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Kindesentziehung ins EU Ausland straflos?

Die Kindesentziehung, also das Vorhalten eines Kindes einem Elternteil oder Sorgeberechtigten ist in §235 StGB geregelt.

Vorhalten kann jeder Umgangsboykott sein (siehe hier Entfremdung ist auch Körperverletzung), aber auch ein komplettes Untertauchen mit dem Kind.

Dieser §235 StGB lautet:

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.

eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List oder

2.

ein Kind, ohne dessen Angehöriger zu sein,

den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger entzieht oder vorenthält.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger

1.

entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, oder

2.

im Ausland vorenthält, nachdem es dorthin verbracht worden ist oder es sich dorthin begeben hat.

§235 StGB

Unterscheidung Entziehung Minderjähriger im Inland und Ausland

Der Straftatbestand unterscheidet also zwischen In- und Ausland. Im Inland können Eltern – anders als Dritte – ein Kind nur entziehen, wenn diese Gewalt, eine Drohung oder List anwenden. Das ergibt sich aus Nr. 2, der „ohne Angehöriger zu sein“ erwähnt und den besonderen Einschränkungen der Nr. 1

Danach ist eine Entziehung Minderjähriger durch einen Eltern in Deutschland dem anderen Elternteil gegenüber nicht strafbar, außer es wird Gewalt oder eine Drohung/List angewandt – innere Tatsachen, die ohnehin nicht bewiesen werden können bzw. nur durch den Entzieher oder eine Aussage des betroffenen Kindes .

Für die Entziehung in das Ausland soll das nicht gelten. Denn dort ist es schwerer, das Sorgerecht durchzusetzen (BT-Drs 13/8587).

EU-Recht: Keine Unterscheidung innerhalb der EU, Art. 21 AEUV

Dem steht aber das Unionsrecht in Form der AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) entgegen. Art. 21 AEUV steht einer Anwendung des §235 Abs. 2 Nr. 1 StGB (also der Verbringung in das Ausland ohne List, Drohung, Gewalt) entgegen, weil jeder Unionsbürger das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.

Das hat der EuGH in StV 2022, 638 so auch entschieden:

1. Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Gesetzesbestimmung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der es, wenn ein Elternteil sein Kind dem aufenthaltsbestimmungsberechtigten Pfleger entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, selbst dann einen Straftatbestand darstellt, wenn dies nicht mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht, während ein entsprechendes Entziehen, wenn sich das Kind im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats befindet, nur dann strafbar ist, wenn es mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht.

2. Während in Deutschland die internationale Entziehung eines Kindes durch seinen Elternteil auf der Grundlage von § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB stets strafbar ist, verhält es sich anders bei der Entziehung eines Kindes durch seinen Elternteil, wenn das Kind im deutschen Hoheitsgebiet zurückgehalten wird, da eine solche Tat nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur bei Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List strafbar ist. (Rn. 45)

3. Eine Argumentation, dass es unmöglich oder übermäßig schwierig ist, die Anerkennung einer gerichtlichen Sorgerechtsentscheidung in einem anderen Mitgliedstaat und im Fall der internationalen Entführung eines Kindes seine sofortige Rückgabe zu erreichen, läuft darauf hinaus, die Mitgliedstaaten mit Drittstaaten gleichzusetzen, und steht im Widerspruch zu den Regeln und zum Grundgedanken der Brüssel IIa-VO. (Rn. 48)

4. Die Brüssel IIa-VO ist auf den für die Schaffung eines echten Rechtsraums unabdingbaren Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen sowie auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gestützt. Letzterer verlangt von jedem Mitgliedstaat, dass er davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. (Rn. 49)

BeckRS 2020, 31283, EuGH (Vierte Kammer), Urteil vom 19.11.2020 – C-454/19

Noch deutlicher wird der EuGH hier:

1. Art. 21 AEUV ist dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung einer Gesetzesbestimmung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der es, wenn ein Elternteil sein Kind dem bestellten Pfleger in einem anderen Mitgliedstaat vorenthält, selbst dann einen Straftatbestand darstellt, wenn dies nicht mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht, während ein entsprechendes Vorenthalten, wenn sich das Kind im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats befindet, nur dann strafbar ist, wenn es mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List geschieht. (Rn. 50)

2. Während in Deutschland die internationale Entziehung eines Kindes durch seinen Elternteil auf der Grundlage von § 235 Abs. 2 Nr. 2 StGB stets strafbar ist, verhält es sich anders bei der Entziehung eines Kindes durch seinen Elternteil, wenn das Kind im deutschen Hoheitsgebiet zurückgehalten wird, da eine solche Tat nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur bei Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List strafbar ist. (Rn. 45)

3. Eine Argumentation, dass es unmöglich oder übermäßig schwierig ist, die Anerkennung einer gerichtlichen Sorgerechtsentscheidung in einem anderen Mitgliedstaat und im Fall der internationalen Entführung eines Kindes seine sofortige Rückgabe zu erreichen, läuft darauf hinaus, die Mitgliedstaaten mit Drittstaaten gleichzusetzen, und steht im Widerspruch zu den Regeln und zum Grundgedanken der Brüssel IIa-VO. (Rn. 48)

4. Die Brüssel IIa-VO ist auf den für die Schaffung eines echten Rechtsraums unabdingbaren Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen sowie auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gestützt. Letzterer verlangt von jedem Mitgliedstaat, dass er davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. (Rn. 49)

EuGH (Achte Kammer), Beschluss vom 16.05.2022 – C-724/21, BeckRS 2022, 11880

Der EuGH kommt also zu dem Ergebnis, dass eine Bundestagsdrucksache mit wesentlichen Grundgedanken der Europäischen Union nicht vereinbar ist. Diese harte Kritik muss man erst einmal auf sich sacken lassen. Aber eigentlich ist sie ja logisch.

Entziehung von 10 Metern konnte früher strafbar sein

Wenn man früher nur über eine „grüne“ Grenze ging, konnte dies bereits strafbar sein. Wenn also ein Elternteil einen Tagesausflug ohne Zustimmung des anderen ins EU-Ausland machte, konnte dies strafbar sein – Urlaube auch, soweit hierdurch das Kind dem anderen entzogen wurde (zu spät zurückgebracht, Umgangsausfall usw.). Dass es keinen Unterschied machen kann, ob ich von Karlsruhe nach Straßburg fahre oder von Berlin nach Hamburg, versteht sich eigentlich von selbst. Noch deutlicher wird dies, wenn eine Multinationale Beziehung zu dem Kind geführt hat, weil ein Niederländer, der nach Hause geht, sich kaum strafbarer machen kann als sein Arbeitskollege, der Deutscher ist und genauso weit nach Hause geht – nur nicht über die Grenze.

Bedeutung

Absatz 2 des §235 StGB hat daher nur noch außerhalb der EU Bedeutung. Sinnvoller wäre es aber, einfach die Unterscheidung zwischen Abs. 1 und 2 abzuschaffen. Das wäre klarer für alle beteiligten.

