Entfremdung eines Kindes von einem Elternteil ist ein Phänomen, das wir in vielen Verfahren erleben. Dabei meine ich die tatsächliche Vorenthaltung eines Kindes von einer Bezugsperson und eine aufgeweichte Bindung. Gleichzeitig handelt dieser Artikel nicht von der PAS-Theorie nach Gardner, die bisweilen kritisiert wird. Diese Diskussion, ob es PAS als eigene psychische Störung gibt oder ob die Thesen von Gardner alle richtig waren oder ob sie unwissenschaftlich sind, verschleiert nämlich, dass es die (gewaltsame) Entfremdung gibt. Dass Eltern und/oder Kinder hierunter leiden. Nur letzteres ist für uns alle relevant, diese Entfremdung muss zum Wohle des Kindes beseitigt werden.
- Entfremdung
- Was passiert hier aus Sicht des Kindes?
- Nicht alle Umgangsprobleme sind Entfremdung oder PAS
- Empfehlung bei beginnender Entfremdung
- Wenn ein Verfahren unvermeidlich ist…
- Gerichte nehmen beginnende Entfremdung nicht ernst
- Was kann man bei vollendeter Entfremdung tun?
Entfremdung
Oftmals sind es Kleinigkeiten, mit denen eine Entfremdung beginnt. So wie dieser Chat, den ich vor ein paar Monaten erhielt und den ich etwas verfremdet habe. Es geht hier ja nicht um ein Bashing einer Person, sondern um konkrete Kritik an Vorgehen und an Lösungsansätzen:
Nennt mich ein Sensibelchen, aber ich finde es gibt nicht „meine“ oder „deine“ Woche. Stattdessen gibt es das Kindeswohl, das bedingt dass alle Elternteile Kontakt mit dem Kind haben dürfen. Es gibt ein Bedürfnis des Kindes nach Kontakt mit dem Vater, der nicht ignoriert werden darf.
Natürlich wird jetzt der eine oder andere hier sagen, dass wenn es Umgangsvereinbarungen gibt, diese auch einzuhalten sind. Ausnahmen muss man extra regeln. Aber muss man diese Situation wirklich rechtlich interpretieren? Kommt es nicht vielmehr darauf an, dass es keinen Kontakt gibt, obwohl dieser möglich wäre? Zudem: Während Isolation und Quarantäne hat man ja notgedrungen auch Kontakt miteinander, verliert der andere Elternteil dadurch etwas?
Mich stört alleine, dass man hier billigend den Kontaktabbruch in Kauf nimmt. Und genau so entstehen Entfremdungen.
Was passiert hier aus Sicht des Kindes?
Alle Beteiligten sollten sich hier die Frage stellen, was aus Sicht des Kindes passiert. Geht es wirklich um die Wünsche der Erwachsenen? Wie reagiert ein Kind darauf, wenn man seinen Wunsch nach Kontakt mit den Eltern missachtet? Wieso muss ein Elternteil für das Kind sprechen?
Auch hier ist die rechtliche Situation vollkommen egal: Der Wunsch des Kindes sollte im Zentrum der Betrachtungen sehen. Und Eltern sollten erkennen, dass es für alle ein „mehr“ ist, wenn das Kind den Kontakt zum anderen Elternteil bekommt.
Nicht alle Umgangsprobleme sind Entfremdung oder PAS
Eines muss klar angesprochen werden: Nicht jedes Problem kann dabei bereits eine Entfremdung sein. Die beginnende Entfremdung hingegen wird oft bagatellisiert, bis irreparable Schäden entstehen. Die Abgrenzung ist schwierig und fordert oft auch erhebliche Disziplin bei dem betroffenen, entfremdeten Elternteil. Manchmal muss man nämlich an seiner Feinfühligkeit arbeiten und darf sich nicht provozieren lassen. Vielleicht sollte man auch die Kommunikation mit dem Partner verbessern, um gewaltlos zu streiten? Vielleicht sollte man auch aus Sicht des anderen Elternteiles überlegen, wie die eigene Forderung ankommt oder ob man wegen einer einmaligen Situation Aufheben machen muss?
