Im komplexen Feld des Familienrechts ist das Vertrauen in die Unparteilichkeit der entscheidenden Richter von höchster Bedeutung. Der Begriff der Befangenheit von Richtern beschreibt eine Situation, in der begründete Zweifel an der Unabhängigkeit und Neutralität eines Richters bestehen. Auf familienrecht.activinews.tv möchten wir Ihnen als Experten im Familienrecht dieses wichtige Thema näherbringen. Wir beleuchten die Voraussetzungen der Befangenheit, wann keine Befangenheit vorliegt, und geben Ihnen praktische Hinweise zum Vorgehen.
Wann ist ein Richter befangen? Die Voraussetzungen im Überblick
Die Befangenheit eines Richters ist gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO, der im FamFG entsprechend anwendbar ist, vgl. § 113 Abs. 1 FamFG). Es geht dabei nicht um die tatsächliche Voreingenommenheit des Richters, sondern um den objektiven Anschein der Befangenheit aus der Sicht eines vernünftigen Beteiligten.
Die wichtigsten Voraussetzungen für die Befangenheit eines Richters sind:
- Vorliegen eines Befangenheitsgrundes: Dies können Tatsachen oder Umstände sein, die vernünftigerweise den Eindruck erwecken, der Richter stehe der Sache oder einer Partei nicht unvoreingenommen gegenüber.
- Geeignetheit zur Misstrauensbegründung: Der Befangenheitsgrund muss objektiv geeignet sein, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Subjektive Empfindungen oder bloße Mutmaßungen genügen nicht.
Die Gründe für eine mögliche Befangenheit sind vielfältig und im Gesetz nicht abschließend aufgezählt. Typische Beispiele sind:
- Persönliche Beziehungen: Verwandtschaft, Freundschaft oder Feindschaft zu einer der Parteien oder deren Rechtsanwälten.
- Eigene Betroffenheit: Der Richter ist selbst in einer ähnlichen rechtlichen Auseinandersetzung verwickelt oder hat ein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahrens.
- Vorherige Äußerungen oder Handlungen: Äußerungen oder Handlungen des Richters außerhalb des Verfahrens, die eine Vorfestlegung oder eine ablehnende Haltung gegenüber einer Partei erkennen lassen.
- Mitwirkung in Vorinstanzen oder anderen Verfahren: Unter bestimmten Umständen kann die Mitwirkung des Richters in einem früheren Verfahren, das mit dem aktuellen zusammenhängt, Befangenheit begründen.
Wann liegt keine Befangenheit vor? Subjektive Eindrücke und allgemeine Ansichten
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jede Unzufriedenheit mit der Verfahrensführung oder der vorläufigen Einschätzung des Richters eine Befangenheit begründet.
Keine Befangenheit liegt in der Regel vor bei:
- Sachlichen Entscheidungen und Verfahrensweisen: Eine abweisende Entscheidung, die Ablehnung eines Beweisantrags oder eine – aus Sicht einer Partei – ungünstige Verfahrensleitung stellen für sich genommen keine Befangenheit dar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.2018 – 1 BvR 2931/17). Richter sind gehalten, das Verfahren nach ihrer Rechtsauffassung zu führen.
- Allgemeinen Rechtsansichten: Die generelle Rechtsauffassung eines Richters zu bestimmten familienrechtlichen Fragen begründet keine Befangenheit, solange diese im Rahmen der Gesetze und der Rechtsprechung liegt.
- Bloßen Vermutungen oder subjektiven Eindrücken: Die bloße Besorgnis einer Partei, der Richter könnte befangen sein, ohne dass objektive Gründe vorliegen, reicht für einen Befangenheitsantrag nicht aus.
- Der bloßen Ablehnung von Anträgen: Dass ein Richter Anträge einer Partei ablehnt, bedeutet nicht automatisch, dass er befangen ist. Dies kann auf einer abweichenden Rechtsauffassung oder der Würdigung des Sachverhalts beruhen.
Erstreckt sich Befangenheit auf mehrere Verfahren?
Die Frage, ob sich die Befangenheit eines Richters auf mehrere Verfahren erstreckt, lässt sich nicht pauschal beantworten. Grundsätzlich ist die Befangenheit verfahrensbezogen. Das bedeutet, ein Befangenheitsgrund, der in einem konkreten Verfahren besteht, wirkt sich zunächst nur auf dieses Verfahren aus.
