In staatlicher Obhut kommt es immer wieder vor, Geschwisterkinder zu trennen. Was viele Ämter und Gerichte nicht wissen: Das widerspricht der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Wortlaut Art. 8 EMRK und Eingriffe hierin
Art. 8 „Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ lautet in Absatz 1:
(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
Art. 8 EMRK
Unstreitig wird bei gerichtlichen Maßnahmen oder bei Inobhutnahmen hierin eingegriffen (vgl. Johansen gegen Norwegen, Urteil von 1996). Es muss immer auf den Einzelfall abgestellt werden, insbesondere müssen aber immer die Interessen des Kindes berücksichtigt sein (vgl. Wetjen u.a. gegen Deutschland, Urteil vom 2018). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gibt insoweit den Behörden einen weiten Spielraum (vgl. Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK), spätere Eingriffe nach dem Erstkontakt sind hingegen schwerer zu bewerten.
Verbot, familiäre Beziehungen faktisch zu verunmöglichen
Aus Art. 8 EMRK ist daher nicht nur die Pflicht des Staates, eine Zusammenführung der Familien durch Rückführung zu fördern, zu sehen (vgl. Jansen gegen Norwegen). Dies ergibt sich vorallem aus dem Fall Olsson gegen Schweden.
Insbesondere kann zwar eine Herausnahme gerechtfertigt sein und eine Entscheidung eines Gerichtes zulässig und angemessen:
Demzufolge kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass der angefochtenen Entscheidung „ausreichende“ Gründe zugrunde liegen; in Anbetracht des ihnen zustehenden Beurteilungsspielraums waren die schwedischen Behörden zu der Annahme berechtigt, dass es notwenig war, die Kinder in Obhut zu nehmen, insbesondere nachdem vorbeugende Maßnahmen sich als nicht erfolgreich erwiesen hatten.
Entscheidung Olsson gegen Schweden, Rn. 74
Dies bedeutet aber nicht, dass nicht durch die weiteren Maßnahmen das Kind in seinen Rechten verletzt wird. Kurz hat das der EGMR formuliert wie folgt:
Im Ergebnis verletzt die Durchführung der Entscheidung, die Kinder in
Entscheidung Olsson gegen Schweden, Rn. 84
Obhut zu nehmen, Art. 8 – nicht jedoch diese Entscheidung selbst und auch nicht die Tatsache, dass sie nicht aufgehoben wurde.
Durchführung der Entscheidung bei Geschwisterkinder Trennung verletzt EMRK
Doch die Art, wie die Entscheidung umgesetzt wurde, insbesondere Kinder zu trennen, verletzt Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK):
Nach Auffassung der Bf. gab auch die Durchführung der Entscheidung über die Obhut Anlass zu einer Verletzung von Art. 8. Sie berufen sich u.a.
Entscheidung Olsson gegen Schweden, Rn. 78
auf die Unterbringung der Kinder getrennt und in großer Entfernung voneinander und von ihren Eltern, auf die Einschränkungen und Bedingungen für Besuche und die Verhältnisse in den Familien, in denen die Kinder untergebracht waren.
Dem tritt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit deutlichen Worten entgegen:
Die erwähnte Entscheidung musste deshalb als vorläufige und, sobald es die Umstände erlaubten, aufzuhebende Maßnahme angesehen werden; und jeder zu ihrer Durchführung unternommene Schritt hatte im Einklang mit dem letztendlichen Ziel der Zusammenführung der Familie Olsson zu stehen.
Entscheidung Olsson gegen Schweden, Rn. 81
Rückführung ist oberstes Ziel.
