Persönlichkeitsstörungen im Sorgerechtsbereich wie Borderline oder Narzissmus wird oftmals schnell „diagnostiziert“. Wenn sich diese Laienaussage von nichtapprobierten Psychologen oder gar von Psychiatern als falsch herauskristallisiert, dann gibt man trotzdem nicht auf. Man macht aus der Persönlichkeitsstörung im Sorgerecht eine Persönlichkeitsakzentuierung. Doch was ist eine Akzentuierung eigentlich? Und hat diese einen Krankheitswert? Wir klären auf.
- Persönlichkeitsakzentuierung: Was ist das?
- Definition von Persönlichkeitsstörung nach ICD und DSM
- Beeinträchtigung des Lebens bei Persönlichkeitsstörung
- Kein Leid bei Persönlichkeitsakzentuierung
- Die Persönlichkeitsakzentuierung in familienpsychologischen Gutachten
- Wie gehe ich vor, wenn im Gutachten eine Persönlichkeitsakzentuierung behauptet wird?
Persönlichkeitsakzentuierung: Was ist das?
Eine Persönlichkeitsakzentuierung ist eine Neigung in eine bestimmte Richtung hin zu einer Persönlichkeitsstörung, ohne dass eine solche Störung vorliegt.
Persönlichkeitsstörungen können als extreme Ausprägung eines Persönlichkeitsstils mit unflexiblen, starren und unzweckmäßigen Persönlichkeitszügen betrachtet werden, die dabei die Lebensqualität des Betroffenen beeinträchtigen, zu (subjektivem) Leid oder zu häufigen Konflikten mit seiner Umwelt führen. Abweichende, unangepasste Erlebensweisen, Erfahrungs- und Verhaltensmuster schränken dabei den Betroffenen in seiner Zufriedenheit und im Erreichen seiner persönlichen Ziele ein oder führen zu häufigen Problemen mit anderen Menschen oder der Gesellschaft.
zitiert nach Neurologen und Psychiater im Netz
Definition von Persönlichkeitsstörung nach ICD und DSM
Nach ICD10 und DSMV ist eine Persönlichkeitsstörung folgendes:
Unter Persönlichkeitsstörungen werden im ICD-10 schwere Störungen der Persönlichkeit sowie des Verhaltens einer Person verstanden, die nicht direkt durch eine andere psychische Erkrankung oder eine Hirnschädigung zustande kommen. Sie betreffen dabei verschiedene Bereiche des Lebens und verursachen großes persönliches Leiden sowie soziale Beeinträchtigungen. Die Betroffenen zeigen dauerhafte und für sie charakteristische Verhaltensmuster und Erfahrungsmuster, die sich im Großen und Ganzen von kulturell erwarteten und akzeptierten Normen unterscheiden. Diese Abweichungen sind hierbei in ihren Kognitionen, ihrer Affektivität, ihrer Impulskontrolle und in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen zu finden und führen zu einem Verhalten, was unangepasst, unflexibel oder aber auch unzweckmäßig in den vorliegenden Situationen ist. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Diagnosestellung ist außerdem, dass diese Abweichungen lang andauernd sind und bereits in der späten Kindheit bzw. in der Adoleszenz begonnen haben
nach Psychowissen
Das entscheidende Kriterium für eine Persönlichkeitsstörung ist, dass jemand unter seinen Persönlichkeitsmerkmalen leidet und durch sie in seiner persönlichen, sozialen oder beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Außerdem ist eine Störung der Persönlichkeit oft auch für die Mitmenschen belastend – was auch für den Betroffenen selbst zu typischen zwischenmenschlichen Problemen führt.
zitiert nach Theraphie.de
Beeinträchtigung des Lebens bei Persönlichkeitsstörung
Im Vordergrund steht also bereits die Beeinträchtigung der Lebensqualität und subjektives Leid sowie Konflikte mit der Umwelt. Eine Persönlichkeitsstörung wirkt sich also auf das eigene Leben aus. Sie beeinträchtigt aber auch das miteinander. Leidet man selbst nicht und leiden andere hierunter nicht, liegt keine Störung und damit kein Krankheitswert vor.