In die folgenden Länder kann man daher sein Kind bedenkenlos mitnehmen, auch gegen den Willen eines Elternteils oder Ergänzungspflegers:

Belgien, Bulgarien, Tschechien, Dänemark, Deutschland, Estland, Irland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Kroatien, Italien, Zypern, Lettland, Litauen, Luxemburg, Ungarn, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Slowakei, Finnland und Schweden.

Eine Aufforderung zur Entziehung Minderjähriger möchte ich hierin aber nicht sehen. Ein Kind braucht nämlich seine Eltern. Aber für den Widerstand gegen eine überbordende Staatsgewalt mag die Kenntnis dieser Entscheidungen von erheblicher Bedeutung sein.

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Umgang

Entfremdung ist Körperverletzung

Entfremdung oder „Kontaktprobleme“ ist Körperverletzung und betrifft beider maßen Väter und Mütter – egal, wer welche Kampagne gegen wen fährt (vgl. mein Artikel hier).

Wie komme ich dazu, wo doch die Auswirkungen der Entfremdung „umstritten“ sein sollen (vgl. Zimmermann, Fichtner, Walper, Lux und Kindler, Verdorbener Wein in neuen Schläuchen, ZKJ 2/2023; BVerfG 1 BvR 1076/23)?

Nun, zum einen ist es ein Fakt, dass es Entfremdungen gibt, also Kinder die einen oder beide Elternteile nicht sehen wollen oder nicht sehen dürfen. Seit vielen Jahren ist dabei wissenschaftlich geklärt, dass Umgang mit den Eltern für alle Beteiligten positive Aspekte haben.

Positive Aspekte von Umgang

Dettenborn und Walter kommentieren hierzu in „Familienrechtspsychologie“ das folgende:

„Unmittelbare Vorteile für das Kind ist die Beachtung des Willens, Selbstwirksamkeit, Situationskontrolle, erleichterte Scheidungsverbund, Entlastung der Beziehung zum betreuenden Elternteil, Entlastung der Beziehung zu außenstehenden,

Für den betreuenden Elternteil Entlastung, Stressreduktion, mehr Freistunden,

Für den umgangsberechtigten Elternteil Befriedigung emotionaler Bedürfnisse gegenüber dem Kind, Möglichkeit die fortgeltende Elternverantwortung wahrzunehmen und Information und Teilhabe bezüglich der Kindesentwicklung,

Während die langfristigen Vorteile beim Kind normgemäße Persönlichkeitsentwicklung mit Sozial- und Selbstkompetenz, Leistungshaltung und Vorsorge für Notsituationen besteht,

Für den betreuenden Elternteil eine stabile altersgemäße Kindesentwicklung, ein entspanntes Langzeitverhältnis zum Kind, und Vermeidung von Idealisierung des umgangsberechtigten Elternteils sowie vermeiden von Unlustspannungen, Schuldgefühlen Aggressionsspiralen, Erziehungssackgassen und Abhängigkeiten“

zitiert nach Dettenborn und Walter, Familienrechtspsychologie, 4. Auflage 2022, S. 251

Das heißt aber im Umkehrschluss, dass kein Umgang eben auch eine negative Beeinflussung dieser Situation hat, vorallem für das Kind, aber auch die Eltern.

Kein Umgang bedeutet

  • Keine normgemäße Persönlichkeitsentwicklung des Kindes
  • Probleme bei der Sozial- und Selbstkompetenz des Kindes
  • Keine Information über die Entwicklung des Kindes und damit kein Eingriff bei Negativentwicklungen für den umgangsberechtigten Elternteil
  • Keine Befriedigung emotionaler Bedürfnisse des umgangsberechtigten Elternteils
  • Kein entspanntes Langzeitverhältnis zum Kind für den hauptbetreuenden Elternteil
  • usw.

Wieso ist Entfremdung Körperverletzung?

Die strafrechtliche Definition der Körperverletzung (§223 StGB) lautet:
Eine Körperverletzung ist eine unangemessene und üble Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden des Einzelnen in nicht unerheblicher Weise beeinträchtigt wird (vgl. z.B. Uni Potsdam hier). Dabei kann bereits das Abschneiden von Haaren eine solche Körperverletzung sein (hier). Denn auf Schmerzen kommt es nicht an.

Etwas anderes ist es freilich bei rein psychologischer Auswirkung. Hierzu hat der BGH folgendes festgestellt:

„Rein psychische Empfindungen genügen bei keiner Handlungsalternative, um einen Körperverletzungserfolg gemäß § 223 Abs. 1 StGB zu begründen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 36; vgl. ferner BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118; Meyer, ZStW 115 (2003), 249, 261). Wirkt der Täter auf sein Opfer lediglich psychisch ein, liegt eine Körperverletzung daher erst dann vor, wenn ein pathologischer, somatisch-objektivierbarer Zustand hervorgerufen worden ist, der vom Normalzustand nachteilig abweicht (BGH aaO S. 36 f.; Urteil vom 31. Oktober 1995 – 1 StR 527/95, BGHR StGB § 223 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 2).
Bloß emotionale Reaktionen auf Aufregungen, wie etwa starke Gemütsbewegungen oder andere Erregungszustände, aber auch latente Angstzustände, stellen keinen pathologischen Zustand und damit keine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB dar (Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123).“

BGH 4 Str 168/13

Nur massive und dauerhafte Angst ist Körperverletzung

Eine Anpassungsstörung reicht insoweit alleine nicht aus (aaO), diese hat keinen Krankheitswert. Auch Schlafstörungen müssen nicht zwingend ausreichen, es kommt hier auf die Intensität an (aaO).

Auch zeitlich befristete Angst reicht nicht aus:

Angst als solche stellt jedoch – insbesondere wenn die Reaktion „zeitlich begrenzt“ bzw. „kurzfristig“ auftritt – lediglich eine Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens und eine normale Reaktion auf Bedrohungen, nicht aber einen pathologischen Zustand dar (Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192; NK-StGB/Paeffgen, 4. Aufl., § 223 Rn. 11a)

BGH 4 Str 168/13

Gleichwohl weist das OLG Köln darauf hin, dass eine Angst eine Kindeswohlgefährdung darstellt, wenn diese aufgrund der Bindungsintoleranz hervorgerufen wurde:

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundeverfassungsgericht, dass die seelische Entwicklung des Kindes durch das anhaltende massive Hervorrufen von Ängsten gegenüber dem umgangsberechtigten Elternteil infolge der defizitären Bindungstoleranz des umgangsverpflichteten Elternteils insbesondere im Zusammenhang mit einem verschärften Elternkonflikt eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls darstellen kann, die die Gefährdungsgrenze des § 1666 Abs. 1 BGB erreichen und zu einem Eingriff in das Sorgerecht Veranlassung geben kann (BVerfG, Beschluss vom 27.11.2020 – 1 BvR 836/20, FamRZ 2021, 753).“

OLG Köln, Beschluss vom 11.07.2022 – 14 UF 34/22

Soweit Ängste also massiv sind, also ein Dauerzustand, liegt keine „kurzfristige“ oder „zeitlich begrenzte“ Angst als Reaktion vor; damit liegt eine Körperverletzung vor.

