Gelten die Einwände gegen den Polygraphen, der als psycho-physiologische Aussagebegutachtung eine andere Form der Aussagebegutachtung ist bzw. eine Fortbildung derselben um subjektive Kriterien, dann auch für das Aussagepsychologische Gutachten?

Jedenfalls muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass das Gutachten von einem echten Experten erstellt wird.

Anwendbarkeit des Polygraphen (zumindest) in Kindschaftssachen

In Kindschaftssachen gilt die Amtsermittlung und der Freibeweis, nicht der Strengbeweis des Strafverfahrens und Zivilverfahrens. Die Möglichkeiten des FamFG sind anders als in der StPO und der ZPO nicht formell aufgeführt, sondern in Kindschaftssachen vorallem am Wohl des Kindes als oberster Richtschnur orientiert.

Beweiserhebliche Tatsachen sind mit allen vom Gericht für notwendig erachteten Mitteln festzustellen.

Polygraphen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, keine Fehlentscheidungen zu treffen

AG Schwäbisch-Hall

Folgerichtig führt das AG Schwäbisch-Hall – und diesen Ausführungen folge ich – zu Recht aus:

Dabei verpflichtet der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 26 FamFG die Familiengerichte in Kindschaftsverfahren im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens alle zur Aufklärung des Sachverhalts dienlichen Ermittlungen anzustellen. In besonderer Weise ist das Familiengericht gehalten, die vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen und auf diese Weise nach Möglichkeit zu vermeiden, dass sich die Grundsätze der Feststellungslast zu Lasten des Kindes auswirken (BGH, Beschluss vom 17.02.2010 – XII ZB 68/09 -, NJW 2010, 1351 (1353)). Dies ist letztendlich der entscheidende Aspekt, warum der Polygraph im familiengerichtlichen Verfahren zuzulassen ist, da er – ungeachtet des Meinungsstreits – die Wahrscheinlichkeit zum Wohl des Kindes erhöht, dass das Familiengericht weder in Bezug auf den Kindeswohlaspekt 1 noch in Bezug den Kindeswohlaspekt 2 eine Fehlentscheidung trifft. Denn das Familiengericht trifft letztendlich in derartigen Fällen Entscheidungen, die das Leben eines minderjährigen Kindes betreffen und entscheidende „Weichen“ für die Zukunft dieses jungen Menschen stellen.

AG Schwäbisch-Hall, Beschluss vom 25.10.2021 – 2 F 150/20

Wissenschaftliche Stimmen pro Polygraph

Polygrafie (…) ist ein gut überprüfbares, zuverlässiges Verfahren

Dettenborn und Walter

Dabei weißen Dettenborn und Walter in Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022 auf S. 376 auf folgendes hin, was ich oben bereits angedeutet habe:

„Die Polygrafie-Methode ist ein spezieller Bereich, in dem aussagepsychologische Kompetenz genutzt werden kann. Wenn im Falle eines sexuellen Missbrauchsverdachts die Aussagen eines Kindes wegen zu geringen Alters, wegen geistiger Mehrfachbefragungen bzw. Behinderung oder infolge suggestiver nach Fremdeinflüssen zeugenschaftlich nicht verwertbar sind, andere Beweise aber nicht zur Verfügung stehen und trotzdem entschieden werden muss, dann ist die Polygrafie-Methode d. h. die physiopsychologische Aussagebeurteilung (alltagssprachlich ‚Lügendetektion’), ein gut überprüftes, vergleichsweise (z. B. Glaubhaftigkeitsgutachten) zuverlässiges Verfahren.“

Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie

Zudem, hierauf weisen Dettenborn und Walter zurecht hin, gibt es keine andere Möglichkeit bei Missbrauchsverdacht, die eigene Unschuld zu beweisen, weshalb der Beschuldigte einen Anspruch hierauf habe, auch um die sozialen Beziehungen aufrechterhalten zu können (Vermeidung einer Stigmatisierung) und um das Interesse des Kindes an kindeswohldienlichen Beziehungen zu beiden Eltern aufrecht zu erhalten.

