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Familienpolitik

Das falsche Presseverständnis der Familiengerichte

In letzter Zeit erlebe ich recht häufig, dass Presseöffentlichkeit negativ ausgelegt wird und das falsche Presseverständnis der Familiengerichte Eltern benachteiligt. Dabei ist die Frage doch die: Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei, die unvertretbare Richterentscheidung oder die Presseberichterstattung hierüber? Und wem schadet man mit diesen egoistischen Elternerziehungsmaßnahmen? Schaut rein in meinen Artikel.

Falsches Presseverständnis der Familiengerichte und Sanktionen

Wenn Unrecht erfolgt, dann ist der Vorteil am nichtöffentlichen Verfahren, dass kaum jemand davon mitbekommt. Öffentlichkeit als Garant für faire Verfahren existiert dann nur noch über Presse. Deren Aufgabe ist in den Landespressegesetzen fixiert wie folgt:

Für die Presse sind in Deutschland die politischen Funktionen als öffentliche Aufgabe in § 3 der Landespressegesetze festgeschrieben: Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe, wenn sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt.

Wikipedia

Artikel 5 I GG lautet insoweit:

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Man sollte also meinen, dass Gerichte dieses Presseverständnis unserer Gründungsväter kennen und unterstützen. Doch leider hat die Justiz in ihrer Hybris der absoluten Unfehlbarkeit damit offenkundig ein Problem, dass es neben Art. 97 GG noch andere, sogar höher zu bewertende Grundfundamente unseres Rechtsstaates gibt. Immer wieder erleben Eltern, dass sie dafür, dass sie an die Presse gehen, sanktioniert werden.

MDR

Der MDR berichtete wiederholt über eine Mutter, deren Kinder man gegen den Willen der Kinder wegen angeblicher Manipulationsvorwürfe aus der Familie geholt hat – mit Polizeigewalt. Doch dass dieser Skandal aufgedeckt wird, das mag den Spitzbuben, die man bereits von weitem an ihren Roben erkennen kann (nach Friedrich Wilhelm I. zitiert: „Wir ordnen und befehlen hiermit allen Ernstes, daß die Advocati wollene schwarze Mäntel, welche bis unter das Knie gehen, unserer Verordnung gemäß zu tragen haben, damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennt.„), nicht so recht munden. Öffentliche Meinungsbildung, wo doch Unfehlbarkeit und Unbeflecktheit mit der Richterernennung postuliert sind… Es ist ja nicht so, dass dieses Land nicht an Richterskandalen reich ist…

Jedenfalls wird die Mutter hierfür bestraft.

Screenshot 1 des MDR Beitrags 15.11.2022
Beschluss eines Gerichts: Bemerkenswert: „Mehrere Fernsehsender“ ist explicit erwähnenswert

Wer Fernsehsender einschaltet, ist quasi unbelehrbar und erziehungsunfähig? Sorgerecht als Strafrecht? Das ist natürlich Blödsinn. Trotzdem schreibt das Gericht:

Screenshot 2 des MDR Beitrags 15.11.2022
TV Sender einschalten heisst IST-Zustand nicht akzeptieren

Link zum Beitrag und Ursprungsbeitrag

Jugendamt

In einem anderen Bereich hatte sich das Jugendamt echauffiert und sofort die Umgangskontakte eingeschränkt. Auch hier die Argumentationen der „mangelnden Einsicht“.

Jugendamt Bericht an das Oberlandesgericht

Mangelnde Einsicht?

Was ist mangelnde Einsicht? Was ist die falsche Grundhaltung, einen Zustand zu akzeptieren? Gibt es in einem Rechtsstaat ähnlich wie dem Vatikan die Pflicht, die Unfehlbarkeit des Papstes/Richters/Jugendamtes anzuerkennen? Mir ist diese „mangelnde Einsicht“ von Verfassungsrang unbekannt. Stattdessen hat die Bundesrepublik Deutschland zur Meinungsbildung doch gerade das Presserecht mit Verfassungsrang versehen. Und verkennen wir doch eines nicht: Was war zuerst da: Die Henne oder das Ei, die falsche Entscheidung oder der Pressebericht?