Dasselbe gilt, wenn die Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt ist und insbesondere dauerhaft die Sozial- und Selbstkompetenz des Kindes beeinträchtigt sind.

Dasselbe gilt freilich, wenn bei einem Elternteil dauerhafte und massive Auswirkungen vorliegen. Es empfiehlt sich insoweit, eine Diagnostik einzuholen oder ein Attest, um Dauer und Intensität zu belegen.

Strafrecht vs. Familienrecht

Dass dabei die Hürden im Strafrecht andere sind als im Familienrecht, ist normal. Denn letzteres setzt bereits bei einer konkreten, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr ein, deren Verwirklichung bevorstehen muss, während für das Strafrecht ein Körperverletzungserfolg vorsätzlich erfolgt sein muss.

Und damit ist Entfremdung Körperverletzung und ein Fakt – egal ob man diesen Fakt Kontaktprobleme oder anders nennt.

Und: Wenn Umgang aus guten Gründen nicht erfolgt, dann ist es auch keine Entfremdung – bei Gewalt oder fehlender Bindung. Dieser feine Unterschied wird ja oft vergessen.

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Umgang

Kinder bis 8 Jahre sind einfach zum Umgang zu bewegen

Wir erleben das immer wieder: Ein Elternteil sagt, dass sich das/die Kind(er) gegen Umgang ausgesprochen hat, gleich aus welchen Gründen. „Ich kann mein Kind doch nicht zwingen“ oder „ich respektiere seinen Willen“ sind dabei schnell gesprochen, oftmals aber fachlich und rechtlich falsch. Denn bis zu einem Alter von ca. 8 Jahren sind Kinder mit überschaubarem elterlichen Einsatz zum Umgang zu bewegen.

Bis 8 Jahre sind Kinder einfach zum Umgang zu bewegen

„Die Rechtsprechung geht davon aus, dass das Kind bis zum Alter von 6-8 Jahren in der Regel mit erzieherisch überzeugendem Auftreten zum Umgang bewegt werden kann, bei Kindern ab etwa neun bis elf Jahren wird von einer derartigen Einwirkungsmöglichkeit nicht mehr ausgegangen.“

zitiert nach Josef Salzgeber, Familienpsychologische Gutachten, 7. Auflage 2020, Rn. 523

Zur Schule und zum Umgang „muss“ man bisweilen auch

Wichtig ist hierbei freilich, dass das keine starren Grenzen sind. Sie verdeutlichen aber, was Eltern unternehmen können, wenn angeblich oder tatsächlich ein Kind sich gegen Umgang ausspricht. Und andere Dinge wie Schule, Hobby, Sport und Besuche bei den Großeltern „muss“ man bisweilen auch einfach erledigen:

„Zu Recht fragt Duderstadt (2020), ob so viel Ohnmacht auch vorgegeben würde (d.h. das Kind nicht zwingen zu können), wenn sich das Kind weigern würde, zur Schule zu gehen.“

zitiert nach Harry Dettenborn, Kindeswohl und Kindeswille, 6. Auflage 2021, S. 95

Rechtsprechung zum Umgang „müssen“

Insbesondere das OLG Frankfurt in FamRZ 2013, 475 und das OLG Saarbrücken in FamRZ 2013, 48 haben sich hiermit auseinandersetzen müssen.

„Die Beschwerdeführerin trägt vor, sie habe in langwierigen Gesprächen versucht, das Kind auf die bevorstehenden Umgangskontakte einzustimmen und die Gründe für seine Umgangsverweigerung zu erfragen. Es sei ihr nicht gelungen, die Blockadehaltung des Kindes zu überwinden. Sie sei nunmehr ratlos und wisse nicht, mit welchen erzieherischen Mitteln sie noch auf das Kind einwirken könne. Dieser Vortrag mutet angesichts des Umstands, dass das Kind am 8.2.2012 gerade einmal vier Jahre alt geworden ist, hanebüchen an. Ein Kind in diesem Alter kann auch gegen seinen Willen ohne Weiteres dem Vater übergeben werden mit dem Bemerken, dass Vater und Mutter das so vereinbart haben und das so wollen.“

OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 28.6.2012 – 4 WF 122/12, BeckRS 2013, 5187

Dieser Vortrag (dass die Mutter ratlos sei und auf ihr Kind nicht einwirken könne) mutet angesichts des Umstands, dass das Kind am 8.2.2012 gerade einmal vier Jahre alt geworden ist, hanebüchen an.

OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 28.6.2012 – 4 WF 122/12, BeckRS 2013, 5187

OLG Frankfurt geht davon aus, dass sich Weigerungshaltung schnell legt

Und als würden diese deutlichen Worte – die durchaus Zweifel an der Erziehungsfähigkeit wecken dürften – nicht genügen, legt das OLG Frankfurt einen oben auf:

„Der Senat verkennt dabei nicht, dass auch der Vater und seine Bevollmächtigte durch ihr Verhalten zur erneuten Zuspitzung des Konflikts auf der Elternebene beigetragen haben und dass das betroffene Kind durch diesen Konflikt belastet wird und hierauf, insbesondere in der Übergabesituation, mit Verweigerung reagiert. Dieser Umstand berechtigt die Mutter – wie dargestellt – jedoch nicht, eine Herausgabe des Kindes zu den vereinbarten Umgangskontakten zu verweigern. Eine mit den vereinbarten Umgangskontakten einher gehende Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr geht auch der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige von einer positiv besetzten und für das Kind bedeutsamen Bindung zum Vater aus. Vor diesem Hintergrund ist, worauf bereits das Amtsgericht hingewiesen hat, sogar zu erwarten, dass sich die für ein Trennungskind dieses Alters keineswegs ungewöhnliche Weigerungshaltung sehr schnell legen würde, wenn das Kind erst einmal seinem Vater übergeben wäre.“

OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 28.6.2012 – 4 WF 122/12, BeckRS 2013, 5187

Das OLG Saarbrücken: Nur echter Wille berücksichtigbar

Das OLG Saarbrücken führt hierzu aus:

„Der genaue Umfang der erforderlichen Ermittlungen richtet sich nach den im konkreten Einzelfall betroffenen Kindeswohlbelangen (BGH FamRZ 2011, 7962010, 1060, jeweils m. Anm. Völker). Dazu gehört – bei der hier vorliegenden Problemstellung des Umgangsausschlusses wegen einer vom Kind verbal geäußerten Ablehnung von Umgangskontakten – jedenfalls die möglichst zuverlässige Feststellung des wahren Kindeswillens. Denn der vom Kind geäußerte Wille hat nicht nur Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen auch zum Umgangsberechtigten (vgl. BVerfG FamRZ 2007, 1078; vgl. – zum Sorgerecht – auch BVerfG FamRZ 2008, 1737; BGH FamRZ 1990, 392), sondern ist mit zunehmendem Alter auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit bedeutsam (§ 1626 Abs. 2 S. 2 BGB; dazu BVerfG FamRZ 2007, 1052008, 845; vgl. ferner – zum Sorgerecht – BVerfG FamRZ 2008, 1737). Weil der Kindeswille nur insoweit zu berücksichtigen ist, als er dem Kindeswohl entspricht (BVerfG FamRZ 1981, 1242008, 1737), und in tatsächlicher Hinsicht in Rechnung zu stellen ist, dass ein durch einen Elternteil maßgeblich beeinflusster Kindeswille nicht beachtlich ist (vgl. BGH FamRZ 1985, 169; vgl. auch BVerfG FamRZ 2009, 399), muss das Kind im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhalten, seine wirklichen persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden zu lassen (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 16222009, 399 und 1897).“

OLG Saarbrücken in FamRZ 2013, 48

Ein maßgeblich beeinflusster Wille ist eben unbeachtlich.

Damit gilt: Bei Kindern bis acht Jahren gibt es kaum Gründe, Umgänge ausfallen zu lassen – soweit eben keine Gründe für einen Umgangsausschluss (wie Gewalt, Missbrauch, Desinteresse oder fehlende Bindung) vorliegen.

Konkrete Bemühungen beweisen

Dabei hat bereits der Gesetzgeber in den BT-Drucksachen deutlich gemacht, dass „einfach so“ ein „das Kind will nicht“ nicht ausreicht. Stattdessen muss man konkrete Bemühungen, also positive Einwirkungen auf das Kind, nachweisen.

„Beruft sich etwa ein Elternteil nach Zuwiderhandlung gegen eine gerichtliche Umgangsentscheidung auf den entgegenstehenden Willen des Kindes, wird ein fehlendes Vertretenmüssen nur dann anzunehmen sein, wenn er im Einzelnen darlegt, wie er auf das Kind eingewirkt hat, um das Kind zum Umgang zu bewegen.“

Drucksache 16/6308

Dem schließt sich die Rechtsprechung und die Kommentarliteratur an:

Zwar gilt § 26 prinzipiell auch im Rahmen des § 89 und auch im Hinblick auf das Verschulden des Pflichtigen (B/H/S Rn. 11). Jedoch verlangt IV 1, dass der Pflichtige die Umstände, aus denen sich sein fehlendes Verschulden ergibt, vorträgt, und legt ihm damit eine verstärkte Mitwirkungspflicht auf. Er hat die Umstände im Einzelnen darzutun, da diese regelmäßig seiner Sphäre entstammen; misslingt ihm dies, kann von der Anordnung von Ordnungsmitteln nicht im Hinblick auf das fehlende Verschulden abgesehen werden (KG BeckRS 2016, 08685; BT-Drs. 16/6308, 218). Somit wird das Verschulden zu Lasten des Pflichtigen vermutet und damit im praktischen Ergebnis eine dem Beibringungsgrundsatz entsprechende Situation hergestellt (s. statt vieler nur OLG Karlsruhe FamRZ 2015, 2000 Rn. 10; anders OLG Hamm FamRZ 2016, 1105 Rn. 14, wonach das Verschulden stets durch Vollbeweis positiv nachgewiesen werden müsse).

(Haußleiter/Gomille, 2. Aufl. 2017, FamFG § 89 Rn. 8)

Für die Juristen heißt das: Fixen Umgang möglichst vor dieser Schwelle von 8 Jahren festzurren. Danach ist es immer noch möglich, aber eben auch umfangreicher.

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Sorgerecht Umgang

Wichtiges zur Kindesanhörung und dem Verfahrensbeistand

Die Kindesanhörung ist ein elementarer Bereich in Familiensachen. In diesem Beitrag möchte ich zur Grundlage, typischen Fehler und Problemen Stellung nehmen und zur Aufklärung beitragen – auch wenn leider viel durch das Gericht geregelt wird. Manche Probleme liegen auch darin, dass und wie Verfahrensbeistände mit Kindern (nicht) umgehen.

Kindesanhörung – Die Grundlagen

Die Grundlage der Kindesanhörung findet sich in der UN Kinderrechtskonvention, dort Art. 12, im FamFG und auch in Entscheidungen des BVerfG.

UN-Kinderrechtskonvention

Art. 12 CRC lautet:

(1) Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.
(2) Zu diesem Zweck wird dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden.

Art. 12 CRC

FamFG

Im deutschen Recht findet sich die Regelung im FamFG in §159 Abs.1 und 4 FamFG

§159 I FamFG lautet

(1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen.

(4) 1Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. 

2Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. 

3Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt, soll die persönliche Anhörung und die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in dessen Anwesenheit stattfinden. 

4Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts.

§159 FamFG

BVerfG

In seiner Leitentscheidung 1 BvR 349/80 hat das Bundesverfassungsgericht vorallem die zu ermittelnden Grundlagen konkretisiert:

  • Bindungen des Kindes
  • Neigungen
  • Wille des Kindes
1 BvR 349/80

Natürlich sind das alles auch psychologische Kriterien. Aber letztlich geht es vor allem darum, dass das Kind seine Meinung kund tun kann, gleichzeitig das Gericht aber auch sich vom Zustand des Kindes überzeugen kann.

Recht zur Äußerung in der Kindesanhörung, aber keine Pflicht

Es besteht also nur ein Recht zur Äußerung, keine Pflicht. Hierin liegt dann aber schon die größte Hürde für das Gericht, das im wesentlichen alles selbst gestalten kann: Dem Kind ist die Möglichkeit zu geben sich zu äußern, und das beinhaltet auch das Recht nichts zu sagen (vgl. insoweit Carl in Carl, Clauss und Karle, Kindesanhörung im Familienrecht rechtliche und psychologische Grundlagen sowie praktische Durchführung 2015, S. 33, Rn. 90). Das Gericht muss also damit leben, wenn nichts bei rauskommt (Carl aaO).

Insbesondere sollte dann das Gericht nicht das Kind mit penetranten Fragen fragen und in den innersten Bereich des Kindes eindringen (FamRZ 1990, 1383, 1385).

Bedeutung der Kindesanhörung

Die Kindesanhörung könnte dem Kind die Erfahrung vermittern, dass das Kind als eigene Person respektiert wird, was das Selbstwertgefühl des Kindes stärkt und ihm Selbstvertrauen gibt (vgl. Carl aaO S. 32). Das Kind soll lernen, indem es respektiert wird, andere zu respektieren. Das ist halt ein Problemchen, weil oftmals genau dieser Sinn nicht erreicht wird und Erwachsene vieles nicht erfüllen können oder wollen, weshalb die verfassungsrechtliche Bedeutung leider oft relativ schlecht umgesetzt wird.