Auch Salzgeber äußert sich seit 2001 hierzu:

„Der Polygraph kann im Rahmen der familienpsychologischen Verfahren z. B. dann sinnvoll eingesetzt werden, wenn der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Raum steht [Fn. 611: Siehe Undeutsch FamRZ 1996, 329 — 331]. Es bietet sich der Einsatz immer dann an, wenn das Kind so jung ist, dass weder eine konkrete Aussage vorliegt noch erwartet werden kann oder wenn möglicherweise durch falsche Begutachtung oder falsche aufdeckende Arbeit die Aussage bereits so manipuliert worden ist, dass auf eine zugrundeliegende Tat nicht mehr geschlossen werden kann, der Vorwurf aber dennoch weiter im Raum bleibt [Fn. 612: Siehe: Endres/Scholz NStZ 1994, 473]. […]

Sollte jemand zu Unrecht beschuldigt werden, und dies ist im Familienrechtsverfahren nicht selten der Fall, so wird damit ja nicht nur die familiäre Beziehung zum Kind belastet, wenn nicht gar zerstört, sondern auch möglicherweise eine berufliche Karriere behindert oder soziale Eingebundenheit zerstört (S. 209).“

Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, Auflagen ab 2001 (mit verändertem Text), aktuell Rn. 843 in gekürzter Fassung

Leider gibt es nur wenige echte Experten, die den Polygraphentest nutzen können (Salzgeber aaO). Daher begrenzt das AG Bautzen die in Betracht Ziehung von solchen Gutachten auf Fachpsychologen für Rechtspsychologie, die nachgewiesenermaßen mit der physiopsychologischen Methode vertraut sind und über eine spezielle Ausbildung verfügen zur fachgerechten Bedienung eines Polygrafen und der Interpretation seiner Aufzeichnungen (vgl. Uni Passau).

Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofs erfolgt die polygraphische Aufzeichnung auch eher aus dokumentierendem Anlass, weshalb Undeutsch und Klein auch den Begriff „forensisch-physiopsychologische Begutachtung“ geprägt, den die Wissenschaft auch verwendet, der vorallem aber verdeutlicht, dass die technischen Aspekte hinter die Aussagepsychologie zurückzutreten haben und nur deren Qualität erhöhen. Vereinfacht ausgesprochen: Wer die Aussagepsychologie anerkennt als geeignetes Beweismittel, muss das mehr, das die physio-psychologische Begutachtung mit sich bringt, erst recht zulassen.

Konklusion: Polygrafie ist geeignet

Im Hinblick auf die oben dargelegten Aspekte ist daher die psycho-physiologische Aussagebegutachtung bzw. der Polygraf/“Lügendetektor“ hervorragend geeignet, um als eines von mehreren Aspekten die Unschuld zu beweisen. Die forensisch-physiopsychologische Begutachtung ist dabei nur ein Aspekt der anerkannten Aussagepsychologie. Andere Mittel des Unschuldsbeweises gibt es nicht. Insbesondere wenn eine Manipulation des Opfers oder altersbedingt/zeitablaufbedingt keine weiteren Beweismittel gewonnen werden können, bietet sich diese Methode an. In Zeiten, in denen Richter bei Glaubhaftigkeitsbewertungen regelmäßig versagen und Gutachten oft so schlecht sind, dass man hiermit nicht einmal die Mülleimer belasten kann, müssen seriösere Methoden zugelassen werden. Dies gilt umso mehr, als dass diese Methode im fairen Verfahren nur eines von vielen Beweisaspekten sein wird.

Zudem hat sich die Fragetechnik in den letzten Jahren erheblich verbessert, so dass auch aus diesen Aspekten keine wissenschaftlichen Bedenken mehr herleiten lassen.