Die Justiz und die Verwaltung zeige sich hier bedenklich verfassungsfern und dünnhäutig. Das wäre an und für sich nicht das Problem, wenn nicht von Seiten der mächtigen die Kinder hierunter leiden würden. Denn bei aller Kritik an den Eltern und deren Verhalten: Warum wird das Kind hierfür bestraft, selbst wenn Eltern Fehler machen würden? Natürlich haben in beiden oben berichteten Fällen die Eltern keine Fehler gemacht. Presseöffentlichkeit ist wichtig, wo es selten Parteiunmittelbarkeit und Beweisöffentlichkeit gibt und niemals eine öffentliche Kontrolle.

Der deutsche Bundestag hat sich ja schon damit auseinandersetzen müssen, dass im Familienrecht und bei Gutachten viel schief läuft. Der neue 23b GVG kündet ein (zahnloses) Bild hiervon.

Wer Eltern für Presseöffentlichkeit bestraft, handelt verfassungswidrig und schädigt Kinder!

Dabei ist eines klar. Wer Eltern für Presseöffentlichkeit bestraft, der handelt kindeswohl- und verfassungswidrig. Mit Schulnoten lässt sich sowas gar nicht mehr bewerten, so falsch wie dieses Vorgehen ist.

Es ist insoweit an der Presse, hier für ihre Informanten einzustehen und diese zu verteidigen, notfalls mit immer wieder zu wiederholenden richtigen Aussagen: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“, so hat es Stan Lee Spiderman sagen lassen 1962. Und aus großen Fehlern der Justiz folgt die große Verantwortung der Presse, auf diese hinzuweisen, bis wir endlich im Familienrecht die Qualität haben bei Richtern, Gutachtern und Anwälten, die unsere Kinder verdienen.

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Recht allgemein

DSGVO und FamFG

DSGVO und FamFG sind in dieser Verbindung Themen, die bisher kaum kommentiert und beachtet sind. Entsprechend viele Gerüchte gehen hinter der Hand herum, wie man mit der DSGVO familienpsychologische Gutachten nach FamFG aushebeln könne. Der Verfahrensbeistand dürfe ebenfalls keine Akteninhalte sammeln. Was ist dran an diesen Meinungen? Gibt es die Möglichkeit, mit DSGVO und FamFG Gutachten zu verhindern und Verfahren zu ändern? Und wird ein Gutachten anfechtbar durch Verstoß gegen die Datenminimierungspflicht?

Wir betrachten die aktuellen Diskussionen und Literatur zum Thema.

DSGVO und FamFG

Seit der Einführung der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO oder DSGVO abgekürzt) herrscht in Deutschland ein Bild der Unsicherheit. Gerade die Affäre um Google Fonts hat gezeigt, dass einige wenige listigerweise Versuchen, Kapital aus dieser Unsicherheit zu schlagen. Kern des Themas ist, dass viele Spezialaspekte in der DSGVO und den Gesetzesmaterialien nicht zureichend ausgearbeitet sind.

Insgesamt geht es also – neben der Bemessung der Höhe eines Bußgeldes gem. Art. 82 DSGVO – um die Präzisierung des Umfangs des Schutzes besonderer Kategorien personenbezogener Daten (hier: Gesundheitsdaten) gem. Art. 9 DSGVO. Denn der aus dem Text der DSGVO bzw. aus deren Erwägungsgründen allein geht dies wie so oft leider nicht klar und deutlich hervor.

Dr. Datenschutz

Das betrifft Aspekte der Akteneinsicht und Aktenkopie, Umfang von Gutachten und der Frage, wer überhaupt welche und wieviele Daten erheben darf.

