Ich hatte vor langer Zeit schon ein Video zum Thema Wechselmodell als gesetzliches Leitmodell gemacht. Jetzt, bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel, wird das Thema wieder brandaktuell. Wird es ein Wechselmodell als Regelfall geben, wie es die FDP im Wahlkampf gefordert hat? Und wie ist eigentlich meine aktuelle Meinung zum Thema? All das lest Ihr in diesem Artikel.
- Sondierungspapier schweigt sich zum Wechselmodell aus
- Mein altes Video vom Februar 2019
- Status Quo Wechselmodell, Residenzmodell, Nestmodell?
- Das Wechselmodell ist nicht so einfach umzusetzen
- Mein neues Video zum Wechselmodell
- Für viele ändert ein gesetzlicher Regelfall nichts
- Gemeinsame Sorge
- Risiken des Wechselmodells als gesetzliches Leitbild der Erziehung
- Manipulation als ungelöstes rechtliches Problem
- Konklusion
- Weitere Artikel zu Familienpolitik:
Sondierungspapier schweigt sich zum Wechselmodell aus
Liest man das Sonderungspapier von SPD, Grüne und FDP durch, dann sieht es eher mau aus mit Wechselmodell: Explicit erwähnt wird es nicht.
Einzig die folgende Passage könnte Diskussionen hierüber enthalten:
Wir wollen unsere Rechtsordnung der gesellschaftlichen Realität anpassen. Dazu werden wir u.a. das Staatsangehörigkeitsrecht, das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin anpassen und beispielsweise Verantwortungsgemeinschaften bzw. einen Pakt für Zusammenleben möglich machen.
Sondierungspapier, Punkt 8
Es fällt bereits auf, dass man hierzu keine Aussagen unter Punkt 5 „Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang“ findet. Gleichwohl kann man natürlich sehen, dass das Wechselmodell einer geänderten gesellschaftlichen Realität entspricht. Andererseits ist das doch genau der Kritikpunkt bisher, dass es eben keine gesellschaftliche Realität und auch keine rechtliche Realität gibt, die das Wechselmodell als gesetzliches Leitmodell und Regelfall sieht. Der VAMV zitiert hier eine Umfrage, nach der nur 8% aller Betroffenen solch ein Wechselmodell leben (dürfen).
Wir werden also schlicht warten müssen, was am Ende im Koalitionsvertrag stehen wird, wer sich inwieweit durchsetzen wird und mehr. Alleine dass man jedenfalls auf der Agenda hat, Kinderrechte ins Grundgesetz einzufügen (meine Meinung hierzu findet ihr hier), lässt jedenfalls böses ahnen: Neue Anstriche statt ein Anpacken der bestehenden Probleme.
Mein altes Video vom Februar 2019
Unten findet ihr mein neues Video. Bis dahin darf ich euch auf das alte Video verweisen, das jetzt als Re-Upload auf dem Familienrechtskanal erschienen ist:
Status Quo Wechselmodell, Residenzmodell, Nestmodell?
Stand heute gibt es gesetzlich kein Leitmodell, an dem sich Gerichte orientieren müssen. Weder das Residenzmodell (Kind lebt bei einem Eltenteil, der andere hat mehr oder weniger Umgang), Nestmodell (das Kind lebt in einer Wohnung und die Eltern wechsel sich ab, mit dem Kind dort zu leben) oder Wechselmodell (Kind wechselt zwischen den Wohnungen der Eltern) sind gesetzlich vorgeschrieben. Dies ist systematisch auch richtig und notwendig, weil der Begriff des Kindeswohles über allem steht. Hieran hat ein Richter, eine Richterin seine Entscheidungen anzulehnen.
Dabei darf man aber nicht verkennen, dass es natürlich die gesellschaftlich weitverbreitete und insoweit auch oft gerichtlich praktizierte Meinung gibt, dass ein Kind einen Ankerpunkt braucht, sein „Zuhause“, das „ein Ort“ sein müsse. Diese Realität findet dann in gerichtlichen Entscheidungen Eingang. Das Gericht fühlt sich quasi den tradierten Rollenbildern verpflichtet und spricht einem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht (abgekürzt ABR) zu. Meist ist das, insbesondere bei Kleinkindern, die Mutter.
Das ist so schon heute nicht richtig, und würde auch bei einem neuen, gesetzlich fixierten Leitbild nicht richtiger. Kann das Wechselmodell als Regelfall hieran etwas ändern?