Fragen zur Kindesanhörung

Ich darf einige Fragen und Antworten zur Kindesanhörung mitteilen:

Reicht es aus, ein Kind nur zu beobachten?

Nein. Das Kind muss sich äußern können, wobei Säuglinge oder Kleinkinder altersbedingt sich über Körpersprache äußern.

Darf ein Dolmetscher dabei sein?

Kinder und Erwachsene sollten sich immer in der wichtigsten Sprache, ihrer Bindungssprache, austauschen. Das heißt, dass also vor allem ein Dolmetscher verpflichtend sein muss, wenn die Ursprungssprache nicht Deutsch ist.

Muss die Kindesanhörung persönlich sein?

Ja, wobei persönlich als Kommunikation zwischen zwei Personen bei zeitgleicher Anwesenheit beider Gesprächspartner meint, was m.E. auch Onlinesitzungen ermöglicht.

Dürfen Eltern mit anwesend sein?

Das Gericht entscheidet über den Ablauf der Kindesanhörung. Eltern können also zugelassen werden, müssen es aber nicht. Der Zweck der Anhörung, dass das Kind seine Sicht unbeschwert darstellt, muss erreichbar sein.

Muss der Verfahrensbeistand anwesend sein?

Das Gesetz sieht nur vor, dass der Verfahrensbeistand (kurz VB) mit anwesend sein soll; dies bedeutet also, dass es durchaus abweichende Regeln geben kann, vor allem aber auch das Kind seinen Wunsch einbringen kann, ohne Verfahrensbeistand auszusagen. Es gilt: Immer wenn ein Kind nicht mehr frei sprechen kann, ist das Setting anzupassen (vgl. Hohmann-Dennhardt in ZfJ 2001, 77, 80). Der Deutsche Familiengerichtstag empfahl von einer Anhörung des Kindes im Beisein des Verfahrensbeistandes abzusehen, wenn das Kind dies wünscht (Arbeitskreis 11 des 19. DFGT, Ziff. 1).

Darf der Verfahrensbeistand Fragen stellen oder für das Kind antworten?

Grundsätzlich sollte dies unterbleiben; das Kind hat ein Recht auf Anhörung, Dritte äußern sich im Termin (Heilmann in Salgo, Zenz, Fegert, Bauer, Lack, Weber, Zitelmann, Rn. 1495)

Wie lange darf eine Kindesanhörung dauern?

Um den Zweck der Anhörung nicht zu verfehlen, sollte die Anhörung nicht zu kurz sein (Carl aaO, S. 65)

Sind Wortprotokolle üblich oder Videoaufnahmen?

Leider werden Video- und Tonaufzeichnungen abgelehnt und sind nicht üblich (Carl aaO S. 67). Eine Pflicht auf ein Wortprotokoll gibt es nicht, was (unabsichtliche) Manipulationen ermöglicht.

Keine Ausforschung der Kinder

Das Gericht sollte die Kindesanhörung aber nicht nutzen, um „Beweise“ gegen die Eltern zu erlangen. Auch wenn die Kindesanhörung der Sachaufklärung dient, liegt der Focus darauf, dass das Kind sagt was es denkt und will. Hier können zwar Fragen durch das Gericht hilfreich sein, um dem Kind in der Äußerung zu helfen. Diese sollten aber nicht, und schon gar nicht ohne die Kinder über negative Konsequenzen aufzuklären, den Kindern das Gefühl vermittelt werden, sich gegen die Eltern zu stellen. Das würde einen Loyalitätskonflikt hervorrufen, des es zu vermeiden gibt.

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Umgang

Vollmacht über Angelegenheiten der elterlichen Sorge

Über eine Sorgerechtsverfügung hatte ich bereits berichtet. Ein anderes wichtiges Instrument ist dabei die „normale“ Vollmacht über Angelegenheiten der elterlichen Sorge. Mit dieser kann ein Elternteil Probleme in der Kommunikation umgehen und insbesondere Sorgerechtsübertragungen auf den anderen Elternteil verhindern. Denn eine Vollmacht über Angelegenheiten der elterlichen Sorge führt zur Unzulässigkeit einer Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil.

Was ist eine Vollmacht über Angelegenheiten der elterlichen Sorge

Sie ist eine normale Vollmacht, in der eine Person (Vollmachtgeber) eine andere (den Vollmachtnehmer) bevollmächtigt, etwas zu tun. Wir kennen das, wenn wir Pakete abholen wollen oder einen Auftrag bei einer Behörde für jemanden durchführen. Das besondere an der Vollmacht im Sorgerecht ist dabei nur der Umfang einer solchen Vollmacht: Diese bezieht sich ausschließlich auf sorgerechtliche Angelegenheiten.

Welche Vorteile hat eine solche Vollmacht im Sorgerecht?

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Übertragung des alleinigen Sorgerechts gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB entbehrlich, wenn sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur alleinigen Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Dies folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, demzufolge der Eingriff in die elterliche Sorge eines Elternteils nicht erforderlich ist, wenn die Handlungsbefugnisse des anderen Elternteils bereits durch die Vollmacht erweitert sind und dieser dadurch in die Lage versetzt wird, in den maßgeblichen Kindesbelangen allein tätig zu werden. Infolge der ihm erteilten Vollmacht ist der andere Elternteil dann auch ohne Abstimmung mit dem vollmachtsgebenden Elternteil ausreichend handlungsfähig. Die Vollmacht ermöglicht, dass Konflikte in der Kommunikation und Kooperation mit dem anderen Elternteil weitgehend vermieden werden können (BGH, Beschl. v. 29.04.2020, XI 1112/19).
Dies gilt selbst wenn der Kindeswille dem entgegenstehen würde (OLG München, 26 UF 529/23 e, wenn eine alleinige Handlungsbefugnis ausreichen würde.

Der Vorteil ist also schlicht, dass man es verhindert, dass einem Sorgerechtsanteile „entzogen“ werden (rechtlich betrachtet sieht man hierin keine Entziehung, wenn gem. §1671 BGB die Rechte auf den anderen Elternteil übertragen werden. Emotional und inhaltlich ist es aber eine Entziehung). Man kann damit also zum Arzt, in die Schule, zum Jugendamt gehen und sich informieren – was eine wesentliche Grundlage für künftige Maßnahmen ist. Wer keine Infos bekommt, bekommt auch selten ein Kind (zurück).

Welche Formvorschriften gibt es für eine solche Vollmacht

Grundsätzlich sind solche Vollmachten formfrei, aber zum Nachweis, insbesondere damit ein Sorgerechtsentzug verhindert wird, empfiehlt sich die Schriftform. Die Vollmacht kann also auch im Termin zu Protokoll des Gerichts erklärt werden.