Wenig höchstrichterliche Rechtsprechung

Aufgrund der relativen Neuheit der rechtlichen Probleme gibt es nur wenige Entscheidungen von deutschen Bundesgerichten oder vom EuGH, der letztlich über die Auslegung der DSGVO entscheidet anhand des Unionsrechts. 2021 hat der BGH zur Reichweite von Akteneinsicht und Auskunft nach DSGVO Stellung genommen (VI ZR 576/19, Video zur Entscheidung hier). Aktuell liegt ein Vorabersuchen des BAG beim EuGH vor, wie weit medizinische Daten durch den MDK im Hinblick auf Art. 9 DSGVO erhoben werden dürfen. Literatur gibt es zu den spezifischen Themen des Familienrechts auch nur wenige. Daher ist dieser Artikel vorallem meine persönliche Meinung, begründet anhand der aufgeführten Quellen und Argumente. Ohne eine klare, umfassende Rechtsprechung des EuGH werden wir insoweit keine Rechtsklarheit bekommen. Wer etwas anderes behauptet, spielt insoweit kein faires Spiel.

Darf ein Sachverständiger nach DSGVO und FamFG meine Daten erheben?

Grundsätzlich müssen Gutachter in Verfahren das Gutachten erstellen, was sich aus §30 I FamFG i.V.m. §407 ZPO ergibt. Daher liegt ein Rechtfertigungsgrund nach Art. 6 I 1 c. DSGVO vor (vgl. Weber in Auswirkungen der DS-GVO für Berufsbetreuer und Sachverständige in Kindschaftssachen in NZFam 2018, 865).

Pflicht zur Gutachtenserstellung ist Rechtfertigungsgrund nach Art. 6 I DSGVO

Weber in NZFam 2018, 865

Anderer Ansicht ist insoweit Wirwohl: Alles neu macht die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)? in DS 2018, 236. Sie tritt vorallem dafür ein, dass eine konkrete oder konkludente Einwilligung zur Datenerhebung vorliegen müsse. Der §404a ZPO, der früher den §1 BDSG verdrängte, ist nicht mehr einschlägig, so ihre Auffassung, die Weber ablehnt.

Gleichwohl müssen auch nicht alle Daten aus Gutachten entfernt werden, so Wirwohl.

Daten in Sachverständigengutachten sind eine Frage der Praktikabilität

Wirwohl in DS 2018, 236)

Bedenklich ist, dass Wirwohl eine sofortige Beschwerde gegen Beweisbeschlüsse sieht, die es so nicht gibt, weil das richtige Mittel die Gegenvorstellung ist. Sie sieht aber in der Prozessteilnahme eine konkludente Einwilligung:

Ohne die Verwendung der für das Sachverständigengutachten notwendigen Daten,
könnte dieses nicht erstellt werden, s. Art 7 IV DSGVO. Es ist mithin von einer konkludenten Einwilligung der Prozessparteien bezüglich der Verwendung ihrer personenbezogenen Daten in Sachverständigengutachten auszugehen.

Wirwohl in DS 2018, 236

Praktikabilität berücksichtigen

Jedenfalls wird sich die Frage von berechtigten Interessen stellen i.S. Art. 6 I f DSGVO.

Ohne Daten in Gutachten oder Verfahren wäre der Rechtsstaat ausgehebelt. Was wenn ein Mörder der Verwendung seiner DNA in einem Gutachten widersprechen könnte, was wenn ein Kinderschänder sich gegen die Einführung eines Videos im Umgangsausschlussverfahren wehrt?

Grundrechtsabwägung und DSGVO

Richtigerweise ist also eine Abwägung der einzelnen Grund- und Rechtspositionen vorzunehmen. Das OLG Düsseldorf hat in dem Rechtsstreit einer dritten Person gegen ein Familienpsychologisches Gutachten hierzu ausgeführt:

Die nach den Maßstäben der DS-GVO zu beurteilende Frage, ob die die Kl. betreffenden Daten rechtswidrig erlangt worden waren, ist danach bei der Abwägung i.R.d.
allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu berücksichtigen.

OLG Düsseldorf, 16 U 269/20

Und weiter unter Bezugnahme auf das BVerfG:

Da die Mitteilung personenbezogener Daten einerseits die Rechte der betroffenen Person gem. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG u. Art. 8 EMRK berührt, andererseits aber durch die Kommunikationsfreiheit sowie Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 u. Abs. 3 GG u. Art. 10 EMRK geschützt wird, wirft dies die Frage auf, ob sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für solche Kommunikationsvorgänge, die zugleich einen Ausgleich i.S.e. praktischen Konkordanz
zwischen den kollidierenden Rechtspositionen schaffen müssen, aus dem Datenschutzrecht oder dem zivilrechtlichen Äußerungsrecht oder beiden Regelungsregimen ergeben (vgl. Lauber-Rönsberg, AfP 2019, 373).