Das Wechselmodell ist nicht so einfach umzusetzen
Bereits heute sind sich meiner Auffassung nach alle einig, dass das Wechselmodell grundsätzlich hervorragend für Kinder geeignet ist. Diese Wachsen mit zwei Elternteilen auf, Loyalitätskonflikte könnten so vermieden werden und eine gesunde, für das Kind notwendige Beziehung zu beiden Eltern (Bindung) erwachsen. Doch darf man nicht verkennen, dass mit einem Wechselmodell auch Belastungen für das Kind einhergehen. Das Kind muss sich auf zwei Regelwerke einstellen, die in jedem Haushalt gelten. Im Idealfall können Eltern diese Regeln (Schlafensgehzeiten, wann werden Hausaufgaben erledigt, was muss im Haushalt ausgeführt werden usw.) abstimmen. Doch dazu bedarf es eines nicht unerheblichen Kommunikationsmiteinanders. Wenn die Eltern aber, wie so oft, miteinander nicht Reden und Streiten können – unabhängig von der Frage woran es liegt (!) – wird es schwer. Schwer für die Eltern, die anderen Regeln zu akzeptieren. Schwer für das Kind, sich einzustellen.
Von den weiteren finanziellen Belastungen von 2 vollständig ausgestatteten Haushalten und der damit auch einhergehenden Problematik Unterhalt möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst reden.
Mein neues Video zum Wechselmodell
Für viele ändert ein gesetzlicher Regelfall nichts
Eines darf man bei der Diskussion nicht vergessen: Da sich die meisten Trennungseltern ohne gerichtliche Hilfe für ein Modell entscheiden, würde ein Leitmodell nichts ändern an den Realitäten. Dies heisst dann aber auch, dass eine Gesetzesänderung ungeeignet wäre, die Realitäten zu ändern. Andererseits ist die Situation für den Streitfall klar, die Beweisaufnahme erleichtert sich erheblich, oder etwa nicht?
Gemeinsame Sorge
Einen ähnlichen Gedankengang hatten wir, als die gemeinsame Sorge als Leitmodell eingeführt wurde. Früher war es so, wenn ein Vater die gemeinsame Sorge erstreiten wollte, musste er darlegen, warum die Mutter nicht (alleine) geeignet ist. Dies führte dann zu nicht wenigen Problemen und Streitereien. Die emotionale Ebene wurde bedient. Der Stress und damit einhergehende negative Einflüsse auf das Kind mehr. Durch die Umdrehung der Situation, heute muss die Mutter darlegen, warum der Vater nicht geeignet ist für gemeinsame Sorge änderte sich genau was? Richtig, inhaltlich nichts. Nur wer über wen schlecht sprechen muss hat sich geändert. Am Kindeswohl und den Belastungen des Streites hat sich nichts geändertn.
Was würde sich bei einem Wechselmodell ändern?
Risiken des Wechselmodells als gesetzliches Leitbild der Erziehung
Für mich stehen die Risiken eines solchen gesetzlichen Leitbildes Wechselmodell statt (gelebt) Residenzmodell in keiner Relation. Denn die schwierige Abstimmung und Kommunikation ist doch heute schon das drängende Problem. Was soll sich daran ändern? Genau: Nichts. Das Wohl des Kindes muss im Mittelpunkt stehen. Und daran kann ein Leitbild nichts ändern. Ich sehe eher mehr Schlammschlachten, mehr Probleme. Und wer freut sich, wenn es mehr Streit gibt? Am Ende ggf. die Kinderheime. Zugegeben, das mag eine überzogene Darstellung sein. Aber wenn das Wohl des Kindes auf dem Spiel steht und zwei Eltern die Elternebene zum Nachteil des Kindes missbrauchen, dann ist meiner Meinung nach eben auch keine Entscheidung pro eines Elternteiles wenig hilfreich. Dadurch wird neuer Streit provoziert – wie bereits heute auch.
Manipulation als ungelöstes rechtliches Problem
Das ungelöste eigentliche Problem ist doch, sind wir ehrlich, die Manipulation von Kindern oder des Verfahrens durch einen oder beide Elternteile. Damit wird es oft schwer, den Willen oder das Wohl der Kinder zu eruieren. Daran müsste man ansetzen. Meine Lösungsansätze erhaltet ihr in einem weiteren Artikel, bald.