Wann ist eine Vollmacht sinnvoll

Eine Vollmacht ist immer sinnvoll, wenn man weite Distanzen hat zwischen dem Elternteil, der die Vollmacht erteilen soll, und dem Kind. Damit werden Diskussionen, was Alltagssorge ist und was nicht, vermieden. Weniger Streit führt aber zu besserem Co-Parenting.

Formular

Ein entsprechendes Formular über eine Vollmacht über Angelegenheiten der elterlichen Sorge stellt der Verein Erzengel für Euch kostenfrei zur Verfügung.

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Umgang

Offenkundige Fehler in Gutachten Günter, Arnscheidt und du Bois #1

Ich hatte ja bereits in Artikeln die Frage gestellt, ob Gutachten von Prof. Dr. Michael Günter fehlerhaft sind und auch zur Gutachterstelle Stuttgart Stellung bezogen. Heute möchte ich Euch an drei Beispielen zeigen, wie offenkundig ab und an fehlerhaft Gutachten der beiden Professori Prof. Dr. Michael Günter und Prof. Dr. Reimar du Bois oder von Dr. Arnscheidt von der Gutachterstelle Stuttgart sein können. In Gutachten Günter, Arnscheidtt und du Bois finden sich Fehler, die man finden kann, wenn man danach sucht.

Auszug aus den Mindestanforderungen

Zu aller erst möchte ich euch einen Auszug aus den Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen vorstellen, der für das weitere Verständnis wichtig ist. Ich hatte bereits in diversen Artikeln zu den Mindestanforderungen geschrieben und 5 Gründe genannt, warum diese wichtig sind.

Auf Seite 13 werden hierzu formelle Anforderungen definiert. Unter anderem steht dort geschrieben:

„Das Gutachten muss von dem beauftragten Sachverständigen persönlich und mit Datum versehen unterschrieben sein.“

Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen

Eigentlich ist das doch einfach verständlich, oder? Um diesen Satz zu verstehen, muss man nicht studiert haben. Und trotzdem, es scheint eine nicht unerhebliche Hürde zu sein, wie mir drei Beispiele zeigen. Günter, Arnscheidt und du Bois schaffen es eben nicht, diese Hürde zu nehmen.

Michael Günter unterschreibt Gutachten nicht immer

Prof. Dr. Michael Günter unterschreibt eben nicht immer alle Gutachten:

Den Co-Gutachter habe ich verpixelt, um den soll es hier nicht gehen. Wobei: Der hätte das so auch nicht durchgehen lassen dürfen. Damit liegt kein verwertbares Gutachten vor. Da ändert auch die „Reise“ nichts mehr. Denn es liegt kein Gutachten vor, für das er Verantwortung übernimmt.

Reinmar du Bois unterschreibt Gutachten nicht immer

Da will sein Vorgänger und Kompagnon in der Fortbildung von Psychiatern Reinmar du Bois nicht nachstehen, das kann er auch:

Immerhin findet er jemand, der „in Vertretung“ unterschreibt. Doch was ist vertreten? Die Prüfung? Die Urteilsbildung? Und überhaupt.

Arnscheidt unterschreibt Gutachten nicht immer

Auch hier findet sie jemand, der „in Vertretung“ unterschreibt: Ihren Kollegen du Bois. Doch was ist vertreten? Wohl nur die Unterschrift. Dies reicht aber nicht aus, um ein ordnungsgemäß unterschriebenes Gutachten zu gerieren. Das beweist

Habt ihr aufgepasst?

Wenn ihr oben den Auszug aus den Mindestanforderungen sorgfältig gelesen habt, habt ihr sicher erkannt dass das Datum auch fehlt.

Kritik an den Gerichten

Meine Hauptkritik richtet sich insoweit aber an die Gerichte. Würden diese die Gutachten lesen und die Mindestanforderungen kennen – wobei es eine sehr umfangreiche Rechtsprechung auch zu Unterschriften gibt – gäbe es solche Fehler nicht. Insbesondere kann solches Vorgehen sogar die Herstellung einer unechten Urkunde darstellen, wie der BGH, Urt. v. 06.12.1961, Az. 2 StR 350/61 ausführt (zitiert nach LTO). Aber vor allem nervt mich, dass solche Gutachten überhaupt weitergeleitet werden. Warum werden diese von den Richtern nicht zurückgegeben wegen dieser erheblichen, offenkundigen Fehler? Vielleicht weil man einräumen müsste, das Gutachten nicht (richtig) gelesen zu haben? Solche Fehler sind m.E. nur durch ein neues Gutachten heilbar, wobei einmal strafbares Verhalten kaum mehr umgedeutet werden kann. Günter und du Bois, das muss die Justiz in Baden-Württemberg anerkennen, sind als Gutachter (zumindest bei familienpsychologischen Gutachten) meiner Meinung nach nicht tragbar.

Kritik an den Anwälten

Wie immer richtet sich die Hauptkritik aber an die beteiligten Anwälte. Wieso kommt hier kein erbitterter Widerstand? Wir brauchen engagierte Anwälte, die die Interessen ihrer Partei bis zum Ende vertreten und verteidigen, nicht nur bis zur Abrechnung. Gutachten von Günter und du Bois sollten anwaltlich grundsätzlich abgelehnt werden meiner Meinung nach. Diese erfüllen in den von mir geprüften Fällen nicht ansatzweise die Mindestanforderungen. Deshalb habe ich hier angefangen, eine Webseite mit Aufsätzen für Fachpersonen (Richter und Anwälte) zu erstellen, um die Qualität rechtlicher Arbeit nachhaltig zu fördern. Mein erster Aufsatz heißt daher auch „Gutachten und Juristen“ und darf gern zitiert werden.

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Umgang

Die Billigung des Umgangsvergleichs: Anfechtungsmöglichkeiten

Die Billigung des Umgangsvergleichs in Familiensachen beendet das Umgangsverfahren. Lange Zeit war es umstritten, ob man bei Umgangsvergleichen den Vergleichsschluss anfechten kann oder nicht. Der Bundesgerichtshof hat insoweit entschieden, dass der Billigungsbeschluss des Amtsgerichtes / Oberlandesgerichtes eine Entscheidung i.S. §58 I FamFG ist und kann damit angefochten werden, BGH, Beschluss v. 10.7.2019, XII ZB 507/18 (das gilt bei OLG Beschluss freilich nur, soweit zugelassen i.S. §70 FamFG).