OLG Düsseldorf, 16 U 269/20

Es kommt also auf eine Gesamtbetrachtung an. Dabei sind im familiengerichtlichen Verfahren die Fragen des Wohles des Kindes, die Tatsache dass ein Streit geführt wird in der Kindschaftssache, die Wissenschaftsfreiheit (Gutachten sind eine wissenschaftliche Arbeit, aA die GWG) und mehr zu betrachten. Ansonsten wäre auch eine Pressefreiheit nicht mehr gewährleistet.

Ich folge also der Auffassung von Weber, dass ein Gutachten grundsätzlich auch ohne Einwilligung erstellt werden darf. Dies ergibt sich aus spezialgesetzlichen Regelungen, die m.E. im Einklang mit der DSGVO stehen.

Datenminimierung und Gutachten nach DSGVO

Von der Frage, ob der Gutachter etwas schreiben darf, ist streng die Frage zu unterscheiden, wieviel er schreiben darf. Früher gab es den Aspekt der Datensparsamkeit, heute nennt sich das Datenminimierung in der DSGVO (Art. 5 I c DSGVO).

Unmittelbare Folge ist auch die Frage der Datenrichtigkeit, was zu einem Löschungs- und Berichtigungsanspruch führt (vgl. Weber aaO).

Dies sind zwei der relevantesten Themen. Ich stelle bei meinen kritischen Gutachtensrezensionen ja insbesondere auf falsche Datenerhebungen ab. Der BGH lässt ein Gutachten, das falsche oder ungeklärte Anknüpfungstatsachen beinhaltet, in der Regel unverwertbar sein.

Eine Einwilligung bei der Begutachtung ist nicht erforderlich (eine Pflicht zur Teilnahme besteht ja nicht). Dies kann gegebenenfalls aber bei besonders sensiblen Daten anders sein (vgl. Weber aaO):

Für besondere Daten nach Art. 9 I DS-GVO greift Art. 9 II lit. f DS-GVO als Rechtfertigungsgrund ein.

Weber, Auswirkungen der DS-GVO für Berufsbetreuer und Sachverständige in Kindschaftssachen(NZFam 2018, 865)

Gegen die Verwertung von Informationen aus der Gerichtsakte kann man sich nicht wehren:

Die Beteiligten sind im Verfahren nicht verpflichtet, an einer Begutachtung mitzuwirken; [Fn. 22: Vgl. Fahl NZFam 2015, 848 (849); Weber NZFam 2018, 510 (517).] sie können sich zwar der Verwertung der bereits in der Gerichtsakte befindlichen Daten durch den Gutachter nicht erwehren, können aber nicht zwangsweise zur Erhebung weiterer Daten durch den Sachverständigen
angehalten werden.

Weber aaO

Berichtigungsanspruch bei falschen Daten i.S. DSGVO?

Aktualisierung 16.01.2023: Unter Berücksichtigung dieser obigen Aspekte muss dann aber auch ein Datenberichtigungsanspruch gem. Art. 16 DSGVO anerkannt werden. Denn unrichtige Daten sind eben abzuändern oder ggf. gar zu löschen (Art. 17 DSGVO). Der Rechtfertigungsgrund wie oben dargestellt bezieht sich nur auf die Frage, ob Daten erhoben werden dürfen. Das heißt nicht, dass falsche Daten erhoben werden dürfen.

Nicht alle Daten dürfen erhoben werden

Natürlich heißt das nicht, dass der Gutachter dann nach belieben Fragen zu allen Themen stellen darf. Denn die Fragen sind durch den Beweisauftrag des Gerichtes vorgegeben, darüber hinausgehende Fragen und Unterlagen hat der Gutachter nicht zu erheben und zu verwerten, weil diese gegen die Pflicht zur Datenminimierung verstößt (Weber aaO).

