Die obigen Aussagen sind das direkte Zitat eines Betroffenen. Dieser schreibt auf seiner Webseite von Missbrauch mit dem Wissen von Polizei, Justiz, Jugendamt und Bischof“. Gemeint sind die Niederbronner Schwestern, die seit einiger Zeit in der Kritik sind. Warum ich erst jetzt einen Artikel schreibe? Nun, die Frankfurter Allgemeine lässt sich hierzu bereits vor einem Jahr herab. Und das ist sehr aussagekräftig. Weil sich die FAZ nicht auf eigene Recherchen beschränkt, sondern aus einem Gerichtsverfahren zitiert. Das Sozialgericht in Darmstadt (nicht das Speyerer, weil Wohnortprinzip des Klägers gilt) hatte einem heute 63 jährigen Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zugebilligt. Ich selber finde heute einige der dort zitierten Aussagen so wichtig, dass man sie zusammenfassen und immer wieder wiederholen muss.
Missbrauch in Speyer über Jahre
Im Alter von fünf Jahren, im September 1963, war er in das katholische Kinderheim des Frauenordens der Schwestern vom Göttlichen Erlöser (Niederbronner Schwestern) an der Engelsgasse in der Speyrer Innenstadt gekommen. Die Zeit dort sei eine des „ständigen Missbrauchs“ gewesen, heißt es in dem Urteil. Von einem Missbrauch an ihm in rund 1000 Fällen geht der Mann aus, zudem in 300 Fällen bei seiner nachfolgenden Ausbildung in einer Bäckerei. Als Zeitraum werden die Jahre 1963 bis 1975 genannt.
Faz vom 12.12.2020
12 Jahre, das darf man zu Recht als systematisch benennen. Doch es war noch schlimmer:
Sexparties: Missbrauch auf Bestellung
M.habe sich alleine sowie mit anderen Personen an ihm bei „Sexpartys“ vergangen, habe ihn wiederholt in seine Wohnung mitgenommen. Er, der Kläger, habe bei dem vielfachen Missbrauch auf der Kniebank von M. knien müssen. Es sei immer ein Vorwand gesucht worden, damit er zu ihm kommen musste, zum Beispiel „Hilfe im Garten“. Einmal hätten ihn drei Priester gemeinsam missbraucht. Die Nonnen hätten ihn „regelrecht hingeschleppt“. An anderer Stelle wird der Vorwurf erhoben, die Nonnen hätten an dem Zuführen der Missbrauchsopfer an die Täter Geld verdient.
Faz vom 12.12.2020
Missbrauch: Keiner half, auch die Polizei nicht
Doch es wird, man mag es kaum glauben, noch schlimmer:
Bei den „Sexpartys“ habe er ein Mädchen kennengelernt. Mit zwölf Jahren sei dieses schwanger geworden. Er habe versucht, ihr zu helfen, sei mit ihr zusammen bei der Polizei und anderen Behörden gewesen. Überall habe man sie als Lügner dargestellt. Eines Tages sei das Mädchen verschwunden. Er habe sie aufgehängt im Speicher gefunden.
Faz vom 12.12.2020
Und dieser Satz ist für mich einer der relevanten. Weil ich es so aus eigenen Erzählungen von Betroffenen kenne. Weil ich dafür schon einstehen „musste“, und man mag es gar nicht fragen, welches Bistum dafür Verantwortung trug…
Keiner glaubt Dir. Die katholische Kirche spielt auf Zeit und vernichtet Unterlagen. Wer schaut zu? Jugendamt und Justiz!
So wehrt sich das geschlossene Heim und sein Missbrauchsbeauftragter
Von dem Missbrauchsbeauftragten der Niederbronner Schwestern hieß es demnach, es gebe keine Unterlagen zu dem Aufenthalt der Kinder in der Einrichtung mehr. Befragungen der Schwestern des Ordens hätten die Vorwürfe des Klägers nicht bestätigt. „Im Übrigen sei der Kontakt zu dem Kläger beendet worden.
Faz vom 12.12.2020
Es ist das System der katholischen Kirche. Sehr gut geschildert ist das in dem Film „die Kinder lassen grüßen“
Der österreichische Film ist einer der eindringlichsten, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Autenthisch, ehrlich, schonungslos. Wir reden nicht über Opfer, sondern Menschen, deren Leben, Glauben und Zukunft von einer beinahe dämonischen Glaubensgemeinschaft vernichtet wurde. Ich bewundere diese Betroffenen, die es geschafft haben, aufzuklären und in Österreich wunderbar viel erreichen konnten. Deutschland hängt dabei hintenher.