Umgangsvergleich und Billigung

§156 FamFG knüpft den Umgangsvergleich an die folgende Bedingungen:

„(2) Erzielen die Beteiligten Einvernehmen über den Umgang oder die Herausgabe des Kindes, ist die einvernehmliche Regelung als Vergleich aufzunehmen, wenn das Gericht diese billigt (gerichtlich gebilligter Vergleich). Das Gericht billigt die Umgangsregelung, wenn sie dem Kindeswohl nicht widerspricht.“

§156 FamFG

Auch eine Einigung der Eltern muss als auf Kindeswohldienlichkeit geprüft werden. Das Gericht kann insoweit Abweichen von der Vereinbarung der Eltern; somit ist dieser immer anfechtbar. Dies gilt sogar dann, wenn die Billigung nur dasjenige billigt, was man selbst beantragt hat. Man ist also immer „beschwert“, soweit man geltend macht, dass diese Regelung dem Wohl des Kindes nicht mehr entspricht. Diese Unvereinbarkeit muss man aber darlegen können.

Der Beschluss der Billigung muss ausdrücklich erfolgen, konkludent durch Protokollierung der Vereinbarung reicht nicht aus (vgl. BeckOK FamFG/Schlünder, 47. Ed. 1.8.2023, FamFG § 156 Rn. 17-18b).

Widerruf der Zustimmung des Vergleichs

Das Einvernehmen der Beteiligten, also die Zustimmung zum Vergleich, muss im Zeitpunkt der Entscheidung des Familiengerichts über die Billigung des Vergleichs (noch) vorliegen (OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 19078; Sternal/Schäder Rn. 16; Schlünder FamRZ 2020, 1150).

Eine zunächst erteilte Zustimmung eines Beteiligten ist bis zur gerichtlichen Billigung frei widerruflich (vgl. BeckOK FamFG/Schlünder, 47. Ed. 1.8.2023, FamFG § 156 Rn. 10, 10a, OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 124329; OLG Hamm BeckRS 2015, 16407; OLG Brandenburg FamRZ 2014, 2019 usw.).

Der Widerruf muss nicht ausdrücklich erklärt werden, sinnvoll wäre dies aber (OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 124329).

Dabei kann bereits ein Bedenken gegen eine Zustimmung bestehen, wenn ein Elternteil nur durch den Anwalt, unter Protest oder Vorbehalt zustimmt oder sich durch das Gericht „genötigt“ fühlt.

Widerruf bis zur Billigung, danach Beschwerde

Wenn also das Gericht nicht sofort den Billigungsbeschluss erlässt und verkündet, hat man jederzeit das Recht, die Zustimmung zu widerrufen. Dann muss das Gericht erneut verhandeln oder einen Beschluss erlassen und das OLG ggf. das Verfahren an das AG zurückweisen.

Wenn ihr Eure Zustimmung erteilt habt und der Billigungsbeschluss erlassen ist, dann kann man eine Beschwerde erheben oder den Vergleich anfechten, falls man sich wirklich getäuscht hat oder ähnliches. Die Beschwerde ist dann aber der sinnvollere Weg.

Die Zustimmung zum Umgangsvergleich ist bis zur Billigung widerruflich, danach durch Beschwerde anfechtbar.

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Umgang

Alltagssorge

Die Alltagssorge oder auch genauer Angelegenheiten des täglichen Lebens sind eine Ausnahme von der gemeinsamen elterlichen Sorge, nach der alle relevanten Entscheidungen gemeinsam getroffen werden müssen. Sie hat ihren Ursprung in §1687 I S. 2-4 BGB:

„Der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Solange sich das Kind mit Einwilligung dieses Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung. § 1629 Abs. 1 Satz 4 und § 1684 Abs. 2 Satz 1 gelten entsprechend.“

§1687 BGB

Wer hat die Alltagssorge?

Die Entscheidung über Angelegenheiten des täglichen Lebens hat gem. S. 2 derjenige, bei dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies ist in der Regel der, der das alleinige ABR = Aufenthaltsbestimmungsrecht hat. Es kommt also darauf an, bei wem das Kind „mehr“ Zeit verbringt.

Angelegenheiten des täglichen Lebens und Umgang

Doch auch der Elternteil, der nur Umgang hat, hat während des Umgangs die Alltagssorge. Dies ergibt sich aus S. 4

Was sind nun Angelegenheiten des täglichen Lebens?

Angelegenheiten des täglichen Lebens sind solche, die keinen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben1. Der Beck Online Kommentar definiert diese Alltagssorge als Entscheidungen, die sich durch Häufigkeit d und durch die Abänderbarkeit ihrer Auswirkungen auszeichnen2.

Das sind Entscheidungen über alle Angelegenheiten, die nicht die Weichen für die Kindesentwicklung stellen, wobei durchaus auch Reihenfolge von Fremdsprachen am Gymnasium hierunter zu zählen sein kann3.

Es ist ein Recht auf partielle Alleinsorge und Alleinvertretung4.

Der Münchener Kommentar zählt hierunter z.B.

Nachhilfe

Teilnahme an Klassenausflug

Klassenreisen,

Skikurs,

Arbeitsgemeinschaften,

Abholen vom Kindergarten,

Besuche bei anderen Verwandten, vor allem bei den Großeltern,

Fragen der Freizeitgestaltung (Fernseh- und Internetkonsum, Diskothekenbesuch)

einfache medizinische Behandlungen 

Beantragung von Ausweispapieren für eine Auslandsreise

melderechtliche Festlegung des Hauptwohnsitzes.

Haarschnitte

Verwaltung kleinerer Geldgeschenke 

MüKoBGB/Hennemann, 8. Aufl. 2020, BGB § 1687 Rn. 18

Ich sehe das in mancherlei Hinsicht durchaus anders. Fragen des Internetkonsums können durchaus nachhaltige Entwicklungen nach sich ziehen und sollten daher gemeinsam getroffen werden.

Die obige Liste verdeutlicht aber das Problem, dass es keine klaren Regelungen gibt und es immer auf den Einzelfall und das konkrete Kind ankommen wird. Am deutlichsten wird dies bei medizinischen Angelegenheiten.

Medizinische Angelegenheiten

Medizinische Angelegenheiten sind hier das Paradebeispiel für Problemfälle:

Beide Elternteile haben gemeinsam nach § 1687 über Operationen oder andere medizinische Eingriffe zu entscheiden, wobei allerdings in Notfällen „Notbefugnisse“ bestehen können, vgl. Abs. 1 S. 5, wie die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen, die Einweisung in eine Heilanstalt oder in ein Sanatorium, aber auch ambulante Psychotherapie langwierige Behandlungen wie Zahn- und Kieferregulierungen, und über sonstige ärztliche Behandlungen, hierzu zählen auch Schutzimpfungen einschließlich Auffrischungen, oder die medizinische Versorgung allgemein, etwa bei einem asthmatischen Kind oder einem Allergiker. Andererseits darf der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, bei kleineren Eingriffen nach unbedeutenden Verletzungen allein entscheiden

MüKoBGB/Hennemann, 8. Aufl. 2020, BGB § 1687

In Notfällen entscheidet daher ein Elternteil alleine, wobei die Eilbedürftigkeit ein Problem darstellen wird. Je langfristiger Auswirkungen sind (Kieferregulierung), desto eher muss gemeinsam entschieden werden. Kurzfristige Behandlungen (Zahnhygiene oder einfache Löcher) desto eher entscheidet der Elternteil, bei dem sich das Kind befindet.