EuGH und BAG und besondere Daten

Insoweit dürfte mit Spannung die Entscheidung des EuGH zu MDK Gutachten werden, die das Bundesarbeitsgericht nach Art. 267 AEUV vorgelegt hat. Denn die Interessenlage ist absolut vergleichbar zu familienpsychologischen Gutachten:

Die Anfrage des BAG nach Art. 267 AEUV

Die Anfrage des BAG lautet wie folgt:

I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Fragen ersucht:

1. Ist Art. 9 Abs. 2 Buchstabe h DSGVO dahin auszulegen, dass es einem Medizinischen Dienst einer Krankenkasse untersagt ist, Gesundheitsdaten seines Arbeitnehmers, die Voraussetzung für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit dieses Arbeitnehmers sind, zu verarbeiten?

2. Für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage zu 1. verneinen sollte mit der Folge, dass nach Art. 9 Abs. 2 Buchstabe h DSGVO eine Ausnahme von dem in Art. 9 Abs. 1 DSGVO bestimmten Verbot der Verarbeitung von Gesundheitsdaten in Betracht käme: Sind in einem Fall wie hier über die in Art. 9 Abs. 3 DSGVO bestimmten Maßgaben hinaus weitere, gegebenenfalls welche Datenschutzvorgaben zu beachten?

3. Für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage zu 1. verneinen sollte mit der Folge, dass nach Art. 9 Abs. 2 Buchstabe h DSGVO eine Ausnahme von dem in Art. 9 Abs. 1 DSGVO bestimmten Verbot der Verarbeitung von Gesundheitsdaten in Betracht käme: Hängt in einem Fall wie hier die Zulässigkeit bzw. Rechtmäßigkeit der Verarbeitung von Gesundheitsdaten zudem davon ab, dass mindestens eine der in Art. 6 Abs. 1 DSGVO genannten Voraussetzungen erfüllt ist?

(…)

Quelle BAG 8 AZR 253/20 (A)

Die schadensersatzrechtliche Komponente habe ich außen vorgelassen.

Darf ein Gutachter besondere Daten zu Ethnie, politischer Einstellung, Gesundheit usw. ohne eine Einwilligung erheben?

Kernfrage der Vorabentscheidungsanfrage des BAG an den EuGH

Praktische Relevant nach FamFG

Diese Frage hat bei z.B. folgenden Fragen eine praktische Relevanz:

  • Überprüfung des Haushalts und Einordnung, ob kindgerecht ist, durch Gutachter
  • Stellungnahmen zu politischen Meinungen (Querdenker, Reichsbürger, „Sektenmitglieder“, Glaube, Ideologie, Sexualverhalten ohne Bezug zum Kind (Promiskuität)
  • Projektive Tests, die die subjektive Einstellung des Gutachters und den Zeitgeist bei der Interpretation in den Vordergrund stellen
  • Lebensweisen (Hippie, Homeschooling oder Freilernen usw.)
  • Behinderungen der Eltern und Kinder

Manche dieser Fragen sind bereits aus der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung nicht zu berücksichtigen, weil sich keiner seine Familie aussuchen kann.

Andere Fragen wie die regelmäßige Beobachtung des Wohnumfelds sind durch das Gericht und nicht den Gutachter zu prüfen. Damit kann eine Kollission zu Art. 9 DSGVO vorliegen und das Prinzip der Datenminimierung verletzt sein.

Ich persönlich sehe daher auf Basis der Vorabentscheidungsanfrage, dem Aspekt der Datenminimierung und dem Aspekt des besonderen Schutzes besonderer Daten eine konkrete Begründungspflicht des Gutachters. Statt also konkret das Gutachten zu verhindern zu versuchen sollte man gegen diese einzelnen Punkte angehen, diese Fragestellungen untersagen lassen und eine Berichtigungspflicht des Gutachtens einfordern.

Ob und wie sich das nach der EuGH Entscheidung darstellen wird, bleibt abzuwarten.

Müssen Art. 6 DSGVO und zugleich Art. 9 DSGVO vorliegen?

