Der Traum aller von Kinderklau betroffenen Eltern: Das eigene Kind reisst aus und steht vor der Tür. Flucht aus Kinderheim kommt gar nicht so selten vor, die Öffentlichkeit erfährt es nur selten. Polizeiliche Suchen werden oft erst nach vielen Tagen gestartet, keiner soll viel erfahren.
Doch für die Eltern kann es zu einer kurzen Freude werden. Jetzt muss man sich richtig verhalten, um sich nicht strafbar zu machen oder das Kind noch mehr zu verlieren.
Kindesentziehung bei Flucht aus Kinderheim?
Die Strafbarkeit für eine Flucht aus einem Kinderheim oder einer Pflegefamilie kann sich aus §235 StGB ergeben. Der Straftatbestand der Entziehung Minderjähriger lautet:
§ 235 Entziehung Minderjähriger
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1.eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List oder
2.ein Kind, ohne dessen Angehöriger zu sein,den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger entzieht oder vorenthält.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger
1. entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, oder
2. im Ausland vorenthält, nachdem es dorthin verbracht worden ist oder es sich dorthin begeben hat.
Nur Handeln Dritter strafbar – nicht das des Kindes bei Flucht aus Heim
Liest man das Gesetz genau, kommt man zu dem Ergebnis, dass nicht jede Entziehung strafbar ist und damit auch nicht jede Form der Flucht oder Förderung von Flucht.
Nur wenn eine dritte Person ein Kind entzieht, kann dies strafbar sein. Wenn das Kind selbst davonläuft z.B., dann ist dies keine Entziehung, weil eben der Dritte fehlt. Eine Flucht durch das Kind, auch mit zugestecktem Geld, wäre immer noch nicht strafbar.
Das betrifft sowohl die Anstiftung („hey, wie wäre es, wenn Du wegläufst“) i.S. §26 StGB oder die Beihilfe („ok, ich schließe Dir die Tür auf“). Das bloße Obdach gewähren eines davongelaufenen Kindes ist ebenfalls nicht strafbar, weil hier kein aktives Entziehen vorliegt. Wenn das Kind also nach seiner Flucht vor dem Amt bei Euch klingelt, dürft ihr es hereinlassen. Auch wenn man natürlich sofort bei Euch suchen würde.
Hier entscheiden die Gerichte sehr genau: Ein Kind von a nach b zu fahren oder bei einem Telefonat leugnen den Aufenthaltsort zu kennen soll aktives Tun sein, während eben nichts tun straflos bleibt.
Wenn ich also das Essen auf den Tisch stelle, ist dies eine aktive Handlung?
Wenn ich dem Kind essen bringe?
Es einen Brief nach Hause schreiben lasse und den einwerfe? Meiner Meinung nach nicht, aber der Staat lässt sich da ungern in die Suppe spuken, so dass man davon ausgehen muss ggf. eine Straftat zu begehen. Aktiv ist jede Handlung, die ich zielgerichtet vornehme.
Ob ein Kind nur in Deutschland davonläuft oder ins Ausland, kann einen wesentlichen Unterschied machen: Die Verbringung ins Ausland oder im Ausland das Kind belassen, ohne es dem Amt zurückzugeben kann strafbar sein. Die Ausnahmen für Deutschland, in dem Eltern ihr Kind nie entziehen können, gelten hier nicht.
Keine Aufforderung zur Selbstentziehung
Dieser Beitrag soll keine Aufforderung zur Selbstentziehung sein. Ich selber habe in solchen Fällen immer mit offenen Karten gespielt und die Aufenthaltsorte immer kundgetan, weil es für das Kind so am Besten ist. Ich bin auch heute noch der Meinung dass der Fall Dave Möbius lösbar gewesen wäre, wenn die richtigen Schritte eingeleitet würden und die Familie von Dave nicht gegen dessen Interessen handeln würde.
Im Untergrund auf Dauer leben ist für kein Kind eine Option. Aber ich verstehe, warum mancher danach lechzt oder sich dies ersehnt- weil Gerichte immer wieder versagen und den Eltern und Kinder kein Gehör geschenkt wird,
Legale Selbstentziehung statt Flucht?
Ja, die legale Selbstentziehung ist möglich und hat mehrfach funktioniert. Wie das geht, könnt ihr in meinem Buch „Die Legale Selbstentziehung“ nachlesen. Dort sind alle Chancen und Risiken beschrieben, insbesondere auch wann eine solche Selbstentziehung keine Aussicht auf Erfolg haben kann.
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Die legale Selbstentziehung
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Nach der Flucht aus dem Heim: Was dann?
Das ist die spannendste aller Fragen. Erst einmal Ruhe bewahren und das Kind beruhigen. Dann alsbald einen Arzt, falls der Zustand des Kindes es erfordert, oder die Polizei informieren.
Wenn das Kind einen Grund (Misshandlungen) hatte, dies professionell durch Fachleute besprechen lassen. Ein Aushorchen durch Elternteile oder Polizeibeamte kann zu einer ungültigen Zeugenaussage führen (das gilt auch für alles, was das Amt nach Beeinflussung sagt). Deshalb muss durch eine neutrale Person ohne viele vorherige Ausfragen ein möglichst zusammenhängendes Geständnis/Geschichte aufgenommen werden: Ich präferiere Video und Tonbänder, weil diese sicherer sind als Notizen oder Aussagen von Zeugen.
Informiert Euren Anwalt, vielleicht ist es an der Zeit für einen Verbleibensantrag des Kindes bei Euch.
Verhaltet Euch gegenüber dem Amt nicht zu feindseelig, weil das nur erneute Herausnahmen provoziert.
Flucht aus Kinderheim erfolgreich?
Eine Flucht aus den Fängen der Justiz und des Jugendamtes kann erfolgreich sein. Es ist aber ein schwieriges unterfangen. Deshalb sollte man sich gut überlegen, was und wie man tätig wird. Einfach so probieren funktioniert selten.
Und ja, manchmal muss man nach einer erfolgreichen Flucht ein Kind trotzdem unterstützen, zurückzugehen ins Heim. Auch das gehört zu elterlichen Aufgaben, wenn es die Umstände (Gefahr für das Kind oder Gefährdung durch einen selbst) fordern.
Wenn es schiefgeht, kann das alles nämlich noch schlimmer werden als sowieso schon. Kein Umgang, keine Chance auf Rückführung – das Konstrukt Flucht kann schnell nach hinten losgehen.