Kleinere Eingriffe sind daher solche, die keine dauernde Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes haben, also Behandlungen bei einfachen Krankheitsverdachten usw. Dazu gehören körperliche Symptome (Bauchweh, Durchfall, Einkoten, Schmerzen, kleine Schnitte). Es kann sich aber während der Behandlung ergeben, dass das einfache Bauchweh weitreichendere Ursachen hat, die dann eine Zustimmung beider Elternteile (Darmspiegelung, Blinddarm-OP) nach sich zieht.

Ergebnis

Eine klare Abgrenzung gibt es nicht. Es empfiehlt sich daher immer ein Kontaktversuch zum anderen Elternteil, um dann ggf. auch Notfallargumente anführen zu können. Grundsätzlich ist aber eine Absprache oder eine Vollmacht vorzuziehen, wenn man sich entsprechend vertraut.

  1. MüKoBGB/Hennemann, 8. Aufl. 2020, BGB § 1687 Rn. 18 ↩︎
  2. BeckOK BGB/Veit, 67. Ed. 1.1.2023, BGB § 1687 Rn. 25-26 ↩︎
  3. MüKo aaO ↩︎
  4. BeckOK aaO ↩︎
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Umgang

Die Sprache bei begleitetem Umgang

Ich erlebe es oft, dass mir Eltern berichten, sie dürften sich nur auf Deutsch mit dem Kind beim begleiteten Umgang unterhalten. Das ist falsch. Die Sprache bei begleitetem Umgang hat sich am Kind, der Familie und den Bindungen zu orientieren. Alles andere widerspricht dem Kindeswohl.

Welche Sprache bei begleitetem Umgang?

„Sprache und Identität sind eng miteinander verbunden. Über Sprache vermitteln sich Erfahrungen, Wissen und Werte. Oft werden in Deutschland andere Sprachen als Bedrohung empfunden – nicht Deutsch sprechen wird mit Nicht-Integration gleichgesetzt. Zum Glück mehren sich im öffentlichen Raum die Beispiele, wie bereichernd ein mehrsprachiges Aufwachsen für unsere Gesellschaft ist.1

Diese Aussage ist so richtig, wie sie konsequent immer wieder missachtet wird. Weil bei vielen begleiteten Umgängen fälschlicherweise immer das schlechteste von Eltern gedacht oder solches unterstellt wird, wird auch aufgrund eigener Unwissenheit untersagt, sich in einer anderen Sprache als die, die der Begleiter versteht, zu unterhalten. Teils werden hier Eltern-Kind-Bindungen erheblich geschädigt, teils über die Jahre sogar Kontakt be- oder verhindert.

Sprache der Beziehung zum Kind, nicht Deutsch!

Folgerichtig kommentiert Cortico in Dürbeck, Handbuch begleiteter Umgang auf S. 246 das folgende:

„Die Eltern werden von den Berater:innen ermutigt, hauptsächlich in der Sprache zu sprechen, in der sie die beste Beziehung zu ihrem Kind aufbauen können. Das gilt auch für den begleiteten Umgang, selbst wenn die begleitende Person diese Sprache nicht spricht. „

Cortico in Dürbeck, Handbuch begleiteter Umgang

Bei Problemen könnt ihr insoweit verwaltungsrechtlich über das Wunsch- und Wahlrecht eine andere Begleitung oder andere Begleitungsregeln erstreiten. Denn wer sich gegen die Beziehung Eltern-Kind stellt, egal wie nachvollziehbar seine Motive sein mögen oder ob es ein Gericht angeordnet hat, der wendet sich gegen das Wohl des Kindes, gegen die bestehenden Bindungen und kann diese nicht fördern. Die Sprache bei begleitetem Umgang wählt ihr nach den Bedürfnissen des Kindes, an nicht anderem aus.

  1. Verband binationaler Familien, Familiäre Mehrsprachigkeit – die vergessene Ressource 2004 in Dürbeck, Handbuch begleiteter Umgang ↩︎
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Umgang

Checkliste Begleiteter Umgang: Raumausstattung

Im Handbuch Begleiteter Umgang von Dürbeck, Reguvis Verlag, 4. Auflage 2023, habe ich eine interessante Checkliste Raumausstattung begleiteter Umgang gefunden, der das Mindestmaß an Raumausstattung definiert.

Danach soll ein Raum, in dem begleiteter Umgang stattfindet, die folgenden Voraussetzungen erfüllen (und habe mir ein paar Ergänzungen erlaubt):

  1. Abschließbarer Nebenraum
  2. Zugang zu Toilette und Wickelraum
  3. Notfalltelefon
  4. Liste mit Notfallnummern
  5. Erste Hilfe Koffer
  6. Barrierefreiheit
  7. Raum hell und freundlich
  8. Raumtemperatur angemessen, nicht zu kalt, nicht zu warm
  9. Lüftungsmöglichkeit
  10. Getränke vorhanden
  11. Zugang zu Garten und Spielplatz
  12. Spielsachen für Kinder jeden Alters, insbesondere Puppen, Lego, Playmobil, Bälle, Knete, Kicker, Tischtennis, Kissen, Decken, Bausteine, Puppenhaus, Verkleidungskiste, Bücher für Kinder jeden Alters
  13. Rückzugsmöglichkeit für das Kind (Zelt, Höhle o.ä.) im Raum, dazu gehört auch eine angemessene Raumgröße
  14. Mal- und Bastelsachen für Kinder mit Stiften, Scheren und Papier
  15. Abspielgerät für Hörspiele/Tonie-Box
  16. Brettspiele für alle Altersgruppen
  17. Tische und Stühle für Kinder und Erwachsene
  18. Platz auch für Umgangsbegleitung
  19. Reinigungsmöglichkeiten (Staubsauger) nach handwerklicher Tätigkeit/Basteln oder Essen
  20. Garderobe für Schuhe und Jacken/Mützen
  21. Technische Geräte auch für Hausaufgaben (Recherche usw.)
  22. Stauraum, um eigenes Spielzeug dort zu lassen
  23. Datenschutzkonformität, also keine offenen Unterlagen der Begleiter usw.

Ich mag das Handbuch und kann es nur empfehlen und werde einige Aspekte für Euch hier berichten. Doch entspricht Euer Raum dieser theoretischen Realität? Wieviele der 18 Punkte waren für Euch erfüllt? Hat man Euch Erste-Hilfe-Möglichkeiten gezeigt oder nur darauf hingewiesen, dass Ihr selbst verantwortlich seid? War ein Zugang zum Garten/Spielplatz vorhanden und durfte der auch genutzt werden?

Bitte kommentiert Eure Erfahrungen in den Kommentaren, und teilt mir mit, was Eurer Meinung nach in der Liste oben fehlt.


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