Konklusion
Ich sehe nur Risiken und wenig Chancen. Daher lehne ich ein gesetzliches Leitmodell ab. Wenn Eltern sich nicht einigen können oder wollen, muss der Staat nur in Fällen der Notwendigkeit eingreifen. Ich mag keine staatlichen Eingriffe in die Familien, wenn es sich vermeiden liese. Stattdessen präferiere ich einen Zwang für werdende Eltern, vor der Geburt eine notarielle Einigung über das Erziehungsmodell im Trennungsfall Einigkeit herbeizuführen, die dann als Leitmodell der Entscheidung des Gerichtes dienen muss. Das verhindert zwar auch keine gerichtliche Entscheidung, aber man lernt vorab seinen Partner kennen und muss sich frei von Streit bereits bekennen, ob man kooperieren kann oder nicht.
Wie seht ihr die Dinge?
3 Antworten auf „Wechselmodell als gesetzliches Leitmodell?“
Ich stimme insofern zu, als dass es noch drängendere Herausforderungen in der Familienrechtspraxis gibt, als dass seit Jahrzehnten bestehende Leitbild des Residenzmodells abzuwandeln in ein Leitbild des Wechselmodells, womit auch schon mein Widerspruch deutlich wird. Erst kürzlich ist ein Gutachten des Bundesfamilienministeriums in die Öffentlichkeit gelangt, wo viel fachlicher, als ich dies könnte, dargelegt wird, dass es sehr wohl gesetzlich und rechtspraktisch ein Leitmodell gibt, nämlich einer betreut/ einer zahlt, auch Residenzmodell genannt. Es geht also keineswegs darum, neu ein Leitbild einzuführen, sondern darum das bestehende abzuändern. Der entscheidende Paradigmenwechsel dabei ist die Beweislastumkehr. Ich muss nicht beweisen, dass BETREUUNG durch beide Eltern besser ist, als einer betreut und der andere hat das Recht / die Pflicht sich gelegentlich vom Wohlergehen seines Kindes zu überzeugen, sondern es muss (im Streitfall) bewiesen werden, dass dem nicht so ist. Ebenfalls stimme ich darin zu, dass die meisten sich ohne Gericht einigen. Dann muss man aber auch sehen, woran sich diese Einigungen orientieren, nämlich am herrschenden gesetzlichen Leitbild, dem Residenzmodell. Die spezifischen Probleme der Leitbild-Umstellung (z.B. Finanzen) wären lösbar, Deutschland müsste dafür schließlich nicht das Rad neu erfinden. Die psychologischen Befunde sprechen sehr pro Wechselmodell, die zweitbeste Lösung ist gar kein Kontakt und die schlechteste Lösung (für den Streitfall) ist das in Deutschland gültige gesetzliche Leitbild des Residenzmodells, nachzulesen in diversen Veröffentlichungen Sünderhaufs.
Die Links:
https://fsi-ev.de/gemeinsam-getrennt-erziehen/
https://www.spiegel.de/familie/unterhalt-und-umgang-wie-kinder-nach-einer-trennung-mehr-von-beiden-eltern-haben-koennten-a-ef3f2d2f-50da-4ecd-b35e-dbfcefa935e9
Mangelnde Abstimmung und Kommunikation werden heute maßgeblich wegen erfolgreichem „Streit als Strategie“ angeführt. Zumindest in meinem Bekanntenkreis gibt es keinen Vater, der nicht mindestens „erweiterten Umgang“ hat. Bisher konnte mir auch niemand schlüssig erklären, warum mangelnde Kommunikation ein gleichberechtigtes 50/50-Modell verbietet, Gerichte aber im gleichen Atemzug ersatzweise ein 40/60- oder 45/55-Modell anordnen, weil dies „am kindeswohldienlichsten“ sei, da die Kommunikation ja zu schlecht fürs echte, paritätische Wechselmodell funktioniere.
Die gesellschaftliche Realität ist: Väter sind deutlich mehr in die Erziehung eingebunden als vor Jahrzehnten. Die Gleichberechtigungsdebatte hat dazu geführt, dass die Übernahme von Erziehungsverantwortung auch gesellschaftlich mehr von Vätern gefordert wird.
Also: Schaffen wir ein Leitbild, das gleichberechtigte Elternschaft als den kindeswohldienlichen Normalfall sieht und Abweichungen mit entsprechenden Beweisen eingeklagt werden müssen, sofern die Eltern auch nicht ohnehin außergerichtlich einigen. Die Hürden, diesen eskalativen Weg zu gehen, sind dann höher.
Ein Leitbild soll nicht alle akuten Probleme lösen, sondern vor allem auch perspektivisch dazu beitragen, dass sich in Zukunft weniger dieser Probleme ergeben. Es hilft dann hoffentlich auch den Kindern der Kinder, die heute im jahrelangen gerichtlichen Showdown zermürbt werden.