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Sorgerecht

Die Angst des Kindes vor einem Elternteil

Ich bin heute über eine Aussage des Amtsgerichts Wangen zu einer wunderbaren Entscheidung des Obergericht des Kantons Zürich gestolpert, die zur Angst des Kindes vor einem Elternteil auf die denkbar emphatischste Art und Weise eingeht (samt einer eloquenten Belesenheit), die man sich in vielen Verfahren wünscht und die man so selten nur erhält. Das Obergericht nimmt nämlich als Metapher für die Angst Herrn TurTur, den Scheinriesen, als Beispiel. Herr Tur Tur ist eine Figur aus Michael Endes Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer.

Ich darf also Herrn Tur Tur vorstellen im genialen Verfilmungsoriginal „meiner“ Augsburger Puppenkiste:

https://youtu.be/Oe89N_68Qm0?t=1102

Was ist ein Scheinriese

Herr Tur Tur ist ein Scheinriese, also ein normalgroßer Mensch, der auf Distanz als Riese erscheint, je näher man ihn betrachtet, desto kleiner wird er, bis er ein normaler, liebenswerter, aber einsamer Mensch ist.

Die Geschichte des Scheinriesen kann – je nach Alter – zu einer unterschiedlichen Wahrnehmung führen. Während Kinder ihn direkt „als armen Kerl wahr[nehmen], mit dem man Mitleid haben muss“, der Mitgefühl erzeugt, assoziieren Erwachsene eher realitätsnah: „Für sie steht der Scheinriese für die Neigung des Menschen, sich und andere über seine wahre Bedeutung zu täuschen“.

Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Scheinriese

Der Scheinriese als Metapher für die Angst

Insoweit liegt es so nahe, diese Metapher für die Angst zu nutzen. Angst vor dem Unbekannten. Und das hat das Obergericht in Zürich erkannt und dies als wunderbares Beispiel genommen:

„Angst muss ernst genommen werden; sie zu überwinden, kostet Anstrengung und braucht auch Mut. Aber nur wer Angst aktiv
angeht, vermag sie zu überwinden, oder erkennt, dass sie unbegründet gewesen ist. Die Figur des Scheinriesen „Herr Tur Tur“ aus dem Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ veranschaulicht dieses Phänomen hervorragend:
Je weiter entfernt „Herr Tur Tur“ ist, umso bedrohlicher erscheint er; nur wer sich ihm nähert, erkennt, dass er kein Riese ist. Gino kann seine Angst vor seinem Vater nur überwinden, wenn er mit ihm in Kontakt tritt und erfährt, dass sein Vater kein Monster und kein Dämon ist und ihm keine Vorwürfe macht. Nur wenn Gino erfahren darf, dass sein Vater ein „gewöhnlicher“ Mann ist mit Stärken und Schwächen, Vorzügen und allenfalls unangenehm empfundenen Eigenheiten, wird er seinen väterlichen Anteil an seinem eigenen Wesen akzeptieren lernen.“

Obergericht Kanton Zürich PQ190029-O/U vom 02.09.2019

Ein wunderbares Beispiel, das auch als Kritik an Eltern und Juristen in Verfahren verstanden werden kann, deren Verhalten aus kleinen Dingen riesige Monster aus Kindersicht erscheinen lassen – als Scheinmonster wie Herrn Tur Tur. Nur wer die Macht hat, sich auf die Angst einzulassen und sich dem Riesen nähert, hat eine Chance zu erkennen dass hinter dem Riesen ein normaler, wenn auch einsamer Mensch steckt.

Ich habe, ehrlicherweise, nie etwas emphatischeres in einem Beschluss gelesen. Und irgendwie wundere ich mich nicht, dass es kein deutsches Gericht war, das diese Idee herangezogen hat.

Idee des Amtsgerichts Wangen

Das Amtsgericht hat die Idee des Scheinriesen adaptiert und eine „Auflage“ formuliert, dass ein Elternteil dem Kind das Buch schenkt mit der Widmung und Mitteilung, der andere Elternteil solle dies (gemeinsam mit dem Kind) vorlesen. Eine einfache, geniale und richtige Idee, die ich hier gern weitergebe in der Hoffnung, der eine oder andere von Euch zieht hieraus Vorteile für sein Verfahren.