Die rechtliche Fragestellung zu oben ist einfach, ob Art. 9 DSGVO alleine eine Datenverarbeitung zulässt oder ob dies nur zusammen mit Art. 9 DSGVO zulässig ist:

Es geht darum, ob bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 kumulativ vorliegen müssen oder ob eine Verarbeitung alleine auf Art. 9 DSGVO gestützt werden kann.

Dr. Datenschutz hier

Hier geht es vorallem um den Art. 9 II f. DSGVO:

die Verarbeitung ist zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich,

Art. 9 DSGVO

Aber auch erforderlich beschränkt Daten auf das notwendige Mindestmaß (Datenminimierung), was der Beweisbeschluss vorgibt. Fragen nach dem konkreten Zeugungsakt, wie ich sie bisweilen in Gutachten erlebe, sind danach nie verwertbar, es wird nie darauf ankommen (selbst untergeschobene Kinder sind nun einmal als Rechtssubjekt vorhanden).

Muss der Gutachter über Datenerhebung informieren?

Grundsätzlich muss jeder, der Daten erhebt, über dies informieren, Art. 13, 14 DSGVO. Doch gilt dies auch für den familienpsychologischen Gutachter?

Weber kommentiert hierzu:

Der Sachverständige ist nach hier vertretener Ansicht nicht Verantwortlicher für die
Datenverarbeitung im Rahmen der Gutachtenerstellung. Zweck und Umfang der Datenverarbeitung werden weithin durch das Gericht im Rahmen eines Beweisbeschlusses vorgegeben; das Gericht leitet weiterhin die Tätigkeit des Sachverständigen und kann diesem Weisungen erteilen, § 30 I FamFG iVm § 404 a ZPO. Die Argumentation geteilter Verantwortung ist denkbar, was allerdings wiederum auch für eine Informationspflicht auch der Gerichte den betroffenen Personen gegenüber
streitet.

Weber aaO

Ich unterstütze diese Auffassung. Denn der Sachverständige soll die Kenntnisse, die das Gericht nicht hat, unterstützend zur Verfügung stellen. Gleichwohl, wird die richterliche Arbeit auf den Gutachter delegiert (unzulässig, vgl. OLG München, Familiensenate Augsburg 30 UF 232/15), kann sich etwas anderes ergeben. Denn dann überschreitet der Gutachter seine Befugnisse.

Darf der Gutachter Namen und Verhalten Dritter aufnehmen?

Folgt man dem OLG Düsseldorf (das das Problem nicht aus datenschutzrechtlicher Sicht löst, sondern aus dem Recht zur informationellen Selbstbestimmung), dann ja:

Auch die Benennung des Klarnamens der Kl. konnte nicht unterbleiben. Aus den zivilprozessualen Vorschriften ergibt sich kein generelles Gebot zur Anonymisierung in gerichtlichen Gutachten. Für den vorliegenden Fall ergibt sich nichts anderes. Davon ausgehend, dass die Bekl. zur Vorbereitung ihres Gutachtens gehalten war, das weitere Umfeld des Kindes miteinzubeziehen sowie i.R.d. Datenerhebung unterschiedliche Datenquellen zu nutzen („multimodales Vorgehen“), oblag es ihr, die gewonnenen Informationen und ihre Quelle im Gutachten offenzulegen (vgl. OLG Frankfurt/M. B. v. 28.11.2016 – 6 WF 200/16).
Dies war vorliegend geschehen. I.S.e. umfassenden Information des Gerichts mussten
Verklausulierungen unterbleiben. Es reichte nicht aus, die Kl. ohne Namensnennung z.B. als „aktuelle Lebenspartnerin“ des Kindesvaters zu beschreiben, denn das Gericht muss auf Grund der Angaben im Gutachten in der Lage sein, die zentralen Personen, zu denen auch die Kl. zählt, eindeutig zu identifizieren und dies in einer Weise, dass auch für die Zukunft keine Zweifel entstehen konnten und sich nicht die Notwendigkeit unnötiger Rückfragen ergibt.

OLG Düsseldorf 16 U 269/20

Darf der Verfahrensbeistand Daten erheben?