Allerdings kann sich eine festgestellte Befangenheit unter Umständen auf andere, eng zusammenhängende Verfahren erstrecken, insbesondere wenn der Befangenheitsgrund eine generelle Haltung des Richters gegenüber einer bestimmten Person oder einem bestimmten Sachverhaltskomplex betrifft. Dies ist jedoch eine Frage des Einzelfalls und hängt stark von der Art und dem Umfang des Befangenheitsgrundes ab.
Beispielsweise könnte eine offenkundige Feindschaft eines Richters gegenüber einer Partei in einem Scheidungsverfahren auch in einem nachfolgenden Unterhaltsverfahren zwischen denselben Parteien einen Befangenheitsantrag rechtfertigen. Entscheidend ist, ob der ursprüngliche Befangenheitsgrund die Besorgnis rechtfertigt, der Richter werde auch im neuen Verfahren nicht unvoreingenommen sein.
Fünf Entscheidungsbeispiele zur Befangenheit von Familienrichtern:
Um die Anwendung der Grundsätze zur Befangenheit im Familienrecht zu verdeutlichen, betrachten wir fünf Entscheidungsbeispiele:
- OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.08.2019 – 6 UF 131/19: Eine Richterin hatte in einem parallel geführten einstweiligen Anordnungsverfahren eine Wertung vorgenommen, die die Mutter als „unkooperativ“ bezeichnete. Das OLG sah hierin eine Begründung für die Besorgnis der Befangenheit im Hauptsacheverfahren zum Umgangsrecht, da die vorläufige Wertung den Eindruck erweckte, die Richterin habe sich bereits eine feste Meinung gebildet, die die Mutter benachteiligte.
- BGH, Beschluss vom 16.05.2018 – XII ZB 107/18: Die bloße Tatsache, dass ein Richter in einem früheren Verfahren eine für eine Partei ungünstige Entscheidung getroffen hat, begründet in der Regel keine Befangenheit für ein nachfolgendes Verfahren zwischen denselben Parteien. Entscheidend ist, ob zusätzliche Umstände hinzutreten, die den Anschein der Befangenheit erwecken.
- OLG Celle, Beschluss vom 17.07.2017 – 10 UF 103/17: Die private Bekanntschaft eines Richters mit dem Verfahrensbevollmächtigten einer Partei kann einen Befangenheitsgrund darstellen, insbesondere wenn diese Bekanntschaft über das übliche Maß hinausgeht und den Eindruck erweckt, der Richter könnte dadurch beeinflusst sein.
- OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.02.2016 – 9 UF 178/15: Äußerungen eines Richters während einer Anhörung, die eine erkennbare Voreingenommenheit gegenüber einer Partei zum Ausdruck bringen (z.B. abfällige Bemerkungen), können die Besorgnis der Befangenheit begründen.
- BVerfG, Beschluss vom 21.07.2015 – 1 BvR 1237/15: Die Mitwirkung eines Richters in einer Vorinstanz führt nicht automatisch zur Befangenheit in der Rechtsmittelinstanz. Entscheidend ist, ob der Richter sich in der Vorinstanz bereits so intensiv mit der Sache auseinandergesetzt hat, dass der Anschein entsteht, er gehe mit einer vorgefassten Meinung in die neue Verhandlung.
Wie stellen Sie einen Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit? Schritt für Schritt
Wenn Sie den Eindruck haben, dass ein Richter in Ihrem Familienrechtsverfahren befangen ist, können Sie einen Antrag auf Ablehnung wegen Befangenheit stellen. Das Verfahren hierfür ist in §§ 44 ff. ZPO geregelt, die über § 113 Abs. 1 FamFG auch im familiengerichtlichen Verfahren gelten.
Die wichtigsten Schritte zur Stellung eines Befangenheitsantrags:
- Schriftlicher Antrag: Der Antrag muss schriftlich beim zuständigen Familiengericht eingereicht werden.
- Er muss im Namen der betroffenen Partei erfolgen, nicht im Namen des Anwalts/der Anwältin.
- Begründung: Der Antrag muss die Gründe enthalten, aus denen die Befangenheit des Richters abgeleitet wird. Diese Gründe müssen konkret und nachvollziehbar dargelegt werden. Bloße Behauptungen oder Mutmaßungen genügen nicht.
