Wir erleben es in vielen Gutachten: Kinder werden als parentifiziert dargestellt. Doch was ist Parentifizierung, und ist diese immer schädlich?
Was ist Parentifizierung?
Parentifizierung bezieht sich auf die Situation, wenn Kinder die Rolle von Erziehungsberechtigten oder anderen Erwachsenen übernehmen und sich um Aufgaben und emotionale Bedürfnisse kümmern statt der Eltern, wie es üblicherweise der Fall sein sollte.
- Rollenwechsel: Die Kinder übernehmen die Rolles des Betreuers oder Beraters, der auch emotionalen Halt für seine Eltern oder Geschwister darstellt und Verantwortung übernimmt (wenn ein Kind Aufgaben übernimmt, die für sein Alter unangemessen sind).
- Fehlen der Bedürfnisse des Kindes : Die Notwendigkeit des Kindes nach Fürsorge, Vergnügen und Unbeschwertheit wird ignoriert.
- Langfristige Auswirkungen der Parentifizierung können zu psychischen Problemen wie Ängsten führen und Depressionssymptome hervorrufen sowie Schwierigkeiten bei Beziehlungen und ein geringes Selbstwertgefühl verursachen.
- Instrumentelle Parentifizierung beinhaltet, dass das Kind praktische Aufgaben im Haushalt übernimmt oder sich um andere Familienmitglieder kümmert.
- Emotionale Parentifizierung tritt auf, wenn das Kind in die Rolle des Vertrauten der Eltern schlüpft und als emotionale Stütze dient.
- Narzissten neigen dazu ihre Kinder für emotionale Unterstützung und Bestätigung zu missbrauchen anstatt sich um die Bedürfnisse ihrer Kinder zu kümmern.
Ursachen von Parentifizierung:
- Psychische Gesundheitsprobleme bei Eltern
- Schwierigkeiten mit Suchtmitteln bei Eltern
- Elterliche Trennung oder Scheidung
- Chronische Erkrankungen innerhalb der Familie.
- Knappheit oder Geldprobleme
Es ist von Bedeutung zu betonen, dass nicht jede Art von Unterstützung im Haushalt oder das Übernehmen von Verantwortung als Parentifizierung betrachtet werden sollte. Erst wenn die Bedürfnisse des Kinders langanhaltend vernachlässigt werden und es dazu gezwungen wird, eine Rolle zu übernehmen, die es überfordert, wird es problematisch.
Ist jede Form von Parentifizierung schädlich?
Das kann mit einem klaren „Nein“ beantwortet werden. Erstens kommt es auf die Ausprägung, also die Intensität an, zweitens vorallem auch welche Form vorliegt. Hier muss man zwischen destruktiver Parentifizierung und adaptiver Parentifizierung unterscheiden.
Parentifizierung ist solange nicht maßgeblich schädlich für die kindliche Entwicklung, wie sie die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes nicht über die Maßen einschränkt und das Kind psychisch nicht destabilisiert.
zitiert nach Anita Plattner u.a., Erziehungsfähigkeit kranker Eltern richtig einschätzen und fördern, 3. Auflage 2024
Diese sogenannte adaptive Parentifizierung kann gelingen, wenn das Kind seine Sorgen und Ängste einer Person mitteilen kann und selbst Unterstützung erfährt.“
Positive Aspekte der Parentifizierung
Es gibt auch positive Aspekte der Parentifizierung, diese werden oft aber übergangen:
Fraglich ist jedoch, (…) ob sie unter anderen Bedingungen möglicherweise förderliche Aspekte für das Kind haben kann. Beispielhaft für eine Entwicklungsförderung sind berühmte Kinder psychisch kranker Eltern zu nennen, wie Hans-Peter Kerkerling oder René Magritte, der das bekannte und vielsagende Portrait einer Mutter und ihres Säuglings mit vertauschten Köpfen malte. (…).
zitiert nach Anita Plattner u.a., Erziehungsfähigkeit kranker Eltern richtig einschätzen und fördern, 3. Auflage 2024
Auf Seiten des Kindes kann die Parentifizierung der Herstellung von einer emotional warmherzigen und verbindlichen Beziehung zu seinem Elternteil begünstigen, sodass das Kind insofern profitiert, als dass es auf diesem Wege Nähe zu seinem Elternteil erfährt (Ohntrup et. al. 2011).
Deshalb ist es wichtig genau hinzuschauen, zu hinterfragen, Fachliteratur heranzuziehen und dem übermäßigen Verwenden von „Fachbegriffen“ ohne Substanz und ohne geklärte Anknüpfungstatsachen Einhalt zu gebieten.