Eine weitere Frage, die ich gelesen habe, war die, ob Verfahrensbeistände Daten erheben dürfen. Um es kurz zu machen: Sie dürfen. Der Verfahrensbeistand nimmt die Interessen des Kindes wahr in der Gewährleistung des Art. 1 I GG. Damit liegt eine gesetzliche Handlungspflicht vor, so dass die Rechtfertigungsnorm des Art. 6 I 1 c DSGVO greift (vgl. Weber aaO).

die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt;

Art. 6 I DSGVO

Update 26.02.2023: Dem folgt auch die Kommentierung in Kühling/Buchner:

Insoweit beziehen sich die genannten Bestimmungen auf Art. 8 Abs. 2 EMRK sowie auf Art. 7, Art. 8 Abs. 2 und Art. 52 Abs. 1 S. 2 GRCh. Vorschriften iSd Abs. 1 lit. c erlauben Eingriffe in die Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf Datenschutz. Derartige Grundrechtsbeeinträchtigungen sind nur zulässig, soweit sie gesetzlich vorgesehen und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“
sind, um anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen zu wahren. Die eingesetzten Mittel müssen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und dürfen nicht über das Erforderliche hinausgehen (→ Rn. 94). [Fn. 178: EuGH Urt. v. 9.11.2010 – C-92/09, C-93/09, DuD 2011, 137 (140) mwN – Schecke. ]

Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Auflage 2020, Rn. 89

Gola/Heckmann weisen zudem darauf hin, dass es eine gesonderte gesetzliche Pflicht geben muss, die Daten zu erheben:

Für lit. c ist eine Rechtspflicht kraft objektiven Rechts erforderlich; eine vertraglich begründete (Rechts-)Pflicht genügt nicht, wird aber im Rahmen der dann weiterhin denkbaren Interessenabwägung einzubeziehen sein.

Gola/Heckmann, Datenschutz-Grundverordnung – Bundesdatenschutzgesetz Auflage 2022

Das wiederum würde gegen eine Pflicht nach lit. c. sprechen (was aber auch für lit. e. gelten würde).

Insoweit wird der VB in der Regel auch nur Informationen des Kindes und des Naheumfeldes des Kindes, was dem Kind bekannt ist, erheben und weitergeben. Natürlich nicht umfasst wären hier Ermittlungen im Umfeld der Familie (Nachbarn anrufen usw.)

Andere Stimmen meinen, Art. 6 I 1 Lit. e DSGVO wäre einschlägig. Das scheitert m.E. daran, dass keine Übertragung staatlicher Aufgaben i.S. dieser Norm vorliegt:

“ Denn Abs. 1 lit. e verlangt nach einer im öffentlichen Interesse liegenden „Aufgabe“, die dem Verantwortlichen „übertragen wurde“. Dabei ist insbesondere an Aufgaben gedacht, die in den Mitgliedstaaten klassischerweise als Staatsaufgaben verstanden und administrativ ausgeführt werden.“

Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG, Auflage 2020, Art. 6 Rn. 114

Diese anderen Stimmen verkennen zudem, dass selbst bei einem Widerspruch, der zudem unzulässig ist wenn  die Verarbeitung der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen dient, Art. 21 I DSGVO, und keine Löschung erfolgen muss, Art. 17 III DSGVO.

Anderslautende Aussagen sind schlicht falsch.

Für Anwälte wird zudem vertreten, dass Lit. f. anwendbar wäre, vgl. Kühling/Buchner, DS-GVO BDSG. Das führt zwar auch zu einem Widerspruch nach Art. 21 DSGVO, der aber ebenso wie bei e. unzulässig ist aufgrund der Geltendmachung, Verteidigung von Rechtsansprüchen.

Habe ich einen Anspruch auf Aktenkopie aus der DSGVO

Zu diesem Thema hatte ich bereits Stellung genommen („Habe ich das Recht auf Akteneinsicht beim Jugendamt?„).