Eine Persönlichkeitsakzentuierung meint hingegen, dass man nur eine Betonung bestimmter Merkmale hat, dass man sich in Richtung einer Persönlichkeitsstörung hin neigt, nicht aber dass ein das Leben in rechtlicher wie tatsächlicher Sicht beeinträchtigender Aspekt vorliegt:
Man kann dann von einer Persönlichkeitsakzentuierung sprechen, d.h. eine Neigung in eine bestimmte Richtung.
Limes Schlosskliniken
Kein Leid bei Persönlichkeitsakzentuierung
Eine Persönlichkeitsakzentuierung heißt also, dass keine Persönlichkeitsstörung vorliegt und damit nicht (alle) Merkmale für eine Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vorliegen. Damit hat eine Persönlichkeitsakzentuierung auch keinen krankheitswert.
Von Störung oder Akzentuierung zu unterscheiden ist weiterhin der Persönlichkeitsstil, also wie sich eine Persönlichkeit entwickelt und darstellt – denn jeder Mensch ist individuell. Folglich fordern auch Fachleute, nicht mehr von Persönlichkeitsstörung sondern von einer Störung des Denkens zu sprechen. Denn die Person als solche sollte nicht als gestört betrachtet werden.
Die Persönlichkeitsakzentuierung in familienpsychologischen Gutachten
Folgerichtig hat meines Erachtens eine Persönlichkeitsakzentuierung im psychiatrischen oder familienpsychologischen Gutachten nicht aufzutauchen. Denn wenn es das Leben nicht beeinträchtigt, kann es auch nicht in die rechtlichen Fragestellungen des Gerichtes Einklang finden. Trotzdem erlebe ich immer wieder, dass man mit Persönlichkeitsakzentuierungen versucht, Eltern als erziehungsunfähig oder eingeschränkt darzustellen, weil man eine mögliche künftige Negativentwicklung vorherzusagen glaubt. Dies ist aus rechtlicher und aus fachlicher Sicht abzulehnen.
Denn reine Zukunftsprognosen reichen ja nicht aus, um die Erziehungsfähigkeit einzuschränken (siehe mein Buch „Wichtige Entscheidungen im Sorgerecht„). Wenn etwas keinen Krankheitswert hat, dann hat es auch keine rechtlichen Auswirkungen. Und damit kann man auch nicht etwas anderes behaupten.
Dr. Rober Mestel fasst die wissenschaftlichen Erkenntnis von Tyrer und anderen im folgenden Schaubild zusammen:
Wissenschaftlich fundiert ist daher, dass
- 45% aller Menschen einen unauffälligen Persönlichkeitsstil haben
- 48% aller Menschen unproblematische Persönlichkeitsneigungen oder -akzentuierungen („Difficulties“) haben
- nur 7% aller Menschen eine Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert
Diese Zahlen sind wichtig: Denn damit ist nicht nur belegt, dass von 6 Leuten im Gerichtssaal mindestens 3 solche „Difficulties“ oder „Persönlichkeitsmerkmale“ haben und damit die überwiegende Mehrheit. Wer würde damit sagen, dass jeder zweite quasi erziehungsungeeignet ist?
Diese Zahlen zeigen aber auch, was in Gutachten oft falsch läuft und daher auch einfach anzufechten ist.
Wie gehe ich vor, wenn im Gutachten eine Persönlichkeitsakzentuierung behauptet wird?
Das Vorgehen entspricht dem üblichen bei Falschgutachten: Sachverhalt angreifen, Gutachterkompetenz angreifen, Gericht angreifen. Vorallem aber dringt darauf, dass die Begrifflichkeiten klar definiert sind – mit Quellen – und dass abgegrenzt wird zwischen Persönlichkeitsstil, -abgrenzung und -störung. Dazu gehört auch, die Häufigkeiten zu benennen und mitzuteilen, dass eben keine Einschränkungen vorliegen. Damit sind alle negativen Schlüsse aus einer Akzentuierung, und sei es nur dass der Anschein erweckt wird dass es negative Schlüsse gäbe, unzulässig, spekulativ und unwissenschaftlich.
Eine Antwort auf „Die Persönlichkeitsakzentuierung im Sorgerecht anfechten“
Mir wurde im Wechsel die Wahrscheinlichkeit einer Persönlichkeitsakzentuierung, eines stark ausgeprägten Persönlichkeitsstils und einer Persönlichkeitsstörung schriftlich niedergelegt in einem Gutachten zur Erziehungsfähigkeit. Alles an den Haaren herbei gezogen. Wie gehe ich damit um?