Entscheidung Olsson gegen Schweden, Rn. 81
Tatsächlich wirkten die von den schwedischen Behörden getroffenen Anordnungen einem derartigen Ziel entgegen. Die Bindungen zwischen den Mitgliedern einer Familie und die Aussichten für ihre erfolgreiche Zusammenführung werden notgedrungen schwächer werden, wenn ihrem leichten und regelmäßigen Zugang zueinander Hindernisse in den Weg gelegt werden. Allein schon die Unterbringung von Helena und Thomas in einer so großen Entfernung von ihren Eltern und von Stefan (s.o. Ziff. 18) muss indessen die Möglichkeit von Kontakten untereinander ungünstig beeinflusst haben. Diese Situation wurde durch die Einschränkungen, welche die Behörden dem elterlichen Umgang auferlegten, verschlimmert
Solange es also eine Chance auf Rückführung gibt, muss dies vom Staat genutzt werden und unterstützt werden. Beschränkungen im Umgang und vorallem Geschwistertrennung dürfen daher in der Regel nicht erfolgen. Nur bei wichtigen Gründen kann etwas anderes gelten, was aber nicht bereits bei besonderem Bedarf gilt:
Ebenso trifft es zu, dass Stefan besondere Bedürfnisse hatte, jedoch genügt dieses nicht, um die Entfernung, welche ihn von den anderen beiden Kindern trennte, zu rechtfertigen
Entscheidung Olsson gegen Schweden, Rn. 81
Kein Verschulden Behörde bei Geschwistertrennung nötig
Dabei, das erwähnt das Gericht explicit, ist es egal ob die Behörde in Gutem Glauben handelte oder nicht.
Das reicht aber nicht aus, um eine Maßnahme nach Art. 8 der EMRK „notwendig“ erscheinen zu lassen:
Diese Tatsache genügt indessen nicht, eine Maßnahme „notwendig“ i.S.d. Konvention werden zu lassen
Entscheidung Olsson gegen Schweden, Rn. 82
Fazit: Geschwistertrennung ist unzulässig
Daher ist die Trennung von Geschwisterkindern nach der überzeugenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Regel unzulässig. Jede staatliche Maßnahme muss notwendig sein und darf die mögliche Rückführung und den Zusammenhalt der Familie nicht stören. Meiner Auffassung nach gehört daher per se die Geschwistertrennung bei staatlichen Maßnahmen verboten.
Wir lernen daraus, dass selbst bei begründeten Herausnahmen eine Verletzung der Menschenrechte durch die Art der Durchführung vorliegen kann:
mit zwölf Stimmen gegen drei, dass die Art und Weise, wie die besagte Entscheidung durchgeführt wurde, eine Verletzung von Art. 8 darstellt;
EGMR-E 4, 18
Hierfür wurde eine Entschädigung von über 20.000 € für die Eltern zu bezahlen war. Leider wurde hier versäumt, das immaterielle Leid in deutlichen Zahlen auszudrücken. Aber dafür bleiben im Zweifel ja Amtshaftungsklagen über.
3 Antworten auf „Geschwisterkinder trennen“
Schöne Sonntagsentscheidungen zum Vorzeigen gibt es auch vom Bundesverfassungsgericht, Vom BGH, von praktisch jedem OLG. Für die Praxis der Fam,iloiengerichte und Jugendämter spielt das alles keine Rolle, sie ignorieren alles, was ihnen nicht gefällt, seien es Tatsachen, seien es Gesetze, seien es Rechtsprechungen. Beschwerden über die schlimmsten Fälle werden vom Bundesverfassungsgericht mit Nichtannahme zur Entscheidung ohne Angabe von Gründen entschieden, der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht in Straßburg ist um nichts besser.
Hallo, Schade dass Du diese Erfahrungen gemacht hast. Meine sind das nicht. Entscheidungen werden schon berücksichtigt, nicht immer, aber manchmal muss man eben auch das Gericht sanft drauf stoßen.
Natürlich kann man sich beschweren, aber letztlich wird auch keiner gezwungen diese Entscheidung zu berücksichtigen.
Ich bbin – das wirst Du sicherlich wissen – nicht die einzige, die entsprechende Erfahrungen gemacht hat. Natürlich mag es Fälle geben, in denen korrekt gearbeitet wird, aber wenn eine falsche Richtung erst einmal eingeschlagen wurde, dann wird sie auch unter Aufbietung aller denkbaren Rechtsbrüche beibehalten.