Deutschmann schreibt in Datenschutzrechtliche Auskunftsansprüche gemäß Art. 15 DS-GVO gegenüber Zivilgerichten in ZD 2021, 414 folgendes:

„Sowohl § 299 ZPO als auch § 13 FamFG differenzieren danach, wer die Einsicht in eine Akte begehrt: Prozess- bzw. Verfahrensbeteiligten steht nach § 299 Abs. 1 ZPO bzw. § 13 Abs. 1 FamFG in allgemeines Akteneinsichtsrecht zu. Dieses ist Ausdruck des verfassungsrechtlich vorbehaltlos [Fn. 3: Schulze-Fielitz, in: Dreier, 3. Aufl. 2018, Art. 103 Abs. 1 GG Rn. 83 mwN.] – wenn auch nicht schrankenlos – gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör [Fn. 4: BVerfGE 18, 399 (405); 63, 45 (60); Remmert, in: Maunz/Dürig, 93. EL Okt. 2020, Art. 103 GG Abs. 1 Rn. 87.], weshalb die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht zu Gunsten von Verfahrensbeteiligten nicht im Ermessen des Gerichts steht. [Fn. 5: Vgl. BVerfG NJW 1965, 1171 f.]“

Deutschmann aaO

Keine Einschränkung Akteneinsicht durch DSGVO

Und deutlicher:

Wie aus Erwägungsgrund 20 S. 1 Hs. 1 DS-GVO folgt, gilt die DS-GVO grundsätzlich auch für die Tätigkeiten der Gerichte und Justizbehörden. Zwar können Mitgliedstaaten Regelungen betreffend die Verarbeitungsvorgänge und Verarbeitungsverfahren bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Gerichte und andere Justizbehörden treffen (Erwägungsgrund 20 S. 1 Hs. 2 DS-GVO; vgl. hierzulande z.B. §§ 12 ff. EGGVG), doch bedeutet dies nicht, dass der nationale Gesetzgeber die Justiz per se vom Anwendungsbereich der DS-GVO ausnehmen könnte. Eine generelle Bereichsausnahme für die Datenverarbeitung in der Justiz folgt insbesondere nicht aus Art. 2 Abs. 2 lit. a DS-GVO.

Deutschmann aaO

Kostenfreie Kopie nach DSGVO der Gerichtsakte

Deutschmann

Das einzelgesetzliche Akteneinsichtsrecht wird durch die DSGVO also gestärkt, wobei beide Konstrukte nebeneinander gelten. Doch eine Besonderheit arbeitet Deutschmann hervor: Die Kostenfreiheit der Aktenkopie:

Eine Parallelisierung der datenschutzrechtlichen Auskunftsansprüche mit den Bestimmungen der nationalen Prozessordnungen dahin, dass ein Betroffener, der den Auskunfts- und Kopieanspruch gegenüber dem Gericht geltend macht, analog zu den Vorschriften zur Akteneinsicht z.B. die Geschäftsstelle aufsuchen und für Kopien Gebühren entrichten muss, ist nicht angezeigt und wäre europarechtswidrig. Zwar kann der nationale Gesetzgeber auf Grund der Öffnungsklausel des Art.
23 Abs. 1 lit. f DS-GVO die Geltung der DS-GVO hinsichtlich der Betroffenenrechte (Art. 12 bis 23 und 5, 34 DS-GVO) beschränken, doch steht dies unter der Voraussetzung, dass dies eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der Unabhängigkeit der Justiz und dem Schutz von Gerichtsverfahren darstellt.

Deutschmann aaO

Herausgabepflicht gerichtsinterner Unterlagen

Sein Fazit: Auch gerichtsinterne Unterlagen sind herauszugeben:

De lege lata sind auch gerichtsinterne Aufzeichnungen zu beauskunften, denn eine Einschränkung des Auskunfts- und Kopieanspruchs hat der deutsche Gesetzgeber in Bezug auf gerichtsinterne Dokumente nicht vorgesehen.

Deutschmann aaO

Dasselbe hat der BGH für Versicherungen bereits entschieden (s.o.)

Mit Ausnahme der Auffassung, dass auch Entwürfe von Entscheidungen herauszugeben sind, teile ich diese Auffassung. Entwürfe von Urteilen herauszugeben würde den Rechtsstaat erheblich einschränken.

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