Missbrauch: Ist das nicht jede Inobhutnahme, ein bisschen?
Rechtlich stelle ich mir ja die Frage, ob Angesichts dieser negativen Nachrichten aus Heimen, Pflegefamilien usw., die es gibt, nicht gesprochen werden muss davon, dass eben jede Herausnahme von Zuhause nicht die Situationsverbesserung sicherstellen kann. Rechtlich muss sie dies aber. Und daher kann man durchaus von einem Inkaufnehmen von seelischem Schaden ohne Nutzen sprechen und das als Missbrauch klassifizieren.
Das System Demjanjuk als System Jugendamt
Betreffend der unsäglichen NS Verbrechen hatte damals irgendein schlauer Jurist die Idee gehabt, von einer Einzelfallverantwortung abzurücken und die bloße Teilnahme am System für eine Bestrafung ausreichen zu lassen.
Im 12. Mai 2011 wurde Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.[51][52] Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich als Kriegsgefangener zu einem von etwa 5000 fremdvölkischen Hilfswilligen der SS habe ausbilden lassen und dann von Ende März bis Mitte September 1943 als Wachmann im Vernichtungslager Sobibor gedient habe. Auch wenn ihm keine konkrete Tötungshandlung persönlich zugeschrieben werden könne, sei Demjanjuk dort „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ gewesen. Die Anzahl der Opfer berechne sich auf Basis der Transportlisten der Deportationszüge in der Zeit, in der Demjanjuk in Sobibor gedient haben soll. Demjanjuk hätte sich nicht an diesen offensichtlichen Verbrechen beteiligen dürfen, sondern sich bemühen müssen, zu fliehen. Das damit verbundene Risiko hätte er in Kauf nehmen müssen.[53]
Wikipedia
Es reicht danach aus, Teil einer Vernichtungsmaschinerie zu sein. Ich hatte damals schon vor dem Öffnen der Büchse der Pandorra gewarnt. Weil das Pendel immer in jede Richtung ausschlagen kann. Und das hier, das ist eben so ein Fall.
Und genau das ist, wie ich es bereits bei Winterhoff schrieb, das Problem. Weil es nicht ausreicht, nur auf die Täter zu schauen – gerade mit dieser Rechtsprechung. Denn was anderes ist das Jugendamt System in solchen Fällen als Teil einer emotional-psychischen Vernichtungsmaschinerie? Wenn mit Wissen von Schwestern eines Ordens, die daran Geld verdienen, und die Kinder vom Jugendamt bekommen haben in die Obhut, Sexparties stattfinden, dann liegt eben ein System vor, das eine Vernichtung aus niederen Beweggründen immanent ist. Dass die Polizei wegschaut oder wegschauen muss oder die Politik beteiligt ist – geschenkt. Doch dürfen wir Wegschauen? Welche Lehren haben wir aus dieser Vergangenheit gezogen? Richtig: Keine.
Der Bischof und der Missbrauch
Wiesemann wird in dem Artikel erwähnt, dass er als Bischof folgendes gesagt habe:
Es könne sein, dass es „weitere Betroffene“ gebe, die sich bisher nicht getraut hätten, sich zu melden, sagte Wiesemann weiter. Er bat alle, die einen sexuellen Missbrauch durch Mitarbeiter der Kirche erfahren haben, mit den beiden unabhängigen Missbrauchsbeauftragten des Bistums Kontakt aufzunehmen. Er sei selbst in den vergangenen Jahren einen „schmerzlichen Weg des Lernens“ gegangen.
Faz aaO
Nun, da muss ich dem Herrn Bischof widersprechen. Ich weiss, dass er und seine Missbrauchsbeauftragten durchaus eben nicht mit allen Betroffenen in ihrem Bistum sprechen wollen. Eben weil das System immer noch funktioniert.
Wer übernimmt Verantwortung, wenn etwas passiert? Wer klärt auf?
Und wie soll man einem Staat vertrauen, der nie etwas weiss oder wissen will? Der offensichtlich keine Kontrollen hat, wenn Kinder nicht mehr zu Hause leben dürfen? Und wieso gelten hier andere Regeln als in den Familien?
Ich fürchte mich, was da noch alles ans Tageslicht kommen kann. Und ich frage mich, wie die das alles dann richtig klären wollen.