Doch manchmal liegen solche Entfremdungen auch in Persönlichkeitsstörungen wie Borderline oder Narzissmus begründet. Dann wird man alleine keine Abhilfe schaffen können, und Zurückhaltung wird dann eher die Entfremdung begünstigen.
Empfehlung bei beginnender Entfremdung
Von einer beginnenden Entfremdung spreche ich, wenn eine Systematik hinter mehreren ausgefallenen Kontakten oder ausgefallenem Umgang zu erkennen ist, insbesondere wenn mehrere Umgänge hintereinander ausfallen. Länger als vier Wochen auf einen Umgang verzichten müssen aus Sicht des Kindes halte ich für Kindeswohlgefährdung.
Welche Anzeichen sprechen für eine Entfremdung?
Aus meiner Sicht kann eine Entfremdung vorliegen oder beginnen, wenn mindestens drei der folgenden Aspekte vorliegen+
- Das Kind äußert sich plötzlich negativ über den Umgang trotz Fehlens von negativen Momenten im Umgang
- Das Kind ist plötzlich kurz angebunden am Telefon und sagt nichts
- Das Kind ist am Umgangstermin krank, ohne dass Bettlägrigkeit festgestellt ist
- Der andere Elternteil übernimmt plötzlich die Kommunikation für das Kind
- Das Kind soll gegenüber Dritten geäußert haben, keinen Kontakt mehr zu wollen oder weniger Umgang
- Das Kind ist telefonisch zur besprochenen Zeit nicht erreichbar, schläft schon, noch unterwegs
- Telefonate werden plötzlich unterbrochen
- plötzlich sind am Umgangswochenende unverschiebbare Termine, an denen man aber nicht teilnehmen oder hinbringen darf
- Beweise für das Verhalten des Kindes werden behauptet oder angeführt
- von der anderen Elternseite gibt es keine Bemühungen, die Situation zu verbessern
- unabgesprochene Wegzüge, die Distanz zwischen Elternteil und Kind bringt
Natürlich kann jeder dieser Punkte eine natürliche Ursache haben. Wie immer gilt: dies ist alles nicht abschließend, es kommt immer auf den Einzelfall an. Diese Punkte spiegeln aber meine Erfahrungen der letzten Jahre wieder.
Wie also gehe ich mit dieser beginnenden Entfremdung um? Vor Einleitung eines Verfahrens sollte man nochmals das Gespräch mit dem anderen Elternteil suchen. Und ja, das meine ich auch, wenn das Verhältnis hochstrittig ist. Vielleicht kann ein Mittelsmann helfen oder eine Mediation, manchmal aber auch ein höflicher Brief. Erfahrungsgemäß wird sich dann aber nichts ändern.
Wenn ein Verfahren unvermeidlich ist…
Wenn ein Verfahren unvermeidlich ist, dann sollte man darauf dringen, dass das Wohl des Kindes im Mittelpunkt steht. Gegebenenfalls sollte man ein Gutachten aus Sicht des Kindes beauftragen (z.B. bei Dr. Stefan Rücker) und die Entfremdungsanhaltspunkte benennen. Darüber hinaus sollte man auch einen Schwerpunkt auf die Folgen einer Entfremdung legen und diese ausführlich darlegen.
Gerichte nehmen beginnende Entfremdung nicht ernst
Es ist leider eine Wahrheit: Beginnende Entfremdung wird von den Familiengerichten nicht ernst genommen. Manchmal wird es auf den Konflikt der Eltern geschoben oder bagatellisiert, weil ein ausfallender Kontakt ja nicht so schlimm ist. Dass dadurch zum Nachteil des Kindes Selbstläufer ausgelöst werden, die in der Entfremdung enden. Bei vollendeter Entfremdung ist nämlich oft von Seiten des Gerichtes keine Chance auf Abänderung gegeben, oder nur noch ein Heim- und Therapieaufenthalt hilfreich.
Was kann man bei vollendeter Entfremdung tun?
Bei vollendeter Entfremdung kann man in der Regel nichts mehr tun. Denn dann ist die Entfremdung der (fremdgesteuerte, manipulierte) Wille des Kindes, den zu brechen eine Kindeswohlgefährdung darstellt. Daher ist es so wichtig, dass man so schnell wie möglich handelt und erste Tendenzen anspricht und bei Gericht bestreitet.