Und natürlich ist diese Metapher nicht nur eine Hilfe bei Entfremdung, sondern bei vielen Ängsten. Wenn wir alle ein wenig über den Tellerrand blicken wollen, wird die Welt sicher besser.

Das Buch könnt ihr übrigends hier besorgen.

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Recht allgemein

Erfolg: Jugendamt lügt, Umgangsausschluss aufgehoben

Erfolg auf ganzer Linie: Wenn das Jugendamt lügt und man es richtig macht, dann wird auch ein Umgangsausschluss aufgehoben. Das habe ich für den Verein Erzengel in Kooperation mit dem Verein „Nein lass das!“ bewiesen.

Erfolgsmeldung des Vereins

Bemerkenswert ist dabei die wichtige Aussage des Gerichts:

„Insbesondere haben sich die Ausführungen des Jugendamtes (…) als unzutreffend erwiesen.

Was man tun sollte, wenn das Jugendamt lügt, könnt ihr hier nachlesen. Dann muss ein Umgangsausschluss aufgehoben werden oder eine Sorgerechtsmaßnahme.

Ihr könnt aber auch eine kostenfreie telefonische Beratung des Vereins Erzengel buchen oder zusammen mit unseren Anwälten die Wahrheit erstreiten. Leider wissen viele Anwälte nicht, wie das geht. Wir und unsere Anwälte hingegen schon.

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Recht allgemein

Vortrag „Gutachten im Familienrecht aus juristischer Sicht“

Ich halte am 23.02.2023 ab 19 Uhr einen Vortrag „Gutachten im Familienrecht aus juristischer Sicht“ online auf Zoom ab. Dies ist eine Kooperation mit Vater Rat von Stephan Gutte. Teilnehmen kann jeder, für Mitglieder von Vater Rat ist die Teilnahme kostenlos. Mehr Infos oder Anmeldungen könnt ihr Euch per eMail an Stephan Gutte.

Inhalt Vortrag Gutachten im Familienrecht

Der grobe Inhalt wird ungefähr so ausgerichtet sein und in drei Komplexe geteilt sein:

  1. Vor Beginn eines Gutachtens: Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, Sachverhalt sicher- und richtigzustellen und Freiwilligkeit der Teilnahme mit Vor- und Nachteilen, aber auch Vorbereitung auf ein Gutachten.
  2. Während des Gutachtens: Wie kann ich während der Begutachtung prozessual Einfluss nehmen und das vorbereitete einbringen
  3. Nach schriftlicher Vorlage des Gutachtens: Typische rechtliche und wissenschaftliche Fehler, wie diese angehen, wann Gutachter ablehnen, wie neue Entwicklungen einbringen, Haftungsklagen

Wie mit Stephan besprochen, werde ich die Inhalte auch nach Euren Wünschen ausgestalten, so dass ich fleissig um Mitteilung bitte, welche konkreten Fragen beantwortet und welche Schwerpunkte gesetzt sein sollten.

Was ist Vater Rat?

Vater Rat bzw. Eltern Rat – die Webseite und das Netzwerk steht jedermann offen – zur Information, Selbsthilfe, Beratung und Vernetzung. Es werden regelmäßige Austauschtreffen organisiert, unter anderem eben auch die Fachvorträge.

Der Vortrag von mir ist eine Kooperation von Vater Rat mit unserem Verein Erzengel. Die Inhalte des Vortrag „Gutachten im Familienrecht aus juristischer Sicht“ sind die Quintessenz meiner Webseite Gutachten anfechten und Familienrecht by Michael Langhans. Insbesondere wird auch auf die dritte Auflage des Buches „Fehler in Gutachten erkennen“ Bezug genommen. Dieses erscheint Ende Februar 2023.

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