- Benennung des abgelehnten Richters: Der Antrag muss den Namen des Richters enthalten, dessen Ablehnung begehrt wird.
- Unverzüglichkeit: Der Antrag sollte unverzüglich gestellt werden, nachdem der Ablehnungsgrund bekannt geworden ist (§ 43 ZPO). Eine schuldhafte Verzögerung kann zur Unzulässigkeit des Antrags führen.
- Die Gründe müssen glaubhaft gemacht werden, was in der Regel nur mit präsenten Beweismitteln (Akteninhalt, eidesstattliche Versicherung) und dem Hinweis auf die dienstliche Stellungnahem des Richters möglich ist.
Nach Eingang des Antrags nimmt der abgelehnte Richter zunächst Stellung zu den vorgebrachten Gründen (§ 44 Abs. 2 ZPO). Anschließend entscheidet das Gericht über den Antrag. Zuständig für die Entscheidung ist in der Regel ein anderes Kollegialorgan (z.B. ein anderer Familienrichter/Senat am Oberlandesgericht).
Wichtiger Hinweis: Ein Ablehnungsantrag sollte wohlüberlegt sein, da er das Verfahren verzögern kann (was insbesondere bei herausgenommenen Kindern problematisch sein kann) und bei unbegründeter Antragstellung keine positiven Auswirkungen hat. Es ist ratsam, vor der Stellung eines Antrags rechtlichen Rat einzuholen.
Konkrete Handlungsanweisungen bei vermuteter Befangenheit:
- Sorgfältige Beobachtung: Achten Sie auf Äußerungen und Verhaltensweisen des Richters während der Verhandlungen.
- Dokumentation: Notieren Sie konkrete Vorfälle, die den Eindruck der Befangenheit erwecken könnten (Datum, Uhrzeit, genauer Wortlaut).
- Rechtlichen Rat einholen: Besprechen Sie Ihre Beobachtungen mit Ihrem Rechtsanwalt. Dieser kann die Erfolgsaussichten eines Befangenheitsantrags einschätzen und Sie im weiteren Vorgehen beraten.
- Antrag sorgfältig begründen: Verfassen Sie den Ablehnungsantrag gemeinsam mit Ihrem Anwalt und legen Sie die Gründe detailliert und sachlich dar.
Fazit: Ihr Recht auf einen unparteiischen Richter
Das Recht auf einen unparteiischen Richter ist ein fundamentaler Bestandteil eines fairen Verfahrens. Die Befangenheit von Richtern kann das Vertrauen in die Justiz erschüttern. Es ist wichtig, die Voraussetzungen für eine Befangenheit zu kennen und zu wissen, wann ein Ablehnungsantrag gerechtfertigt sein kann. Bei Zweifeln sollten Sie nicht zögern, rechtlichen Rat einzuholen, um Ihre Rechte zu wahren.
Benötigen Sie Unterstützung in einem familienrechtlichen Verfahren oder haben Sie Fragen zur Befangenheit eines Richters? Kontaktieren Sie uns auf familienrecht.activinews.tv oder buchen einen Termin für eine Einschätzung.
Quellenliste:
- Zivilprozessordnung (ZPO), §§ 42-49 Ablehnung eines Richters: https://www.gesetze-im-internet.de/zpo/__42.html
- Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), § 113 Verfahrensvorschriften: https://www.gesetze-im-internet.de/famfg/__113.html
- Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 17.04.2018 – 1 BvR 2931/17: (Abrufbar über die Datenbank des BVerfG)
- Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 16.05.2018 – XII ZB 107/18: (Abrufbar über die Rechtsprechungsdatenbank des BGH)
- Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Beschluss vom 28.08.2019 – 6 UF 131/19: (Abrufbar über einschlägige juristische Datenbanken)
- Oberlandesgericht (OLG) Celle, Beschluss vom 17.07.2017 – 10 UF 103/17: (Abrufbar über einschlägige juristische Datenbanken)
- Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg, Beschluss vom 22.02.2016 – 9 UF 178/15: (Abrufbar über einschlägige juristische Datenbanken)
- Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 21.07.2015 – 1 BvR 1237/15: (Abrufbar über die Datenbank des BVerfG)