Wenn sich die Eltern gegenseitig beschuldigen, zu Lasten des Kindes dessen Wohl verletzt zu haben, oder ein Elternteil den anderen misshandelt hat, dann muss ohne objektive Beweismittel die Glaubhaftigkeitsbeurteilung durch den Richter entscheidend erfolgen. Nicht immer darf in einem solchen Fall ein Sachverständiger die Glaubhaftigkeit beurteilen. Denn es ist Aufgabe des Tatrichters, darüber zu entscheiden was an Beweisen verwertbar ist.
Glaubwürdigkeit gegen Glaubhaftigkeit
Zuerst ist zwischen Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit zu unterscheiden. Glaubwürdigkeit ist die Frage, ob eine Person als solches mit ihrer Lebensgeschichte, Alter, Fähigkeiten grundsätzlich glaubwürdig ist, also als Person und als ganzes. Glaubhaftigkeit hingegen meint die Frage, ob konkrete Aussagen richtig sind.
Glaubhaftigkeit durch Richter statt Gutachten
Der BGH (in Strafsachen) hat sich hierzu wiederholt mit auseinandergesetzt, wann eine Glaubhaftigkeitsbeurteilung durch einen Gutachter erfolgen muss und wann es ausreicht, dass der Richter seine Kompetenz nutzt:
Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwürdigkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den beteiligten Laienrichtern vermitteln können. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst recht, wenn die Berufsrichter – wie auch hier – zugleich Mitglieder der Jugendschutzkammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen verfügen (BGH, Urteil vom 18. August 2009 – 1 StR 155/09, NStZ 2010, 51, 52). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen lediglich dann geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 12. November 1993 – 2 StR 594/93, StV 1994, 173; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 – 1 StR 579/05,NStZ-RR 2006, 242, 243). Solche Umstände können gegeben sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Erinnerungsfähigkeit einer Beweisperson aus besonderen, psychodiagnostisch erfassbaren Gründen eingeschränkt ist oder dass besondere psychische Dispositionen oder Belastungen – die auch im verfahrensgegenständlichen Geschehen selbst ihre Ursache haben können – die Zuverlässigkeit der Aussage in Frage stellen könnten, und dass für die Feststellung solcher Faktoren und ihrer möglichen Einflüsse auf den Aussageinhalt eine besondere, wissenschaftlich fundierte Sachkunde erforderlich ist, über welche der Tatrichter im konkreten Fall nicht verfügt (BGH, Urteil vom 26. April 2006 – 2 StR 445/05, NStZ-RR 2006, 241 mwN).
Glaubwürdigkeitskriterien und Sachkunde des Richters
Der Dreh und Angelpunkt ist hier wie so oft das Problem der „Sachkunde“ zu „aussagepsychologischen Glaubwürdigkeitskriterien. Viele Richter werden diese Kompetenzen eben nicht haben, eine „Zwangsfortbildung“ hierüber gibt es nicht. Hier wäre es wünschenswert, wenn die Kenntnis greifbarer wäre (Zertifikate, die im Geschäftsverteilungsplan benannt sind usw.). Denn solange es auf die Selbsteinschätzung des Richters ankommt, kann hier nichts positives entstehen. Es bleibt willkürlich und nicht prüffähig.
Wann darf der Richter die Glaubhaftigkeit nicht alleine beurteilen
In den folgenden Fällen wird ein Richter nicht umhin kommen, die Glaubhaftigkeit durch ein aussagepsychologisches Gutachten prüfen zu lassen:
- Junges Alter des Zeugen
- Vielzahl von angeblichen Taten/Handlungen
- Psychische Auffälligkeiten beim Zeugen (Persönlichkeitsstörungen)
- Besondere Belastungen durch das Verfahren
- Eingeschränkte Erinnerungsfähigkeit
Gerade bei Missbrauch und körperlicher Gewalt kann sich dies mehrfach auswirken. Denn langjährige Misshandlungen führen zu psychischen Auffälligkeiten und Verdrängungsmechanismen. Daher sollte in einem solchen Fall das Gericht immer ein aussagepsychologisches Gutachten einholen.
Wie so ein aussagepsychologisches Gutachten aussieht, dazu werde ich bald mehr schreiben.